Berücksichtigung umsatzabhängiger Provisionen bei der Beitragsbemessung in der Sozialversicherung
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger verpflichtet ist, für die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.12.2005 Gesamtsozialversicherungsbeiträge
- einschließlich Beiträge zu den Umlagen U1 und U2 zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen im Rahmen der
Lohnfortzahlung nach dem bis 31.12.2005 geltenden § 14 Abs 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG) - für Arbeitnehmer in Höhe von zuletzt 6.582,76 Euro zu zahlen.
Der Kläger ist Inhaber des Friseursalons "F. L. H. D.", in welchem die Beklagte am 08.03.2006 nach §
28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) eine Arbeitgeberprüfung für den Prüfzeitraum vom 01.01.2002 bis 31.12.2005 durchführte.
Die Beigeladene zu 1) war im maßgeblichen Zeitraum beim Kläger als Friseurin in Vollzeit (37 Stunden pro Woche) beschäftigt.
Ausweislich des Arbeitsvertrages vom 25.04.2000 waren ein Arbeitsentgelt von 2.000 DM (entspricht 1.022,58 Euro) brutto im
Monat sowie gestaffelte Provisionszahlungen für "Umsatz und Verkauf" bezogen auf jeweils 20 Arbeitstage vereinbart. Ein inhaltsgleicher
Arbeitsvertrag bestand zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 6), die seit dem 18.04.2000 bei ihm als weitere Friseurin
(37 Stunden pro Woche, ab September 2005 34 Stunden pro Woche) tätig war.
Die Beigeladene zu 2) arbeitete beim Kläger in der Zeit vom 19.02.2002 bis 31.07.2004 ebenfalls als angestellte Friseurin
in Vollzeit (37 Stunden pro Woche; § 3). Ihr monatliches Arbeitsentgelt belief sich laut Arbeitsvertrag vom 18.01.2001 auf
monatlich 1.125 Euro brutto "entsprechend der tariflichen Lohnstufe", wobei die Vergütung der jährlichen Tarifentwicklung
folgen sollte. Der Arbeitsvertrag enthielt in § 2 auch einen Hinweis auf die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge.
Ferner waren beim Kläger die Beigeladene zu 3) ab dem 08.10.2002 (Arbeitsvertrag vom 09.09.2002) und die Beigeladene zu 10)
ab dem 03.09.2002 (Arbeitsvertrag vom 27.08.2002) als Friseurinnen in Vollzeit (37 Stunden pro Woche; § 3) angestellt. Die
Arbeitsverträge entsprachen inhaltlich dem Arbeitsvertrag mit der Beigeladenen zu 2) mit der Maßgabe, dass das Arbeitsentgelt
der Beigeladenen zu 3) und das der Beigeladenen zu 10) ab dem siebten Beschäftigungsmonat 1.176 Euro brutto monatlich betragen
sollte (§ 4).
Die Beigeladene zu 9) arbeitete ab dem 17.08.2004 als weitere Friseurin in Vollzeit (37 Stunden pro Woche; § 3) beim Kläger.
Der dem Beschäftigungsverhältnis zugrundeliegende Arbeitsvertrag vom 28.06.2004 war inhaltsgleich mit den Arbeitsverträgen
der Beigeladenen zu 3) und 10). Er enthielt zudem in § 2 eine Klausel zur Geltung der Tarifverträge für das Friseurhandwerk
in der jeweils geltenden Fassung, "derzeit der Manteltarifvertrag Friseurhandwerk Nr. 4 und der Entgelttarifvertrag für das
Friseurhandwerk in Baden-Württemberg".
Die Beigeladene zu 11) war ab dem 11.09.2000 beim Kläger zunächst als Auszubildende und ab dem 18.07.2003 dann als angestellte
Friseurin in Vollzeit (37 Stunden pro Woche) beschäftigt. Im Berufsausbildungsvertrag vom 01.06.2000 war für das erste Ausbildungsjahr
eine monatliche Bruttovergütung von 685 DM (entspricht 350,23 Euro), für das zweite Ausbildungsjahr von 745 DM (entspricht
380,91 Euro) und für das dritte Ausbildungsjahr von 940 DM (entspricht 480,61 Euro) festgelegt, wobei eine etwaige tarifliche
Mindestvergütungsregelung vorrangig sein sollte. Der Anschlussarbeitsvertrag vom 18.07.2003 war inhaltsgleich mit dem Arbeitsvertrag
der Beigeladenen zu 9).
Im Übrigen enthielten die Arbeitsverträge der Beigeladenen zu 2), 3), 9), 10) und 11) jeweils in § 5 folgende Klausel: "Sofern
der Arbeitgeber übertarifliche Zahlungen gewähren sollte, so handelt es sich dabei um freiwillige Leistungen, auf die auch
bei wiederholter Bezahlung kein Rechtsanspruch für die Zukunft entstehen kann."
Darüber hinaus war Frau G. R. ab dem 01.01.2002 beim Kläger als Friseurin im Rahmen eines vereinbarten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses
tätig. Als monatliche Arbeitszeit waren 45 Stunden pro Monat, als Arbeitsentgelt pauschal 319,50 Euro monatlich geregelt.
Der Kläger zahlte im maßgeblichen Zeitraum an seine Beschäftigten neben dem monatlichen Festgehalt unregelmäßig auch Umsatzprovisionen
aus, die zwischen 210 Euro und 610 Euro brutto im Monat lagen. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Lohnunterlagen
des Klägers in der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen (Teilband I, Bl 90 bis 244).
Die jeweils für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge für das Friseurhandwerk in Baden-Württemberg (LTV BW) sahen im
Prüfzeitraum in der jeweils geltenden Fassung für Arbeitnehmerinnen der Lohnstufe I (Mitarbeiter/in nach der Berufsausbildung
und bestandener Gesellenprüfung) unter Zugrundlegung einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden gemäß dem
allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag für das Friseurhandwerk Nr 4 (MTV BRD) vom 10.03.1999 bis Juli 2007 ein monatliches Mindestbruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.176 Euro, in der Zeit von August
2002 bis Juli 2003 in Höhe von 1.220 Euro, in der Zeit von ab 2003 in Höhe von 1.230 Euro vor. Teilzeitkräfte hatten danach
einen Anspruch auf den anteiligen Stundenlohn (1/161 des Monatslohnes) eines Vollzeitbeschäftigten, Auszubildende im dritten
Ausbildungsjahr in der Zeit von Januar 2003 bis Juli 2003 einen Anspruch auf Auszubildendenvergütung in Höhe von monatlich
510 Euro brutto. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die von der Beklagten im Klageverfahren vorgelegten Tarifverträge
verwiesen (Bl 14 bis 39 der SG-Akte).
Die Beigeladene zu 4) ist die für die Beigeladenen zu 3), 9) und 11), die Beigeladene zu 7) die für die Beigeladenen zu 1)
und 2) und die Beigeladene zu 8) die für die Beigeladenen zu 6) und 10) zuständige Einzugsstelle. Die Beigeladene zu 12) ist
der kontoführende Rentenversicherungsträger der Beigeladenen zu 1), 2), 6) und 10), die Beigeladene zu 13) der für die Beigeladenen
zu 9) und 11) und die Beigeladene zu 14) der für die Beigeladene zu 3). Die Beigeladene zu 5) ist die im Bezirk des Klägers
zuständige Trägerin der Arbeitslosenversicherung.
Mit Schreiben vom 18.07.2006 hörte die Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Beitragsnachforderung für den Zeitraum vom
01.01.2002 bis 31.12.2005 in Höhe von insgesamt 6.716,99 Euro an. Die durchgeführte Betriebsprüfung am 08.03.2006 habe ergeben,
dass der allgemeinverbindliche Tarifvertrag für das Friseurhandwerk hinsichtlich des Mindestlohnes in mehreren Fällen nicht
angewandt worden und dass in einem weiteren Fall zudem die versicherungsrechtliche Beurteilung einer Aushilfskraft nicht zutreffend
gewesen sei. Mit Schreiben seines Steuerberaters vom 03.08.2006 nahm der Kläger zu der beabsichtigten Nachforderung Stellung
und trug unter anderem vor, dass eine Unterschreitung des tariflichen Mindestlohnes nicht vorliege, weil die Mitarbeiterinnen
zusätzlich zum Lohn Umsatzprovisionen erhalten hätten.
Mit Bescheid vom 30.08.2006 machte die Beklagte für die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.12.2005 eine Beitragsnachforderung (einschließlich
der Beiträge zu den Umlagen U1 und U2) in Höhe von insgesamt 6.716,99 Euro geltend. Zur Begründung führte sie insbesondere
aus, dass sich auf Grundlage der eingesehenen Lohnunterlagen, der Arbeitsverträge und der Angaben des Steuerberaters ergebe,
dass der Kläger die Sozialversicherungsbeiträge lediglich aus dem tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelt und nicht aus dem geschuldeten
Arbeitsentgelt entrichtet habe. Maßgeblich für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung sei aber das tarifvertraglich
geschuldete Mindestarbeitsentgelt, nicht das tatsächlich geleistete. Dementsprechend seien die Beiträge aus der Entgeltdifferenz
zwischen dem tariflichen Mindestlohn und dem tatsächlich gezahlten Entgelt nachzuentrichten. Dies betreffe die Beigeladene
zu 1) für die Zeit vom 01.08.2002 bis 31.12.2005, die Beigeladene zu 2) für die Zeit vom 19.02.2002 bis 31.07.2004, die Beigeladene
zu 3) für die Zeit vom 08.10.2002 bis 31.12.2005, die Beigeladene zu 6) für die Zeit vom 01.08.2002 bis 31.12.2005, die Beigeladene
zu 9) für die Zeit vom 17.08.2004 bis 31.12.2005, die Beigeladene zu 10) für die Zeit vom 03.09.2002 bis 22.06.2003 sowie
die Beigeladene zu 11) für die Zeit vom 01.01.2003 bis 31.12.2005. Darüber hinaus sei unter Zugrundelegung der tariflichen
Mindestentgelte auch die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses mit Frau G. R. in der Zeit
vom 01.01.2002 bis 31.03.2003 wegen Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze unzutreffend gewesen. Dem Bescheid war eine
Beitragsberechnung als Anlage beigefügt. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf Bl 7 bis 45 der Verwaltungsakte (Teilband
I) der Beklagten verwiesen.
Mit seinem am 20.09.2006 erhobenen Widerspruch machte der Kläger unter anderem geltend, dass er den tariflichen Mindestlohn
durch die individualvertragliche Gestaltung, namentlich durch die Provisionsvereinbarungen - die in einigen Arbeitsverträgen
als Sonderzahlung deklariert worden seien - jeweils tatsächlich überschritten und damit in der Summe übertariflich gezahlt
habe. Die einzelvertraglichen Regelungen seien damit für die Beschäftigten, mit Ausnahme der Auszubildenden, die keine Provisionen
erhalten hätten, günstiger gewesen, so dass eine Abweichung von den Tarifverträgen auch nicht beanstandet werden könne. Er
habe die Umsatzprovisionen im Übrigen hauptsächlich für die erbrachte Arbeitsleistung und nur marginal für den Verkauf von
Haarprodukten gezahlt. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom
21.03.2007 als unbegründet zurück. Der geltend gemachte Beitragsanspruch begründe sich in Höhe des Mindestlohnes aufgrund
der einschlägigen Tarifverträge in Verbindung mit den zusätzlich individuell ermittelten und gezahlten Prämien und Provisionen.
Die Differenz vom Mindestlohn zum tatsächlich gezahlten Grundlohn ohne Provision sei ebenfalls geschuldeter Arbeitslohn und
damit der Beitragsberechnung zu unterwerfen.
Hiergegen hat der Kläger am 20.04.2007 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben, mit der er ursprünglich begehrt hatte, den Bescheid der Beklagten vom 30.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 21.03.2007 vollumfänglich aufzuheben. Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 11.10.2007 hat er mitgeteilt,
dass er die Beitragsforderung der Beklagten bezüglich seiner Mitarbeiterin Frau G. R. für die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.03.2003
zwischenzeitlich beglichen habe (Nachforderung in Höhe von 134,23 Euro) und den Rechtsstreit insoweit für erledigt erkläre.
Zur Begründung seiner weitergehenden Klage hat er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt
und vertieft. Ergänzend hat er geltend gemacht, dass für die Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge alleine das jeweilige
sozialversicherungspflichtige Jahresbruttoentgelt maßgeblich sei. Auf Grundlage der gezahlten Provisionen habe er seinen Mitarbeiterinnen
per anno tatsächlich mehr gezahlt als tariflich geschuldet.
Mit Urteil vom 30.11.2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die zuletzt noch streitige Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen
in Höhe von 6.582,76 Euro sei rechtmäßig. Die Beklagte sei zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Beitragserhebung in
der gesetzlichen Sozialversicherung nach dem geschuldeten - gegebenenfalls bei Fälligkeit noch nicht gezahlten - Arbeitsentgelt
richte und nicht lediglich nach dem Arbeitsentgelt, welches dem Beschäftigten tatsächlich zugeflossen sei. Geschuldet sei
das Arbeitsentgelt in der Höhe, die sich aus dem Arbeitsvertrag sowie aus dem für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvertrag
ergebe. Damit sei für die Beitragshöhe nicht das tatsächlich gezahlte, sondern das geschuldete Arbeitsentgelt maßgeblich.
Insoweit gelte jeweils das Entstehungs- und nicht das Zuflussprinzip. Dementsprechend sei bei untertariflicher Bezahlung die
Versicherungspflicht nach dem tariflich zustehenden und nicht lediglich nach dem zugeflossenen Arbeitsentgelt zu beurteilen.
In §
14 Abs
1 SGB IV komme ebenfalls der Gedanke des Entstehungsprinzips zum Ausdruck. Nach dieser Vorschrift gälten als Arbeitsentgelt alle laufenden
oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher
Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit
ihr erzielt werden. Auf den tatsächlichen Zufluss komme es nur an, soweit dem Arbeitnehmer mehr geleistet werde, als ihm tariflich
oder einzelvertraglich zustehe, soweit ihm also über dem geschuldeten Arbeitsentgelt hinaus überobligatorische Zahlungen zugewendet
oder geleistet würden. Bemessungsgrundlage für den vom Kläger zu entrichtenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag sei somit
das Arbeitsentgelt aus der jeweiligen versicherungspflichtigen Beschäftigung, dieses sei hier das jeweils während der Beschäftigungszeiten
tariflich geschuldete Arbeitsentgelt. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ergebe sich die Höhe des den Beigeladenen zu
1), 2), 3), 6), 9), 10) und 11) im streitigen Zeitraum zustehenden Arbeitsentgelts aus den jeweils einschlägigen, für allgemeinverbindlich
erklärten Tarifverträgen für das Friseurhandwerk in Baden-Württemberg. Soweit der Kläger meine, er habe den tariflichen Mindestlohn
im Laufe eines jeden Jahres durch die Zahlung von Umsatzprovisionen überschritten, so dass die Beigeladenen zu 1), 2), 3),
6), 9), 10) und 11) im streitigen Zeitraum tatsächlich ein höheres sozialversicherungspflichtiges Jahresarbeitsentgelt gehabt
hätten, als ihnen bei tarifvertragsgemäßer Bezahlung zugestanden hat, rechtfertige dies keine andere Bewertung. Dem stehe
bereits entgegen, dass die vorliegend einschlägigen Tarifverträge keine entsprechenden Öffnungsklauseln, die eine Abweichung
von den tariflich festgelegten monatlichen (Mindest-) Lohnsätzen zu Lasten der Arbeitnehmer für zulässig erklären, enthielten
und dass die individualvertraglichen Regelungen zwischen dem Kläger und den Beigeladenen zu 1), 2), 3), 6), 9), 10) und 11)
keine für diese günstigeren Vereinbarungen begründeten. Letzteres folge bereits daraus, dass die Zahlung der Umsatzprovisionen
ausweislich des ausdrücklichen Wortlautes der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen - jeweils § 5 der mit den Beigeladenen zu
2), 3), 9), 10) und 11) geschlossenen Arbeitsverträge - gerade nicht auf Grundlage eines (einklagbaren) Rechtsanspruches nach
näher vereinbarten Kriterien erfolgen sollte. Die Erlangung von Umsatzprovisionen sei damit faktisch lediglich eine Exspektanz
gewesen. Auch die Arbeitsverträge mit den Beigeladenen zu 1) und 6) enthielten keinerlei belastbare Regelungen zu Art und
Voraussetzungen etwaiger Provisionsleistungen. Eine derartige Vertragsgestaltung sei nicht geeignet, das tarifvertraglich
geschuldete Arbeitsentgelt zu derogieren, zumal Arbeitnehmer, die das mit der Provision verfolgte Ziel - welches auch immer
- nicht erreichen oder Auszubildende - wie die Beigeladene zu 11) in der Zeit bis 17.07.2003, die von Umsatzprovisionen nach
dem Vortrag des Klägers ausgeschlossen gewesen sei - von vornherein tarifvertragswidrig entlohnt würden. Die entgegenstehende
Rechtsansicht des Klägers sei mit der Schutz- und Ordnungsfunktion von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen, mit dem Telos
des §
14 Abs
1 SGB IV und dem Entstehungsprinzip schlechthin nicht zu vereinbaren.
Hiergegen richtet sich die am 23. 12.2009 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung des Klägers, mit der er geltend
macht, das SG habe sich mit seiner Argumentation, dass hier eine Nachforderung der Beklagten nicht bestehe, weil das tatsächlich gezahlte
Jahresentgelt über dem tariflichen Anspruch liege, nicht auseinandergesetzt. Ohne Begründung habe das SG ausgeführt, dass sich im vorliegenden Fall der Beitragsanspruch aus dem tariflich geschuldeten Mindestlohn zuzüglich der
überobligatorisch gezahlten Provisionen begründe. Eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), die den hier streitigen Sachverhalt betreffe, fehle. Er bleibe dabei, dass das Jahresgesamtentgelt entscheidend für die
Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge sein müsse. Im vorliegenden Fall seien tatsächlich mehr Beiträge zur Rentenversicherung
abgeführt worden, als es bei tariflicher Entlohnung der Fall gewesen wäre.
Der Kläger beantragt - sachdienlich gefasst -,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.11.2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.08.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 21.03.2007 insoweit aufzuheben, als die Beklagte einen Betrag von mehr als 134,23 € an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen
einschließlich der Umlagen U1 und 2 für die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.12.2005 nachfordert.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und weist ergänzend auf § 5 Abs 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) hin, wonach ein Tarifvertrag auf Antrag einer Tarifvertragspartei unter bestimmten Voraussetzungen für allgemeinverbindlich
erklärt werden könne. Dies sei vorliegend für die hier maßgeblichen Tarifverträge geschehen. Mit einer derartigen Allgemeinverbindlicherklärung
erfassten die Regelungen des Tarifvertrags in seinem Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer. Da der Kläger einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag unterliege, sei als beitragspflichtiges
Arbeitsentgelt mindestens der in diesem Tarifvertrag festgelegte Tariflohn zu berücksichtigen. Gegebenenfalls vom Arbeitgeber
übertariflich bzw außertariflich gezahlte Leistungen dürften mit den Tariflöhnen nicht verrechnet werden. Die vom Kläger gezahlten
Umsatzprovisionen seien daher nicht verrechenbar und könnten zur Erfüllung der tarifvertraglich verbürgten Mindestlohnansprüche
nicht herangezogen werden. Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Umsatzprovisionen letztlich nicht als Gegenleistung
für eine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung gezahlt würden und es im Übrigen völlig ungewiss sei, ob überhaupt Umsatzprovisionen
anfielen bzw in welcher Höhe sie geleistet würden.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Der Berichterstatter des Senats hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 20. 05.2010 erörtert. Insoweit wird auf den Inhalt
der Niederschrift verwiesen (Bl 57 bis 60 der LSG-Akte).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten (Teilbände I und II) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§
143,
144,
151 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß §
124 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 30.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 21.03.2007 (§
95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte fordert vom Kläger zu Recht Gesamtsozialversicherungsbeiträge
- einschließlich der Beiträge für die Umlagen U1 und U2 - für die Beigeladenen zu 1), 2), 3), 6), 9), 10) und 11) in Höhe
von insgesamt 6.582,76 Euro.
Gegenstand des Rechtsstreits sind die genannten Bescheide, soweit sie eine Nachforderung von Beiträgen und Umlagen für die
Beigeladenen zu 1), 2), 3), 6), 9), 10) und 11) in der genannten Höhe beinhalten. Hierauf hat der Kläger sein Begehren bereits
im Klageverfahren beschränkt.
Die Beklagte ist für die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zuständig. Die Träger der Rentenversicherung
prüfen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, die im Zusammenhang
mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen
und Meldungen mindestens alle vier Jahre. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte
zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung
einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (§ 28p Abs 1 Satz 1, Satz 5
SGB IV).
Die Beklagte ist nach § 28p Abs 1
SGB IV auch berechtigt, die Umlage U 1 und U 2 nachzufordern, denn hierbei handelt es sich ebenfalls um Beitragszahlungen im Sinne
dieser Vorschrift (BSG, Urteil vom 30.10.2002 - B 1 KR 19/01 R = veröffentlicht in juris). Die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen im Rahmen der Lohnfortzahlung
werden nach dem bis 31.12.2005 geltenden § 14 LFZG durch eine Umlage von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern aufgebracht.
Für die Zahlung von Beiträgen von Versicherungspflichtigen aus Arbeitsentgelt zur gesetzlichen Krankenversicherung, gesetzlichen
Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und sozialen Pflegeversicherung gelten nach §
253 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V), §
174 Abs
1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) sowie §
60 Abs
1 Satz 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) die Vorschriften über den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§§ 28d bis 28n und 28r
SGB IV). Diese Vorschriften gelten nach §§
1 Abs
1 Satz 2
SGB IV, §
348 Abs
2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) auch für die Arbeitsförderung. Nach §
28e Abs
1 Satz 1
SGB IV hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag der Arbeitgeber zu zahlen. Als Gesamtsozialversicherungsbeitrag werden nach §
28d Satz 1
SGB IV die Beiträge in der Kranken- oder Rentenversicherung für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten oder Hausgewerbetreibenden
sowie der Beitrag des Arbeitnehmers und der Teil des Beitrags des Arbeitgebers zur Bundesagentur für Arbeit, der sich nach
der Grundlage für die Bemessung des Beitrags des Arbeitnehmers richtet, gezahlt. Dies gilt auch für den Beitrag zur Pflegeversicherung
für einen in der Krankenversicherung kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten (§
28d Satz 2
SGB IV).
Versicherungspflichtig waren in der streitigen Zeit in der Krankenversicherung nach §
5 Abs
1 Nr
1 SGB V, in der Rentenversicherung nach §
1 Satz 1 Nr
1 SGB VI und in der Pflegeversicherung nach §
20 Abs
1 Satz 1 und Satz 2 Nr
1 SGB XI sowie beitragspflichtig zur Arbeitslosenversicherung nach §
25 Abs
1 SGB III gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen. Beschäftigung ist nach §
7 Abs
1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Versicherungsfreiheit bestand bei geringfügiger
Beschäftigung (§§
7 SGB V, 6
SGB VI, 27 Abs
2 SGB III).
Die Bemessungsgrundlage für die Beitragspflicht ist das Arbeitsentgelt aus einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung.
Das sind alle laufenden Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht,
unter welcher Bezeichnung und in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang
mit ihr erzielt werden, §
14 Abs
1 SGB IV. §
22 Abs
1 SGB IV bestimmt ergänzend, wann die Beitragsansprüche entstehen. Nach dem in §
22 Abs
1 Satz 1
SGB IV geregelten Grundsatz entstehen die Beitragsansprüche, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen
vorliegen. Nach der Ausnahmeregelung des §
22 Abs
1 Satz 2
SGB IV entstehen die Beitragsansprüche bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt, sobald dieses ausgezahlt worden ist.
Das SG hat unter Beachtung und Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung ausführlich und zutreffend dargelegt, dass es bei der
Berechnung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (einschließlich der Umlagen U1 und U2) unter Beachtung des Entstehungsprinzips
(vgl hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. März 2009 - L 4 KR 1833/07 = veröffentlicht in juris) maßgeblich auf das tarifvertraglich geschuldete Arbeitsentgelt ankommt und die geleisteten Umsatzprovisionen
nicht auf das tarifvertraglich geschuldete Arbeitsentgelt anzurechnen sind. Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung
vollumfänglich an und sieht deshalb von einer weiteren Begründung ab (§
153 Abs
2 SGG).
Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren weist der Senat darauf hin, dass die Ansicht des Klägers,
es komme letztlich nur auf die Höhe des gezahlten Jahresgesamtentgelts (gezahlter Arbeitslohn nebst Umsatzprovision) an, nicht
zutrifft. Maßgeblich ist vielmehr, was der Arbeitgeber arbeits- bzw tarifvertraglich geschuldet hat. Dies war vorliegend in
allen hier streitigen Fällen aber das tarifvertragliche Mindestarbeitsentgelt nebst Umsatzprovisionen. Die zu verbeitragenden
Umsatzprovisionen traten mithin neben den ebenfalls zu verbeitragenden tarifvertraglich geschuldeten Arbeitsentgeltanspruch.
Die Umsatzprovisionen waren nach der tatsächlichen Ausgestaltung in allen Fällen ein selbstständiger Entgeltbestandteil und
zwar unabhängig vom jeweiligen Tarifentgelt. Etwas anderes lässt sich den Arbeitsverträgen nicht entnehmen. In einer solchen
Konstellation scheidet aber eine Anrechnung der Umsatzprovisionen auf das Tarifentgelt ohnehin aus (vgl BAG, Urteil vom 23.09.2009
- 5 AZR 973/08 = EzA (§ 4 TVG = veröffentlicht in juris, zur Anrechnungsfähigkeit "übertariflicher" Entgeltbestandteile).
Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist auch hinsichtlich der Höhe nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat der Berechnung
der Beiträge das den Beigeladenen zu 1), 2), 3), 6), 9), 10) und 11) von dem Kläger geschuldete Arbeitsentgelt (§
14 SGB IV), das für die Beitragsbemessung in der Krankenversicherung (§
226 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB V), in der Pflegeversicherung (§
57 Abs
1 SGB XI), in der Rentenversicherung (§
162 Nr
1 SGB VI), in der Arbeitsförderung (§
348 Abs
2 SGB III) sowie für die Umlagen U 1 und U 2 (§§ 14, 10 LFZG) maßgeblich ist, zugrunde gelegt und mit dem in den einzelnen Versicherungszweigen maßgeblichen Beitragssatz multipliziert.
Dies ergibt den Betrag von 6.582,76 Euro. Der Senat verweist insoweit - ebenso wie das SG - auf die dem Bescheid vom 30.08.2006 beigefügten Anlagen. Die Berechnung der Höhe nach wird auch vom Kläger nicht gerügt.
Die Beitragsforderung für die Jahre 2002 bis 2005 war bei ihrer Feststellung im August 2006 nicht verjährt (vgl §
25 Abs
1 SGB IV, der nach § 17 LFZG auf die Umlagen nach § 14 LFZG entsprechend Anwendung findet). Sie war auch nicht verwirkt.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 63 Abs 2, 52 Abs 1 und 3, 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger sein Begehren im Klageverfahren insoweit beschränkt hat, als nur noch Beiträge
iHv 6.582,76 Euro streitig sind.