Rente wegen Erwerbsminderung
Schwere spezifische Leistungsbehinderung
Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen
Verweisungstätigkeiten
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die im September 1962 geborene Klägerin hat von September 1979 bis Juli 1981 in der ehemaligen DDR den Beruf der Wirtschaftskauffrau
erlernt. Sie war dann bis Dezember 1986 als Vorspinnerin in der Textilindustrie, von 1987 bis 1990 als Erziehungshelferin
in einem Kindergarten, von 1991 bis 1997 als Mitarbeiterin bei der Kreiskasse in einem Landratsamt, von 1997 bis 2003 als
Fördermittelsachbearbeiterin beim Jugendamt, dann über eine Zeitarbeitsfirma als Sachbearbeiterin in der Finanzbuchhaltung
bei Banken und Versicherungen, dann als Sachbearbeiterin beim Bezirk Oberbayern und zuletzt von Juni 2011 bis Mai 2012 über
eine Zeitarbeitsfirma als Aktenscannerin versicherungspflichtig beschäftigt. Der Versicherungsverlauf der Klägerin weist bis
Mai 2013 Pflichtbeitragszeiten auf. Ab Juni 2013 sind - mit Ausnahme eines Monats Pflichtbeitragszeit im Januar 2014 - nur
noch Zeiten der geringfügigen nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung verzeichnet.
Mit Antrag vom 28. August 2012 begehrte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten unter Hinweis auf eine
aggressive Polyneuropathie. Nach Beiziehung diverser Befundberichte holte die Beklagte ein internistisches Gutachten von Dr.
S. vom 17. Januar 2013 ein. Dieser stellte bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen fest: 1. Diabetische Polyneuropathie
mit Dysästhesien im Bereich der unteren Extremitäten beidseits, Feinmotorikstörung beider Hände, Störung der vegetativen Funktionen
2. Thorakale Intercostalneuralgie rechts, minimal eingeschränkte Schulterbeweglichkeit rechts 3. Urge-Harninkontinenz bei
Zustand nach Descensus-Operation wegen Uterusprolaps 1993; anamnestisch auch etwas erhöhte Stuhlfrequenz 4. Somatisierungsstörung
mit agitiert-depressiver Komponente 5. Kardiovaskuläre Risikofaktoren (unzureichend eingestellter tablettenpflichtiger Diabetes
mellitus IIb, entgleiste arterielle Hypertonie, alimentäre Adipositas, unzureichend eingestellte Hyperlipoproteinämie) 6.
Vorbeschriebene Peritendinitis/Tendosynovitis der Peronäussehnen sowie vorbeschriebene Ansatz-Tendinopathie der Achillessehnen,
derzeit oligosymptomatisch 7. Vorbeschriebenes beidseitiges Karpaltunnel-Syndrom, derzeit oligosymptomatisch 8. Zustand nach
Colezystektomie 1983 9. Zustand nach vorbeschriebenen kognitiven Nebenwirkungen bei Lyrica-Medikation (2/2011), zwischenzeitlich
teilremittiert 10. Zustand nach nicht gemeldetem Wegeunfall 2005 mit Wirbelsäulen-Prellung (Auffahrunfall), ohne Residuen
11. Zustand nach Autounfall 2007, selbstverschuldet, Hämatom linke Schulter ohne spezifische Behandlung 12. Beidseits Hallux
valgus 13. Leichtgradige T3-Hyperthyreose - klärungsbedürftig.
Die Klägerin sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr leichte Arbeiten überwiegend sitzend
vollschichtig zu verrichten. Nicht mehr zumutbar seien Arbeiten mit Anforderungen an die Feinmotorik beider Hände oder die
grobe Kraft der oberen Extremitäten beidseits, wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen, Heben und Tragen von schweren Lasten,
übermäßiger Zeitdruck, Akkordarbeit, ausschließliches Gehen und Stehen, Arbeiten mit Absturz- oder Verletzungsgefahr bzw.
erhöhten Anforderungen an die Standsicherheit, Schicht- oder Nachtarbeit sowie Überkopfarbeiten. Erforderlich sei die Nähe
einer Toilette am Arbeitsplatz mit jederzeitiger Unterbrechbarkeit der Tätigkeit.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 24. Januar 2013 den Antrag der Klägerin unter Hinweis auf ein
Leistungsvermögen von mindestens 6 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab.
Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs machte die Klägerin geltend, die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen
seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Der Schwerpunkt ihrer Erkrankungen liege auf internistischem Fachgebiet (Diabetes
mellitus Typ II in Verbindung mit Polyneuropathie). Auch leide sie unter massiven orthopädischen Beschwerden insbesondere
im Bereich der Schultern. Schließlich seien Erlebnis-, Gestaltungs-, Merk- und Konzentrationsfähigkeit deutlich eingeschränkt.
Ein Befundbericht des Klinikums R. wurde vorgelegt. Nachdem der medizinische Dienst der Beklagten keinen neuen medizinischen
Sachverhalt feststellen konnte, wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 2013 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben und erneut auf ihre multiplen Beschwerden und Gesundheitsstörungen
verwiesen. Das SG hat diverse Befundberichte sowie einen ärztlichen Entlassungsbericht über Maßnahmen der stationären Rehabilitation auf internistischer
Grundlage der Klinik Bad S. vom 18. April 2011 beigezogen, an denen die Klägerin vom 7. März bis 11. April 2011 teilgenommen
hatte und aus denen sie mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten entlassen worden
war. Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Gutachtens von Dr. B., eines orthopädischen Gutachtens von Dr. K.
und eines neurologischen Gutachtens von Dr. S ...
Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 8. November 2013 bei der Klägerin ein metabolisches Syndrom mit Adipositas, Diabetes mellitus
II, arterieller Hypertonie und Hyperlipidämie, eine Harn- und Stuhlinkontinenz sowie einen Zustand nach Cholezystektomie 1982
festgestellt. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Arbeiten im Freien und in geschlossenen Räumen vollschichtig mit
den üblichen Pausen zu verrichten. Nicht mehr möglich seien Arbeiten in Wechsel- und Nachtschicht, gefahrenträchtige Arbeiten,
Arbeiten am Band und an rotierenden Maschinen. Eine Toilette sollte in Arbeitsnähe vorhanden sein. Beschränkungen hinsichtlich
des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht.
Dr. K. hat bei der Klägerin in seinem Gutachten vom 17. Dezember 2013 einen HWS-Verschleiß (Spondyloosteochondrose C5/C6),
einen deutlichen LWS-Verschleiß mit Gefügestörung (Pseudospondylolisthesis L2/3 Grad 1 nach Meyerding, Spondylarthrose L4-S1)
sowie einen Senk-Spreizfuß beidseits mit Großzehenfehlstellung (Pes transversoplanus, Hallux valgus) diagnostiziert. Die Klägerin
sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten im Freien und in geschlossenen Räumen 6 Stunden und
mehr täglich mit den üblichen Pausen aus wechselnder oder überwiegend sitzender Ausgangslage zu verrichten. Unzumutbar seien
Arbeiten in Zwangshaltungen (z.B. Überkopfarbeiten), das Hantieren mit Lasten ()7 kg) sowie Arbeiten in Rumpfbeugehaltung.
Der Anmarschweg zur Arbeitsstätte sei nicht eingeschränkt.
Dr. S. hat schließlich in seinem Gutachten vom 27. November 2013 bei der Klägerin eine Polyneuropathie bei Diabetes mellitus
mit Karpaltunnel-Syndrom beidseits, ein LWS-Syndrom und ein HWS-Syndrom jeweils mit pseudoradikulärer Schmerzsymptomatik,
eine dissoziative Störung der Motorik mit gering ausgeprägter Gangstörung, eine Somatisierungsstörung (vorwiegend somatoforme
Schmerzen) sowie eine leichtere depressive Störung festgestellt und im Übrigen auf die von Dr. B. und Dr. K. diagnostizierten
Gesundheitsstörungen verwiesen. Die Klägerin sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten im Gehen,
Stehen und Sitzen, vorwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit, die Körperposition selbst zu bestimmen, nur noch in geschlossenen
Räumen 6 Stunden täglich und mehr mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen zu verrichten. Es bestehe leicht vermehrter, im
Rahmen der Verteilzeiten erbringbarer Hygienebedarf bei seltener und partieller Harn- und Stuhlinkontinenz. Zu vermeiden seien
das Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken, häufiges Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an Maschinen
(auch Büromaschinen), wenn die genannten qualitativen Leistungseinschränkungen damit verbunden sind. Arbeiten am Bildschirm
könnten erbracht werden, wenn sie nicht ununterbrochen und ohne Bewegungswechsel sowie nahezu ausschließlich während des ganzen
Tages erbracht werden müssen. Unzumutbar seien auch häufige Überkopfhaltungen der Arme, Arbeiten mit sehr hohen Geschicklichkeitsanforderungen
und mit Nässe-Kältebelastung beider Hände, Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an die Nervenkraft (auch laufender Publikumsverkehr
und besondere Verantwortung), Nachtschichtarbeiten oder Arbeiten mit erhöhten Gefährdungen sowie im Außendienst. Die Wegefähigkeit
sei nicht eingeschränkt. Die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln sei möglich.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat hierzu ausgeführt, es sei unklar, ob die Klägerin tatsächlich von Dr. S. körperlich
untersucht worden sei. Auch sei ein nur vorläufiger Befund des Labors Dr. S. der Beurteilung zu Grunde gelegt worden. Unklar
sei auch, worauf die Vermutung gründe, die motorischen Ausfälle im Bereich der Unterschenkel und Füße seien psychogen bedingt.
Auch könne die Harn- und Stuhlinkontinenz der Klägerin ein mögliches weiteres Symptom einer bestehenden Polyneuropathie sein.
Dr. S. solle hierzu befragt werden. In einem vorgelegten Bericht der vom 17. Juni 2014 über eine akutstationäre Behandlung
der Klägerin vom 10. Juni bis 17. Juni 2014 wird ein dringender Verdacht auf psychische Aggravierung bei fehlendem organischem
Korrelat der motorischen Symptome mitgeteilt.
Mit Urteil vom 21. August 2014 hat das SG die Klage unter Berufung auf die Gutachten Dr. B., Dr. K. und Dr. S. abgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen, Dr. S. habe keine ergänzende
Stellungnahme zu den von der Klägerin aufgeworfenen Fragen abgegeben. Auch habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin nachweislich
weiter verschlechtert. Athropien der Muskulatur an Armen und Beinen seien fortgeschritten. Die Koordination der Hände und
Beine sowie die Feinmotorik seien eingeschränkt. Die Zurücklegung längerer Strecken sei der Klägerin nicht möglich. Auch könne
sie nicht länger sitzen und stehen aufgrund der Schmerzen in den Beinen bis zum Unterleib. Sie werde von Krämpfen geplagt
und auch habe sie sich mehrmals in tagelanger Immobilität befunden.
Der Senat hat nach Beiziehung diverser Befundberichte ein nervenärztliches Gutachten von Dr. D. eingeholt. In seinem Gutachten
vom 14. Juli 2015 hat der Sachverständige ausgeführt, bei der Klägerin liege eine Polyneuropathie leichter Ausprägung bei
bekanntem Diabetes mellitus, ein Karpaltunnel-Syndrom beidseits mit Linksbetonung, ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne
nervenwurzelbezogenes sensibles oder motorisches Defizit sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit Verdacht auf
relativ bewusstseinsnahe dissoziative Störung der distalen Beinmotorik vor. Die Klägerin könne noch leichte Tätigkeiten im
Gehen, Stehen und Sitzen im Freien und in geschlossenen Räumen vollschichtig ausüben. Nicht mehr zumutbar seien das Heben
und Tragen schwerer Lasten, häufiges Bücken, Tätigkeiten unter Zeitdruck, auf Leitern und Gerüsten sowie Nachtschichttätigkeiten.
Zusätzliche Pausen seien nicht erforderlich. Die Klägerin könne auch Tätigkeiten als Pförtnerin, Telefonistin oder Mitarbeiterin
in einer Poststelle verrichten. Einschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Die Umstellungsfähigkeit
der Klägerin sei nicht eingeschränkt.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat ein neurologisches Gutachten von Dr. C. vom 9. Februar 2016 eingeholt. Der Sachverständige
hat bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: 1. Karpaltunnel-Syndrom motorisch und sensibel links 2. Karpaltunnel-Syndrom
motorisch und sensibel rechts (weniger ausgeprägt als links) 3. Distale überwiegend sensible, zum Teil auch motorische Polyneuropathie
4. Sensibel ataktische Gangstörung 5. Rechtsseitige Fußheberparese (klinisch zu beobachten, elektrophysiologisch jedoch schlecht
zu erhärten, evt. Konversionsstörung oder dystone Bewegungsstörung bei sensiblen Afferenzstörungen) 6. Einschränkungen der
manuellen Geschicklichkeit durch bilaterales Karpaltunnel-Syndrom 7. Klopfschmerzhafte BWS in Höhe der Schulterblätter bei
in der Vergangenheit wiederholt aufgetretener Intercostalneuralgie in diesem Bereich 8. Dranginkontinenz bei Zustand nach
Uterus Descensus 9. Arterielle Hypertonie 10. Diabetes mellitus 11. Adipositas 12. Depressive Störung.
Die Klägerin könne noch leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen im Wechsel der Ausgangspositionen im Freien und in geschlossenen
Räumen 3 bis 6 Stunden, nach Exposition und Eingliederung eventuell auch 6 bis unter 8 Stunden verrichten. Das Heben und Tragen
von Lasten, häufiges Bücken und Arbeiten unter Zeitdruck sollten vermieden werden. Mit einer Pausenzeit von etwa 10 Minuten
pro 60 Minuten sollte eine Arbeit verrichtbar sein. Allerdings könnten durch die Dranginkontinenz zwischendurch nicht planbare
kurze Pausen zum Austreten nötig werden. Tätigkeiten als Pförtnerin oder Telefonistin seien vorstellbar, wenn keine kleinen
Tasten zu bedienen seien. Der Arbeitsplatz müsste entsprechend angepasst werden. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs
zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Öffentliche Verkehrsmittel könnten benutzt werden. Die Umstellungsfähigkeit sei nicht eingeschränkt.
Zusammenfassend hat Dr. C. ausgeführt, überwiegend sitzende und in einem geschützten Rahmen stehende Tätigkeiten von 6-8 Stunden
mit einfachen Überwachungsaufgaben mit verbaler Steuerung seien denkbar. Gehen sollte auf kurze Strecken und kurze Zeiten
begrenzt sein. Tätigkeiten über einen Zeitraum von 6-8 Stunden sollten im Rahmen einer Belastungserprobung mit stufenweise
Steigerung angestrebt werden. Eine Anpassung des Arbeitsplatzes und ausreichende Pausen seien erforderlich. Zu vermeiden seien
aufregende Tätigkeiten oder Arbeiten unter Zeitdruck.
Die Klägerin hat erklärt, die Sachverständigen kämen zu dem Ergebnis, dass sie eingeschränkt erwerbstätig sein könne. Eine
Erwerbstätigkeit von 6-8 Stunden werde nicht gesehen. Eine solche sei allenfalls nach Exposition und Eingliederung möglich.
Damit stehe fest, dass eine Beschäftigung am Arbeitsmarkt nicht möglich sei. Entsprechende Arbeitsplätze seien nicht zu finden.
Es seien auch unübliche Pausen erforderlich. Sie sei am 21. März 2016 in der eigenen Wohnung gestürzt und habe sich Verletzungen
zugezogen. Daraus werde deutlich, dass die vom Sachverständigen gesehene Gefahr real sei. Der Sturz habe auch ein rechtsseitiges
dumpfes Gefühl im Kopf zur Folge. Ein Drehen nach rechts sei derzeit nicht möglich. Es wurde eine Verordnung zur Krankenhausbehandlung
mit der Diagnose Schädelprellung übersandt. Weitere Befundberichte sind vorgelegt worden (hypertone Krise, Blutzuckerentgleisung).
Die Beklagte hat mitgeteilt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals im Zeitpunkt eines fiktiven Eintritts
einer Erwerbsminderung am 31. Juli 2015 erfüllt sind. Der Leistungsbeurteilung durch Dr. C. hat sich die Beklagte nicht angeschlossen.
Ein aktueller Versicherungsverlauf ist vorgelegt worden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 21. August 2014 sowie des Bescheids der Beklagten
vom 24. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. April 2013 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung
entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 24. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 3. April 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente
wegen voller Erwerbsminderung gemäß §
43 Abs.
2 SGB VI, Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß §
43 Abs.
1 SGB VI zu. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§
43 Abs.
1,
240 SGB VI kommt von vornherein nicht in Betracht, da die Klägerin nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist (§
240 Abs.
1 Nr.
1 SGB VI).
Gem. §
43 Abs.
1,
2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert
sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung
oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer
Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig
zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. §
43 Abs.
3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein
kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung
(vgl. §
43 Abs.
1 Nr.
2 bzw. Abs.
2 Nr.
2 SGB VI) sind nur dann erfüllt, wenn volle bzw. teilweise Erwerbsminderung spätestens bis 31. Juli 2015 eingetreten ist. Für die
Klägerin wurden durchgehend bis Mai 2013 Pflichtbeiträge entrichtet. In den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung
sind danach nur dann drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet worden, wenn
der Leistungsfall noch im Juni 2015 eingetreten ist. Da im Januar 2014 noch ein weiterer Pflichtbeitragsmonat vorliegt, verschiebt
sich der Zeitpunkt, zu dem letztmals die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, auf 31. Juli 2015.
Ein Tatbestand im Sinne des §
43 Abs.
4 SGB VI, der zu einer Verlängerung des Zeitraums von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung führt, ist nicht gegeben. Bei
der Klägerin liegt auch kein Tatbestand vor, durch den die Wartezeit vorzeitig erfüllt wäre (vgl. §
43 Abs.
5 SGB VI i.V.m. §
53 Abs.
1,
2 SGB VI), insbesondere gibt es keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die geltend gemachte Erwerbsminderung durch einen Arbeitsunfall
oder eine Berufskrankheit eingetreten wäre. Der nicht gemeldete Wegeunfall 2005 hat - soweit es sich hierbei tatsächlich um
einen Arbeitsunfall gehandelt haben sollte - nach dem vom Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachten von Dr.
S. nur zu einer Wirbelsäulen-Prellung geführt, ohne dass Residuen eingetreten wären.
Schließlich sind auch nicht die Voraussetzungen des §
241 Abs.
2 SGB VI erfüllt, da die Klägerin vor dem 1. Januar 1984 nicht die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren mit Beitrags- bzw. Ersatzzeiten
(vgl. §
50 Abs.
1,
51 Abs.
1, 4
SGB VI) erfüllt hat. Das Versicherungsleben der Klägerin beginnt erst am 1. September 1979.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für den erkennenden Senat fest, dass die Klägerin bis 31. Juli 2015, aber auch
darüber hinaus noch in der Lage ist, mindestens 6 Stunden täglich Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und etwa als Pförtnerin
oder Telefonistin zu verrichten.
Im Vordergrund stehen bei der Klägerin die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Bei der Untersuchung der
Klägerin durch den erfahrenen Gerichtsachverständigen Dr. D. zeigte sich ein arterieller Hypertonus leichter Ausprägung. Die
Prüfung der Hirnnerven erbrachte keinen eindeutigen pathologischen Befund. Die Beugefähigkeit der Wirbelsäule war leicht gemindert
bei einem Finger-Boden-Abstand von 30 cm. Das Zeichen nach Laségue war allerdings negativ, Nervenwurzeldehnungszeichen konnten
nicht provoziert werden. Das Reflexverhalten war niedrig bis mittellebhaft.
Muskeltonus, Muskeltrophik und grobe Kraft waren, soweit überprüfbar, nicht gestört. Allerdings demonstrierte die Klägerin
eine komplette Fuß- und Zehenheberparalyse. Dr. D. hat jedoch dargelegt, dass bei seiner Untersuchung eine Fußheber- und senkerschwäche
ausgeschlossen werden konnte. Dagegen sprächen ein relativ gut tastbar und auch unangepasst sichtbarer Muskelbauch des Musculus
extensor digitorum brevis, das von der Klägerin demonstrierte Abrollen der Füße beim Gehen und insbesondere auch der Befund
der elektrophysiologischen Untersuchung, der eine normale motorische Leitfähigkeit und normale motorische Latenzen des Nervus
peronaeus links und des Nervus tibialis rechts ergeben hat. Bei der demonstrierten Fuß- und Zehenheber- und senkerschwäche
ist also von einer mehr oder weniger bewusstseinsnahen dissotiativen Störung auszugehen. Eine Einschränkung des quantitativen
Leistungsvermögens lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten.
Unstrittig liegt bei der Klägerin auch eine Polyneuropathie vor, der vermutlich der seit Jahren bekannte Diabetes mellitus
zu Grunde liegt. Insoweit zeigte sich bei Dr. D. jedoch nur eine leichte Minderung der distalen motorischen Latenz und der
Leitgeschwindigkeit des Nervus tibialis links. In diesem Zusammenhang stehen auch die von der Klägerin geklagten Hypästhesien
und Hypalgesien an beiden Füßen. Das Vibrationsempfinden an den Füßen war jedoch nicht sehr stark gemindert.
Von sozialmedizinischer Bedeutung ist noch ein relativ deutlich ausgeprägtes Karpaltunnel-Syndrom beidseits. Dieses führt
zu Sensibilitätsstörungen an den Händen. Dr. D. hat eine leichte Minderung des Tast- und Berührungsempfindens festgestellt.
Eine quantitative Minderung der beruflichen Leistungsfähigkeit lässt sich hieraus nicht ableiten.
In psychopathologischer Hinsicht fanden sich bei der Untersuchung durch Dr. D. keine gravierenden Auffälligkeiten. Ein Hinweis
auf eine depressive Störung zeigte sich nicht. Die affektive Schwingungsfähigkeit war ungestört, die Klägerin konnte auch
lachen, wobei dieses mitunter etwas situationsinadäquat war. Nennenswerte kognitive, mnestische oder rezeptive Defizite konnte
Dr. D. nicht positivieren. In der Laboruntersuchung ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die verordneten Medikamente
nicht einnimmt (Schmerzmittel Diclofenac, Opiat Tilidin).
Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin durchaus noch einen geregelten Tagesablauf mit einigen Aktivitäten
hat. So erledigt sie in ihrem Zwei-Personen-Haushalt (Dreizimmerwohnung) alles, was anliegt. Nur das Staubsaugen ist ihr aufgrund
Rückenschmerzen nicht möglich. Die Klägerin kocht, macht Marmelade, arbeitet im Garten (Unkrautjäten). Auch hat sie in den
letzten 2 Jahren für 35 Familien deren Wohnung betreut, während diese im Urlaub gewesen sind. Hin und wieder geht sie mit
ihrem Ehemann in die Berge, wobei sie allerdings mit der Gondel nach oben fährt und dann oben einen Spaziergang unternimmt.
Aus alledem hat Dr. D. nachvollziehbar geschlossen, dass die Klägerin zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts
vollschichtig ausüben kann.
Dr. D. steht damit in Übereinstimmung mit der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung durch die Vorgutachter. Auch Dr. S.
hat erklärt, dass die Klägerin die Fuß- und Zehenheber auf Aufforderung nicht bewegt habe, sich aber intermittierend im Sinne
einer Wackelinnervation ein leichter Widerstand tasten ließ. Auch er hat es als auffällig erachtet, dass keinerlei Muskelabbauerscheinungen
und keine Seitendifferenzen der Muskelprofile vorliegen. Darüber hinaus war auch nicht der typische Steppergang bei der Klägerin
zu beobachten, sondern vielmehr ein schiebend-schlurfendes Gangbild. Bei der Prüfung der Koordination konnte Dr. S. eine außerordentlich
gute Geschicklichkeit der Hände feststellen. Die Klägerin konnte einen sehr kleinen Gegenstand (Büroklammer) außerordentlich
geschickt in der Hand hin und her bewegen. Die Grob- und Feingriffformen waren der Klägerin beidseits möglich.
In psychischer Hinsicht war die Klägerin bei Dr. S. bewusstseinsklar, zu Ort, Zeit, Person, Situation und Vorgeschichte voll
orientiert. Die Klägerin war zugewandt und kooperativ, Antrieb, Psychomotorik und Mimik waren situationsangemessen und ohne
pathologische Auffälligkeiten. Im Verhalten wirkte die Klägerin weitgehend authent, allerdings konnte Dr. S. auch Demonstrationstendenzen
erkennen. Eine Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen war nicht feststellbar. Das Altgedächtnis war intakt, die Aufmerksamkeit
nicht beeinträchtigt, das Konzentrationsvermögen erhalten und die Informationsverarbeitung ungestört. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit
erschien Dr. S. völlig normal bei etwas histrionischer Primärpersönlichkeit.
Die von der Klägerin geltend gemachten Schmerzen lassen sich zum Teil durch ihre orthopädischen Gesundheitsstörungen erklären.
Nach den Feststellungen von Dr. K. liegt bei der Klägerin insbesondere eine Verschleißbildung an der LWS mit Instabilitätsgrad
I vor. Eine verminderte Leistungsbreite der LWS ist gegeben. Die geschilderte Intensität der Rückenschmerzen lässt sich aber
alleine mit den orthopädisch objektivierbaren Verschleißschäden nicht hinreichend erklären. Vielmehr besteht bei der Klägerin
eine überlagernde somatoforme Störung der Schmerzempfindung. Die neurologische Untersuchung hat keinerlei Hinweise für eine
Kompression der lumbalen Nervenwurzeln erbracht. Das Zeichen nach Laségue war bei Dr. S. nur endgradig positiv.
Aus alledem hat Dr. S. unter Mitberücksichtigung der Feststellungen von Dr. K. überzeugend geschlossen, dass aus der Schmerzstörung
insbesondere im Bereich der Wirbelsäule nur qualitative Leistungseinschränkungen folgen. So sind insbesondere Arbeiten, die
mit schweren Hebe- und Tragebelastungen verbunden sind, der Klägerin nicht mehr zumutbar.
Soweit Dr. S. ursprünglich entgegengehalten worden war, er habe die Klägerin nicht untersucht, so wurde diese Einlassung von
der Klägerin ausweislich der Urteilsgründe des SG in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten. Soweit sich Dr. S. ergänzend unter Hinweis auf die fehlende Nachweisbarkeit
von Tilidin im Blut der Klägerin darauf berufen hat, bei der Klägerin bestehe keine dringende Notwendigkeit, schmerzsupprimierende
Präparate einzunehmen, so ist zwar der Klägerin einzuräumen, dass sich aus dem aktenkundigen Befundbericht ergibt, der Befund
sei wegen der Eilbedürftigkeit elektronisch übermittelt worden. Endgültig und verbindlich sei nur der ärztlich unterschriebene
Originalbefund, da sich bei der Endkontrolle noch Messwertüberprüfungen und ggf. auch Änderungen ergeben können. Insoweit
ist aber darauf hinzuweisen, dass sich auch bei der Serumsuntersuchung bei Dr. D. kein Nachweis von Tilidin im Blut erbringen
ließ. Darüber hinaus ist der Senat auch davon überzeugt, dass Dr. S. sein Gutachten ggf. ergänzt hätte, wenn sich im Rahmen
der endgültigen Befundung tatsächlich ein wesentlich anderes Ergebnis gezeigt hätte.
Auch im Übrigen konnte weder Dr. D. noch Dr. S. aus den von der Klägerin geklagten Gesundheitsstörungen eine Einschränkung
des quantitativen Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ableiten. In Bezug auf die Blasen-/Mastdarm-Störung
mit Dranginkontinenz hat Dr. S. darauf hingewiesen, dass sich diese auch schon bei dem letzten bestehenden Arbeitsverhältnis
funktionell nicht störend ausgewirkt hatte. Die Stuhlinkontinenz sei nur gelegentlich und im geringen Umfang vorhanden. Insoweit
genügt es, wenn die Klägerin auf einem Arbeitsplatz eingesetzt ist, bei dem eine Toilette in der Nähe ist. In Bezug auf die
Kopfschmerzen hat Dr. S. überzeugend angemerkt, dass Leistungsminderungen hierdurch nicht zu begründen sind. Die Kopfschmerzen
können auch bedarfsweise bzw. prophylaktisch mit guten Erfolgsaussichten ambulant medikamentös behandelt werden.
Das Gutachten von Dr. C. vermag an dieser Leistungsbeurteilung nichts zu ändern. Insoweit ist zunächst anzumerken, dass dieses
im Januar/Februar 2016 erstellt wurde und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für
die Klägerin schon nicht mehr gegeben sind.
Davon abgesehen hält auch Dr. C. überwiegend sitzende und in einem geschützten Rahmen stehende Tätigkeiten von 6-8 Stunden
mit einfachen Überwachungsaufgaben für zumutbar. Nicht überzeugend ist, dass dies erst nach "Exposition und Eingliederung"
möglich sein soll. Eine Begründung hierfür bleibt Dr. C. schuldig.
Darüber hinaus hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass die Exploration durch Dr. C. sehr beschwerdezentriert ist
und keine Angaben zu einem üblichen Tagesablauf oder zu Alltagsaktivitäten enthält. Aus den einzigen Feststellungen zum psychischen
Befund, nämlich dass die Klägerin im Gespräch affektiv leicht niedergestimmt ist, keine produktiven Symptome zeigt und auf
Fragen adäquat antwortet, lassen sich auch nach Einschätzung des Senats keine gravierenden psychischen Störungen ableiten,
die zu einer Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens führen könnten. Dr. C. hat ebenfalls ausgeführt, dass die
von der Klägerin demonstrierte rechtsseitige Fußheberparese zwar klinisch zu beobachten, elektrophysiologisch jedoch "schlecht
zu objektivieren" gewesen sei. Soweit Dr. C. sich auf eine Einschränkung der bimanuellen Geschicklichkeit der Klägerin bezieht,
ist darauf hinzuweisen, dass hierzu eine detaillierte Feinmotorikprüfung durch Dr. C. fehlt. Dr. D. konnte insoweit noch keine
gravierenden Einschränkungen erkennen.
Nach alledem ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin jedenfalls bis 31. Juli 2015, aber auch darüber hinaus noch
in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig zu verrichten.
Dessen ungeachtet hätte die Klägerin dann einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn bei ihr eine Summierung
ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen würde und ihr keine Tätigkeit
benannt werden könnten, die sie trotz der qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten
kann. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung
ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 5 RJ 64/02 R, in [...]). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal "Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen" trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur
einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang
zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen,
weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle
bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen
gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG Urteil vom 10. Dezember 2003, B5 RJ 64/02 R, in [...]).
Bei der Frage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, sind grundsätzlich alle qualitativen Einschränkungen
zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem Erfordernis "körperlich leichte Arbeit" erfasst werden. Es umfasst begrifflich
unter anderem solche Leistungseinschränkungen, die das Seh- und Hörvermögen, die Handbeweglichkeit oder die Einwirkung bestimmter
Witterungseinflüsse (Kälte, Nässe, Staub) betreffen (Kassler Kommentar zum SGB, §
43 SGB VI Rn. 47).
Bei der Prüfung von Verweisungstätigkeiten im Rahmen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen sind an das
Benennungsgebot nicht derart strenge Anforderungen zu stellen wie bei einer Verweisung im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs
auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Hier genügt jedenfalls die Bezeichnung von Arbeitsfeldern
wie Prüfer, Montierer oder Verpacker von Kleinteilen (KassKomm-Niesel §
240 SGB VI Rdn. 117, BSG, Urteil vom 19. August 1997 - 13 RJ 57/96, in [...]).
Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass bei der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine
schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Zwar ist die Fingerbeweglichkeit aufgrund des doppelseitigen Karpaltunnelsyndroms
sicherlich eingeschränkt. Daraus resultieren aber nach den Feststellungen von Dr. D. keine qualitativen Leistungseinschränkungen,
nach der Einschätzung von Dr. S. nur der Ausschluss von Arbeiten mit sehr hohen Geschicklichkeitsanforderungen. Arbeiten,
die insoweit nur normale Anforderungen stellen, können also von der Klägerin verrichtet werden. Dadurch wird auch bei Mitberücksichtigung
der sonstigen qualitativen Leistungseinschränkungen das der Klägerin offen stehende Tätigkeitsfeld auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
nicht wesentlich eingeschränkt.
Davon abgesehen ist die Klägerin nach der überzeugenden Einschätzung von Dr. D. jedenfalls in der Lage, 6 Stunden täglich
eine Tätigkeit etwa als Tagespförtnerin oder Telefonistin zu verrichten.
Dr. D. stand dabei eine berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Hessen vom 27. Juli 2014 zu diesen Tätigkeiten
zur Verfügung. Bei der Tätigkeit als Tagespförtnerin handelt es sich um eine meist körperlich leichte Arbeit in geschlossenen
temperierten Räumen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Die Tätigkeit erfordert keine
besonderen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen. Eine ständige nervliche Belastung oder dauernder Zeitdruck wie beispielsweise
Akkordarbeit sind damit nicht verbunden, wobei Stresssituationen nicht ganz zu vermeiden sind. Eine wechselnde Arbeitshaltung
ist durch den Einsatz ergonomisch gestalteter Arbeitsplatzausstattungen möglich. Schichtdienst ist je nach Arbeitsort möglich.
Diesen Leistungsanforderungen wird die Klägerin trotz der bei ihr vorliegenden Leistungseinschränkungen gerecht. Schwere Tätigkeiten
wie das schwere Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, häufiges Bücken fallen hierbei nicht an. Die nicht wesentlichen
Einschränkungen der Gebrauchsfähigkeit der Hände machen es der Klägerin nicht unmöglich, die im Rahmen von Pförtnertätigkeiten
anfallenden Verrichtungen (Kontrolle von Werksausweisen, Ausstellen von Besucherkarten, Anmeldung bei der zuständigen Stelle,
Aushändigen von Formularen, Aufbewahren von Fundsachen und Gepäck und das Verwalten von Schlüsseln und Schließanlagen sowie
ggf. einfache Bürotätigkeiten) zu erledigen.
Der Senat hält darüber hinaus in Übereinstimmung mit Dr. D. auch Tätigkeiten als Telefonistin für leidensgerecht. Diese Tätigkeit
umfasst die Bedienung von Telefon- und Fernsprechzentralen. Dazu gehört die Erteilung von Auskünften, die Weiterleitung und
Registrierung von Gesprächen, die Entgegennahme und Weitergabe von Telefonnotizen, Telefaxen, E-Mails usw. Hierbei handelt
es sich um körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten Räumen. Die Tätigkeit kann in wechselnder Körperhaltung,
überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen ausgeübt werden. Eine wechselnde Arbeitshaltung ist durch den Einsatz
ergonomisch gestalteter Arbeitsplatzausstattungen möglich. Die Tätigkeit erfordert gute Sprech- und Hörfähigkeit. Insoweit
bestehen bei der Klägerin jedoch keinerlei Einschränkungen. Der bei der Tätigkeit als Telefonistin auftretende gelegentliche
Zeitdruck ist zumutbar.
Bei beiden Tätigkeiten handelt sich um ungelernte Arbeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist und die nach
einer entsprechenden Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit von bis zu 3 Monaten von der Klägerin verrichtet werden können. Auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt stehen insoweit hinreichend Arbeitsplätze, auch für Betriebsfremde, zur Verfügung.
Die Klägerin bedarf auch keiner unüblichen Pausen mit der Folge, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für sie verschlossen wäre.
Ein solcher unüblicher Pausenbedarf resultiert insbesondere nicht daraus, dass die Klägerin bedingt durch ihre Stuhl- und
Harninkontinenz ggf. öfters die Toilette aufsuchen muss.
Nach § 4 Arbeitszeitgesetz steht vollschichtig tätigen Arbeitnehmern eine Ruhepause von 30 Minuten zu. Die Ruhepause kann nach Satz 2 dieser Bestimmung
in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden. Diese Pausen kann die Klägerin somit für Toilettengänge
nutzen. Über die nach dem Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen Pausen hinaus werden Arbeitnehmern in gewissem Umfang auch noch sogenannte Verteilzeiten zugestanden (Zeiten
z. B. für den Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten beziehungsweise Aufräumen des Arbeitsplatzes,
den Gang zur Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte usw.; vgl. z. B. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 6. April 2001, Az.: L 5 RJ 641/98). Die Klägerin kann damit diese Verteilzeiten ebenfalls für Toilettengänge nutzen, so dass ein unüblicher Pausenbedarf nicht
vorliegt. Dies wurde von Dr. S. auch ausdrücklich so bestätigt. Soweit Dr. C. ausführt, die Klägerin bedürfe innerhalb 1 Stunde
einer 10-minütigen Pause, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Eine Begründung hierfür ist nicht ersichtlich.
Schließlich besteht bei der Klägerin auch keine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit. Nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Das BSG hält dabei eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die es dem Versicherten nicht erlaubt, täglich viermal eine Fußstrecke
von mehr als 500 Metern in weniger als 20 Minuten zurückzulegen, für eine derart schwere Leistungseinschränkung, dass der
Arbeitsmarkt trotz vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Urteil vom 21. März 2006, B 5 RJ 51/04 unter Hinweis auf Großer Senat in BSGE 80, 24, 35).
Eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit der Klägerin wurde von keinem Sachverständigen angenommen. Der Benutzung
von öffentlichen Verkehrsmittel steht nichts im Wege, so dass dahinstehen kann, ob die Klägerin noch in der Lage ist, ein
Kfz zu führen.
Die Berufung war damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§§
183,193
SGG) berücksichtigt, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. §
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor.