Anforderungen an eine Rubrumsberichtigung der Kostengrundentscheidung im sozialgerichtlichen Verfahren wegen offenbarer Unrichtigkeit
1. Wird in einem Verfahren nach §
197a SGG im Urteil keine Entscheidung über das Tragen der Gerichtskosten getroffen und zugleich ein Streitwert festgesetzt, erlaubt
diese Widersprüchlichkeit des Tenors allein keine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach §
138 SGG.
2. Voraussetzung für eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit ist, dass für einen Außenstehenden ohne Weiteres und
eindeutig ersichtlich ist, dass die Widersprüchlichkeit auf einem Fehler der Erklärung, nicht einer fehlerhaften Entscheidungsfindung
oder Rechtsanwendung beruht, und dass erkennbar ist, welche Entscheidung tatsächlich getroffen, aber fehlerhaft erklärt worden
ist.
1. Das Art.
103 Abs.
1 GG immanente Anliegen, den Einzelnen nicht zum bloßen Objekt richterlicher Entscheidung werden zu lassen, gebietet im Berichtigungsverfahren
nach §
138 SGG eine vorherige Anhörung der Beteiligten, außer wenn von der Berichtigung reine Formalien - wie Schreib- oder Rechenfehler
- betroffen sind oder ein Eingriff in die Rechte der Beteiligten ausgeschlossen ist.
2. Gemäß §
138 SGG sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit von Amts wegen zu berichtigen;
bei der Unrichtigkeit darf es sich nicht um einen Fehler in der Willensbildung des Gerichts handeln, z.B. aufgrund unrichtiger
Tatsachenwertung oder aufgrund Rechtsirrtums, denn die Berichtigung ist kein Mittel zur Änderung einer nachträglich als unrichtig
erkannten Entscheidung.
3. Berichtigungsfähig sind vielmehr ausschließlich die einem "mechanischen Versehen" gleich zu achtenden Erklärungsmängel
bzw. Fehler im Ausdruck des Willens, die zu dem Erklärungswillen erkennbar in Widerspruch stehen.
4. Erforderlich ist, dass die gewollte Entscheidung nicht mit dem übereinstimmt, was tatsächlich ausgesprochen wurde bzw.
dass das Urteil nicht mit dem Ergebnis der Beratung übereinstimmt.
Gründe
I.
Die Klägerin machte als Unfallversicherungsträger im Verfahren vor dem Sozialgericht München (SG) unter dem Az. S 44 KR 116/13 zunächst mit Klageschrift vom 10.01.2013 gegenüber der beklagten Krankenkasse von F.P. Erstattungsansprüche für Aufwendungen
im Zusammenhang mit dessen Heilbehandlung in Höhe von 4.142,65 Euro geltend. Das SG forderte von der Klägerin einen vorläufigen Gerichtskostenvorschuss in Höhe von 339,- Euro auf Basis eines Streitwerts von
4.142,65 Euro. Mit Schriftsatz vom 13.10.2015 reduzierte die Klägerin ihre Klageforderung auf einen Betrag in Höhe von 2.693,55
Euro.
Nach mündlicher Verhandlung wies das SG mit Urteil vom 10.03.2016 die Klage mit folgendem verkündeten Tenor ab: "I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche
Kosten werden nicht erstattet. III. Der Streitwert wird auf 4.142,65 Euro festgesetzt." Das SG erließ noch am Sitzungstag in Kammerbesetzung einen Beschluss mit folgender Abänderung von Ziffer II des Urteils in "II.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin." Zur Begründung wurde ausgeführt, dass im verkündeten Tenor des Urteils versehentlich
anstelle der für Verfahren nach §
197a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m. §
154 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) zwingend resultierenden Kostenfolge eine Kostenentscheidung unter Zugrundelegung des - hier nicht anwendbaren - §
193 SGG "ausgeworfen" worden sei. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils werde Bezug genommen. Dieser offensichtliche Fehler sei
von Amts wegen nach §
138 SGG zu berichtigen. Die schriftliche Abfassung des Urteils enthält bereits die geänderte Kostenentscheidung entsprechend dem
Berichtigungsbeschluss; in der Begründung zur Kostenentscheidung wird auf den Berichtigungsbeschluss Bezug genommen.
Am 29.03.2016 ist beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) die Beschwerde der Klägerin gegen den Berichtigungsbeschluss
eingegangen. Die Klägerin habe der Beklagten ohnehin keine außergerichtlichen Kosten erstatten müssen. Die Unvollständigkeit
des Kostenausspruchs hinsichtlich der Gerichtskosten rechtfertige keine Korrektur nach §
138 SGG. Die Beklagte hält den Beschluss für rechtmäßig; es habe sich um eine offenbare Unrichtigkeit gehandelt. Ausreichend sei,
dass sich die Unrichtigkeit wie hier aus den später abgefassten Entscheidungsgründen ergebe.
II.
Die Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss ist gemäß §
172 SGG statthaft. Sie ist insbesondere nicht nach §
172 Abs.
3 Nr.
3 SGG oder nach §
197a Abs.
1 SGG i.V.m. §
158 Abs.
1 VwGO ausgeschlossen, weil sich die Beschwerde nicht gegen den Inhalt der Kostengrundentscheidung richtet, sondern gegen die Rechtmäßigkeit
der Urteilsberichtigung (vgl. hierzu LSG NRW Beschluss vom 28.10.2015 - L 8 R 401/15 B - [...] RdNr. 10, BVerwG Beschluss vom 17.09.2007 - 8 B 30/07 - [...] RdNr. 7).
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet.
Der Senat kann offenlassen, ob der Berichtigungsbeschluss schon deswegen aufzuheben ist, weil anstelle der gemäß §
138 Abs.
1 Satz 2
SGG zuständigen Vorsitzenden die Kammer entschieden hat (vgl. hierzu BSG im Beschluss vom 06.03.2012 - B 1 KR 43/11 B - [...] RdNr. 4). Der Berichtigungsbeschluss ist jedenfalls deswegen rechtswidrig und aufzuheben, weil die Berichtigung von
Amts wegen ohne vorherige Anhörung der Beteiligten beschlossen wurde. Das Art.
103 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) immanente Anliegen, den Einzelnen nicht zum bloßen Objekt richterlicher Entscheidung werden zu lassen, gebietet im Berichtigungsverfahren
nach §
138 SGG eine vorherige Anhörung der Beteiligten, außer wenn von der Berichtigung reine Formalien - wie Schreib- oder Rechenfehler
- betroffen sind oder ein Eingriff in die Rechte der Beteiligten ausgeschlossen ist (vgl. BVerfG Beschluss vom 19.07.1972
- 2 BvR 872/71 - [...] RdNr. 19 ff.; Keller in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, Kommentar zum
SGG, 11. Auflage (im Folgenden: M-L) zu §
138 RdNr. 4). Durch den Berichtigungsbeschluss wurde aber in Rechte der Klägerin eingegriffen, denn sie wurde dem Grunde nach
verpflichtet, die Gerichtskosten und - soweit erstattungsfähig - die Kosten der Beklagten zu tragen, während der verkündete
Tenor regelte, dass keiner der Beteiligten Anspruch auf Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten hat.
Nach Ansicht des Senats kann die vorgenommene Änderung des Urteilstenors außerdem nicht auf §
138 SGG gestützt werden. Gemäß §
138 SGG sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit von Amts wegen zu berichtigen.
Bei der Unrichtigkeit darf es sich nicht um einen Fehler in der Willensbildung des Gerichts handeln, z.B. aufgrund unrichtiger
Tatsachenwertung oder aufgrund Rechtsirrtums, denn die Berichtigung ist kein Mittel zur Änderung einer nachträglich als unrichtig
erkannten Entscheidung (vgl. grundlegend BSG Urteil vom 15.10.1987 - 1 RA 57/85 -SozR 1500 § 164 Nr. 33). Berichtigungsfähig sind vielmehr ausschließlich die einem "mechanischen Versehen" gleich zu achtenden Erklärungsmängel
bzw. Fehler im Ausdruck des Willens, die zu dem Erklärungswillen erkennbar in Widerspruch stehen (vgl. BSG Beschluss vom 06.03.2012 - 1 KR 43/ 11 R - [...] RdNr. 5; BSG SozR 1500 § 164 Nr. 33). Erforderlich ist, dass die gewollte Entscheidung nicht mit dem übereinstimmt, was tatsächlich ausgesprochen wurde
bzw. dass das Urteil nicht mit dem Ergebnis der Beratung übereinstimmt (vgl. Keller in M-L zu § 138 RdNr. 3).
Der Fehler im Ausdruck des Gewollten bzw. das Auseinanderfallen von Gewolltem und Erklärtem muss offenbar sein, also auf der
Hand liegen und auch einem verständigen Außenstehenden ohne Weiteres aus der Entscheidung selbst oder aus den Vorgängen bei
Erlass der Entscheidung klar erkennbar, eindeutig und augenfällig sein (vgl. Keller in M-L zu§ 138 RdNr. 3a; BSG SozR 1500 § 164 Nr. 33; vgl. BVerwG Beschluss vom 26.02.2013 - 5 B 100/12 - [...] RdNr. 2 zu §
118 VwGO). Schon die Möglichkeit eines Irrtums in der Entscheidungsfindung (z.B. unrichtige Tatsachenwertung, Rechtsirrtum) schließt
die Möglichkeit einer Berichtigung aus (vgl. BSG SozR 1500 § 164 Nr. 33). Eine versehentliche Unvollständigkeit des Tenors kann berichtigt werden, wenn die Entscheidungsgründe klar ergeben,
dass die Entscheidung so getroffen werden sollte, wie es der Berichtigungsbeschluss ausweist (vgl. Keller in M-L zu § 138
RdNr. 3c). Hat das Gericht den Ausspruch nicht vergessen, sondern über Kosten überhaupt nicht oder unvollständig entschieden,
ist nach §
140 SGG vorzugehen (vgl. Keller ebenda). Dass eine Kostenentscheidung unbrauchbar ist, rechtfertigt auch bei offensichtlichen Rechtsfehlern
keine weitergehende Korrekturmöglichkeit (vgl. so Keller in M-L zu § 138 RdNr. 3c m.w.N. zu abweichenden Meinungen).
Im vorliegenden Fall ist schon nicht erkennbar, ob der verkündete Kostenausspruch von der Kostenentscheidung abweicht, wie
sie die Kammer zuvor beschlossen hatte. Dass nach Begründung des Berichtigungsbeschlusses versehentlich anstelle der zwingend
resultierenden Kostenfolge eine Kostenentscheidung auf Grundlage einer hier unanwendbaren (also falschen) Rechtsgrundlage
"ausgeworfen" - gemeint wohl: verkündet - wurde, drückt nur aus, dass der verkündete Tenor in diesem Punkt rechtlich falsch
ist. Die Formulierung legt dabei nahe, dass der verkündete Kostenausspruch auf einem Rechtsirrtum über die anzuwendende Rechtsgrundlage
beruht und nicht auf einem Fehler der Erklärung. Aus den schriftlich abgefassten Urteilsgründen können hier keine Rückschlüsse
auf die Willensbildung der Kammer vor Verkündung des Urteils gezogen werden, weil das Urteil erst nach Erlass des Berichtigungsbeschlusses
schriftlich abgefasst worden ist und darin bereits auf den Berichtigungsbeschluss Bezug genommen wird.
Zwar erscheint der verkündete Urteilstenor für einen mit den Rechtsvorschriften des
SGG vertrauten Außenstehenden widersprüchlich, weil einerseits keine Entscheidung über Gerichtkosten getroffen wird, andererseits
aber die für die Gerichtskosten notwendige Streitwertfestsetzung erfolgt ist. Weder aus dem Urteilstenor noch aus weiteren
Ausführungen in der Niederschrift lässt sich aber ohne Weiteres bzw. eindeutig entnehmen, ob Ziffer II oder Ziffer III des
Tenors fehlerhaft ist. Ebenso unklar bleibt, ob der Widerspruch auf einem Fehler in der Erklärung beruht, also Gewolltes und
Erklärtes auseinanderfallen, oder ob der Widerspruch auf einem Rechtsanwendungsfehler beruht (vgl. zur Voraussetzung eines
Artikulationsfehlers BSG Beschluss vom 06.03.2012 - 1 B KR 43/11 B - [...] RdNr. 5 unter Aufhebung des Urteils des LSG Sachsen-Anhalt vom 16.03.2011
- L 4 KR 66/09 - [...] RdNr. 56).
Die vollständige Ersetzung von Ziffer II des verkündeten Urteilstenors im angegriffenen Beschluss kann auch nicht auf §
140 SGG gestützt werden, weil der dafür nötige Antrag eines Beteiligten auf Urteilsergänzung (vgl. dazu Keller in M-L zu § 140 RdNr.
3 m.w.N.) nicht vorlag.
Der Senat weist darauf hin, dass das SG in den schriftlichen Urteilsgründen bereits den Tenor des Berichtigungsbeschlusses übernommen hatte. Daher wird die Vorsitzende
der zuständigen SG-Kammer im Nachgang zu diesem Senatsbeschluss, mit dem der Berichtigungsbeschluss aufgehoben wird, eine Berichtigung der Urteilsgründe
nach §
138 SGG von Amts wegen zu prüfen haben, da der verkündete Urteilstenor von dem Tenor in der schriftlichen Abfassung des Urteils abweicht.
Einer Kostenentscheidung bedarf die Beschwerdeentscheidung nicht, weil der Berichtigungsbeschluss keinen eigenständigen Verfahrensabschnitt
abschließt (vgl. Leitherer in M-L zu § 176 RdNr. 5a; zur fehlenden Selbstständigkeit Keller in M-L zu § 138 RdNr. 4; Wolff-Dellen
in Breitkreuz /Fichte zu § 138 RdNr. 20).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).