Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft
Gründe:
I. Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II- und Sozialgeld)
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die 1986 geborene Antragstellerin zu 1) (ASt zu 1) ist die Mutter der 2011 geborenen Antragstellerin zu 2) (ASt zu 2). Sie
erhält monatlich 184 EUR Kindergeld und 300 EUR Elterngeld. Über ihre Konten ist nur sie alleine verfügungsberechtigt. Vater
der ASt zu 2) ist Herr M. B. (B). Er zahlt für sie monatlich 133 EUR Unterhalt, ist erwerbstätig und bezieht ein entsprechendes
Einkommen.
Im Anschluss an den Bezug von Arbeitslosengeld I beantragte die ASt zu 1) Alg II beim Antragsgegner (Ag). Dabei wurde unter
anderem auch ein Mietvertrag für die Zeit ab 01.01.2010 für eine Wohnung im Hause der Eltern von B vorgelegt. Gemeldet war
sie dort seit 22.10.2007.
Nach einem Aktenvermerk des Ag vom 25.05.2010 habe B angegeben, seine Lebensgefährtin sei die ASt zu 1). Nachdem die ASt zu
1) aufgefordert wurde, Angaben zum Einkommen und Vermögen von B zu machen, verzichtete sie auf Leistungen bis einschließlich
31.07.2010. Eine Bedarfsgemeinschaft würde nicht vorlegen. B lebe im Haushalt seiner Eltern.
Nachdem die ASt zu 1) eine möblierte Ferienwohnung angemietet und sich melderechtlich entsprechend angemeldet hatte, bewilligte
der Ag mit Bescheid vom 10.08.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 04.10.2010 Alg II für die Zeit von August 2010
bis einschließlich Januar 2011.
Ein vom Ag beauftragter Außendienstmitarbeiter berichtete unter dem 21.01.2011, er habe am 05., 10. und 17.01.2011 die ASt
zu 1) nicht in ihrer neuen Wohnung angetroffen. Ihr Fahrzeug sei am 05.01.2011 vor dem Anwesen der früheren Wohnung gesehen
worden. Am 17.01.2011 sei die ASt zu 1) dort angetroffen worden und habe erklärt, dass sie vom 06.01.2011 bis 13.01.2011 zur
Entbindung im Krankenhaus gewesen sei. Anschließend habe sie sich mit B bis zum 17.01.2011 in ihrer neuen Wohnung aufgehalten.
Derzeit würde sie mit B die Galeriewohnung im Haus dessen Eltern ausbauen. Aus den von der ASt zu 1) vorgelegten Stromabrechnungen
ergebe sich ein Verbrauch vom 31.07.2010 bis 28.08.2010 im Umfange von 4 kWh für 29 Tage). Einen entsprechenden Leitzordner
habe die ASt zu 1) aus dem Schlafzimmer der Galeriewohnung geholt. Anschließend habe man die neue Wohnung der Antragstellerinnen
besichtigt. Dort hätten sich im Schlafzimmer ein neues Kinderbett und eine Wickelkommode befunden. In der Wohnküche sei noch
ein Weihnachtsbaum gestanden. Die Wohnung sei sauber und aufgeräumt gewesen. Der Stromzähler habe einen Stand von 16866 gehabt
(Verbrauch innerhalb von 41/2 Monaten: 100 kWh).
Die ASt zu 1) teilte dem Ag mit, sie habe ausweislich der vorgelegten Lichtbilder ihren Lebensmittelpunkt in der neuen Wohnung.
Bei B halte sie sich nur sporadisch auf. Er habe nur ein Zimmer bei seinen Eltern, wo sie mit der ASt zu 2) nicht wohnen könne.
Der geringe Stromverbrauch folge daraus, dass sie über keine Waschmaschine und keinen Gefrierschrank verfüge. Sie besuche
häufiger ihren Vater, der an Multiple Sklerose erkrankt sei. Sie kümmere sich um ihn.
Mit Bescheid vom 22.02.2011 lehnte der Ag den Folgeantrag der Antragstellerinnen für die Zeit ab 01.02.2011 ab. Die Bedürftigkeit
sei nicht nachgewiesen. Das Einkommen und Vermögen von B sei in vollem Umfang zu berücksichtigen, da dieser mit zur Bedarfsgemeinschaft
gehören würde. Die ASt zu 1) und B hätten bereits ein gemeinsames Kind, weshalb eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft
kraft Gesetzes vermutet werde. Das Gegenteil sei nicht glaubhaft nachgewiesen.
Dagegen hat die ASt zu 1) Widerspruch eingelegt und vorgebracht, sie verfüge über eine eigene Wohnung und wohne nicht bei
dem Kindsvater. Sie führe eigene Konten und einen eigenen Haushalt. Überwiegend halte sie sich in ihrer Wohnung auf und besuche
lediglich gelegentlich mit der ASt zu 2) den Vater. Der Ag wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2011 zurück.
Über die dagegen gerichtete Klage (Az: S 14 AS 792/11) beim Sozialgericht Bayreuth (SG) ist bislang nicht entschieden.
Die Polizeiinspektion B. vernahm im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen die ASt zu 1) verschiedene Zeugen. B gab dabei
an, er habe die Antragstellerin zu 1) in F. in einer Kneipe kennen gelernt. Nachdem sie im Raum B. eine Arbeitsstelle gesucht
habe, habe er ihr die kleine Wohnung im Dachgeschoss seiner Eltern vermittelt. Es habe sich dann im Lauf der Zeit eine Freundschaft
ergeben, woraus immer mehr geworden sei, jedoch keine feste Beziehung. Im April 2010 sei sie dann von ihm schwanger geworden.
Weil das Verhältnis untereinander "nicht mehr so gewesen sein", sei sie im August ausgezogen. In ihrer neuen Wohnung habe
sie fest gewohnt, selbstverständlich ihn aber immer mal wieder besucht. Sehr selten haben sie dabei auch bei ihm übernachtet.
Die Wohnung im Dachgeschoss seiner Eltern baue er für sich aus. Dass die ASt zu 1) zu ihm ziehe, sei nicht angedacht, man
wisse jedoch nicht, wie sich die Sache weiterentwickele, nachdem man schließlich ein gemeinsames Kind habe. Er zahle monatlich
133 EUR Unterhalt für die ASt zu 2). Der Satz sei so vom Jugendamt festgelegt worden.
Der Vater von B gab in seiner Zeugeneinvernahme an, der ASt zu 1) wäre es nicht zuzumuten gewesen, während des Dachgeschossausbaus
dort weiter wohnhaft zu bleiben. Das sei seines Wissens nach der Grund, weshalb sie sich eine andere Wohnung gesucht habe.
Der Ausbau des Dachgeschosses sei zunächst seines Wissens nach für B. Sollte dieser mit der ASt zu 1) zusammenbleiben, gehe
er davon aus, dass sie dann möglicherweise auch wieder dort einziehe. Man könne nicht sagen, dass die beiden in einer Partnerschaft
leben würden. Nachts sei B seines Wissens nach zuhause. Mit ihm frühstücke er in der Regel zusammen, bevor man auf die Arbeit
gehe. Die ASt zu 1) sei nie dabei. Ein Zusammenzug der Beiden sei nach seinem Wissen in absehbarer Zeit nicht geplant.
Die Mutter von B gab bei ihrer Zeugeneinvernahme an, sie wisse den genauen Grund, warum die ASt zu 1) ausgezogen sei, nicht.
Vermutlich habe es Unstimmigkeiten mit B gegeben. Den Entschluss zum Dachgeschossausbau habe B wohl im Oktober gefasst, als
die ASt zu 1) bereits ausgezogen gewesen sei. Die anstehenden Bauarbeiten seien deshalb nicht der Grund für den Auszug gewesen.
Die ASt zu 1) und B würden getrennt wohnen. Seit ihrem Auszug habe sie nur noch dreimal bei ihnen übernachtet, was jeweils
einen besonderen Grund gehabt habe. B würde schon regelmäßig die ASt zu 2) besuchen und komme in der Regel nachts auch wieder
heim. Das Verhältnis zwischen der ASt zu 1) und B könne man so beschreiben, dass die beiden "miteinander gehen", jeder aber
bei sich wohne. Ob daraus später einmal mehr werde, könne man noch nicht abschätzen.
Der Vermieter der ASt zu 1) gab bei seiner Zeugeneinvernahme an, seines Wissens nach halte sich die ASt zu 1) dauerhaft in
ihrer Wohnung auf. Er sehe auch, dass in der Wohnung Licht brenne und das Fahrzeug regelmäßig im Hausbereich stehe. Ab und
zu komme ein jüngerer Mann vorbei, der der Vater des Kindes sein dürfte, um sie zu besuchen. Er habe schon des Öfteren gesehen,
wie die ASt zu 1) ihren Einkauf in die Wohnung getragen habe. Im Jahr 2010 habe sie 3 m³ Warmwasser und 5,5 m³ Kaltwasser
verbraucht. Im Hinblick auf eine Gegenüberstellung mit einer Vergleichswohnung könne man den Wasserverbrauch und die Heizkosten
als normal ansehen.
Ein anderer Bewohner des Hauses, in dem die Antragstellerinnen wohnen, gab bei seiner Zeugeneinvernahme an, die ASt zu 1)
halte sich regelmäßig in ihrer Wohnung auf. Sie wohne direkt über ihm und das Haus sei doch recht hellhörig. Seine Äußerung
gegenüber dem Außendienstmitarbeiter sei ein Missverständnis. Er habe die Frage auf einen anderen Mieter, der etwa im Oktober
oder November ausgezogen sei, bezogen. Das Fahrzeug der ASt zu 1) stehe eigentlich immer vor dem Haus. Sie komme regelmäßig
ihrer Hausordnung nach und putze die Treppe.
Am 30.03.2011 haben die Antragstellerinnen beim SG beantragt, den Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig Leistungen nach dem SGB II in voller
Höhe zu bewilligen.
Das SG hat sich vom Vermieter der ASt zu 1) Unterlagen über den Wasserverbrauch und die Heizkosten sowie von B und der ASt zu 1)
Kontoauszüge übermitteln lassen. Zu Letzteren hat die ASt zu 1) ausgeführt, B habe 532 EUR für Unterhalt für die Monate Januar
bis April 2011 überwiesen und 800 EUR seien im Januar 2011 aus einem mündlich abgeschlossenen Darlehensvertrag mit ihrer Mutter
eingezahlt worden. Am 28.01.2011 habe sie eine Waschmaschine für 844 EUR abzüglich 30 EUR Anzahlung gekauft.
Mit Beschluss vom 24.05.2011 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Für die Zeit vor der Beschlussfassung fehle es an einem Anordnungsgrund,
da es den Antragstellerinnen insofern zumutbar sei, eine diesbezügliche Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Im Übrigen
sei ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es liege eine Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerinnen mit B vor, deren
Bedarf vom anzurechnenden Einkommen gedeckt werde. Zwischen der ASt zu 1) und B liege eine eheähnliche Gemeinschaft vor. Beide
würden gemeinsam in einem Haushalt zusammenleben und eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft bilden. Dies ergebe sich
aus den geringen Heizkosten und dem geringen Warmwasser- bzw Kaltwasserverbrauch. Zwar seien die Verbrauchswerte ab Januar
2011 gestiegen, würden aber immer noch unter den durchschnittlichen Verbrauchswerten liegen. Es sei insofern davon auszugehen,
dass die beiden im Anwesen der Eltern des B in einem Haushalt zusammenleben würden. Hierfür spreche auch der Bericht des Außendienstmitarbeiters
und die Vorsprache des B beim Ag für die ASt zu 1) im Mai 2010. Aus den Kontoauszügen gehe nur ein Lebensmitteleinkauf hervor.
Barabhebungen für Lebensmitteleinkäufe und andere Gegenstände des täglichen Lebens seien nicht ersichtlich. Schließlich greife
die Vermutungsregelungen des § 7 Abs 3a Nr 1 und 2 SGB II, da die ASt zu 1) und B seit mindestens Januar 2010 und seit Januar
2011 mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben würden. Die entsprechende Vermutungsregelung sei nicht widerlegt worden.
Dagegen haben die Antragstellerinnen beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
(PKH) für das Beschwerdeverfahren beantragt. Es würden hinsichtlich der ASt zu 1) und B getrennte Haushalte geführt. Die ASt
zu 1) sei in ihrer neuen Wohnung gemeldet und halte sich dort auch überwiegend auf. Dies hätten auch die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens
vernommenen Zeugen bestätigt. Den Lebensunterhalt hätten die Antragstellerinnen dadurch bestritten, dass die ASt zu 1) Bargeldzuwendungen
der Großeltern erhalten habe, von denen teilweise auch Einkäufe getätigt worden seien. Ferner sei sie Friseurin und schneide
gelegentlich im Bekanntenkreis Haare, wofür sie ein kleines Trinkgeld erhalte.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten des Ag und der Staatsanwaltschaft B. sowie die
Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-), in der Sache jedoch nur im Umfang des Tenors begründet. Die ASt zu 1) hat einen Anspruch auf eine vorläufige Gewährung
von Alg II in Höhe von monatlich 105,80 EUR.
Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis ist §
86b Abs
2 Satz 2
SGG.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der
Fall, wenn den Antragstellerinnen ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen,
zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79,
69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl, Rn 652).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen
eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die Antragstellerinnen ihr Begehren stützen
- voraus. Die Angaben hierzu haben die Antragstellerinnen glaubhaft zu machen (§
86b Abs
2 Satz 2 und
4 SGG iVm §
920 Abs
2, §
294 Zivilprozessordnung -
ZPO-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG 9. Aufl, §
86b Rn 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes
sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen
Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich
unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde
Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen.
In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Ast zu entscheiden
(vgl BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend
geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das
Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend
geprüft werden (vgl BVerfG vom 12.05.2005 aaO.).
Demnach fehlt es für die Zeit vor der Beschlussfassung im Beschwerdeverfahren an einem Anordnungsgrund. Maßgeblicher Zeitpunkt
für die Beurteilung des Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit der Sache, ist in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere
auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Rspr des Senats zB Beschluss vom
12.07.2011 - L 11 AS 262/11 B ER). Eine vorläufige Regelung ist hinsichtlich dieser Leistungen nicht geboten, denn der diesbezügliche Leistungszeitraum
ist bereits abgelaufen, so dass lediglich Leistungen für die Vergangenheit im Streit stehen und die Dringlichkeit der Angelegenheit
nicht zu belegen ist. Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist der Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile
abzuwenden, um zu vermeiden, dass die Antragstellerinnen vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe sie wirksamen Rechtsschutz
erlangen können (vgl Keller aaO. § 86b Rn 27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit,
die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume
diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für
Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer,
irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der
Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht (vgl Beschluss des
Senates vom 12.04.2010 - L 11 AS 18/10 B ER - juris). Beides ist vorliegend nicht der Fall. Hierzu haben die Antragstellerinnen weder etwas vorgetragen, noch sind
Anhaltspunkte hierfür erkennbar.
Für die Zeit ab der Beschlussfassung hat die ASt zu 1) einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund im Hinblick auf ein Alg
II iHv monatlich 105,80 EUR glaubhaft gemacht.
Vorliegend geht es um existenzsichernde Leistungen, so dass in diesem Zusammenhang eine Orientierung an den Erfolgsaussichten
nur möglich ist, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Dies erscheint vorliegend für den gegenwärtigen Zeitraum
nicht der Fall.
Alg II erhalten Personen, die ua hilfebedürftig sind, § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt,
seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder
nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern
kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen
erhält, § 9 Abs 1 SGB II. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners
zu berücksichtigen, § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung
füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, § 7 Abs 3 Nr 3c SGB II.
Ob zwischen der Ast zu 1) und B derzeit eine Bedarfsgemeinschaft tatsächlich vorliegt, erscheint nicht abschließend geklärt.
Voraussetzung wäre hierfür in jedem Fall, zunächst ein Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt (§ 7 Abs 3 Nr 3c SGB II).
Hieran ändert auch die Vermutungsregelung in § 7 Abs 3a SGB II nichts, denn diese bezieht sich schon dem Wortlaut nach alleine
auf das Tatbestandsmerkmal des wechselseitigen Willens, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Ein
Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt kann vorliegend für den aktuellen Zeitraum jedoch nicht zweifelsfrei angenommen
werden.
Dem SG ist zuzugeben, dass die von ihm aufgezeigten Indizien, die für eine Haushaltsgemeinschaft sprechen, - jedenfalls für die
Vergangenheit - nicht von der Hand zu weisen sind. So könnten tatsächlich die geringen Heizkosten und der geringe Warmwasser-
bzw Kaltwasserverbrauch jedenfalls im Jahr 2010 und der Bericht des Außendienstmitarbeiters dafür sprechen, dass die ASt zu
1) bei B gelebt hat. Allerdings wäre andererseits zu berücksichtigen, dass gerade die Verbrauchswerte im Jahr 2011 stark gestiegen
sind. Auch wenn diese möglicherweise nicht dem Durchschnittsverbrauch anderer Personen entsprechen - nach Einschätzung des
Vermieters entsprechen die Werte sogar der einer Vergleichswohnung -, lassen sie jedoch darauf schließen, dass die Wohnung
in nicht unerheblichem Umfange genutzt wird und gegebenenfalls tatsächlich den Lebensmittelpunkt dargestellt haben könnte.
Dies wird durch sämtliche Aussagen, die sich aus dem Ermittlungsverfahren ergeben, bestätigt. So geben die Eltern des B, ein
anderer Bewohner des Hauses, in dem die Antragstellerinnen wohnen, der Vermieter und B übereinstimmend an, dass sich die ASt
zu 1) dauerhaft in ihrer neuen Wohnung aufhalte und dort auch tatsächlich wohne. Dabei wird wohl möglicherweise den Aussagen
des Vermieters und des Mitbewohners ein höherer Beweiswert zukommen, da nicht ersichtlich ist, aus welchem Anlass dieser ein
Interesse daran haben könnte, eine falsche Aussage zu machen. Weiter spricht für die Glaubhaftigkeit, dass der Mitbewohner
nach eigenen Angaben direkt unter der ASt zu 1) wohnt und das Haus hellhörig ist. Der Vermieter bestätigte zudem, dass das
Licht öfters brenne bzw das Fahrzeug vor dem Haus stehe und er deshalb davon ausgehe, die ASt zu 1) sei zuhause. Auch gab
er an, er habe gesehen, wie Einkäufe von der ASt zu 1) in das Haus getragen worden sind. Sowohl aus dem Außendienstbericht
als auch aus den Lichtbildern ist ersichtlich, dass die neue Wohnung der ASt zu 1) bewohnbar ist und bewohnt wirkt.
Insgesamt ist jedenfalls davon auszugehen, dass für eine abschließende Klärung die Notwendigkeit bestehen würde, die im Ermittlungsverfahren
vernommen Zeugen selbst durch das Gericht zu vernehmen, um anhand eines eigenen Bildes, entscheiden zu können, welchen Wahrheitsgehalt
die Aussagen haben und welche Schlüsse letztendlich daraus auf die Frage des Zusammenwohnens der ASt zu 1) und des B zu ziehen
sind. Insbesondere ergeben sich teilweise auch bei den Aussagen der Eltern des B gewisse Widersprüche.
Da damit die Hauptsache jedenfalls im Hinblick auf die künftigen Leistungen als offen anzusehen ist, kommt dem Anordnungsgrund
entscheidende Bedeutung zu. Insofern hat die ASt zu 1) einen Anordnungsgrund jedenfalls im Hinblick auf monatliche Leistungen
in Höhe von 105,80 EUR glaubhaft gemacht.
Für die Ast zu 1) würde sich ein monatlicher Bedarf von 364 EUR (Regelleistung), 131 EUR (Mehrbedarf für Alleinerziehende)
und 140 EUR (anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung; ausweislich der Kontoauszüge werden monatlich insgesamt 280 EUR
überwiesen), insgesamt 635 EUR ergeben. Nachdem der Bedarf der ASt zu 2) 215 EUR (Regelleistung) und 140 EUR (anteilige Kosten
der Unterkunft und Heizung) beträgt, mithin 355 EUR, ergibt sich ein Gesamtbedarf vom 990 EUR.
Bei der ASt zu 2) wären auf den Bedarf das Kindergeld (184 EUR) und der Unterhalt von B (133 EUR) anzurechnen, so dass ein
ungedeckter Bedarf von 38 EUR verbleibt. Unter der Berücksichtigung, dass bei der begehrten Leistung ein Abschlag in Höhe
von 30 vom Hundert der Regelleistung zur Vermeidung der Vorwegnahme der Hauptsache vorgenommen werden kann (vgl dazu Beschluss
des Senats vom 18.04.2007 - L 11 B 878/06 AS ER mit Verweis auf § 31 Abs 1 Satz 1 SGB II, wo der Gesetzgeber eine 30-prozentige Absenkung für hinnehmbar hält; generell
zur Zulässigkeit eines Abschlags: BVerfG, Breith 2005, 803), fehlt es diesbezüglich an einem Anordnungsgrund für die ASt zu 2). Damit ist die Grenze des Unerlässlichen auch noch gewahrt
(vgl dazu Conradis in LPK-SGB II, 2. Aufl, § 43 Rn 16). Die Vornahme des Abschlags erscheint im Hinblick auf die Ungewissheit
eines Obsiegens im Rahmen des Hauptsacheverfahrens auch als angemessen.
Damit ergibt sich für die ASt zu 1), dass auf ihren Bedarf das Elterngeld iHv 300 EUR abzüglich der Versicherungspauschale
von 30 EUR, also 270 EUR angerechnet werden kann. Unter Berücksichtigung ebenfalls eines Abschlages von 30 vom Hundert der
Regelleistung (109,20 EUR) zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache, ergibt sich ein verbleibender Bedarf von 255,80
EUR (635 EUR - 270 EUR - 109,20 EUR).
Weiter ist dabei im Hinblick auf die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes zu berücksichtigen, dass die ASt zu 1) vorgebracht
hat, sie habe den Lebensunterhalt mit Barleistungen der Großeltern und aus dem Trinkgeld für das Haareschneiden im Bekanntenkreis
zumindest teilweise gedeckt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass diese Leistungen nicht mehr zur Verfügung stehen.
Mangels anderer Anhaltspunkte geht der Senat davon aus, dass diese Leistungen einen Umfang von ca 150 EUR monatlich haben,
da mangels regelmäßiger Abhebungen vom Girokonto und nur seltenen Einkäufen, die direkt vom Konto abgebucht wurden, Lebensmittel,
Kleider und der zusätzliche Bedarf für die ASt zu 2) davon bestritten wurden. Dabei sind nach summarischer Schätzung 150 EUR
die unterste Grenze, was im vorliegenden Fall an zwingend notwendigem Lebensunterhalt mit den Bareinnahmen bestritten werden
musste. Unter Berücksichtigung dieser Leistungen ergibt sich ein glaubhaft gemachter Anordnungsgrund im Umfange von 105,80
EUR (255,80 EUR - 150 EUR). Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die ASt zu 1) im Hinblick auf die vorläufige Leistungsgewährung
auch gesetzlich krankenversichert ist und die entsprechenden Aufwendungen im Hinblick auf die Krankenkassenbeiträge bei der
ASt zu 1) nicht mehr anfallen.
Sollten sich die genannten Umstände ändern oder neue Erkenntnisse zu Tage treten, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag
die Anordnung jederzeit ändern oder aufheben, §
927 Abs
1 Zivilprozessordnung (
ZPO) analog (vgl dazu Keller aaO. § 86b Rn 45). Zu beachten ist auch, dass hinsichtlich der aufgrund einer einstweiligen Anordnung vorläufig erbrachten Leistungen
ein Rückzahlungsanspruch des Ag besteht, sofern sich nachträglich herausstellt, dass der Ast zu 1) die Leistungen nicht zustehen
(Keller aaO. Rn 49).
Der Beschwerde ist deshalb in dem genannten Umfang stattzugeben. Im Übrigen ist sie zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Aus den oben dargelegten Gründen ist eine für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht
der Beschwerde gemäß §
73a SGG iVm §
114 ZPO gegeben. Nachdem auch die Voraussetzungen im Hinblick auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen ist PKH für das
Beschwerdeverfahren zu bewilligen.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar, §
177 SGG.