Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger von der Beklagten die Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner
(KVdR) nach §
5 Abs.
1 Nr.
11 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB V - verlangen kann. Der 1950 geborene Kläger bezieht seit 01.02.2014 aufgrund seines Antrags vom 20.01.2014 von der Deutschen
Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Der Kläger wurde als freiwillig Versicherter
in der gesetzlichen Krankenversicherung eingestuft und erhielt einen Zuschuss zu seinem Krankenversicherungsbeitrag (Bescheid
vom 18.03.2014, Neufestsetzung durch Bescheid vom 02.05.2014, gegen den am 06.05.2014 Widerspruch eingelegt wurde).
Am 12.06.2014 beantragte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers die Aufnahme des Klägers in die KVdR. Mitgeteilt
wurde, dass der Kläger erstmals eine Erwerbstätigkeit am 01.04.1965 aufgenommen hatte, was eine Pflichtmitgliedschaft nach
sich gezogen habe. In der Zeit vom 01.10.1988 bis 30.06.1995 sei er in der Schweiz beruflich tätig und dort in der gesetzlichen
Krankenversicherung pflichtversichert gewesen.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17.09.2014 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger die notwendigen Vorversicherungszeiten
nach §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V nicht erfülle. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2014 als unbegründet zurückgewiesen.
Die Rahmenfrist im Sinne des §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V belaufe sich vom Eintritt in das Erwerbsleben am 01.04.1965 bis zum Tag der Rentenantragstellung am 20.01.2014 und betrage
48 Jahre, 9 Monate und 20 Tage. Die notwendige Vorversicherungszeit betrage 90 % der zweiten Hälfte des Erwerbslebens und
belaufe sich auf 21 Jahre, 11 Monate und 21 Tage. Hiervon habe der Kläger an Pflichtversicherungszeiten 13 Jahre, 10 Monate
und 5 Tage nachgewiesen. Die notwendige Vorversicherungszeit sei daher nicht erfüllt.
Zur Begründung der hiergegen am 31.10.2014 zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vortragen lassen, dass die Vorschrift des §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V eine finanzielle Ungleichbehandlung bei der Beitragsbemessung zwischen pflichtversicherten und freiwillig versicherten Rentnern
darstelle, da es zu wesentlich höheren Krankenversicherungsbeiträgen bei freiwillig krankenversicherten Rentnern komme. Die
Vorschrift verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Kläger sei zudem insgesamt länger als 35 Jahre Mitglied in der
gesetzlichen Krankenversicherung gewesen, er habe ein vergleichbares Schutzbedürfnis wie die Mitglieder in der KVdR. Zudem
widerspreche die gesetzliche Regelung der Absicht des Gesetzgebers, mehr Klarheit in das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung
zu bringen. Dieses Recht müsse für den Bürger verständlich und lesbar sein, was nicht der Fall sei. Der Kläger sei von der
Beklagten auch unzureichend über die gesetzliche Regelung informiert worden. Die Regelung verstoße außerdem gegen das Gleichbehandlungsgesetz
und stelle eine Diskriminierung der Rentner dar, denn Altersarmut würde hierdurch gefördert. Im Übrigen sehe der Kläger einen
Verstoß gegen Art.
1 Grundgesetz -
GG -.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 26.03.2015 hat das SG sodann die Klage durch Gerichtsbescheid vom 20.04.2015 als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe die notwendige 9/10-Belegung
in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens mit Mitgliedschaftszeiten nicht erfüllt. Die erforderliche Vorversicherungszeit betrage
8.022 Tage. Der Kläger habe jedoch nur 6.575 Tage berücksichtigungsfähige Mitgliedschaftszeiten zurückgelegt. Die nach Hinweis
des Gerichts nunmehr korrigierte Berechnung werde vom Kläger auch nicht mehr angezweifelt. Der Kläger habe keine weiteren
Nachweise über relevante Mitgliedschaftszeiten vorgelegt oder entsprechende Zeiten behauptet. Das Gericht sehe keine Anhaltspunkte
dafür, dass die Regelung des §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V gegen das
Grundgesetz verstoßen könnte. Ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz - AGG - sei nicht ersichtlich, insbesondere stehe das AGG im Rang nicht über dem
SGB V.
Zur Begründung der hiergegen am 12.05.2015 zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung wiederholt der Kläger im Wesentlichen
seine Argumentation aus dem sozialgerichtlichen Verfahren.
Die Beklagte hat auf Nachfrage des Senats nochmals die festgestellten und in der Entscheidung des SG zu Grunde gelegten Vorversicherungszeiten des Klägers bestätigt. Der Kläger hat hiergegen keine Einwendungen erhoben. Der
Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 01.09.2016 noch mitgeteilt, dass der Kläger in der Zeit vom 29.07.1995
- 30.09.1995 freiwillig versichert war.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.04.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17.09.2014 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger ab dem 20.01.2014 in der
Krankenversicherung der Rentner zu versichern.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.04.2015 zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Beklagtenakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter
Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entscheiden kann (§
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -), ist zulässig (§§
143,
144,
151 SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 20.04.2015 die Klage gegen den Bescheid vom 17.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27.10.2014 als unbegründet abgewiesen. Der Kläger erfüllt nicht die notwendige Vorversicherungszeit im Sinne des §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V für eine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung als Rentenantragsteller bzw. Rentenbezieher. Gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V sind versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des
Rentenantrages mindestens 9/10 der zweiten Hälfte des Zeitraumes Mitglied oder nach §
10 SGB V versichert waren.
Die im Jahre 1993 eingeführte Verschärfung der Vorversicherungszeiten, die nur durch die Absolvierung von Pflichtbeitragszeiten
erfüllt werden konnten, wurde durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15.03.2000 (1 BvL 16/96) für unvereinbar mit Art.
3 Abs.
1 GG erklärt, soweit höherverdienende Arbeitnehmer, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze aus der Pflichtversicherung
ausgeschieden waren, schlechter gestellt wurden als pflichtversicherte Arbeitnehmer. Die dem Gesetzgeber vom BVerfG aufgegebene
Neuregelung dieser Bestimmung ist nicht innerhalb der vom BVerfG gesetzten Frist erfolgt, so dass die notwendige Vorversicherungszeit
im Sinne des §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V - entsprechend der vor 1993 bestehenden Regelung - durch alle Formen der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung
erfüllt werden kann, d. h. sowohl durch Pflichtbeitragszeiten als auch durch Zeiten der freiwilligen Mitgliedschaft und der
Versicherung als Familienangehöriger nach §
10 SGB V. Dies entspricht dem aktuellen gesetzlichen Wortlaut. Das SG hat unter Berücksichtigung sämtlicher vom Kläger geltend gemachter Zeiten zutreffend festgestellt, dass gleichwohl die notwendige
Vorversicherungszeit einer 9/10-Belegung der zweiten Hälfte des Zeitraums der Erwerbstätigkeit des Klägers nicht mit entsprechenden
Versicherungszeiten belegt ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren neu mitgeteilten Zeiten einer
freiwilligen Versicherung. Ein Anspruch auf Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner nach §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V besteht deshalb nicht.
Der Senat sieht ebenso wie das SG keine Anhaltspunkte dafür, dass die gesetzliche Regelung des §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V verfassungswidrig sein könnte. Das BVerfG hat sich in seinem Beschluss aus dem Jahr 2000 (Az: 1 BvL 16/96) ausführlich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit befasst. Die geltende Regelung des §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V trägt diesen Gedanken unzweifelhaft Rechnung.
Auch ein Verstoß gegen die Regelungen des AGG ist vorliegend nicht ersichtlich. Der Grundsatz nach § 1 AGG gilt gemäß § 2 Abs. 2 AGG über §
33 c Erstes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB I - und §
19a Viertes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB IV - auch für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch. Die für den Zugang zur KVdR notwendigen Vorversicherungszeiten haben aber
mit dem Alter des Klägers nichts zu tun, sondern sind Ausdruck des Versicherungs- und Solidaritätsgrundsatzes in der gesetzlichen
Sozialversicherung, wonach nur diejenigen in den Schutz der Versichertengemeinschaft einbezogen werden sollen, die dieses
Schutzes auch bedürfen. Im Hinblick auf die Besonderheiten der Absicherung in der Krankenversicherung der Rentner und der
dortigen Kostenstruktur ist die Regelung besonderer Ausdruck der Solidarität in der Versichertengemeinschaft in der Vergangenheit
durch entsprechende Mitgliedschaftszeiten.
Im Übrigen verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.04.2015
und sieht gemäß §
153 Abs.
2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Nach alledem war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.04.2015 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.