Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung
Verfassungsmäßigkeit der fehlenden Rückwirkung der Anhebung der Altersgrenze auf 65 Jahre für die Zurechnungszeit auf Bestandsrentner
Verfassungsmäßigkeit der Kürzung des Zugangsfaktors
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die am 1956 in U. geborene Klägerin machte dort vom 01.09.1971 bis 18.06.1974 eine Ausbildung in der Gastronomie. Vom 19.06.1974
bis 19.04.1976 war sie in Gastronomieunternehmen bzw. Hotels beschäftigt. Vom 01.09.1984 bis 30.06.1988 absolvierte sie im
Fernstudium eine Fachschulausbildung zur Hotel- und Restaurantfachfrau und machte am 24.06.1988 die Fachabiturprüfung. Nach
ihren eigenen Angaben gegenüber der Beklagten hat ihre Fachschulausbildung wöchentlich 15 bis 20 Stunden Anwesenheitszeit
und fünf bis 10 Stunden Vorbereitungszeit und wöchentlich zweimal zwei Stunden für den Schulweg in Anspruch genommen. Die
nebenher ausgeübte Beschäftigung hat ihren Angaben zur Folge wöchentlich 40 Stunden Arbeitszeit und 10 Stunden für den Arbeitsweg
in Anspruch genommen. Im Jahr 1988 zog sie in die Bundesrepublik Deutschland und pflegte bis 2004 ihre Mutter. Ab dem Jahr
2000 war sie versicherungspflichtig beschäftigt als Kassiererin und zuletzt als Taxifahrerin. Am 23.08.2008 erlitt sie einen
Arbeitsunfall. Wegen der Folgen bezieht sie eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 %.
Am 12.09.2013 erlitt sie einen weiteren Arbeitsunfall. Sie bezog zunächst Verletztengeld. Für die Zeit ab März 2015 bewilligte
ihr die Berufsgenossenschaft (BG) Verkehr wegen des zweiten Arbeitsunfalls (MdE von 30 %) eine Verletztenrente in Höhe von
monatlich 328,80 € (ab 01.07.2015 in Höhe von 335,71 € und ab 01.07.2016 in Höhe von 349,97 €, Bescheid vom 07.10.2016). Seit
13.10.2014 ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt.
Am 09.04.2015 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Mit Bescheid vom 30.11.2015 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.04.2015
in Höhe von 254,27 € (monatlicher Zahlbetrag von 226,81 €).
Hiergegen legte die Klägerin am 14.12.2015 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, die bewilligte Rente sei zu gering.
Sie habe 30 Jahre lang gearbeitet.
Mit weiterem Bescheid vom 04.05.2016 stellte die Beklagte die Rente unter Berücksichtigung der europäischen Verordnungen zur
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit fest. Aufgrund von Versicherungszeiten in U. beträgt die zwischenstaatliche
Rente seit 01.08.2015 monatlich 126,35 € und seit 01.09.2015 monatlich 252,70 € (seit 01.07.2016 monatlich 263,43 €). Das
Zusammentreffen von innen- und zwischenstaatlicher Rente führte nicht zu einer Minderung der Rentenhöhe.
Mit Schreiben vom 29.03.2016 legte sie Nachweise über ihre Fachschulausbildung vor.
Mit Bescheid vom 21.06.2016 berechnete die Beklagte die Rente ab dem 01.03.2016 neu und setzte die Rente auf 265,06 € (Zahlbetrag
von 235,64 €) fest. Das Zusammentreffen mit der Verletztenrente führte nicht zu einer Minderung der Rentenhöhe.
Am 25.07.2016 legte die Klägerin auch gegen diesen Bescheid Widerspruch ein.
Mit Bescheid vom 15.08.2016 entschied die Beklagte, dass dem Antrag der Klägerin vom 29.03.2016 auf Rücknahme des Bescheids
vom 30.11.2015 nicht entsprochen werden könne. Die Überprüfung des Bescheids habe ergeben, dass weder das Recht unrichtig
angewendet noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die mit Schreiben vom 29.03.2016 eingereichten Unterlagen
seien nicht geeignet, eine höhere Rente festzusetzen.
Hierauf teilte die Klägerin am 06.09.2016 mit, dass sie ihren Widerspruch weiterhin aufrechterhalte.
Mit weiterem Bescheid vom 20.10.2016 berechnete die Beklagte die Rente ab dem 01.04.2015 neu und stellte eine monatliche Rentenhöhe
von 265,06 € (Zahlbetrag von 235,64 €) fest. Gründe für die Neuberechnung waren eine Rentenanpassung und eine Änderung der
Verletztenrente.
Mit Bescheid vom 22.02.2017 berechnete die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.04.2015 neu und setzte
die monatliche Rente ab dem 01.03.2017 auf 265,06 € (Zahlbetrag von 235,11 €) fest.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 30.11.2015 zurück,
soweit ihm nicht durch die Bescheide vom 04.05.2016, 21.06.2016, 20.10.2016 und 22.02.2017 abgeholfen worden sei.
Am 08.06.2017 hat die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie halte die bewilligte Rente für unverhältnismäßig gering. Ihre langjährige
Pflegetätigkeit sei nicht ausreichend berücksichtigt. Außerdem sei ihre Fachschulausbildung nicht als Anrechnungszeit anerkannt
worden. Die vorgelegten Nachweise reichten für eine Glaubhaftmachung aus. Ihr stehe jedenfalls eine Durchschnittsrente in
Höhe von 756,00 € zu. Außerdem wende sie sich gegen den Rentenabschlag. Der Zugangsfaktor sei auf 0,892 verringert und ihre
Entgeltpunkte aus dem verringerten Entgeltfaktor berechnet worden. Diese Verringerung sei nicht rechtens. Ferner sei die Zurechnungszeit
nur bis zum Ende des 62. Lebensjahres berücksichtigt worden. Nach einer Gesetzesänderung sei die Zurechnungszeit bis zum 65.
Lebensjahr verlängert worden. Es sei zu prüfen, ob der Ausschluss der Bestandrentner von dieser Gesetzesänderung verfassungsgemäß
sei.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, es seien alle Beitragszeiten für eine abhängige Beschäftigung
bzw. Pflegetätigkeit berücksichtigt worden. Die Berechnung der Rente entspreche den gesetzlichen Vorgaben. Das Zeugnis der
Fachoberschule über die Ausbildung vom 01.09.1984 bis 24.06.1988 liege vor. Eine Anerkennung der Zeit als Anrechnungszeit
sei nicht möglich, weil in dieser Zeit in U. eine Vollzeitbeschäftigung ausgeübt worden sei und somit die Ausbildung Zeit
und Arbeitskraft nicht überwiegend in Anspruch genommen habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 11.04.2018 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe die Rente der Klägerin zuletzt im Änderungsbescheid
vom 22.02.2017 fehlerfrei berechnet. Die Pflegetätigkeit sei vom 01.04.1995 bis 07.10.2004 berücksichtigt. Zu Recht habe die
Beklagte eine Anrechnungszeit für die Fachschulausbildung in U. nicht anerkannt, weil die Klägerin nicht nachgewiesen habe,
dass der Zeitaufwand ihrer Fachschulausbildung höher gewesen sei als der Zeitaufwand für ihre Vollzeitbeschäftigung. Die Beklagte
habe weiter die Rente und die Verringerung des Zugangsfaktors entsprechend der gesetzlichen Regelungen berechnet. Anhaltspunkte
für Fehler seien nicht ersichtlich. Ein Anspruch auf eine Durchschnittsrente bestünde nicht. Die Höhe der Rente richte sich
nach dem individuellen Verdienst und den aufgrund dieses Verdienstes geleisteten Beiträgen. Das Gericht habe zudem keine Bedenken
bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Berücksichtigung der Zurechnungszeiten gem. §§
59 Abs.
2 Satz 2 i.V.m. 253a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) erst für Renten, die ab dem 01.01.2018 begannen.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigen am 17.04.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 04.05.2018 Berufung
beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, von der bewilligten Rente könne
sie nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten. Sie habe 35 Jahre sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen ausgeübt. Im letzten
Jahr vor ihrem Arbeitsunfall habe sie 20.000 € brutto verdient. Sie habe auch gegen die BG Klage erhoben. Dieses Verfahren
sei abzuwarten.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11.04.2018 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide
vom 30.11.2015, 04.05.2016, 21.06.2016, 20.10.2016 und vom 22.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2017
und des Bescheids vom 14.09.2020 zu verurteilen, ihr höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von zumindest 756,00
€ ab dem 01.04.2015 unter Berücksichtigung ihrer Pflegetätigkeit, Anrechnungszeiten für ihre Fachschulausbildung vom 01.09.1984
bis 30.06.1988, Zurechnungszeiten bis zum 65. Lebensjahr und ohne Verringerung des Zugangsfaktors zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 14.09.2020 abzuweisen.
Sie hält den Gerichtsbescheid und ihre Bescheide in der Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 14.09.2020 für rechtmäßig.
Die Berichterstatterin hat am 29.07.2020 einen Erörterungstermin abgehalten, zu dem die Klägerin nicht erschienen ist.
Mit Bescheid vom 14.09.2020 berechnete die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.04.2015 neu und stellte
eine monatliche Rentenhöhe von 305,18 € (monatlicher Zahlbetrag von 270,54 €) fest. Die Erhöhung ergab sich aus der Berücksichtigung
der Zeiten vom 11.03.1985 bis 17.07.1985, vom 16.08.1985 bis 17.02.1986 und vom 22.04.1986 bis 03.06.1986 als Anrechnungszeiten
wegen der Fachschulausbildung der Klägerin.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei
der Beklagten geführte Leistungsakte, die Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat konnte über die Berufung in der mündlichen Verhandlung vom 31.03.2021, zu der die Klägerin ordnungsgemäß geladen
worden ist, trotz Abwesenheit der Klägerin entscheiden, da auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden ist (§§
153 Abs.
1,
110 Abs.
1 Satz 2
SGG). Ihrem am 29.03.2021 beim LSG eingegangenen Vertagungsantrag war nicht zu entsprechen, weil die Klägerin keine erheblichen
Gründe vorgetragen hat, die sie am Erscheinen hindern. Der Hinweis allein, dass die 64-jährige Klägerin aufgrund ihres Alters
in Zeiten der Covid-19-Pandemie zur Hochrisikogruppe gehöre, begründet keinen erheblichen Grund für die Verhinderung der Teilnahme
an einer Gerichtsverhandlung.
2. Die gemäß §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und gemäß §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der
Zulassung, da die Klägerin höhere Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG).
Streitgegenständlich ist nur (noch) der Bescheid vom 14.09.2020, mit dem die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung
ab dem 01.04.2015 neu festgesetzt und damit sämtliche zuvor ergangenen Rentenbescheide (Bescheide vom 30.11.2015, 04.05.2016,
21.06.2016, 20.10.2016 und vom 22.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2017) ersetzt hat. Der Bescheid
vom 14.09.2020 ist nach §§
153 Abs.
1,
96 Abs.
1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Insoweit hat der Senat nicht auf Berufung, sondern auf Klage zu entscheiden (Bundessozialgericht
<BSG>, Urteil vom 26.05.2011 - B 10 EG 12/10 R -, in juris, Rn. 17; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
96 Rn. 7 m.w.N.).
3. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtene Festsetzung der Rentenhöhe ist rechtmäßig. Die Beklagte hat die Rentenhöhe
- soweit sie von der Klägerin beanstandet wird - im Bescheid vom 14.09.2020 zutreffend festgesetzt.
Rechtsgrundlage des Begehrens der Klägerin auf eine höhere Rente wegen Erwerbsminderung sind die Regelungen der §§
63 ff.
SGB VI über die Rentenhöhe. Danach richtet sich die Höhe der Rente vor allem nach der in Entgeltpunkte umgerechneten Höhe der während
des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§
63 Abs.
1 und Abs.
2 Satz 1
SGB VI). Denn gemäß §
64 SGB VI ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn die unter Berücksichtigung des - vom Alter des Versicherten bei Rentenbeginn
abhängigen (vgl. §
77 SGB VI) - Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert
bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.
a) Nach §
58 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB VI in der seit 01.01.2002 geltenden Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des
SGB VI vom 19.02.2002 (BGBl. I, S. 754) sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule
besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung), insgesamt
jedoch höchstens bis zu acht Jahren. Dabei findet die Anrechnungsvorschrift grundsätzlich auch auf Ausbildungen im Ausland
Anwendung. Das BSG hat zur Vorgängervorschrift des §
58 SGB VI - dem § 36 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) - geurteilt, dass der Ausfallzeittatbestand einer Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung nicht auf Ausbildungen im
Inland beschränkt ist (BSG, Urteil vom 02.11.1983 - 11 RA 82/82 -, in juris). Allerdings scheidet die Berücksichtigung der von der Klägerin in der Zeit vom 01.09.1984 bis 30.06.1988 absolvierten
Fachschulausbildung zur Hotel- und Restaurantfachfrau als Anrechnungszeit über den im Bescheid vom 14.09.2020 anerkannten
Umfang hinaus aus; dem steht - wie das SG zu Recht geurteilt hat - §
58 Abs.
4a SGB VI entgegen. Nach §
58 Abs.
4a SGB VI sind Zeiten der schulischen Ausbildung neben einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit nur dann Anrechnungszeiten wegen
schulischer Ausbildung, wenn der Zeitaufwand für die schulische Ausbildung unter Berücksichtigung des Zeitaufwands für die
Beschäftigung oder Tätigkeit überwiegt.
Die Klägerin hat in den Zeiten während der Fachschulausbildung vom 01.09.1984 bis 10.03.1985, vom 18.07.1985 bis 15.08.1985,
vom 18.02.1986 bis 21.04.1986 und vom 04.06.1986 bis 30.06.1988 in Vollzeit gearbeitet und ausweislich des Versicherungsverlaufs
entsprechende Beitragszeiten mit Pflichtbeiträgen belegt. Neben einer Vollzeitbeschäftigung kann aber der Zeitaufwand für
die schulische Ausbildung regelmäßig nicht überwogen haben. Dies wurde von der Klägerin auch nicht vorgetragen. Im Gegenteil
gab die Klägerin selbst gegenüber der Beklagten an, dass in der Woche ihre Beschäftigung 40 Stunden zzgl. 10 Stunden für den
Arbeitsweg und ihre Ausbildung lediglich zwischen 20 und 30 Stunden Zeit zzgl. 4 Stunden Schulweg in Anspruch genommen haben.
Damit überwog der Zeitaufwand für die Fachschulausbildung der Klägerin nicht den Zeitaufwand für die Beschäftigung.
b) Für die Pflegetätigkeit der Klägerin hat die Beklagte Beitragszeiten mit Pflichtbeiträgen im Zeitraum vom 01.04.1995 bis
07.10.2004 anerkannt und der Berechnung der Rente zugrunde gelegt. Es ist nicht ersichtlich, dass die von der Beklagten angesetzten
Zeiten nicht zutreffen. Entsprechendes hat die Klägerin nicht dargelegt.
c) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Berechnung ihrer Rente unter Ansatz einer Zurechnungszeit bis zur Vollendung
des 65. Lebensjahres. Nach §
59 Abs.
2 Satz 2
SGB VI in der Fassung des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 23.06.2014 (BGBl. I 787)
endet die Zurechnungszeit mit Vollendung des 62. Lebensjahres. Erst mit Wirkung zum 01.01.2018 ist die Altersgrenze auf das
65. Lebensjahr angehoben worden (Gesetz zur Verbesserung der Leistungen bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und
zur Änderung anderer Gesetze vom 17.07.2017 <EM-Leistungsverbesserungsgesetz>, BGBl. I 2509).
§
253a SGB VI regelt die schrittweise Erhöhung der Zurechnungszeit für Rentenzugänge ab 2018 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres. Die
Erhöhung erfolgt im gleichen Zeitraum wie die Anhebung des Referenzalters für die Abschlagsfreiheit der Renten wegen Erwerbsminderung
nach §
264d SGB VI. Eine Rückwirkung der Rechtsänderung auf Bestandsrentner hat der Gesetzgeber nicht angeordnet; die Übergangsregelung des
§
253a SGB VI gilt lediglich für Neurentner ab dem Jahr 2018. Gem. §
306 SGB VI gilt der Grundsatz, dass die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte aus Anlass einer Rechtsänderung nicht
neu bestimmt werden, wenn bereits vor dem Zeitpunkt einer Änderung rentenrechtlicher Vorschriften Anspruch auf Leistung einer
Rente bestand, es sei denn die Bestimmungen des
SGB VI sehen hiervon Abweichendes vor, was vorliegend nicht der Fall ist. Zu einer Rückwirkung war der Gesetzgeber zur Überzeugung
des Senats auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG darf der Gesetzgeber
den Bedürfnissen der Massenverwaltung durch generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen Rechnung tragen,
ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.
3 Abs.
1 GG) zu verstoßen (vgl. BVerfG, Urteil vom 28.04.1999 -1 BvL 11/94 -, in juris; BVerfG, Beschluss vom 11.05.2005 - 1 BvR 368/97 ua -, in juris). Dem Gesetzgeber ist es durch Art.
3 Abs.
1 GG nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage (hier mit Inkrafttreten der Neuregelung) einzuführen,
obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Einführung eines
Stichtags überhaupt notwendig ist und sich die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientiert und damit sachlich
vertretbar ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 23.11.1999 - 1 BvF 1/94 -, in juris; BVerfG, Beschluss vom 12.05.2009 - 2 BvL 1/00 -, in juris). Dabei darf der Gesetzgeber nach Einschätzung des BVerfG berücksichtigen, inwieweit die Rentenversicherungsträger
überhaupt personell in der Lage sind, erforderlichenfalls auch eine große Zahl von bereits abgeschlossenen Rentenvorgängen
wieder aufzugreifen, um eine Rentenneuberechnung durchzuführen; zudem hat das BVerfG den Gesetzgeber auch dazu berechtigt
angesehen, sich mit einer auf den Rentenzugang beschränkten Regelung zu begnügen, wenn eine Einbeziehung der Bestandsrentner
mit besonders großem finanziellen Aufwand verbunden wäre (zu Kindererziehungszeiten BVerfG, Urteil vom 07.07.1992 - 1 BvL 51/86 -, in juris). Vor diesem Hintergrund hat der Senat keinen Zweifel, dass der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungspielraums
von einer Einbeziehung der Bestandsrentner in die Regelung zur Erhöhung der Zurechnungszeiten ohne Verstoß gegen die Verfassung
absehen durfte.
d) Die Beklagte hat die Rente der Klägerin auch unter Ansatz des zutreffenden Zugangsfaktors berechnet. Gemäß §
77 Abs.
1 SGB VI in der zum Rentenbeginn am 01.04.2015 maßgebenden Fassung (vgl. §
300 Abs.
1 SGB VI; BSG, Urteil vom 25.02.2004 - B 5 RJ 62/02 R -, in juris) des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen
der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20.04.2007 (BGBl. I 554) richtet sich der Zugangsfaktor
nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung
des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist nach §
77 Abs.
2 Satz 1 Nr.
3 SGB VI für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres
in Anspruch genommen wird um 0,003 niedriger als 1,0. Gemäß §
77 Abs.
2 Satz 2
SGB VI ist die Vollendung des 62. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend, wenn eine Rente wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 62. Lebensjahres beginnt. Davon abweichend bestimmt §
264d Satz 1
SGB VI, dass bei der Ermittlung des Zugangsfaktors anstelle der Vollendung des 65. Lebensjahres und des 62. Lebensjahres jeweils
das in der dortigen Tabelle aufgeführte Lebensalter maßgebend ist, wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor
dem 01.01.2024 beginnt. Nach dieser Tabelle tritt bei Beginn der Rente im Jahr 2015 an die Stelle des Lebensalters von 65
Jahren das Lebensalter von 63 Jahren und neun Monaten und anstelle des Lebensalters von 62 Jahren das Lebensalter von 60 Jahren
und neun Monaten. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Beklagte bei der Berechnung der der Klägerin bewilligten Rente
wegen teilweiser Erwerbsminderung zu Recht einen um 0,108 verringerten Zugangsfaktor (36 Kalendermonate x 0,003), mithin also
einen Zugangsfaktor von 0,892 bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte zu Grunde gelegt. Denn die Klägerin bezieht
eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des für sie nach §
264d Satz 1
SGB VI maßgeblichen Lebensalters von 60 Jahren und neun Monaten, da sie (geboren im Dezember 1956) zum Zeitpunkt des Beginns (vgl.
§
99 Abs.
1 SGB VI) der Rente wegen Erwerbsminderung am 01.04.2015 erst das 58. Lebensjahr vollendet hatte. Gemäß §
77 Abs.
2 Satz 2 i.V.m. §
264d Satz 1
SGB VI hat dies zur Folge, dass der Zugangsfaktor der von ihr vor Vollendung eines Lebensalters von 60 Jahren und neun Monaten in
Anspruch genommenen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit um (maximal) 0,108 zu mindern und somit auf 0,892 festzulegen
ist (vgl. BSG, Urteil vom 28.09.2011 - B 5 R 18/11 R -, in juris, Rn. 12). Dies hat die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid der Rentenberechnung rechtsfehlerfrei zu
Grunde gelegt. Die Rechtsgrundlagen sind auch verfassungsgemäß. Dies hat das BVerfG mit Beschluss vom 11.01.2011 (1 - BvR 3588/08 -, in juris, Rn. 26 ff.) schon zu §
77 Abs.
2 Satz 1 Nr.
3 SGB VI in der ab dem 01.01.2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000
(BGBl I S. 1827) entschieden. Die Verfassungswidrigkeit ergibt sich auch nicht durch die mittlerweile erfolgten Gesetzesänderungen mit dem
RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (a.a.O.) und dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom 23.06.2014 (a.a.O.).
Der Senat schließt sich insoweit nach eigener Prüfung den Ausführungen des LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 18.10.2018
an (- L 10 R 2783/16 -, in juris; nachgehend BSG, Beschluss vom 17.04.2019 - B 5 R 312/18 B -, in juris).
e) Soweit die Klägerin eine Rente in Höhe einer Durchschnittsrente begehrt, ergibt sich Entsprechendes nicht unter Anwendung
der oben dargelegten Regelungen zur Berechnung der Rentenhöhe. Gegebenenfalls profitiert sie für die Zeit ab dem 01.01.2021
von einem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung nach §
307e SGB VI (in der Fassung des Grundrentengesetzes vom 12.08.2020, BGBl. I 1879, in Kraft seit 01.01.2021; sog. Grundrente). Die Beklagte
wird dies - ohne, dass es eines Antrags der Klägerin bedarf - überprüfen und ggf. umsetzen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Eine Kostenquote war trotz Teilanerkenntnisses der Beklagten durch Anerkennung von Anrechnungszeiten (umgesetzt im Bescheid
vom 14.09.2020) nicht zu bilden, weil die Klägerin ihren Antrag bis zuletzt nicht daran angepasst hat.
5. Die Revision wird zugelassen, da unter dem Aktenzeichen B 13 R 24/20 R ein Revisionsverfahren beim BSG anhängig ist zu der Frage, ob §
59 Abs.
1, Abs.
2 Satz 2 in Verbindung mit §
253a SGB VI in der Fassung des EM-Leistungsverbesserungsgesetzes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.
3 Abs.
1 GG) verstößt, indem Versicherte, deren Rente vor dem Jahr 2018 begonnen hat, vollständig von der dort geregelten (schrittweisen)
Anhebung des Endes der Zurechnungszeit bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ausgeschlossen sind.