Bemessung der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung für die unfallbedingte Verschlimmerung der Behinderung der Nasenatmung
und den Ausfall des mittleren Astes des Nervus infraorbitalis bei einem Profi-Eishockeyspieler
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger und Berufungskläger aufgrund des von der Beklagten und Berufungsbeklagten anerkannten Arbeitsunfalls
vom 23. Oktober 2009 einen Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens
20 v.H. hat.
Der 1981 geborene Kläger ist Profi-Eishockeyspieler bei den S. in A-Stadt. In der US-amerikanischen Nationalmannschaft spielte
er 2007 beim Deutschland Cup. Er ist amerikanischer Staatsbürger. Bei einem Punktspiel in F. am 23. Oktober 2009 prallte er
mit der rechten Gesichtshälfte gegen die Bande. Am 26. Oktober 2009 fand eine Computertomographie (CT) von Gesicht und Halswirbelsäule
statt mit dem Ergebnis: "Mehrfachfragmentimpressionsfraktur der Vorderwand und Impressionsfraktur der lateralen Wand der rechten
Oberkieferhöhle". Es erfolgte am 29. Oktober 2009 eine Untersuchung durch den HNO-Arzt PD Dr. K. (Klinikum St. E. A-Stadt
GmbH). Nach dem Durchgangsarztbericht von Prof. Dr. O. (Klinikum St. E. A-Stadt GmbH) vom 3. November 2009 zog er sich eine
Gesichtsschädelverletzung mit Oberkieferhöhlenmehrfragmentfraktur rechts und eine Nasenbeinfraktur zu. Es erfolgte eine stationäre
Behandlung vom 3. bis 4. November 2009 mit operativem Eingriff vom 3. November 2009. Verletztengeld wurde nicht gezahlt.
Die Beklagte holte ein neurologisches Zusatzgutachten des Dr. K. vom 30. September 2010 ein. Dr. K. diagnostizierte eine Funktionsstörung
des Ramus (Nervenast) infraorbitalis rechts, also eine Funktionsstörung des Nervus infraorbitalis rechts. Unfallbedingt bestünden
Beschwerden im Sinne einer Hypästhesie (d.h. herabgesetzte Empfindlichkeit) und Hypalgesie (d.h. Herabsetzung der Schmerzempfindung)
im Bereich der rechten Wange und der rechten Oberlippe sowie im Bereich der rechten Prämolaren sowie eine Herabsetzung der
Schmerz- und Temperaturempfindlichkeit in diesem Bereich. Die MdE sei hieraus mit 20 v.H. zu bewerten.
Der beratende Neurologe Prof. Dr. G. schätzte demgegenüber die MdE in einer Stellungnahme vom 20. Oktober 2010 auf unter 10
v.H. ein. Es würden keine beeinträchtigenden Schmerzen oder anderweitige im Erwerbsleben beeinträchtigende Funktionssstörungen
beschrieben.
Der Chirurg Dr. Z. kam in seinem Gutachten vom 2. Oktober 2010 zu dem Ergebnis, dass die MdE unter 10 v.H. betrage - nur in
der Zeit vom 11. November bis 31. Dezember 2009 sei sie mit 20 v.H. einzuschätzen gewesen. Durch den Unfall sei es zu einer
Oberkiefermehrfragmentfraktur der Kieferhöhlenvorder- und -seitenwand, zu einer Nasenbeinspitzenfraktur sowie zu einer Schädigung
des N. infraorbitalis rechts gekommen. Die Oberkiefermehrfragmentfraktur der Kieferhöhlenvorder- und -seitenwand sei in den
aktuellen Röntgenaufnahmen nicht mehr erkennbar. Ein Zustand nach Nasenbeinspitzenfraktur sei in der Seitprojektion noch erkennbar,
wobei die Nasenbeinspitze gering nach kaudal deprimiert sei. Auf reinem chirurgischem Fachgebiet bestünden keine Unfallfolgen
mehr.
Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet stellte PD Dr. K. in einem Gutachten vom 13. Dezember 2010 ebenfalls nur eine MdE von unter
10 v.H. fest. Als Beschwerden bestünden nur mehr Sensibilitätsstörungen im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus V, II rechts,
insbesondere der rechten Wange und der rechten Oberkieferzähne. Auf der linken Seite habe ein Vorschaden (Septumdeviation
mit Muschelhyperplasie) bestanden, der zu einer erheblichen Nasenatmungsbehinderung geführt habe, ferner ein Zustand nach
älterer Impressionsfraktur der vorderen linken Oberkieferhöhle mit Dehiszenz (Auseinanderklaffen) am linken Orbitaboden.
Mit Bescheid vom 16. Februar 2011 lehnte die Beklagte einen Rentenanspruch ab. Als Folgen des Versicherungsfalls wurden anerkannt:
"Gefühlsstörungen im rechten Mittelgesicht, behinderte Nasenatmung nach operativ versorgtem Mittelgesichtsbruch rechts mit
Bruch der Oberkiefervorder- und -seitenwand rechts sowie Schädigung des Nervus infraorbitalis rechts und Nasenbeinspitzenbruch."
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2011 zurück. Die Begutachtung durch Dr. K. orientiere
sich nicht an den gutachterlichen Erfahrungswerten.
Dagegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Landshut erhoben, mit der er eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H.
begehrt. Das Sozialgericht hat u.a. einen Befundbericht des Klinikums St. E. A-Stadt GmbH vom 13. März 2012 eingeholt und
den Facharzt für Neurologie Dr. D. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt (Gutachten vom 23. September 2012). Durch
den Unfall sei es zu einer Verletzung des Nervus infraorbitalis rechts mit Hypästhesie und Hypalgesie im Versorgungsgebiet
des Nervs einschließlich seiner Äste, d.h. Backen-, Eck- und Schneidezähne und des Zahnfleisches im Bereich des rechten Oberkiefers
gekommen. Damit sei vor allem die Sensibilität im Bereich der Kieferhöhle und der oberen Zahnreihe rechts betroffen. Ferner
reguliere der Nervus auch indirekt die Kaumuskulatur. Die MdE bewerte er mit 20 v.H., insbesondere da durch die Taubheit im
Bereich des rechten Oberkiefers indirekt auch das Kauen (obwohl die Kaumuskulatur an sich nicht betroffen sei) beeinträchtigt
sei. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis 10. November 2009 bestanden.
Prof. Dr. G. hat in einer Stellungnahme vom 15. November 2012 die Orientierung an die Fachliteratur nach Widder/Gaidzik, Begutachtung
in der Neurologie, 2007 und damit (angeblich) am Schwerbehindertenrecht kritisiert. In der aktuellen Ausgabe 2011 lägen nämlich
keine Angaben zur MdE, sondern nur zum GdB/GdS vor. Belangvolle unfallbedingte Funktionsbeeinträchtigungen lägen im Übrigen
beim Kläger nicht vor.
Das Sozialgericht hat ferner ein HNO-ärztliches Gutachten des Dr. C. vom 7. Februar 2013 (Kliniken C-Stadt P. GmbH) eingeholt.
Durch den Unfall sei es zum einen zu einem Ausfall der Funktion des Nervus infraorbitalis rechts gekommen, zum anderen sei
zusätzlich eine erhebliche Verschlechterung der Nasenventilation eingetreten. Die Auswirkungen der Muschelhyperplasie hätten
sich durch den Unfall verschlimmert. Als Vorerkrankung sei eine beiderseitige Pansinusitis röntgenologisch am 26. Oktober
2009 nachgewiesen. Die Gesamt-MdE sei auf 20 v.H. einzuschätzen (Einzel-MdE für Infraorbitalisläsion rechts: 20 v.H.; Einzel-MdE
für Nasenventilastionsstörung: 10 v.H.).
Die Beklagte hat bestritten, dass für den Kläger eine besondere Belastung insbesondere hinsichtlich der Atmung bestehe. Zwar
sei diese in dem Bescheid als Unfallfolge anerkannt, dies bedeute jedoch nicht eine Anerkennung sämtlicher in diesem Bereich
jetzt geltend gemachten Unfallfolgen. Aufgrund der Vorerkrankung sei hierfür eine Einzel-MdE von 10 v.H. nicht angezeigt.
Auch werde die Einschätzung nach dem Standardwerk von Feldmann (MdE 10 v.H. bei Nasenatmungsstörung) nicht geteilt. Sie spiegele
nicht mehr die aktuellen Verhältnisse des Erwerbslebens wider.
Mit Gerichtsbescheid vom 19. Juni 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Durch die Gutachten des Dr. D. und Dr.
C. würden die Unfallfolgen, die die Beklagte ohnehin schon im streitigen Bescheid anerkannt habe, bestätigt. Nach Ansicht
des Gerichts unter Bezugnahme auf Fachliteratur wie Schönberger/Mehrtens/Valentin (SMV, Arbeitsunfall und Berufskrankheit,
8. Aufl., S. 252/263) sei eine MdE von 20 v.H. nicht gerechtfertigt. Beim Kläger sei die Läsion des Nervus infraorbitalis
und die damit verbundenen Sensibilitäts- und Kaufunktionsstörungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von untergeordneter Relevanz.
Auch eine einseitige Gesichtsnervenlähmung wäre nur mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten. Im Vergleich zu anderen Beeinträchtigungen
sei für eine MdE von 20 v.H. schon eine beträchtliche Einschränkung in einer Vielzahl von Berufen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
notwendig.
Bezüglich der Nasenatmungsbehinderung bestünden entgegen dem Gutachten des Dr. C. Zweifel, ob diese Folge des streitigen Unfalls
ist. Das Gericht folge insoweit der Meinung des PD Dr. K ...
Zur Begründung der Berufung hat sich der Kläger zum einen gegen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid gewandt, zum anderen
hat er sich auf beide sozialgerichtlichen Gutachten gestützt. Beide Gutachter seien übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt,
dass eine MdE von 20 v.H. festzustellen sei. Eine MdE von 20 v.H. sei auch materiell zutreffend.
Die Beklagte hat die Zweifel des Sozialgerichts aufgenommen, ob überhaupt auf einem der medizinischen Fachgebiete eine messbare
MdE erreicht werde. Zudem sei eine bereits vor dem Unfall bestehende Septumdeviation (Nasenscheidewandverkrümmung) dokumentiert,
die in die Kausalitätserwägungen einzubeziehen sei.
Der Senat hat zu der Stellungnahme des Prof. Dr. G. vom 15. November 2012 sowie zu den Schriftsätzen der Beteiligten im Berufungsverfahren
eine ergänzende Stellungnahme des Dr. D. vom 12. Januar 2014 eingeholt, der an seiner Einschätzung einer MdE von 20 v.H. festgehalten
hat. Es lägen nicht nur die im Gutachten beschriebenen Sensibilitätsstörungen vor, sondern auch deutliche Einschränkungen
des Kauvorgangs und letztlich auch der Nahrungsaufnahme. Es träten ferner Beeinträchtigungen der Schmerz- und Temperaturübertragung
in den von der Läsion des Nervus infraorbitalis betroffenen Gebieten des Gesichts auf; auch träten gewöhnlich Probleme bei
der Lautgebung auf wie Nuscheln bzw. Verschlucken von einzelnen Buchstaben. Das Gefühl einer Schwellung sei beim Kläger durch
die minimale Absenkung der Nasolabiafalte rechts bedingt.
Die Beklagte hat, gestützt auf eine erneute Stellungnahme des Prof. Dr. G. vom 10. Februar 2014, eine MdE von 20 v.H. weiterhin
abgelehnt. Subjektives Missempfinden allein ohne Gesichtsentstellung schränkten Tätigkeiten im Publikumsverkehr nicht ein
und bedingten hierdurch keine wesentliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben. Auch Einschränkungen des Kauvorgangs
und der Nahrungsaufnahme durch neurologisch zu beurteilenden Sensibilitätsstörungen im Gesicht könnten schwerlich vom Ausmaß
einer rentenberechtigtenden MdE sein. Schließlich seien bei der MdE-Bewertung Überschneidungen auf neurologischem und HNO-ärztlichem
Fachgebiet zu berücksichtigen.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2014 den Sachverständigen Dr. C. zur Erläuterung seines Gutachtens
angehört. Dieser hat an seinem Gutachtensergebnis festgehalten. Trotz Vorschadens sei durch den Unfall eine Verschlechterung
der Nasenatmung eingetreten. Durch den Unfall sei es zu einer deutlichen Fehlform der Nasenscheidewand gekommen. Hierdurch
sei die Nasenatmung beeinträchtigt mit der Folge einer erhöhten Infektanfälligkeit. Die MdE sei hierfür mit 10 v.H. einzuschätzen.
Unabhängig davon ergebe sich eine MdE von 20 v.H. aber auch durch die Empfindungsstörungen im Bereich des Mittelgesichtes
durch die unfallbedingt eingetretene Läsion des Nervus infraorbitalis rechts. Es bestehe ein geringfügige Asymmetrie im Gesicht,
vor allem aber sei die Nahrungsaufnahme beeinträchtigt. Durch den Ausfall des Nervus seien vor allem Lippen und die Oberzähne
betroffen. Weiter träten erfahrungsgemäß Phantomschmerzen auf, wie sie vom Kläger auch geschildert würden.
Die Fachliteratur nach Mehrhoff u.a. sowie nach SMV ist mit dem Sachverständigen erörtert worden. Er hat hierbei die Meinung
vertreten, dass die Bewertung in der Fachliteratur zur Gesichtslähmung analog herangezogen werden könne.
Auf die Niederschrift der Sitzung wird ergänzend verwiesen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 19. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung
des Bescheides vom 16. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2011 für die Folgen des Unfalles
vom 23. Oktober 2009 eine Verletztenrente ab 24. Oktober 2009 nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß §
136 Abs.
2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§
143,
151 SGG) und begründet.
Nicht streitig ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nach §§
7 Abs.
1,
8 Abs.
1 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VII), der in dem Ereignis vom 23. Oktober 2009 zu sehen ist. Zu entscheiden ist jedoch über die Frage, ob sich hieraus ein Anspruch
auf eine Rente nach einer MdE um 20 v.H. ergibt.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus
um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente, §
56 Abs.
1 S. 1
SGB VII. Die MdE richtet sich gemäß §
56 Abs.
2 S. 1
SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten
Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit
des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSGE 21, 63, 66; v. 26.11.1987, SozR 2200 § 581 Nr. 27; v. 30.05.1988, a.a.O., Nr. 28). Maßgeblich ist aber nicht die konkrete Beeinträchtigung
im Beruf des Versicherten, sondern eine abstrakte Berechnung (vgl. Bereiter-Hahn, Gesetzliche Unfallversicherung, § 56 Rdnr.
10.1).
Dabei muss die Gesundheitsbeeinträchtigung in einem notwendigen ursächlichen Zusammenhang mit der schädigenden Einwirkung
stehen. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen
beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei ist allerdings die Beurteilung der
Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber
sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z.B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender
Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche
Mitursache). Eine wesentliche Mitursache liegt dann nicht vor, wenn beim Versicherten eine Anlage so stark und leicht ansprechbar
war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte,
sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte.
Die für die Bejahung des Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit dem Arbeitsunfall notwendige Wahrscheinlichkeit liegt
vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung zu Ätiologie und Pathogenese den für den Zusammenhang sprechenden
Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt. Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht
gemäß §
128 Abs.
1 S. 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG v. 05.09.2006, Az.: B 2 U 25/05 R; BSG v. 02.05.2001, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S. 26).
Als Unfallfolgen hat die Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid Gefühlsstörungen im rechten Mittelgesicht, behinderte
Nasenatmung nach operativ versorgtem Mittelgesichtsbruch rechts mit Bruch de Oberkiefervorder- und -seitenwand rechts sowie
Schädigung des Nervus infraorbitalis rechts und Nasenbeinspitzenbruch anerkannt. Soweit die Beklagte inzwischen das Vorliegen
einer Behinderung der Nasenatmung als Unfallfolge anzweifelt, muss sie sich an ihrem Bescheid festhalten lassen. Im Übrigen
ergibt sich auch aus den gutachterlichen Ausführungen des Dr. C., dass eine unfallbedingte Verschlimmerung der Beeinträchtigung
der Nasenatmung hinreichend wahrscheinlich ist. Es liegt eine deutliche Fehlform der Nasenscheidewand vor, die bei der Untersuchung
durch den Sachverständigen sofort aufgefallen ist. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Fehlform anlagebedingt vorliegt,
zumal es durch die Stärke des Aufpralls des Gesichts auf die Bande zu einer Instabilität im Nasen- und Kieferbereich gekommen
ist. Es spricht deshalb nach Darlegung des HNO-Sachverständigen im Sinne der o.g. Kausalität mehr dafür als dagegen, dass
die Fehlform der Nasenscheidewand unfallbedingt entstanden ist.
Dabei verkennt auch der Sachverständige Dr. C. nicht, dass bereits vor dem Unfall eine Beeinträchtigung der Nasenatmung vorlag
- zum einen durch eine Heuschnupfenneigung, die jedoch nur saisonal auftritt, zum anderen durch eine Vergrößerung der Nasenmuschel.
Bildgebend wurde bereits im Oktober 2009 eine beiderseitige Pansinusitis nachgewiesen. Der Sachverständige hat für den Senat
überzeugend dargelegt, dass es durch den Arbeitsunfall zu einer Verschlimmerung der Behinderung der Nasenatmung gekommen ist.
Dies wird von dem HNO-Vorgutachter PD Dr. K. nicht erörtert, vielmehr stellte dieser bei der Frage nach einer wesentlichen
Verschlimmerung nur auf einen Zustand nach älterer Impressionsfraktur der vorderen linken Oberkieferhöhle mit Dehiszenz am
linken Orbitaboden ab.
Als weitere für die MdE-Bewertung bedeutende Unfallfolge ist aber vor allem der Ausfall des Nervus infraorbitalis rechts,
der das Mittelgesicht betrifft, zu nennen. Dieser ist von allen Gutachten festgestellt.
Für die Bewertung der MdE sind somit vor allem die Schädigung des Nervus infraorbitalis sowie die behinderte Nasenatmung von
Bedeutung. Sowohl der medizinische Sachverständige Dr. D. als auch Dr. C. kamen zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen
für die Gewährung einer Verletztenrente - eine MdE von mindestens 20 v.H. - gegeben sind. Im Übrigen hatte auch Dr. K. in
dem von der Beklagten eingeholten neurologischen Zusatzgutachten eine MdE von 20 v.H. empfohlen.
Dr. C. bewertete die Einzel-MdE für die Schädigung des Nervus infraorbitalis mit 20 v.H., die Verschlimmerung der vorbestehenden
Nasenatmung mit 10 v.H. Da, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, Überschneidungen auf HNO-ärztlichem und neurologischem
Fachgebiet bestehen, ist eine Gesamt-MdE von lediglich 20 v.H. zu bilden. Bei der MdE-Bildung spielen chirurgische Beschwerden
aufgrund der verheilten Frakturen keine Rolle mehr, wie sich aus dem Gutachten Dr. Z. ergibt.
Entgegen dem Sozialgericht sieht der Senat diese Gesamt-MdE nicht im Widerspruch zu der einschlägigen Fachliteratur. Bereits
bei der Begutachtung durch Dr. K. im September 2010 schilderte der Kläger nicht nur eine Gefühlsminderung im Bereich der rechten
Wangenseite, der rechten Oberlippe und im Bereich der rechten oberen Zahnreihe, sondern berichtete auch über ein erschwertes
Kauen. Auch nach der Operation bestehen nach der Anamnese des Dr. D. ein Taubheitsgefühl im Bereich unterhalb des rechten
Auges bis in die komplette obere Zahnreihe nach vorne ziehend. Schmerzen treten gelegentlich auf. Er schilderte auch den Eindruck,
dass der Gesichtsausdruck und indirekt auch das Kauen beeinträchtigt sind. Zuletzt wird auch von Atemproblemen vor allem bei
Trainingseinheiten berichtet. Die Einschränkung der Nasenventilation wurde dann eingehend im Rahmen der Begutachtung durch
Dr. C. geschildert.
Aus neurologischer Sicht ist der Kläger durch den Ausfall des Nervus infraorbitalis vor allem bei der Nahrungsaufnahme bzw.
beim Kauen beeinträchtigt. Es handelt sich zwar um einen Nerv, der nicht für die Bewegung der Kaumuskulatur verantwortlich
ist, jedoch für das Gefühlsempfinden. Bei der Nahrungsaufnahme ist das Zusammenspiel der jeweiligen Nerven, des Nervus trigeminus
sowie des Nervus infraorbitalis, notwendig. Weiter besteht eine wenn auch geringfügig erkennbare Asymmetrie im Mundwinkelbereich
des Klägers, sowie ein gelegentlicher Phantomschmerz. Dieser wird vom Kläger geschildert und ist nach den gutachterlichen
Ausführungen des Dr. C. durch den plötzlichen Ausfall des Nervs ohne Weiteres zu erklären. Eine Gewöhnung ist beim Kläger
nicht eingetreten. Ferner führt der Ausfall des Nervus infraorbitalis regelmäßig zu Undeutlichkeiten beim Sprechen durch Verschlucken
von Buchstaben; dies ist jedoch beim Kläger aufgrund des üblichen Sprachgebrauchs nicht objektivierbar. Schließlich ist das
Temperatur- und Schmerzempfinden im mittleren Gesichtsbereich beeinträchtigt.
Im Hinblick auf die Behinderung der Nasenatmung aufgrund der Fehlform der Nasenscheidewand besteht eine erhöhte Infektanfälligkeit.
Der bereits durch den Vorschaden bedingte Dauerschnupfen wird durch die Fehlform verstärkt. Wenn der Körper bei bestimmten
Tätigkeiten mehr Luft benötigt, ist deshalb beim Kläger eine Mundatmung erforderlich mit den üblichen Folgen einer Einschränkung
des Geruchs- und Geschmacksvermögens, einer erhöhten Infektneigung, Kopfschmerzen, Beschwerden des Halses und der Bronchien,
Belastung des Herz-Kreislaufsystems oder geminderter Leistungsfähigkeit, wie auch von der Beklagten grundsätzlich ausgeführt
wird. Dass der Kläger dennoch Eishockey auf höchstem Niveau spielte, kann ihm von der Beklagten nicht entgegen gehalten werden,
da nach allen vorliegenden neurologischen und HNO-ärztlichen Gutachten die Behinderung der Nasenatmung tatsächlich vorliegt.
Bei der Bewertung der MdE ist allerdings nicht auf den konkreten Beruf als Eishockeyspieler, sondern auf die abstrakte Beeinträchtigung
im Hinblick auf die Erwerbsfähigkeit abzustellen. Die Fachliteratur wie SMV unterscheidet bei der Bewertung der MdE im Bereich
des Gesichtsnervs (dort: Fazialis-Nerv) nach dem Umfang der störenden Wirkung; eine MdE bis 10 v.H. ist danach bei einer einseitigen,
wenig störenden Lähmung gerechtfertigt, eine MdE von 20 bis 30 v.H. bei ausgeprägten Störungen oder Kontrakturen (SMV, a.a.O.,
S. 321). An anderer Stelle erfolgt die Einteilung nach der Art einer Entstellung (S. 252). Hinsichtlich der Gesichtsnervenlähmung
wird die o.g. Bewertung wiederholt.
Eine entsprechende Bewertung findet sich auch in Mehrhoff/Ekkenkamp/Wich (Unfallbegutachtung, 13. Aufl. 2012, S. 150).
Vorliegend sind jedoch weder entstellende Gesichtspunkte im Vordergrund noch liegt eine muskuläre Lähmung vor, sondern Sensibilitätsstörungen
wie Taubheitsgefühl, Gefühl der Schwellung und Kaubeeinträchtigungen, worauf insbesondere Dr. C. und Dr. D. bei der Bemessung
einer MdE von 20 v.H. abstellten. Dr. C. legte dar, dass die Bewertungen in der Fachliteratur zur Lähmung des Gesichtsnervs
analog herangezogen werden könne. Maßgeblich für die Beurteilung einer MdE von 20 v.H. waren für den Sachverständigen Dr.
C. die oben dargestellten Folgen des Ausfalls des Nervus infraorbitalis, vor allem die Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme,
ergänzt durch einen Phantomschmerz. Es handelt sich nicht mehr um eine Störung, die einer "einseitigen, wenig störenden Lähmung"
des Gesichtsnervs mit einer MdE von 10 v.H. vergleichbar ist. Auch die neurologischen Gutachter Dr. D. und Dr. K. beurteilen
übereinstimmend diese Beeinträchtigung im Sinne einer "persistierenden Funktionsstörung des Nervus infraorbitalis rechts"
(Dr. K., S. 12) mit einer MdE-Höhe von 20 v.H. Die Annahme der Beklagten, dass die Gutachter dabei die Grundsätze für die
Entschädigung nach dem Schwerbehindertenrecht und nicht die Erfahrungswerte bei der Beurteilung der MdE im Recht der gesetzlichen
Unfallversicherung angewandt haben sollen, kann vom Senat nicht nachvollzogen werden. Beide Sachverständige stützten sich
auf Widder/Gaidzik (Begutachtung in der Neurologie). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde mit dem Sachverständigen Dr.
C. die einschlägige Fachliteratur nach Mehrhoff u.a. und SMV erörtert.
Aus den oben dargelegten Gründen ist auch eine Verschlimmerung der Behinderung der Nasenatmung bei der Bildung der Höhe der
MdE zu berücksichtigen. Die Ausprägung der doppelseitigen Nasenventilationsstörung bewertete Dr. C. mit einer Einzel-MdE von
10 v.H. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist für den Senat überzeugend, dass durch die Fehlform der Nasenscheidewand Sekret
schlecht abließen kann; dies führt zu einer höheren Infektanfälligkeit. Beeinträchtigend ist ferner die Notwendigkeit der
Mundatmung bei größeren Anstrengungen; dies betrifft nicht nur das Eishockeyspiel, sondern jegliche größere Anstrengung. Folge
ist ein Absinken der Leistungsfähigkeit und eine zusätzliche Infektanfälligkeit insbesondere im Hals und in den Bronchien.
Unabhängig davon, dass nach den neurologischen Gutachten und nach der Einschätzung des Dr. C. bereits der Ausfall des Nervus
infraorbitalis rechts zu einer MdE von 20 v.H. führt, hat Dr. C. für den Senat nachvollziehbar eine Gesamt-MdE in Höhe von
20 v.H. unter Berücksichtigung auch der Verschlimmerung der Behinderung der Nasenatmung gebildet.
Für den Senat sind aus den dargelegten Gründen die neurologischen Gutachten des Dr. K. und Dr. D. schlüssig und überzeugend.
Dies gilt auch für das HNO-ärztliche Gutachten des Dr. C., das dieser dem Senat und den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung
erläuterte. Der Senat gelangt unter Einbezug der Fachliteratur zu einer MdE von 20 v.H. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
war daher aufzuheben.
Der Beginn der Verletztenrente richtet sich nach §
72 Abs.
1 Nr.
2 SGB VII, da Verletztengeld nicht geleistet wurde.
Die Kostenfolge stützt sich auf §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG nicht vorliegen.