Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das sozialgerichtliche Verfahren S 5 AS 514/08 durch Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung am 20.5.2010 erledigt worden ist.
Der 1950 geborene Kläger begehrte im Verfahren vor dem Sozialgericht Landshut mit dem Aktenzeichen S 5 AS 514/08 die Aufhebung der Bescheide der Beklagten vom 14.2.2008 und vom 7.5.2008 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 17.7.2008,
mit denen ihm Leistungen für die Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum
vom 1.2.2008 bis zum 30.6.2008 bewilligt wurden. Er hatte durch seine Prozessbevollmächtigte beantragt, die Beklagte zu verpflichten,
ihm Leistungen für Unterkunft und Heizung ohne Berücksichtigung der "Kopfzahlmethode" in voller Höhe für einen Ein-Personenhaushalt
zu bewilligen.
Am 20.5.2010 fand vor dem Sozialgericht Landshut eine mündliche Verhandlung statt, an der der Kläger zusammen mit seiner Prozessbevollmächtigten
teilnahm. Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage erklärte, ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung, die Prozessbevollmächtigte
des Klägers mit dessen Einverständnis: "Wir nehmen die Klage zurück". Aus dem Protokoll ergibt sich weiter, dass diese Erklärung
vorgelesen und genehmigt wurde.
Mit Schreiben vom 17.6.2010, beim Sozialgericht Landshut am 21.6.2010 eingegangen, hat der Kläger die Klagerücknahme vom 20.5.2010
angefochten. Zur Begründung hat er sinngemäß vorgetragen, er sei benachteiligt worden. Er habe dem Prozess nur schlecht folgen
können, da so leise gesprochen worden sei und eine Übersetzung ins Rumänische nicht erfolgte. Seine Rechtsbeschwerde sei begründet
und daher sei die angefochtene Entscheidung aufzuheben und über die Sache neu zu entscheiden.
Das Sozialgericht Landshut hat daraufhin das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 5 AS 783/10 FdV fortgesetzt und nach entsprechender Anhörung mit Gerichtsbescheid vom 22.12.2010 festgestellt, dass der Rechtsstreit
S 5 AS 514/08 durch Klagerücknahme erledigt sei. Die Klagerücknahme sei ausdrücklich durch die bevollmächtigte Rechtsanwältin mit dem Einverständnis
des Klägers erklärt worden. Zweifel an der Wirksamkeit dieser Erklärung würden nicht bestehen. Die Klagerücknahme sei eine
Prozesshandlung, die nicht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts angefochten werden könne. Lediglich ausnahmsweise
könne sie widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§
179,
180 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) erfüllt seien. Diese würden nicht vorliegen.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 24.1.2011 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Richterin der
ersten Instanz habe ihm in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass seine Klage unzulässig sei und er sie zurücknehmen
solle. Die Beklagte habe zu Unrecht die Kosten der Unterkunft nach der "Kopftzahlmethode" berechnet. Diese sei bei ihm und
seiner Lebensgefährtin nicht anzuwenden. Er bitte um eine erneute Überprüfung seines Falles.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 22.12.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide
vom 14.2.2008 und 7.5.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.7.2008 zu verurteilen, die Kosten der Unterkunft
in voller Höhe zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten
sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte und statthafte Berufung ist gemäß §§
143,
151 SGG zulässig. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Das Verfahren S 5 AS 514/08 ist durch die Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung am 20.5.2010 erledigt worden. Dies wurde vom Sozialgericht ordnungsgemäß
in der Sitzungsniederschrift protokolliert, vorgelesen und genehmigt (§§
153 Abs.
1,
123 SGG i.V.m. §
162 Zivilprozessordnung -
ZPO -). Die Niederschrift wurde von der Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin gemäß §
163 ZPO unterschrieben.
Nach §
102 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der
Hauptsache.
Die Abgabe der Klagerücknahmeerklärung durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers wird durch das Sitzungsprotokoll vom 20.05.2010
bewiesen, das als öffentliche Urkunde Beweis für die tatsächliche Abgabe der darin bekundeten Erklärung begründet (§
118 Abs
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
415 Abs
1 Zivilprozessordnung -
ZPO -). Das Sitzungsprotokoll ist auch geeignet, über die Abgabe einer derartigen Erklärung Beweis zu begründen (vgl. §
122 SGG i.V.m. §
160 Abs
3 Nr.
8 ZPO). Die Erklärung ist der Bevollmächtigten und dem Kläger vorgelesen und von ihnen genehmigt worden (§
122 SGG i.V.m. §
162 Abs
1 ZPO), so dass alle für die Errichtung des Protokolls vorgeschriebenen Förmlichkeiten beachtet worden sind. Kein Zweifel besteht
daran, dass der Kläger bei Abgabe dieser Erklärung prozessfähig war. Es liegen keine objektiven Anhaltspunkte und erst recht
keine Nachweise für eine einmalige und zeitlich beschränkte Prozessunfähigkeit vor.
Die wirksam erklärte Zurücknahme der Klage kann nicht durch Anfechtung oder Widerruf beseitigt werden. Die Klagerücknahme
ist eine Prozesshandlung, die auch im Falle eines Irrtums über den Inhalt oder die Reichweite der abgegebenen Erklärung im
Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht anfechtbar oder widerrufbar ist (vgl. Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte,
SGG, 1.Aufl. 2008, §
102 RdNr. 6). Der Vortrag des Klägers, die Verhandlung sei zu leise geführt worden und ihm habe kein Dolmetscher zur Verfügung
gestanden, weshalb er dem Prozess nur schlecht habe verfolgen können, führt nicht zu einer wirksamen Anfechtung der Klagerücknahme.
Zum einen verfasst der Kläger seine Schriftsätze in verständlichem Deutsch, so dass nicht ersichtlich ist, dass er der deutschen
Sprache nicht mächtig ist, zum anderen war er in der mündlichen Verhandlung von einer ordnungsgemäß bevollmächtigten Rechtanwältin
vertreten. Es bestehen keine Anhaltspunkte und wurde vom Kläger auch nicht vorgetragen, dass seine Prozessbevollmächtigte
die Rechtsfolgen einer Klagerücknahme nicht abschätzen konnte.
Ein Wiederaufgreifen eines durch Zurücknahme der Klage beendeten Rechtsstreits ist ausnahmsweise dann möglich, wenn Wiederaufnahmegründe
im Sinne der §§
179,
180 SGG in Verbindung mit den §§
579 f
ZPO vorliegen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Als einseitige Prozesshandlung kann die Klagerücknahme nicht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts angefochten werden
(so z.B. BSGE 14, 139). Die Rücknahmeerklärung kann nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens
nach §§
179,
180 SGG erfüllt sind. Diese Voraussetzungen liegen offensichtlich nicht vor.
Eine Nichtigkeitsklage nach §
579 ZPO findet statt,
1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war,
3. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt des Ablehnungsgesuch
für begründet erklärt war,
4. wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung
ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat.
Solche schwersten Verstöße gegen das Prozessrecht liegen hier nicht vor und wurden auch nicht geltend gemacht.
Eine Restitutionsklage nach §
580 ZPO findet ausschließlich statt bei
1. falschem Parteieid,
2. Urkundenfälschung,
3. falschem Zeugnis oder Gutachten,
4. Urteilserschleichung,
5. Amtspflichtverletzung eines Richters,
6. Urteilsaufhebung und
7. bei Auffinden eines früheren Urteils oder einer anderen Urkunde.
Auch diese Wiederaufnahmegründe sind offensichtlich nicht erfüllt.
Da eine wirksame Klagerücknahme die Hauptsache erledigt (vgl. §
102 Satz 2
SGG), endete die Rechtshängigkeit der Klage in dem Verfahren S 5 AS 514/08. Eine wirksame Sachentscheidung ist nicht mehr zulässig.
Die Kostenentscheidung gemäß §
193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung keinen Erfolg hat.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs.2 Nr.1 und Nr. 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.