Krankenversicherung
Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme
Einstweiliger Rechtsschutz
Fehlender Anordnungsgrund
Summarische Prüfung der Erfolgsaussichten
Gründe
Die Antragstellerin macht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einen Anspruch auf Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme
geltend.
Die 1959 geborene Antragstellerin ist Mitglied bei der Antragsgegnerin. Im Jahr 2016 gewährte ihr die Antragsgegnerin eine
Rehabilitationsmaßnahme, die vom 26.04. bis zum 17.05.2016 in der Rehaklinik für Orthopädie, Urologie und Psychosomatik J.
in B. F. durchgeführt wurde. Am 15.03.2017 beantragte die Antragstellerin mit ärztlicher Verordnung erneut die Bewilligung
einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Als Rehabilitationsziel gab der die Antragstellerin behandelnde Neurologe/Psychiater
F. die Verbesserung der Lebensqualität sowie Aktivierung und Stabilisierung der seelischen Kräfte an. Als rehabilitationsbegründende
Diagnosen nannte er das Vorliegen einer mittelgradigen depressiven Episode, eine Dysthymie, Migräne und eine kombinierte Störung
der persönlichen Organisation. Mit Bescheid vom 22.03.2017 lehnte die Antragsgegnerin den Rehaantrag ab. Zur Begründung führte
sie an, eine erneute Maßnahme sei erst nach Ablauf von vier Jahren möglich. Aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen
seien keine dringende gesundheitliche Gründe, die eine vorzeitige Leistung erforderten, erkennbar. Außerdem empfahl die Antragsgegnerin
die erneute Einleitung einer ambulanten Psychotherapie.
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 28.03.2017 Widerspruch ein und begründete diesen mit Schreiben
vom 11.04.2017 damit, es sei ihr nicht möglich gewesen, die Psychotherapie im Jahr 2015 fortzuführen, da die Therapie von
Seiten der Therapeutin mangels Erfolgsaussichten abgebrochen worden sei. Die Antragstellerin meint, eine ambulante Behandlung
sei nicht ausreichend und geeignet, die aufgezeigten erheblichen medizinischen Probleme nachhaltig zu verbessern oder eine
Verschlimmerung zu verhindern. Trotz der bisher vorgenommenen Behandlungen bestünden weiterhin noch Schlafstörungen, innere
Unruhezustände, Konzentrationsschwäche und eine sehr geringe Belastbarkeit. Allein eine stationäre Rehabilitation könne eine
Besserung bringen. Zur Stützung ihres Vorbringens legte die Klägerin mehrere Arztberichte aus den Jahren 2015 und 2016 vor.
Die Antragsgegnerin beauftragte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Erstellung eines
sozialmedizinischen Gutachtens. In dem nach Aktenlage erstellten Gutachten des MDK vom 24.07.2017 kam Dr. P. zu dem Ergebnis,
dass die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Leistung nicht erfüllt seien. Die Dringlichkeit der beantragten
Rehabilitation innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Mindestabstandes von vier Jahren könne nicht nachvollzogen werden. Eine
Entscheidung über den Widerspruch ist bislang nicht ergangen.
Am 07.08.2017 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie ist der Ansicht, die Rehamaßnahme sei eilig und akut, um eine Verschlechterung
des Gesundheitszustandes zu verhindern. Die verfügbaren ambulanten Therapiemöglichkeiten (manuelle Therapie wegen Migräne,
Spannungskopfschmerzen und Clusterkopfschmerzen sowie Fibromyalgie in Form von Fango, Krankengymnastik und Reha-Sport) seien
bereits ausgeschöpft und hätten nicht zu einer Verbesserung geführt. Aufgrund von Existenzproblemen und ständiger Gerichtsverhandlungen
seien die Krankheiten immer chronischer geworden, die Kopfschmerzen, Migräne und Depressionen hätten sich enorm verschlechtert.
Ein Bruch des Sprunggelenks Ende 2016 habe dazu geführt, dass sie nicht mehr am Reha-Sport habe teilnehmen können und die
orthopädischen Krankheiten wiedergekommen seien oder sich verschlechtert hätten. Die Empfehlung des Hormonzentrums K. im Januar
2017, ihre Lendenwirbelsäule röntgen zu lassen, um eine Fraktur ausschließen zu können, habe sie nervös gemacht. Die dadurch
hervorgerufene Anspannung sei ihr absolut nicht gut bekommen. Allein eine stationäre Reha könne ihre medizinischen Probleme
nachhaltig verbessern oder eine Verschlimmerung verhindern. Die Antragstellerin hat außerdem zahlreiche Arztbriefe zu den
Akten gereicht.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 16.08.2017 abgelehnt, da ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht sei. Die Antragstellerin
habe nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten stationären Rehabilitationsmaßnahme im Eilrechtsschutzverfahren.
Eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme sei nach den vorgelegten medizinischen Unterlagen bei der Antragstellerin nach überwiegender
Wahrscheinlichkeit nicht dringend erforderlich. Nach §
40 Abs
3 Satz 4
SGB V könne eine stationäre Rehamaßnahme nicht vor Ablauf von vier Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht
werden, deren Kosten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden seien, es sei denn, eine
vorzeitige Leistung sei aus medizinischen Gründen dringend erforderlich. Dringend erforderlich seien vorzeitige Reha-Leistungen
jedenfalls dann, wenn bei Durchführung der Maßnahme erst nach Ablauf der Wartezeit erhebliche gesundheitliche Schäden oder
Nachteile zu befürchten wären. Weder aus den diversen Befundberichten der behandelnden Ärzte noch aus der ärztlichen Bescheinigung
des Neurologen und Psychiaters F. noch aus dem Vortrag der Antragstellerin gehe die dringende Erforderlichkeit der Rehamaßnahme
hervor. Dr. F. bescheinige zwar eine verschlechterte Situation der psychischen Verfassung der Antragstellerin. Daraus ergebe
sich jedoch nicht, dass erhebliche gesundheitliche Schäden oder Nachteile zu befürchten wären, wenn die Rehamaßnahme nicht
durchgeführt würde. Entgegen der Angaben der Antragstellerin ergebe sich eine dringende medizinische Erforderlichkeit auch
nicht aus den Bescheinigungen der Fachärztinnen für Psychiatrie Dr. S. und Dr. E.. Zwar finde sich in der Verordnung vom 15.02.2017
der Hinweis, eine stationäre Behandlung sei indiziert. In allen darauf folgenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen - die
aktuellste mit Datum vom 21.07.2017 - sei jedoch das Feld "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation werden für erforderlich
gehalten" nicht angekreuzt worden. Ebenso wenig ergäben sich aus dem Vortrag der Antragstellerin Anhaltspunkte, die auf eine
erhebliche gesundheitliche Schädigung der Antragstellerin bei Nichtdurchführung der Reha schließen ließen. So trage die Antragstellerin
vor, die Empfehlung des Hormonzentrums zur Röntgen-Untersuchung ihrer Wirbelsäule habe zur Verschlechterung ihres psychischen
Zustandes beigetragen. Wie sich aus dem Befundbericht des Radiologen Dr. M. vom 08.05.2017 ergebe, hätten Frakturen an der
Wirbelsäule nach der empfohlenen Röntgenuntersuchung ausgeschlossen werden können. Dieser nach Angaben der Antragstellerin
zur Verschlechterung des psychischen Zustandes führende Umstand sei damit nicht mehr gegeben. Auch die von der Antragstellerin
geltend gemachten Beschwerden wie Schlafstörungen, innere Unruhezustände, Konzentrationsschwäche und sehr geringe Belastbarkeit
indizieren keine medizinische dringende Erforderlichkeit. Im Eilrechtsschutzverfahren seien keine weiteren medizinischen Ermittlungen
angezeigt.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 21.08.2017 Beschwerde eingelegt. Sie werde dem Gericht eine Erläuterung
zu gegebener Zeit zukommen lassen, da sie sich ab dem 28.08.2017 in einer Klinik befinde.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16.08.2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr eine stationäre
medizinische Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16.08.2017 zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster
und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§
172 Abs
1,
173 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz -
SGG) aber unbegründet. Das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.
Nach §
86b Abs
2 Satz 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand
treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des
Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend begehrt die Antragstellerin die Bewilligung einer stationären medizinischen Rehamaßnahme.
Damit richtet sich die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Erlass einer Regelungsanordnung nach §
86b Abs
2 Satz 2
SGG. Ein solcher Antrag ist auch schon vor Klageerhebung zulässig (§
86b Abs
3 SGG), wenn - wie hier - gegen eine ablehnende Entscheidung der Krankenkasse Widerspruch eingelegt worden ist (Meßling in: Hennig,
SGG, §
86b Rn 41). Die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten
in der Hauptsache (hier: des Widerspruchsverfahrens) sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung.
Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen
Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§
86 b Abs
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs
2 der
Zivilprozessordnung).
Bei der Prüfung des Anordnungsanspruches begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte
bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005,
1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Je schwerer jedoch die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes
verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition
zurückgestellt werden. Art
19 Abs
4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders
nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in
der Lage wäre. Die Gerichte sind, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern
an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art
19 Abs
4 Satz 1
GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Ist dem
Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung
zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen.
Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG [Kammer] 25.02.2009, 1 BvR 120/09, NZS 2009, 674: Elektrorollstuhl; vgl auch BVerfG [Kammer], 29.07.2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292, 296; 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, 1236 f; BVerfG [Kammer], 02.05.2005, aaO, mwN).
Bei der Entscheidung über die Bewilligung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme ist zu berücksichtigen,
dass Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung unabhängig davon, ob ein Anspruch auf stationäre Reha-Leistungen besteht
oder nicht, Anspruch auf Krankenbehandlung als Sachleistung haben. Da deshalb die Behandlung akuter Krankheiten stets gesichert
ist, entstehen Versicherten durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes für die Gewährung einer stationären medizinischen
Rehabilitationsmaßnahme, von (hier nicht in Betracht kommenden) Ausnahmen wie zB einer Anschlussheilbehandlung abgesehen,
keine schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in
der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage genügt daher eine summarische Prüfung
der Erfolgsaussichten. Darüber hinaus fehlt es in diesen Fällen regelmäßig - so auch im vorliegenden Fall - bereits an einem
Anordnungsgrund. Für den Senat ist nicht erkennbar, weshalb der Antragstellerin nicht zugemutet werden könnte, den Ausgang
des Verwaltungsverfahrens und eines sich ggf hieran anschließenden Gerichtsverfahrens abzuwarten. Denn die Behandlung akuter
Erkrankungen, sei es durch ambulante, sei es durch stationäre Krankenbehandlung wird von der Antragsgegnerin nicht verweigert,
wie nicht zuletzt die zahlreichen von der Antragstellerin selbst vorgelegten Arztbriefe belegen.
Im Übrigen besteht aus den vom SG dargelegten Gründen, auf die der Senat Bezug nimmt, auch kein Anordnungsanspruch.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).