Versagung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende wegen fehlender Mitwirkung; Anordnungsanspruch im Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes; Bedarfsgemeinschaft bei vorübergehender räumlicher Trennung der Ehegatten
Gründe:
I. Gegenstand des Antragsverfahrens ist die Rechtmäßigkeit eines vorläufigen Entzuges von bewilligten Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gemäß §
66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) im Monat November 2009 entsprechend dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.10.2009 sowie die vorläufige Versagung von Arbeitslosengeld
II ab dem 01.12.2009 gemäß §
66 SGB I entsprechend dem Bescheid vom 04.12.2009.
Der 1950 geborene Antragsteller stellte erstmals am 17.12.2008 bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bis dahin bezog der Antragsteller Leistungen nach dem
SGB III (Alg I-Leistungen). Bei seinem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gab er an, in den
L.Straße zu leben und alleinstehend zu sein. Anschließend bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Arbeitslosengeld
II ab dem 01.01.2009. Am 11.05.2009 stellte der Antragsteller einen Weiterbewilligungsantrag und gab hierbei an, dass sich
seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert hätten. Mit Bescheid vom 17.06.2009 bewilligte die Antragsgegnerin
daraufhin wiederum Arbeitslosengeld II für einen Alleinstehenden für die Zeit vom 01.06.2009 bis 30.11.2009.
Am 07.10.2009 teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin mit, dass er innerhalb von A-Stadt von der L.Straße 5 in die A-Straße
umgezogen sei. Auch habe er im August 2009 Frau B. V. geheiratet. Der Mitteilung legte der Antragsteller den am 20.07.2009
geschlossenen Mietvertrag über die Wohnung in der A-Straße bei. Mietvertragsparteien waren der Antragsteller und Frau B. V.,
beide zuvor wohnhaft L.Straße 5 in A-Stadt.
Im Hinblick auf diese Mittelung lud die Antragsgegnerin den Antragsteller zu einem persönlichen Gespräch am 15.10.2009 ein.
Nach einem Aktenvermerk vom selben Tag erklärte der Antragsteller bei dieser Vorsprache, dass er zwar im August geheiratet
habe, seine Frau aber in der Schweiz wohne. Sie habe in A-Stadt lediglich einen Zweitwohnsitz. Der Mietvertrag sei nur deshalb
von beiden unterschrieben worden, weil seine Ehefrau vielleicht irgendwann wieder nach A-Stadt ziehen würde. Dies sei aber
noch nicht geplant. Er selbst bemühe sich, in der Schweiz eine Arbeit zu finden. Ein Zusammenziehen mit seiner Ehefrau sei
derzeit nicht geplant und seine Ehefrau halte sich höchstens zwei- bis dreimal im Jahr bei ihm auf. Seine Frau lebe derzeit
in der Schweiz, weil sie Verwandte pflegen würde. Ein richtiges Gehalt würde sie hierfür nicht bekommen. Ihr würde lediglich
die Miete gezahlt und sie bekomme Lebensmittel.
Mit Schreiben vom 19.10.2009 ergänzte der Antragsteller seine Angaben dahingehend, dass sich seine Ehefrau auch bereits vor
der Trauung nur ca. zwei- bis dreimal im Jahr in A-Stadt aufgehalten habe. Deshalb habe er sie auch nicht als Person im Antrag
als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft angegeben. Es sei nur um seinen Bedarf gegangen, er habe auch nur einen Antrag für seinen
Bedarf gestellt.
Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller daraufhin mit Schreiben vom 22.10.2009 auf, die genaue Anschrift der Ehefrau
mitzuteilen, damit geprüft werden könne, ob seine Ehefrau ihm gegenüber unterhaltspflichtig sei. Die weiteren Angaben sollte
der Antragsteller in einem Termin am 29.10.2009 machen. Da der Antragsteller zu diesem Termin nicht erschien, entzog die Antragsgegnerin
dem Antragsteller mit Bescheid vom 29.10.2009 vorläufig die ihm für November 2009 bewilligten Leistungen in Höhe von 749,21
Euro wegen fehlender Mitwirkung gemäß §
66 SGB I.
Am 10.11.2009 holte der Antragsteller die Vorsprache nach und führte weiter aus, dass seine Frau seit ca. einem Dreivierteljahr
in der Schweiz arbeitet und dort Verwandte pflege. Zuvor habe sie in A-Stadt in der Hauswirtschaft gearbeitet und habe mit
ihm in einer Wohnung gewohnt. Auf die Frage, wie lange er mit seiner Ehefrau zusammenwohne, gab er an, dies zu tun, seit er
in der L.Straße wohne.
Gegen den Bescheid vom 29.10.2009 legte der Antragsteller am 18.11.2009 Widerspruch ein. Seine Mitwirkung habe er am 10.11.2009
nachgeholt. Seine getrennten Lebens- und Wohnverhältnisse habe er hiermit nochmals mitgeteilt und dadurch seine Mitwirkungspflichten
erfüllt. Für rein private Angelegenheiten sehe er keinen Grund, persönliche Daten bekannt zu geben oder offen zu legen. Daraufhin
versagte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 04.12.2009 dem Antragsteller vorläufig Leistungen ab dem 01.12.2009. Die fehlenden
Unterlagen sowie Nachweise über Name, Anschriften und Geburtsdatum der Ehefrau, welche mit Schreiben vom 18.11.2009 angefordert
worden seien und für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zwingend benötigt würden, seien trotz Belehrung über die Rechtsfolgen
nicht vollständig vorgelegt worden. Dadurch sei der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und habe
die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Die Anspruchsvoraussetzungen hätten deshalb nicht geprüft werden können.
Rechtsgrundslage für die Entscheidung seien die §§
60 und
66 SGB I. Auch hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 13.12.2009 Widerspruch ein, den er u.a. damit begründete, dass
die Antragsgegnerin ihre Zahlungen nicht aussetzen oder gar komplett streichen könne. Dies stelle einen Verstoß gegen die
Rechtslage und Verfassung dar. Am 21.12.2009 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht Augsburg einen Antrag auf Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes mit der Begründung, dass die Antragsgegnerin zum 01.11.2009 ihm gegenüber die Zahlungen eingestellt
habe und er seitdem vollkommen mittellos sei. Er habe keinerlei Rücklagen oder Wertgegenstände. Er verweigere aber weiterhin
sämtliche Angaben zu seiner Ehefrau, da er den Antrag nur für sich gestellt habe.
Mit Beschluss vom 27.01.2010 lehnte das Sozialgericht Augsburg den Antrag ab. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des Bescheides
vom 29.10.2009 hinsichtlich des Entzuges der Leistungen für November 2009 liege nicht vor. Bei der Frage, ob der Antragsteller
von seiner Ehefrau dauernd getrennt lebe, handle es sich gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II um eine entscheidungserhebliche Leistungsvoraussetzung,
ebenso wie die Frage, ob Unterhaltsansprüche gegenüber der Ehefrau bestünden (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Beides könne
von der Antragsgegnerin nur geprüft werden, wenn der Antragsteller entsprechend seiner Mitwirkungspflicht gemäß §
60 Abs.
1 Nr.
1 und
3 SGB I die Adresse angäbe, unter der die Ehefrau überwiegend bzw. ständig erreichbar sei. Dadurch, dass der Antragsteller den Aufenthaltsort
seiner Ehefrau verschweige, habe er die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, so dass die Antragsgegnerin u.a.
ihren Amtsermittlungsmöglichkeiten/Pflichten gemäß § 60 Abs. 4 SGB II nicht nachkommen könne. Damit lägen die Voraussetzungen
für den vorläufigen Entzug der für Monat November bewilligten Leistungen gemäß §
66 Abs.
1 SGB I vor. Hinsichtlich des Zeitraums ab 01.12.2009 läge weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vor. Da der Kläger
weder auf die Schreiben des Sozialgerichts vom 30.12.2009 noch auf das Erinnerungsschreiben vom 15.01.2010 geantwortet habe,
sei ein Anordnungsgrund nicht mehr glaubhaft. Es lägen damit vielmehr begründete Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Rechtsinteresse
an dem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes entfallen sei, so dass die Sache auch nicht mehr als dringlich
einzustufen sei. Daneben fehle es aber auch an einem Anordnungsanspruch. Die Nichterweislichkeit der Hilfebedürftigkeit des
Antragstellers gehe zu seinen Lasten, da er für die Leistungsvoraussetzungen darlegungs- und letztendlich beweispflichtig
sei. Durch das Verschweigen der Adresse der Ehefrau habe er einen Obliegenheitsverstoß begangen, an der Aufklärung des Sachverhalts
mitzuwirken.
Im dagegen eingelegten Beschwerdeverfahren macht der Antragsteller geltend, die komplette Versagung von Alg II-Leistungen
verstoße gegen die Verfassung.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 27.01.2010 aufzuheben und die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, ihm
laufende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller habe weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Vielmehr habe er bei einer
persönlichen Vorsprache am 10.11.2009 gegenüber Mitarbeitern der Antragsgegnerin angegeben, wenn er keine Leistungen bekäme,
würde er Widersprüche einlegen und Rechtsstreitigkeiten anstrengen, damit so viele Stellen wie möglich beschäftigt würden.
Im Übrigen verweist die Antragsgegnerin auf die zutreffenden Ausführungen im Beschluss des Erstgerichts. Mit Widerspruchsbescheid
vom 01.02.2010 hat die Antragsgegnerin die Widersprüche des Antragstellers gegen die Bescheide vom 29.10.2009 und 04.12.2009
zurückgewiesen. Die dagegen vom Antragsteller eingelegte Klage ist beim SG Augsburg unter dem Az. S 17 AS 217/10 anhängig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten beider Instanzen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.
II. Die gemäß §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Denn das SG hat den Antrag auf Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt.
Zur Begründung verweist der Senat zunächst gemäß §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG auf die im Ergebnis zutreffenden Ausführungen des angegriffenen Beschlusses des SG. Ergänzend ist jedoch auf das Folgende hinzuweisen:
Zunächst hat der Antragsteller auch keinen aus Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz -
GG - abgeleiteten Anspruch auf vorläufige Gewährung der existenzsichernden Leistungen, da die Versagung derselben allein auf
einem Verhalten in seiner Person gründet. Insoweit wird auf die Darlegungen im Sachverhalt und die nachfolgenden Ausführungen
verwiesen. Die an sich - angesichts der Beweislosigkeit des Anordnungsanspruchs - erforderliche Güter- und Folgenabwägung
(vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 18.03.2010, Az. L 8 AS 55/10 B ER mit weiteren Nachweisen) führt im Ergebnis nicht zu einer Anordnung, was die Leistungsversagung ab 01.12.2009 betrifft.
Es kann nicht allein aufgrund der nicht erfolgten Rücknahme des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz auf einen mangelnden
Anordnungsgrund geschlossen werden. Der Antragsteller durfte das gerichtliche Schreiben vom 30.12.2009 zu recht nur als Handlungsoption
auffassen. Für den Fall, dass er weiterhin bei seiner - wenn auch fehlerhaften - Rechtsauffassung bleibe, war es aus seinem
Blickwinkel folgerichtig, auf das Schreiben nicht zu reagieren. Ein Verzicht auf eine Eilbedürftigkeit kann darin nicht gesehen
werden.
Allerdings fehlt es - wie das Erstgericht vollkommen richtig ausführt -, an einem Anordnungsanspruch. Nach §
1360 Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB - sind Ehegatten einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Nach
§
1360 a BGB umfasst der angemessene Unterhalt der Familie alles, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, die Kosten
des Haushaltes zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten
Kinder zu befriedigen. Soweit der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren immer wieder darauf verweist, dass er und seine
Frau getrennt leben, sei der Antragsteller eindringlich darauf hingewiesen, dass zur Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Ziffer
3 a SGB II auch der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte zählt. Wer Ehegatte im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II ist,
bestimmt sich grundsätzlich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts (§§ 11 ff. Ehegesetz). Dem Gesetzgeber ist auch im Lichte des Art.
6 Abs.
1 GG insofern die unwiderlegbare Vermutung erlaubt, dass nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten ihren bürgerlich-rechtlichen
Unterhaltspflichten (§§
1360 ff.
BGB) nachkommen. Der Begriff des dauernden Getrenntlebens (vgl. §
1567 Abs.
1 Satz 1
BGB) wird durch den Zustand gekennzeichnet, dass die zum Wesen der Ehe gehörende Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft nicht mehr
besteht. Es ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse abzustellen. Eine bloß vorübergehende räumliche Trennung führt noch nicht
zur Annahme eines dauernden Getrenntlebens. Bei fehlender häuslicher Gemeinschaft ist wesentlich auf den Trennungswillen abzustellen,
der sich nach Außen etwa in der Stellung eines Scheidungsantrags oder in der Wahl einer getrennten steuerlichen Veranlagung
manifestieren kann. Von daher kann eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II auch im Falle einer wie hier räumlichen
Trennung bestehen (vgl. Spellbrink in Eicher/Spellbrink Kommentar zum SGB II 2. Auflage 2007, Rz. 41 zu § 7, vgl. auch BSG,
Terminsbericht vom 18.02.2010, B 4 AS 49/09 R). Dadurch, dass der Antragsteller und seine Ehegattin im August 2009 geheiratet haben, obwohl sie vorher und nachher räumlich
getrennt gelebt haben, manifestiert sich gerade, dass die unterschiedlichen Wohnsitze gerade keinen Trennungswillen ausdrücken.
Zudem hat der Antragsteller selbst eingeräumt, dass der Mietvertrag in der Wohnung A-Straße auf beider Namen abgeschlossen
wurde, ein späterer Rückzug seiner Ehefrau aus der Schweiz in die gemeinsame Wohnung beabsichtigt oder zumindest nicht ausgeschlossen
werden kann. Die Trennung der Wohnsitze resultiert nicht aus einem Willen, getrennte Wege zu gehen, sondern - soweit für Außenstehende
ersichtlich - aufgrund der Beschäftigungsmöglichkeiten der Ehefrau in der Schweiz. Soweit der Antragsteller damit keine Angaben
zu seiner Ehefrau insbesondere zur Höhe des Gehaltes auch dem Senat gegenüber gemacht hat, kommt er seinen Mitwirkungspflichten
nicht nach. Ein Anordnungsanspruch ist somit nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG analog.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, §
177 SGG.