Berücksichtigung von Beiträgen zur betrieblichen Altersvorsorge im Wege der Entgeltumwandlung bei der Bemessung des Insolvenzgeldes
Tatbestand:
Der Kläger begehrt höheres Insolvenzgeld. Streitig ist, ob Beiträge zur betrieblichen Altersvorsorgung, die in der Folge von
Entgeltumwandlung durch den Arbeitgeber zu entrichten sind, der Insolvenzsicherung unterliegen.
Der Kläger beantragte am 23.01.2006 die Bewilligung von Insolvenzgeld. Sein Arbeitsverhältnisses bei der Fa. T. Bedachungs
GmbH sei zum 16.01.2006 aufgelöst worden. Für die Monate Dezember 2005 und Januar 2006 stehe das Arbeitsentgelt noch aus.
Am 19.01.2006 sei beantragt worden, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers zu eröffnen.
Die Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 02.02.2006 einen Vorschuss in Höhe von 1.500.- EUR auf den zu erwartenden
Insolvenzgeldanspruch. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 15.03.2006 bewilligte die Beklagte mit Bescheid 06.04.2006
(endgültig) für den Zeitraum 01.12.2005 bis 16.01.2006 Insolvenzgeld in Höhe von 2.176,21 EUR.
Den ohne Begründung gebliebenen Widerspruch vom 12.05.2006 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2006 zurück.
Mit der am 27.07.2006 zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass die im November 2005 zu zahlende Direktversicherung (1.272.- EUR) seitens
des Arbeitgebers nicht bezahlt worden sei. Der Anspruch ergebe sich aus der Lohn- und Gehaltsabrechnung für November 2005.
Die Beiträge für die Direktversicherung seien vom Arbeitgeber nicht abgeführt worden. Es sei eine Vereinbarung über die Entgeltumwandlung
zur betrieblichen Altersvorsorge iSd §
1 BetrAVG (
Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung) getroffen worden. Es handle sich um durchsetzbare Ansprüche auf Arbeitsentgelt, weil die betriebliche Altersvorsorge Entgeltcharakter
habe. Wären die Beiträge nicht insolvenzgeschützt, bestünde eine Schutzlücke, die mit europäischem Gemeinschaftsrecht nicht
vereinbar sei (Art 3 der Richtlinie 2002/74 EG)
Mit Gerichtsbescheid vom 03.03.2008 hat das SG die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen auf die Argumentation gestützt, die dem Urteil des Bundessozialgerichtes vom
05.12.2006 (B 11a AL 19/05 R) zugrunde gelegen hatte. Hiernach sei - in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitgerichtes
- der Anspruch auf Zahlung der Altervorsorgebeiträge, der seine Grundlage in einer Entgeltumwandlung habe, nicht als insolvenzgeldgeschützter
Arbeitsentgeltanspruch anzusehen.
Mit der am 10.04.2008 beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Berufung hat der Kläger geltend gemacht, das SG habe sich in der Urteilsbegründung insbesondere mit der europarechtlichen Problemlage nicht auseinandergesetzt. Nach Art
4 Abs 2 der Richtlinie 80/987 EWG sei die Befriedigung der nicht erfüllten Arbeitsentgeltansprüche sicherzustellen. Hierzu
gehöre auch der Anspruch auf Weiterleitung der Beiträge zur Altersvorsorge des Arbeitnehmers an die Direktversicherung. Folgte
man der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, entstünde eine Schutzlücke, die mit europäischem Recht nicht vereinbar sei.
Zudem erweise sich die Argumentation, der Entgeltanspruch würde mit der Entgeltumwandlung endgültig untergehen, als fehlerhaft,
denn im Falle eines Verstoßes gegen das Wertgleichheitsgebot sei eine Entgeltumwandlung unwirksam und der Arbeitsentgeltanspruch
bestehe fort.
Er beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes B-Stadt vom 03.03.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides
vom 06.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2006 zu verpflichten, Insolvenzgeld in Höhe von 1.272.-
EUR nachzuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Bescheid der Beklagten vom 06.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2006 verletzt den Kläger nicht
in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die von seinem Arbeitgeber nicht entrichten Beiträge der Direktversicherung
im Rahmen der Insolvenzentgeltsicherung erstattet werden.
Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen des Arbeitsgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche
auf Arbeitsentgelt haben, §
183 Abs
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III). Die Beiträge zur Direktversicherung stellen kein Arbeitsentgelt in diesem Sinne dar.
Vorliegend ist dies durch die "Vereinbarung über die Umwandlung von Barbezügen in Versicherungsschutz" vom 28.08.2002 geschehen.
Hiernach haben der Kläger und sein vormaliger Arbeitgeber vereinbart, dass die Ansprüche des Klägers auf Sonderbezüge aus
dem dortigen Arbeitsverhältnis als Beiträge in eine pauschal zu versteuernde Direktversicherung bei der A. Lebensversicherungs-
AG einbezahlt werden.
Das BSG hatte zwar lange offen gelassen (zuletzt BSG, Urteil vom 23.03.2006 - B 11a AL 65/05 R - veröffentlicht in juris),
ob eine derartige Entgeltumwandlung als insolvenzgeldrechtlich geschütztes Arbeitsentgelt zu behandeln ist. Diese Frage hat
das Bundessozialgericht jedoch inzwischen mit Urteil vom 05.12.2006 - B 11a AL 19/05 R - unter Berücksichtigung der arbeitsgerichtlichen
Rechtsprechung - ausdrücklich verneint.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) habe bereits in seiner grundlegenden Entscheidung vom 26.06.1990 (BAGE 65, 215, 219 ff) zum Wesen einer Versicherung nach Gehaltsumwandlung ausgeführt, dass die vom Arbeitgeber zu zahlenden Versicherungsbeiträge
im Verhältnis zum Arbeitnehmer keine Leistungen zur Erfüllung der Gehaltsansprüche seien. Vielmehr solle die Vereinbarung
der Arbeitsvertragsparteien zum Zwecke einer Pauschalierung der Lohnsteuer nach §
40b Einkommensteuergesetz (
EStG) bewirken, dass der Anspruch auf Barauszahlung endgültig untergehe und durch einen Versorgungsanspruch ersetzt werde. Die
Arbeitnehmer setzten bei einer Gehaltsumwandlung daher auch keine Eigenmittel ein, sondern verzichteten vielmehr auf die für
eine eigene Vorsorge nötigen Vermögensrechte (Gehaltsansprüche) und verließen sich auf die aus dem Betriebsvermögen finanzierte
Vorsorge des Arbeitgebers. Insoweit fehle es an dem für eine Arbeitsvergütung erforderlichen unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung,
wenn der Arbeitgeber während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses durch laufende Beitragszahlung für die vereinbarte Altersversorgung
zu sorgen habe, und zwar unabhängig davon, ob Arbeitsvergütung zu leisten sei. An der Auffassung, dass bei einer Gehaltsumwandlung
der Anspruch auf laufende Vergütung endgültig beseitigt werde, habe das BAG in späteren Entscheidungen festgehalten (BAGE
73, 209, 214 f; BAGE 88, 28, 30). Die arbeitsrechtliche Konsequenz der Entgeltumwandlung, die den Anspruch auf Auszahlung des Arbeitsentgelts endgültig
untergehen lasse, schließe eine abweichende Beurteilung auf der Grundlage des hier maßgeblichen Insolvenzgeldrechtes aus,
denn es genüge für eine Anerkennung der Arbeitsentgelteigenschaft nach dem zum Zeitpunkt der Insolvenz geltenden Recht nicht,
dass der Arbeitnehmer - wirtschaftlich gesehen - die Versorgungsanwartschaft finanziere (vgl. hierzu ausführlich BSG, Urteil
vom 05.12.2006 - B 11a AL 19/05 R).
Dieses Einschätzung werde im weiteren auch durch die Rechtsentwicklung gestützt (Gesetz vom 02.12.2006 (BGBl I S 2742) mit
Wirkung vom 12.12.2006), denn der Gesetzgeber hatte sich im Hinblick auf die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung gehalten gesehen,
die Entgeltumwandlung in den Schutzbereich des Insolvenzgeldrechtes aufzunehmen, weil diese aus dem Gehalt des Arbeitnehmers
finanziert werde (vgl. BSG aaO. unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung).
Der Senat sieht keine Veranlassung von dieser Rechtsprechung abzuweichen, insbesondere nachdem die Vereinbarung des Klägers
mit seinem Arbeitgeber über die Entgeltumwandlung keine Einschränkung vorsieht, den Versorgungsanspruch in Abhängigkeit von
der erbrachten Arbeitsleistung zu variieren. Insofern fehlt dem vereinbarten Versorgungsanspruch der unmittelbare Bezug zu
einer Arbeitsleistung, so dass - mit dem Untergang des Barauszahlungsanspruches - die Annahme, der Kläger haben keinen Anspruch
auf Arbeitsentgelt iSd der oben genannten arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung mehr, gerechtfertigt ist.
Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, dass die vorliegende Entgeltumwandlung unwirksam sein könnte, weil die Entgeltansprüche
des Klägers nicht in eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen umgewandelt worden wären (vgl. hierzu LAG München,
Urteil vom 15.03.2007 - 4 Sa 1152/06 veröffentlicht in juris).
Zuletzt lässt sich ein Anspruch des Klägers auch nicht auf der Grundlage europarechtlicher Vorschriften herleiten.
Die Richtlinie 2002/74/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.09.2002 zur Änderung der Richtlinie 80/987/EWG
des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit
des Arbeitgebers (RL 2002/74/EG), gilt zwar für Ansprüche von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen
gegen Arbeitgeber, die zahlungsunfähig im Sinne des Artikels 2 Abs 1 sind (Artikel 1 Abs 1 RL 2002/74/EG).
Insoweit haben die Mitgliedstaaten zwar die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit - vorbehaltlich des Artikels 4 - Garantieeinrichtungen
die Befriedigung der nicht erfüllten Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen sicherstellen
(Artikel 3 Satz 1 RL 2002/74/EG).
Die Ansprüche, deren Befriedigung die Garantieeinrichtung zu übernehmen hat, sind jedoch nur die nicht erfüllten Ansprüche
auf Arbeitsentgelt für einen Zeitraum, der vor und/oder gegebenenfalls nach einem von den Mitgliedstaaten festgelegten Zeitpunkt
liegt (Artikel 3 Satz 2 RL 2002/74/EG), wobei die Richtlinie 2002/74/EG das einzelstaatliche Recht bezüglich der Begriffsbestimmung
der Worte Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Arbeitsentgelt, erworbenes Recht und Anwartschaftsrecht unberührt lässt (Artikel 2 Abs
2 RL 2002/74/EG).
Hierzu hat der Europäische Gerichtshof bereits klar gestellt, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, festzustellen, ob
der Begriff "Arbeitsentgelt", wie er im nationalen Recht definiert ist, einen streitigen Anspruch aus dem Arbeitsvertrag einschließt
(vgl. hierzu EuGH, Vorabentscheidung vom 16. 12. 2004 - C-520/03 (Rs. Valero) Rn.38), wobei der Senat im vorliegenden Fall keine Veranlassung sieht, den Begriff des Arbeitsentgeltes in anderer
Weise auszulegen, als durch das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht geschehen.
In diesem Zusammenhang kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, der Gesetzgeber habe versäumt die Richtlinien 80/987/EWG
oder 2002/74/EG umzusetzen, weil der nationale Gesetzgeber verpflichtet wäre, Entgeltbestandteile (Artikel 3 Satz 1 RL 2002/74/EG)
bzw. erworbene Rechte und Anwartschaftsrechte bei Alter (Artikel 8 Satz 2 RL 80/987/EWG) in den Schutzbereich der Garantieeinrichtung aufzunehmen, so dass das nationale Gericht - mangels Umsetzung der Richtlinie
- berechtigt wäre, nationales Recht - unter Nichtbeachtung entgegenstehender Regelungen - richtlinienkonform auszulegen (vgl.
hierzu EuGH, Vorabentscheidung vom 16. 12. 2004 - C-520/03 (Rs. Valero) Rn.38).
Es obliegt zwar der Befugnis des nationalen Gesetzgebers, festzulegen, welche Leistungen zu Lasten der Garantieeinrichtung
gehen. Diese Befugnis findet ihre Grenze hierbei in der Beachtung der Grundrechte, zu denen insbesondere der allgemeine Grundsatz
der Gleichheit und der Nichtdiskriminierung gehören. Nach diesem Grundsatz dürfen gleiche Sachverhalte nur unterschiedlich
behandelt werden, wenn eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt ist. Insoweit hätte ein nationales Gericht eine innerstaatliche
Regelung außer Anwendung zu lassen, die diese Ansprüche unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz vom Begriff "Arbeitsentgelt",
aber auch anderer Entgeltbestandteile im Sinne der betreffenden Regelung ausschließen würde. (EuGH, Urteil vom 12.12.2002
- C-442/00 - Rs. Rodríguez Caballero, Rn. 29 bis 32).
Diese Situation ist vorliegend jedoch nicht gegeben, denn nicht der Gesetzgeber hat den Begriff des Arbeitsentgeltes oder
die übrigen Ansprüche aus einem Arbeitsvertrag einschränkend definiert; der Begriff des Arbeitsentgeltes hat sich vielmehr
aufgrund der nationalen Rechtsprechung - durch das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht - dahingehend entwickelt,
dass vom Arbeitgeber gezahlte, jedoch vom Arbeitnehmer finanzierte Beiträge im Rahmen einer Entgeltumwandlung nicht (mehr)
als Arbeitsentgelt im Sinne der europäischen Richtlinien anzusehen waren, zugleich aber der Schutz der durch den Arbeitnehmer
finanzierten Beiträge der Altersvorsorge im Rahmen des Betriebsrentengesetzes nicht umfassend ausgestaltet war.
Dieser Entwicklung hat der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes (vom 02.12.2006 mit
Wirkung zum 12.12.2006 BGBl. I S 2742) Rechnung getragen und §
183 Abs
1 Satz 5
SGB III eingefügt, wonach eine Entgeltumwandlung gemäß §
1 Abs
2 Nr.
3 des Betriebsrentengesetzes für die Berechnung des Insolvenzgeldes als nicht vereinbart gilt, soweit der Arbeitgeber keine
Beiträge an den Versorgungsträger abgeführt hat.
Dem Gesetzgeber wäre in diesem Zusammenhang allenfalls entgegenzuhalten, dass er keine Rückwirkung dieser Regelung beschlossen
hat, wobei eine gesetzgeberische Säumnis schon im Ansatz nicht zu erkennen ist, denn zum Zeitpunkt der Ausfertigung dieser
Regelung (am 02.12.2006) war die Entscheidung des Bundessozialgericht vom 05.12.2006 (B 11a AL 19/05 R) noch nicht verkündet.
Bis dahin war jedoch die Frage der Entgeltumwandlung noch offen, so dass der Gesetzgeber keinen Anlass sehen musste eine rückwirkende
Regelung auch nur anzudenken, auch wenn die vorhergehende arbeitsgerichtliche Rechtsprechung die insolvenzgeldrechtliche Beurteilung
durch das Bundessozialgericht erwarten ließ und (wohl) Anlass für die Gesetzesänderung war. Zudem wäre das Schließen der durch
die Rechtsprechung entstandenen Lücke im Insolvenzsicherungssystem auch über das
Betriebsrentengesetz möglich gewesen, in dem die Durchführungswege der Altersicherung in vergleichbarer Weise geschützt hätten werden können.
Im Ergebnis ist die Berufung des Klägers daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des Klägers.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs
2 Nr.1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor, insbesondere ist - nach Änderung der Rechtslage - eine grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit
nicht erkennbar.