Anspruch auf Arbeitslosengeld; privilegierter Freibetrag nach § 141 Abs. 2 SGB III bei der Anrechnung von Nebeneinkommen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Anrechnung von Nebeneinkommen auf das Arbeitslosengeld (Alg) in der Zeit vom 01.12.2006
bis 30.04.2007.
Der 1965 geborene Kläger übte nach vorausgegangenen Beschäftigungen in der Zeit vom 01.09.2001 bis 31.05.2002 und vom 01.07.2002
bis 31.07.2006 eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei der N. GmbH & Co. KG aus.
Daneben war er ab 01.08.2005 als geringfügig Beschäftigter mit einer wöchentlichen Stundenzahl bis 14 Stunden und einem gleichbleibenden
Aushilfslohn von 400,00 EUR monatlich bei der Fa. R. Computer GmbH in N. beschäftigt. Dieses Beschäftigungsverhältnis endete
ebenfalls zum 31.07.2006.
Auf seinen Antrag erhielt der Kläger aufgrund der Bescheide vom 08.08.2006 und 11.09.2006 ab 01.08.2006 Alg mit einem Leistungsbetrag
von 44,82 EUR und ab 01.09.2006 von 38,18 EUR täglich.
Vom 21.11.2006 bis 30.04.2007 übte er erneut eine geringfügige Tätigkeit beim TSV B-Stadt mit einem monatlich gleichbleibenden
Einkommen von 400,00 EUR monatlich aus.
Nach einer Anhörung rechnete die Beklagte mit Bescheid vom 17.01.2007 dem Kläger wegen dieser Tätigkeit einen täglichen Betrag
von 7,83 EUR auf dessen Alg an; somit ergab sich für die Zeit vom 01.12.2006 bis 30.04.2007 ein Leistungsbetrag von 30,35
EUR täglich.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2007 zurück. Der Kläger habe seit
21.11.2006 Nebeneinkommen in Höhe von 400,00 EUR monatlich erzielt. Nach Abzug des Freibetrages von 165,00 EUR sei Nebeneinkommen
in Höhe von 235,00 EUR (7,83 EUR täglich) auf das Alg des Klägers anzurechnen. Die in §
141 Abs.
2 SGB III vorgesehene Anrechnungsfreiheit komme nicht in Betracht. Die Privilegierung einer fortgeführten geringfügigen Beschäftigung
sei nicht einschlägig, da die frühere geringfügige Beschäftigung bei der Fa. R. nicht fortgeführt worden sei.
Hiergegen hat der Kläger am 04.07.2007 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, das beim TSV B-Stadt erhaltene Nebeneinkommen sei gemäß §
141 Abs.
2 SGB III nicht auf das Alg anzurechnen. Er habe bereits vor der Entstehung des Alg-Anspruchs neben einem versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnis eine geringfügige Beschäftigung über einen Zeitraum von 12 Monaten ausgeübt und mit dieser anderen
Beschäftigung ein in der Höhe gleiches Einkommen wie beim TSV B-Stadt erzielt. §
141 Abs.
2 SGB III habe den Zweck, einem Arbeitslosen die Nebeneinkünfte ungeschmälert zu belassen, die seinen Lebensstandard bereits vor Eintritt
der Arbeitslosigkeit mitbestimmt hätten. §
141 Abs.
2 SGB III verlange seinem Wortlaut nach nicht, dass die Nebentätigkeit ohne Unterbrechung nach dem Eintritt der Arbeitslosigkeit fortgesetzt
werde.
Mit Urteil vom 24.06.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, §
141 Abs.
2 SGB III stelle ausschließlich auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs und nicht auf den Zeitpunkt einer späteren Aufnahme
einer Nebenbeschäftigung ab. Die Privilegierung des §
141 Abs.
2 SGB III setze voraus, dass gerade diese versicherungspflichtige Beschäftigung auch bei Eintritt der Beschäftigung weitergeführt werde.
Hiergegen hat der Kläger am 04.08.2008 Berufung eingelegt und mit im Wesentlichen gleichen Argumenten wie im Klageverfahren
begründet. Die Ansicht des SG fände im Gesetz keine Stütze und führe zu unbefriedigenden, zufälligen Ergebnissen. Sinn und Zweck des §
141 Abs.
2 SGB III sei es, dem Arbeitslosen, der neben der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung einer geringfügigen Beschäftigung nachgehe,
den Verdienst hieraus anrechnungsfrei zu erhalten, um die Einkommenseinbuße, die mit dem Verlust der sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung verbunden sei, nicht gar so drastisch ausfallen zu lassen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.06.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 17.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 01.06.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Beklagtenakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Sie ist aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 17.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2007
ist rechtmäßig. Damit liegt auch eine Rechtsverletzung des Klägers nicht vor.
Nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen,
die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung
oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs
geführt haben würde. Die in § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X für atypische Fälle gebotene Ermessensausübung ("soll") ist im Bereich des Arbeitsförderungsrechts nicht anzuwenden, §
330 Abs
1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III).
Die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung des Klägers ab dem 21.11.2006 beim TSV B-Stadt, verbunden mit einer monatlich
gleichbleibenden Entlohnung von 400,00 EUR, stellt eine solche Änderung der Verhältnisse, die den Bewilligungsbescheiden vom
08.08.2006 und 11.09.2006 zugrunde lagen, dar. Entgegen der Auffassung des Klägers steht diesem für dieses Nebeneinkommen
lediglich ein Freibetrag von 165,00 EUR und nicht von 400,00 EUR zu.
Nach §
141 Abs
1 SGB III - in der bis 31.12.2008 geltenden Fassung - ist das Arbeitsentgelt aus einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden
Beschäftigung nach Abzug der Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge und der Werbungskosten sowie eines Freibetrages in Höhe
von 165,00 EUR auf das Arbeitslosengeld für den Kalendermonat, in dem die Beschäftigung ausgeübt wird, anzurechnen, wenn der
Arbeitslose während einer Zeit, für die ihm Arbeitslosengeld zusteht, eine Beschäftigung in diesem Umfang ausübt. Hat der
Arbeitslose in den letzten 18 Monaten vor der Entstehung des Anspruchs neben einem Versicherungspflichtverhältnis eine geringfügige
Beschäftigung mindestens 12 Monate lang ausgeübt, so bleibt das Arbeitsentgelt bis zu dem Betrag anrechnungsfrei, der in den
letzten 12 Monaten vor der Entstehung des Anspruchs aus einer geringfügigen Beschäftigung durchschnittlich auf den Monat entfällt,
mindestens jedoch ein Betrag in Höhe des Freibetrages, der sich nach Absatz
1 ergeben würde, §
141 Abs
2 SGB III in der bis 31.12.2008 geltenden Fassung.
§
141 Abs
1 SGB III verfolgt dabei das Ziel, beim Arbeitslosen den Anreiz zur Aufnahme einer Nebenbeschäftigung zu erhöhen und ihm damit die
Möglichkeit zu geben, Kontakt zur Außenwelt zu halten (vgl. BT-Drucks. 13/4941 S 180).
§
141 Abs
2 SGB III verfolgt demgegenüber zwei Ziele: Zum einen soll vermieden werden, das zwar das Arbeitsentgelt aus der geringfügigen Beschäftigung
nicht in die Bemessungsgrundlage für das Alg einfließt, die Fortsetzung der Beschäftigung aber zu einer Anrechnung des Nebenverdienstes
führt (vgl BT-Drucks. 11/4124 S 229 zu Nr 10). Insbesondere wollte der Gesetzgeber aber dem Umstand Rechnung tragen, dass
der Arbeitslose bereits vor seiner Arbeitslosigkeit Nebeneinkommen erzielt und dies seinen Lebensstandard in schützenswerter
Weise beeinflusst hatte (vgl. BR-Drucks 120/89 S 229; Brand in Niesel
SGB III, 4.Auflage, 2007, §
141 Rdnr 10).
Unter Berücksichtigung der obigen Voraussetzungen hat der Kläger durch seine in der Zeit vom 01.08.2005 bis 31.07.2006 ausgeführte
geringfügige Beschäftigung bei der Fa. R. Computer GmbH in N. zwar grundsätzlich die Voraussetzungen des §
141 Abs
2 SGB III aF und damit die Voraussetzungen für die Gewährung eines privilegierten Freibetrages in Höhe von 400,00 EUR erfüllt.
Dem Kläger ist dennoch hinsichtlich seiner zum 21.11.2006 begonnenen geringfügigen Tätigkeit beim TSV B-Stadt lediglich ein
Freibetrag von 165,00 EUR und nicht von 400,00 EUR einzuräumen. Der Kläger hat nämlich seine ursprüngliche Nebentätigkeit
bei der Fa. R. Computer GmbH am 31.07.2006 und damit vor dem Anspruchsbeginn auf Alg am 01.08.2006 beendet.
Vor dem Alg-Anspruch beendete Erwerbstätigkeiten begründen keinen privilegierten Freibetrag nach §
141 Abs
2 SGB III. §
141 Abs
2 SGB III ist vielmehr nur anzuwenden auf eine im Zeitpunkt des Anspruchsbeginns auf Alg ausgeübte und damit fortgeführte Erwerbstätigkeit.
Zu begründen ist dies zum einen mit den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 14/873 zu Nr. 21), wonach die "Fortführung" einer Tätigkeit
verlangt wird. Zwar findet sich diese Formulierung zu Buchstabe c, also der Fortführung einer selbständigen oder mithelfenden
Tätigkeit. Nach Auffassung des Senats ergibt sich dieser gesetzgeberische Wille aber auch bei einer abhängigen Beschäftigung.
§
141 Abs.
2 und Abs.
3 SGB III sind im Wesentlichen inhaltsgleich, eine Ungleichbehandlung von Nebeneinkünften aus selbständiger oder nichtselbständiger
Tätigkeit ist damit vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt.
Auch die Kommentierungen zu §
141 SGB III gehen - soweit behandelt - übereinstimmend von der Notwendigkeit einer "Fortführung" der Beschäftigung aus (vgl. Hünecke
in Gagel
SGB III §
141 Rdnr. 78; Keller in Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe
SGB III 3. Aufl. 2008, §
141 Rdnr. 61; Valgolio in Hauck/Noftz
SGB III §
141 Rdnr. 51)
Vorliegend hat der Kläger seine geringfügige Beschäftigung aber nicht fortgesetzt, sondern zwischen Leistungsanspruchsbeginn
und Aufnahme der Tätigkeit nahezu 4 Monate unterbrochen gehabt. Damit war die Privilegierung des §
141 Abs.
2 SGB III nicht (mehr) anwendbar.
Dieses gefundene Ergebnis entspricht auch dem ersten Ziel des §
141 Abs
2 SGB III aF, nämlich der Vermeidung der Nichtberücksichtigung des Arbeitseinkommens beim Bemessungsentgelt einerseits und einer Anrechnung
beim Alg andererseits. Der Kläger hat nach dem Bescheid vom 08.08.2006 das ihm zustehende Alg anrechnungsfrei erhalten. Die
Anrechnung von Arbeitseinkommen erfolgte erst nach der Aufnahme der geringfügigen Beschäftigung zum 21.11.2006 während des
Alg-Bezugs. Die ursprüngliche Höhe des Alg konnte daher durch das spätere Arbeitseinkommen nicht beeinflusst werden.
Insbesondere entspricht die vom Senat gefundene Sichtweise dem zweiten Ziel des §
141 Abs
2 SGB III, nämlich der Wahrung des Lebensstandards des Klägers durch Beibehaltung eines privilegierten Freibetrages bei einem fortgeführten
Bezug des Arbeitseinkommens aus einer geringfügigen Beschäftigung. Der Lebensstandard des Klägers wurde nicht nur durch die
eingetretene Arbeitslosigkeit beeinflusst, sondern auch durch die Beendigung des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses
vor dem Beginn der Gewährung von Alg. Für dieses Risiko hat die Arbeitslosenversicherung aber nicht einzustehen.
Zum Zeitpunkt der erneuten Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung des Klägers am 21.11.2006 war der maßgebliche Lebensstandard
des Klägers nicht mehr durch die bis 31.07.2006 ausgeübte geringfügige Beschäftigung des Klägers geprägt, sondern vielmehr
allein durch die Höhe des unmittelbar davor bezogenen Alg. Durch die Aufgabe der ursprünglichen geringfügigen Tätigkeit vor
Anspruchsbeginn ist somit eine Zäsur eingetreten.
Demgegenüber überzeugt die Auffassung des Klägers nicht. Diese als richtig unterstellt, wäre es einem Arbeitslosen möglich,
zu jedem von ihm gewünschten Zeitpunkt während des Bezugs von Alg einen privilegierten Freibetrag für eine neue geringfügige
Beschäftigung zu begründen. Diese Möglichkeit des Verschiebens einer erneuten Beschäftigungsaufnahme während des Bezugs von
Alg hätte nichts mehr mit der vom Gesetzgeber gewünschten Anknüpfung an den vor der Arbeitslosigkeit bestehenden Lebensstandard
des Klägers zu tun.
Es hat somit bei der gesetzlichen Grundintention des §
141 Abs
1 SGB III aF und damit einem Freibetrag von 165,00 EUR monatlich zu verbleiben.
Die Berufung war damit als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG.