Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung; Rentenrechtliche Relevanz psychischer Erkrankungen
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin gegen die Beklagte auf ihren Antrag vom 19.04.2010 hin einen Anspruch
auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente nach §
43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB VI - hat.
Die 1963 geborene Klägerin ist italienische Staatsangehörige, die am 15.07.1977 aus Italien in die Bundesrepublik Deutschland
übersiedelte. Von September 1981 bis Juli 1983 absolvierte die Klägerin eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin, war danach
als Ehefrau und Mutter zunächst nicht berufstätig, anschließend in der eigenen Pizzeria/Eisdiele zusammen mit ihrem Vater
und ihrem Bruder selbständig tätig. Seit Januar 2006 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Seit Oktober 2005 steht sie
durchgehend im Bezug von Arbeitslosengeld II. Ein Grad der Behinderung von 30 ist zuerkannt.
Ein erster Rentenantrag vom 08.05.2008 wegen depressiven Angstzuständen wurde mit Bescheid der Beklagten vom 22.08.2008 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2008 abgelehnt. Die hiergegen zum Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage, die
unter dem Az.: S 3 R 1039/08 geführt wurde, wurde nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens von Dr. O. vom 29.06.2009 zurückgenommen.
Am 19.04.2010 stellte die Klägerin erneut einen Rentenantrag wegen wesentlicher Verschlimmerung der psychischen Erkrankung
seit dem Rentenantrag 2008. Sie habe sich in verschiedenen stationären Behandlungen befunden, zuletzt in der E.-Klinik E.
vom 26.01. bis 05.02.2010, wo eine rezidivierende depressive Episode, derzeit schwer, diagnostiziert worden sei.
Die Beklagte holte ein psychiatrisches Gutachten von Dr. H. ein, der am 27.06.2010 zu den Diagnosen Dysthymia und Angstsymptomatik
gelangt war. Die letzte Tätigkeit als Bedienung in einer Pizzeria könne die Klägerin nur noch drei bis unter sechs Stunden
verrichten. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe aber ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen unter Beachtung
qualitativer Leistungseinschränkungen. Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 05.07.2010 eine
Rentengewährung ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 02.12.2010 als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung der hiergegen am 05.01.2011 zum Sozialgericht Nürnberg erhobenen Klage haben die Prozessbevollmächtigten der
Klägerin darauf hingewiesen, dass sich die Depression der Klägerin deutlich verschlimmert habe. Es hätten umfangreiche ambulante
und stationäre nervenärztliche Behandlungen stattgefunden. Die Klägerin stehe unter Psychopharmaka in Dauermedikation. Sie
leide unter multiplen Ängsten und ständig auftretenden Panikattacken.
Nach Beiziehung ärztlicher Befundberichte hat das Sozialgericht ein nervenärztliches Gutachten von Dr. Z. eingeholt, die am
28.07.2011 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
- Angst und depressive Störung gemischt mit ängstlich vermeidender Persönlichkeitsentwicklung sowie expressiv-histrionischer
Persönlichkeitsakzentuierung
- Dysthymie
- deutliche Somatisierungsstörung.
Es handle sich hierbei um echte psychische Krankheitsbilder und echte Versagenszustände von Krankheitswert. Diese könne die
Klägerin aber unter eigener zumutbarer Willensanstrengung und mit ärztlicher Hilfe insoweit überwinden, dass auch die Wiederaufnahme
einer Tätigkeit zumutbar wäre. Auch im jetzigen Zustandsbild wäre die Aufnahme einer Tätigkeit zumutbar. Die Einschätzung
der Gesundheitssituation decke sich mit den beiden Vorbegutachtungen bei Dr. H. und Dr. O ... Aufgrund der ängstlich-vermeidenden
Persönlichkeitszüge, Angst und Depression gemischt, die glaubhaft vor allem auch bei großem Publikumsverkehr aufträten, sei
die Klägerin nur noch in quantitativ eingeschränktem Maße drei- bis unter sechsstündig in der Pizzeria eher zu Nebenzeiten
einsetzbar. Allerdings wäre eine Tätigkeit z. B. in der Küche, wo kein ständiger Parteiverkehr bestehe, auch in der Pizzeria
noch durchaus über sechsstündig abverlangbar. Tätigkeiten, bei denen sie im Lokal bediene und ständigen Kundenkontakt durchführen
müsse, seien aber nur noch quantitativ eingeschränkt durchführbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien weiterhin leichte
und gelegentlich mittelschwere Arbeiten ohne großen Publikumsverkehr und ohne zu große Anforderungen an Umstellungs- und Anpassungsvermögen
vollschichtig möglich. Jedwede Art von Hilfstätigkeiten, auch Tätigkeiten wie Sortiererin, Montiererin, Etikettiererin, seien
ohne weiteres durchführbar, wenn allzu schwere Belastungen des Achsenorgans vermieden würden. Als körperliche Arbeiten seien
leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten zumutbar. Diese könnten im Sitzen, Stehen und in wechselnder Stellung sein.
Überwiegendes Gehen und Stehen sollte in Anbetracht der geschilderten Schmerzzustände vermieden werden, ebenso dauernde Zwangshaltungen
mit Notwendigkeit zu Überkopfarbeiten. Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung wie Akkord- und Fließbandarbeit, Nachtschicht
sollten vermieden werden, Wechselschicht wäre im Zweischichttagprinzip noch möglich, Arbeiten an laufenden Maschinen sollten
vermieden werden bei Mitteilung, sich durch die Medikation vermehrt müde zu fühlen. Tätigkeiten mit besonderer Belastung des
Stütz- und Bewegungssystems sollten nicht mehr ausgeübt werden, ebenfalls keine Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen
und Gerüsten, keine Tätigkeiten an laufenden Maschinen. Bei brennenden Schmerzen sollten auch ungünstige Witterungsbedingungen
vermieden werden. Tätigkeiten sollten nicht im Freien ausgeübt werden. Die Fingerfertigkeit und die körperliche Beweglichkeit
seien ansonsten nicht beeinträchtigt gewesen, ebenfalls nicht das Seh-, Sprech-, Hör- und Konzentrationsvermögen. Der Publikumsverkehr
sollte auf ein möglichst geringes Maß reduziert werden. Moderater Publikumsverkehr sei jedoch durchaus abverlangbar. Das intellektuelle
Leistungsvermögen wirke durchschnittlich, die Klägerin zeige sich durchaus in der Lage, eigene Interessen und Ansprüche auch
zu vertreten. Das festgestellte Leistungsbild der Klägerin sei seit Beginn des Rentenverfahrens unverändert. Die qualitativen
Einschränkungen seien wahrscheinlich wegen Chronifizierungen in den letzten Jahren mit erheblichem sekundärem Krankheitsgewinn
in Form von Zuwendung durch die Familie, Versorgung, erheblicher regressiver Tendenz der Klägerin nur schwierig zu beheben.
Eine quantitative Einschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werde aber nicht gesehen. Eine Tätigkeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt von sechs Stunden und mehr unter Beachtung der Einschränkungen müsste der Klägerin durchaus derzeit ohne Durchführung
weiterer Maßnahmen abverlangbar sein. Es bestehe eine begleitende Psychotherapie und nervenärztliche Mitbehandlung. Die depressive
Symptomatik oder eine eventuelle Antriebsstörung erschienen im Gespräch nicht so ausgeprägt, dass die Aufnahme einer Tätigkeit
nicht zumutbar wäre.
Das Sozialgericht hat auf den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 14.10.2011 eine ergänzende Stellungnahme
von Dr. Z. eingeholt, die am 01.12.2011 bei der getroffenen Einschätzung geblieben ist. Die von der Klägerin geschilderte
Schmerzsymptomatik in der Halswirbelsäule sei im Gutachten durchaus gewürdigt worden. Es habe keine Reflexdifferenz an den
Armen, keine permanente Sensibilitätsstörung, keine Parese, wie für die Diagnose eines klinisch relevanten Bandscheibenvorfalls
zu fordern wäre, gefunden werden können. Die Schmerzsymptomatik sei Ausdruck ihrer somatoformen Schmerzstörung. Körperliche
Einschränkungen, die zu einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens hätten führen können, hätten nicht festgestellt
werden können.
Mit Urteil vom 17.02.2012 hat das Sozialgericht die Klage gegen den Bescheid vom 05.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 02.12.2010 als unbegründet abgewiesen. Die psychische Erkrankung der Klägerin führe nach dem Gutachten von Dr. Z. nur
zu qualitativen Leistungseinschränkungen. Die geltend gemachten Rückenprobleme habe die Gutachterin in ihre Begutachtung mit
einbezogen, es fände keine laufende Behandlung der orthopädischen Leiden der Klägerin statt. Es könnten nur qualitative Leistungseinschränkungen
gesehen werden. Auch aus der B.-Klinik Ende 2009 sei die Klägerin schließlich als arbeitsfähig entlassen worden. Ein Anspruch
auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach §
240 SGB VI komme aufgrund des Alters der Klägerin nicht in Betracht.
Zur Begründung der hiergegen am 10.04.2012 zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung trägt der Prozessbevollmächtigte
der Klägerin vor, dass das Sozialgericht seine Aufklärungspflicht verletzt habe. Das Gutachten von Dr. Z. sei im September
2011 erstellt worden. Die Klägerin sei im Februar 2012 im "Upright-MRT" in M. gewesen, wo diverse Bandscheibenvorfälle im
HWS- und BWS-Bereich festgestellt worden seien. Diese objektiv vorliegenden Erkrankungen seien vom Gericht nicht gewürdigt
worden. Frau Dr. Z. habe dies in ihrem Gutachten noch als subjektiv empfundene Einschränkungen, als Teil der somatoformen
Schmerzstörung gewertet. Dies sei nachweislich unzutreffend.
Der Senat hat Befundberichte der Allgemeinärztin D., des Neurologen Dr. C. sowie der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
C. beigezogen und sodann ein neurologisch/psychiatrisches Gutachten von Dr. E. eingeholt. Dieser ist am 04.01.2014 zu folgenden
Diagnosen gelangt:
- Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradige Episode
- Agoraphobie mit Panikstörung
- undifferenzierte Somatisierungsstörung.
Die Klägerin könne trotz der genannten Gesundheitsstörungen nach wie vor Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch vollschichtig
verrichten. Sie sei allerdings nicht mehr in der Lage, die Tätigkeit einer Bedienung in einer Pizzeria auszuüben. Gegen Letzteres
spreche die verringerte psychophysische Belastbarkeit mit Neigung zu Ängsten und Vermeidungsverhalten in exponierten Situationen.
Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne die Klägerin jedoch noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Zu beachten
seien qualitative Leistungseinschränkungen im Hinblick auf nervlich belastende Tätigkeiten. Nicht mehr ausgeübt werden könnten
Tätigkeiten unter Zeitdruck, im Akkord, in der Nachtschicht, am Fließband, mit besonderer Verantwortung, Steuerungstätigkeiten,
aber auch Tätigkeiten in Gefahrenbereichen sowie Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems, beispielsweise
Tätigkeiten mit ständigem Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten ohne Hilfsmittel. Ausgeübt werden könnten
leichtere körperliche Tätigkeiten, überwiegend im Sitzen sowie in wechselnder Position. Leichte bis mittelgradige Einschränkungen
bestünden krankheitsbedingt für die Konzentrationsfähigkeit, das Reaktionsvermögen und die Umstellungsfähigkeit sowie die
Ausdauer. Keine relevanten Einschränkungen bestünden für die Merkfähigkeit, das Verantwortungsbewusstsein und die Gewissenhaftigkeit,
die Leistungsmotivation, die Selbstständigkeit des Denkens und Handelns, das Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögen sowie
die praktische Anstelligkeit und Findigkeit. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben. Die festgestellten Erwerbsfähigkeitsbeschränkungen
bestünden relativ unverändert in den letzten Jahren, insbesondere seit April 2010 ohne wesentliche Änderung. Es könnten derzeit
weder eine Heilbehandlung noch berufsfördernde Maßnahmen empfohlen werden. Im Vordergrund stehe eine Intensivierung ambulanter
Behandlungsmaßnahmen.
Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 25.02.2014 war ein Antrag nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf Anhörung des behandelnden Arztes Dr. C. gestellt worden. Mit Schreiben vom 12.08.2014 hat Dr. C. die Gutachtenserstellung
abgelehnt, da er als behandelnder Arzt nicht über die notwendige objektive Distanz verfüge. Mit Schriftsatz vom 11.09.2014
haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ohne weitere Begründung mitgeteilt, dass auf ein Gutachten nach §
109 SGG verzichtet werde.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.02.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 05.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 02.12.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung,
hilfsweise
wegen teilweiser Erwerbsminderung auf den Antrag vom 19.04.2010 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.02.2012 zurückzuweisen.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten, die Akten des Sozialgerichts
Nürnberg mit dem Az. S 3 R 1039/08 sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
144,
151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht mit Urteil vom 17.02.2012 einen Anspruch der Klägerin auf
Gewährung von Erwerbsminderungsrente aufgrund des Rentenantrags vom 19.04.2010 abgelehnt. Der Bescheid der Beklagten vom 05.07.2010
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.2010 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Gemäß §
43 Abs
1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1.teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung
haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß §
43 Abs
1 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach §
43 Abs
2 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin trotz der bei ihr festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen
nach wie vor in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen
noch mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zu vermeiden sind nervlich belastende Tätigkeiten wie Tätigkeiten unter
Zeitdruck, im Akkord, in der Nachtschicht, am Fließband, mit besonderer Verantwortung, Steuerungstätigkeiten, aber auch Tätigkeiten
in Gefahrenbereichen sowie Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems, beispielsweise Tätigkeiten
mit ständigem Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten ohne Hilfsmittel. Ausgeübt werden können hingegen leichte
körperliche Tätigkeiten, überwiegend im Sitzen sowie in wechselnder Position.
Der Senat stützt dabei seine Überzeugung auf die eingeholten Gutachten von Dr. Z. und Dr. E ... Beide Sachverständige kommen
überzeugend zu der Einschätzung, dass die Klägerin zwar ihre Tätigkeit als Bedienung in der Pizzeria nicht mehr im Umfang
von 6 Stunden täglich ausüben kann. Dies ist hier allerdings unbeachtlich, da eine Rente nach §
240 SGB VI wegen des Alters der Klägerin ohnehin nicht in Betracht kommt. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt besteht jedoch noch ein uneingeschränktes
quantitatives Leistungsvermögen von mindestens 6 Stunden täglich, sofern die genannten Einschränkungen bei der Art der Tätigkeit
beachtet werden.
Die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin liegen zum einen auf orthopädischem Fachgebiet in Form von Bandscheibenvorfällen
bzw. -protrusionen im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule. Funktionelle Einschränkungen bestehen hierdurch allerdings nicht.
Sowohl Dr. Z. als auch Dr. E. haben festgestellt, dass sich keine neurologischen Ausfälle oder Paresen finden, der Neurostatus
zeigte sich unauffällig, trotz der Befunde der upright-MRT-Untersuchung aus dem Februar 2012. Eine orthopädische Behandlung
der Klägerin findet nicht statt, eine dauerhafte Medikamenteneinnahme ist ebenfalls nicht erforderlich. Der Senat folgt daher
der Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen, dass aus den orthopädischen Erkrankungen lediglich qualitative Leistungseinschränkungen
hinsichtlich der Schwere der Tätigkeiten sowie hinsichtlich Zwangshaltungen gefolgert werden müssen. Die Einholung eines weiteren
orthopädischen Sachverständigengutachtens hält der Senat - bei unstreitigen Diagnosen - nicht für erforderlich.
Die wesentlichen gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin liegen unzweifelhaft auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet
in Form einer depressiven Erkrankung, einer Agoraphobie mit Panikstörung und einer unspezifischen Somatisierungsstörung. Nach
Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. Z. und Dr. E. sind diese Störungen jedoch zum einen behandelbar, d. h. die
bestehenden Behandlungsoptionen sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft, und zum anderen können diese Einschränkungen von
der Klägerin selbst unter eigener Willensanstrengung überwunden werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) und des Senats werden psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös,
therapeutisch, ambulant oder stationär) davon auszugehen ist, dass der Versicherte die psychischen Einschränkungen weder aus
eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe dauerhaft nicht mehr überwinden kann (BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89; BSG Urteil vom 29.03.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils zitiert nach [...]; BayLSG Urteil vom 12.10.2011 - L 19 R 738/08; BayLSG Urteil vom 30.11.2011 - L 20 R 229/08; BayLSG Urteil vom 18.01.2012 - L 20 R 979/09; BayLSG Urteil vom 15.02.2012 - L 19 R 774/06; BayLSG Urteil vom 21.03.2012 - L 19 R 35/08).
Solange zumutbare Behandlungsoptionen bestehen, die auf absehbare Zeit die Möglichkeit einer Überwindung dieser Erkrankungen
erwarten lassen, kommt eine Rentengewährung deshalb nicht in Betracht. Der Senat sieht vorliegend solche Behandlungsmöglichkeiten
und schließt sich der Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen auch insoweit an. Die Klägerin befindet sich zwar in nervenärztlicher
Behandlung, nach Auskunft ihrer behandelnden Fachärztin für Psychiatrie aber nur in unregelmäßigen Abständen. Diese diagnostiziert
selbst nur eine leichte depressive Episode und verweist auf eine Fremddiagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Eine psychotherapeutische Betreuung der Klägerin findet aktuell nicht statt. Die Klägerin gibt an, erhebliche Mengen an Psychopharmaka
bzw. Schmerzmitteln einzunehmen, bei einer Testung des Blutserumspiegels konnten diese teilweise nicht, teilweise nur in unzureichenden
Mengen nachgewiesen werden. Die Klägerin sieht sich selbst als schwer depressiv an, in der Fremdbeurteilung ergab sich lediglich
eine leichte depressive Symptomatik. Eine Besserung der psychischen Beschwerden durch eine Intensivierung der ambulanten Behandlungen,
durch die Aufnahme einer psychotherapeutischen Behandlung sowie durch eine Änderung der Medikation erscheint zumindest in
absehbarer Zeit deshalb nicht ausgeschlossen. Die von der Klägerin in der Vergangenheit absolvierten stationären Behandlungen
hatten jeweils eine akute Krisenintervention als Hintergrund, die durch die Behandlungen auch jeweils einer deutlichen Besserung
zugeführt werden konnten. Aus der Klinik B. wurde die Klägerin sogar als arbeitsfähig entlassen.
Gegen eine massive Einschränkung der Leistungsfähigkeit durch die psychischen Erkrankungen der Klägerin spricht auch der von
ihr gegenüber den gerichtlichen Sachverständigen geschilderte Tagesablauf, der die Klägerin durchaus als aktive, nach außen
orientierte Persönlichkeit zeigt, die soziale Kontakte zu ihrer Familie und zu Freunden unterhalten kann, die ihren Haushalt
erledigen, sich um ihr Enkelkind kümmern kann, die sich allerdings gegenüber den Sachverständigen zugleich als völlig zurückgezogen
schildert. Insoweit erscheinen die Angaben der Klägerin als inkonsistent. Auch Dr. Z. und Dr. E. stellen diese Inkonsistenz
fest. Dr. E. hält fest, dass die Klägerin sich als Opfer ihrer Kindheit in einem katholischen, von Nonnen geführten Internat
in Italien sieht, die durch Trennung von ihren Eltern im Kindesalter eine frühzeitige Verlustangst entwickelt hat. Sie gibt
an, sich bereits damals um ihre Geschwister kümmern zu müssen, ihnen als Mutterersatz zu dienen, bis die Eltern die Kinder
nach Deutschland nachkommen ließen. Im Alter von 14 Jahren kommt die Klägerin schließlich nach Deutschland zu ihren Eltern
und entwickelt Schwierigkeiten, sich wieder in die Primärfamilie einzugliedern. Gleichwohl absolviert sie eine Ausbildung
zur Hauswirtschafterin, heiratet früh und bekommt auch ein Kind, das sie versorgt. Sie wird in der gemeinsamen Pizzeria/Eisdiele
zusammen mit ihrem Vater und ihrem Bruder selbständig tätig. Bis 1999 scheint beruflich und familiär das Leben der Klägerin
geordnet abzulaufen. Ein wesentlicher Einschnitt war dann offensichtlich der Tod ihrer Mutter sowie der Umstand, dass ihr
erster Ehemann ihr gemeinsames Vermögen "verspekulierte" und erhebliche Schulden aufgebaut hatte. Hinsichtlich des Todes ihrer
Mutter gab die Klägerin an, dass sie es in der gesamten Zeit des Zusammenlebens in Deutschland nicht mehr geschafft hätte,
zu ihr ein ungetrübtes Verhältnis aufzubauen und die Trennungsjahre zu verarbeiten. Gleichzeitig sei es ihr nicht gelungen,
zu ihren eigenen Töchtern ein liebevolles Verhältnis zu haben, dies habe sich erst entwickeln müssen. Inkonsistent sind die
Schilderungen der Klägerin insoweit jedoch auch deswegen, weil sie sich erst aufgrund der zunehmenden Berichterstattung in
den Medien über Missbrauch in der katholischen Kirche daran erinnert hat, wie belastend die Zeit in dem Internat für sie gewesen
sei, obwohl sie angibt, dass es dort keine sexuellen Übergriffe gegeben hat. Wesentlich erscheint für sie offenbar auch, dass
ihr Vater noch heute kein Verständnis dafür hat, dass es ihr in dem Internat nicht gut ging. Der gerichtliche Sachverständige
Dr. E. hat dies in seinem Gutachten dahingehend formuliert, dass die Klägerin von einem "ursprünglich geforderten Leben" (Mutterersatz
für Geschwister, eigene Entbehrungen über viele Jahre) in ein "forderndes Leben" übergegangen sei und sie aufgrund der umfassenden
Fürsorge durch andere Familienmitglieder einen wohl nicht unerheblichen sekundären Krankheitsgewinn genieße, der die Klägerin
auch an einer Änderung ihrer Einstellung und Bewältigung der psychischen Erkrankungen hindern könnte. Die Klägerin ist in
der Lage, andere Familienmitglieder für sich entsprechend einzusetzen bzw. von ihnen ein entsprechendes Engagement einzufordern.
Sie hat nach wie vor Ressourcen und Kompetenzen für eine aktive Alltagsausgestaltung, sie ist an ihrer Umwelt interessiert.
Ein ausgeprägtes Rückzugs- und Vermeidungsverhalten der Klägerin lässt sich nicht feststellen. Gegenüber der Sachverständigen
Dr. Z. hatte die Klägerin noch angegeben, das Haus zu verlassen, Besorgungen zu machen, ihre Tochter und das Enkelkind zu
besuchen, Arzt- und Therapietermine wahrzunehmen, zu kochen und zu putzen (wenn auch wohl pedantisch und zwanghaft). Gegenüber
Dr. E. gab die Klägerin hingegen an, auch wegen des Essens das Haus nicht mehr zu verlassen. Sie lasse nur noch vom Balkon
einen Korb zur Pizzeria hinab, ihr Vater versorge sie dann mit Essen, das er in den Korb stelle. Dr. E. beschreibt die Klägerin
als akzentuierte Persönlichkeit mit deutlichen histrionischen Zügen, die im Rahmen einer Selbstwertproblematik zur Mobilisation
von Ängsten und dysthymen Reaktionen neigt, die durchaus zu einer Beeinträchtigung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit
führen und auch den Alltag der Klägerin prägen, die auch zu einer Verminderung der Belastbarkeit und der Leistungsfähigkeit
der Klägerin führen. Dies ist aber mit ärztlicher/therapeutischer Hilfe sowie unter zumutbarer Anstrengung des eigenen Willens
überwindbar.
Der Umstand, dass für die Klägerin ein erheblicher sekundärer Krankheitsgewinn bestehen dürfte, zeigt sich in der nur unzureichenden
Behandlung und Medikation, aber auch in den eigenen Angaben der Klägerin. Bei Dr. Z. klagte die Klägerin darüber, die Arbeit
in der Pizzeria nicht mehr ausüben zu können, wenn viele Gäste da sind. Auf die Frage, weshalb sie sich keine andere Arbeit
mit weniger Personenkontakt gesucht habe, verweist die Klägerin darauf, unter den Medikamenten zu leiden, die sie nehmen müsse.
Sie könne nachts nicht schlafen, müsse ständig brechen. Einer Änderung der Medikation war die Klägerin bei ihrer behandelnden
Ärztin jedoch nicht aufgeschlossen gegenübergestanden. Ferner verwies sie auf die Einnahme von Hormonen, insbesondere Östrogene.
Welche Auswirkungen die Einnahme von Östrogenen auf die Erwerbsfähigkeit haben könnten, erschließt sich dem Senat nicht. Zu
beachten ist auch der - oben bereits angeführte - Umstand, dass sich die Medikamente im Blutserum nur bedingt nachweisen ließen.
Bizarr mutet die Angabe der Klägerin an, wegen starker Schmerzen im Hals- und Brustbereich bei einem Orthopäden vorstellig
gewesen zu sein, der sie habe einrenken wollen, obwohl die Diagnose eines Bandscheibenvorfalles im Raum gestanden hat. Eine
MRT-Untersuchung hat die Klägerin aufgrund ihrer Agoraphobie nicht durchführen lassen, erst später in einem sog. Upright-MRT,
in das angeblich ihre Schwester mit hinein gemusst hätte.
Eine wesentliche Einschränkung der Schwingungsfähigkeit der Klägerin ist bei keinem Gutachter festgestellt worden. Vielmehr
wirkte die Klägerin allenfalls leichtgradig depressiv ausgelenkt. Sie ist wortreich und ausführlich, reagiert auf Themenwechsel
sehr schnell, allerdings imponiert auch immer wieder ein deutlich appellatives, regressives Verhalten. Sie fordert vielfältige
Unterstützung von ihrer Familie ein unter Betonung ihrer früheren Position als ständig Gebende in der Familie. Es finden sich
wiederholt Schilderungen der Klägerin, die sie als fürsorgende Mutter, Tante, Freundin darstellen, die dann nach gewisser
Zeit von der umsorgten Person aber nachhaltig enttäuscht wird (z. B. Aufnahme des Neffen, der gegenüber ihrer Tochter zudringlich
wird; der Transvestit Norbert, der sich zurückzieht, nachdem die Klägerin ihn mit einer Freundin bekannt macht; die Mutter
der Klägerin, die stirbt, noch bevor sie ihr Verhältnis zur Mutter bereinigen kann, obwohl sie täglich am Krankenbett sitzt;
der Vater, der die Familie auseinanderreißt, als er nach Deutschland geht, der nicht sehen will, dass seine Kinder im Internat
gelitten hatten, der allerdings die Pizzeria aufgebaut hat, von der wohl ein nicht unerheblicher Beitrag zum Lebensunterhalt
der Klägerin geleistet wird und der sich für die Finanzierung alternativer Behandlungsmethoden gegenüber der Klägerin nun
verantwortlich fühlt).
Auch in dem Gutachten von Dr. H. vom 27.06.2010 und in dem Bericht der B.-Klinik vom 22.10.2009 finden sich vergleichbare
Einschätzungen der Klägerin. Die B.-Klinik spricht in ihrem Entlassungsbericht von einer sehr guten Introspektionsfähigkeit
der Klägerin, die sich durch die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie positiv habe beeinflussen lassen. Sie konnte
damals als arbeitsfähig entlassen werden. Eine Fortführung einer ambulanten Psychotherapie zog die Klägerin jedoch nicht in
Betracht. Gegenüber Frau Dr. Z. gab die Klägerin dann jedoch an, sie habe bereits alles versucht was möglich gewesen sei,
um ihre Situation durch Behandlungen zu verbessern, es habe sich aber keine Besserung eingestellt. Sie ziehe sich immer mehr
zurück. Im Gutachten von Dr. Z. ist aber auch festgehalten, dass sich die Klägerin mit der Arzthelferin bei den durchgeführten
Tests über ihr Enkelkind unterhält und eine Störung im Kontaktverhalten mit fremden Personen im Sinne eines phobischen Verhaltens
in keiner Weise die Rede sein kann. Bei Dr. E. gab die Klägerin an, sich nicht konzentrieren zu können, sie schaffe "höchstens
zwei Zeilen". Andererseits gab sie an, als Hobby Romane zu lesen, wenn auch keine Psychothriller mehr, weil sie sich zu stark
in die Erzählung hineinfühle. Der Exploration durch die Sachverständigen kann die Klägerin jeweils ohne besondere Probleme
auch über längere Zeit folgen. Während sie angibt, das Haus nicht mehr zu verlassen, sie gehe nicht mehr zum Friseur, es sei
ihr alles zuviel, stellt Frau Dr. Z. ein sehr gepflegtes Erscheinungsbild der Klägerin fest, mit blondiertem Haar, stark gezupften
Augenbrauen, goldenen Ohrringen und lackierten Fußnägeln. Keines der Gutachten dokumentiert bei der Klägerin einen sehr leidenden
oder stark eingeschränkten Eindruck.
Da die psychischen Erkrankungen der Klägerin nach den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen durchaus noch einer
Behandlung zugänglich sind und die Klägerin die dadurch bedingten, gegenwärtig vorliegenden Einschränkungen mit ärztlicher/therapeutischer
Hilfe und unter zumutbarer eigener Willensanstrengung noch überwinden kann, kommt ein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung
nicht in Betracht. Die Klägerin kann nach wie vor Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch im Umfang von mindestens
6 Stunden täglich verrichten, unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen.
Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.02.2012 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.