Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes; Anordnungsanspruch
bei Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten
Gründe:
I. Mit Beschluss vom 18. März 2010 hat das Sozialgericht Landshut (SG) eine einstweilige Regelung sowie Prozesskostenhilfe als solche abgelehnt.
Der 1957 geborene Antragsteller (Ast) ist nach Feststellung der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) zwar voll erwerbsgemindert,
erhält aber mangels Wartezeit (vgl. §
43 SGB VI) keine Leistungen (zuletzt bestätigt mit Gerichtsbescheid des SG vom 07.08.2009, S 11 R 395/09). Der Ast bezieht aber eine große Witwerrente mit einem Zahlbetrag von 302,94 Euro (Stand Oktober 2009).
Bislang hatte die Agentur für Arbeit dem Ast vom 01.07.2008 bis 31.08.2008 Leistungen der Grundsicherung (Arbeitslosengeld
II) bewilligt, die Weitergewährung dieser Leistung aber mit Bescheid vom 03.09.2008 wegen fehlender Mitwirkung ganz versagt.
Dieser Entscheidung schloss sich der Antragsgegner zunächst wegen der Kosten der Unterkunft an. Mittlerweile trägt er diese
aber ebenso wie die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.
In der Folgezeit stellte sich der Ast auf den Standpunkt, Antragsformulare bereits am 23.3.2009 (nach dem SGB II) ausgefüllt
zu haben. Des Weiteren äußerte er die Ansicht, dass die Hinterbliebenenrente nach seiner am 03.09.1997 verst. Ehefrau kein
berücksichtigungsfähiges Einkommen sei, weil sie beispielsweise der Grabpflege diene und weil sie auf von seiner Ehefrau entrichteten
Beiträgen beruhe.
Am 11.12.2009 wurde der Ast angeschrieben, weil im Auszahlungsbetrag der Witwerrente keine Zuschüsse zur Krankenversicherung
nicht enthalten seien. Gleichzeitig teilte der Antragsgegner ihm mit, dass sein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII genau
berechnet werde, sobald die Höhe des möglichen Zuschusses des Rentenversicherungsträgers zur Krankenversicherung bekannt sei.
Den am 22.01.2010 vom Ast beim SG gestellten Antrag, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig weitere Sozialhilfeleistungen
in Höhe von monatlich 711,00 Euro (351 Euro Grundversorgung, 160 Euro Grundzulage für laufende Anschaffungen und 200 Euro
für zusätzliche medizinische Behandlungen) zu gewähren, hat dieses zurückgewiesen. Ein Anordnungsanspruch des Ast auf höhere
als die bereits gewährten Sozialhilfeleistungen, könne nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Sei
das SG auf die Mitwirkung eines Beteiligten angewiesen und komme der seiner Pflicht nicht nach, wirke sich dies zu seinen Lasten
aus, wenn eine weitere Aufklärung von Amts wegen insbesondere wegen Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit nicht möglich ist.
Dies gelte insbesondere für die Vermögenssituation des Ast, da weder eine Bankauskunft noch eine Vermögenserklärung vorliegen,
obwohl der Antragsgegner den Ast mehrfach zur Vorlage dieser Unterlagen aufgefordert habe.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei unzulässig. Ausschließliches Ziel eines solchen Antrags sei ein gerichtskostenfreien
Verfahren - wie vorliegend - die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts hat der Ast jedoch nicht
beantragt; es ist auch nicht ersichtlich, dass er einen Rechtsanwalt mandatiert hätte und ihm entsprechende Kosten entstanden
wären. Im Übrigen ist der Antrag auch unbegründet.
Hiergegen hat der Ast rechtzeitig Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.
II. Das Bayer. Landessozialgericht ist zur Entscheidung über die zulässige Beschwerde in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
zuständig (§§ 86b Abs.
3,
172 Abs.
3 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). Angesichts einer dauernden Leistung auf Grundsicherung sowie des Umfangs der beantragten Leistungsgewährung ist der Beschwerdewert
gegeben.
Die zulässige Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Dem Typus des vorläufigen Rechtsschutzes nach handelt es sich um eine einstweilige Anordnung. Denn die bisherige Bewilligung
für den Ast zur Hilfe zum Lebensunterhalt (Agentur für Arbeit, Arbeitslosengeld II) war zeitlich befristet mit dem 31.08.2008
abgelaufen. Hinsichtlich der den Antragsgegner ohnehin wegen der Leistungen für die Kosten der Unterkunft bekannten Bedarfslage
ist bislang noch keine Regelung erfolgt. Laut Mitteilung vom 31.03.2009 "anerkannte" der Antragsgegner dem Grunde nach die
Anspruchsberechtigung nach dem SGB XII und damit seine Zuständigkeit.
Demnach kann gemäß §
86b Abs.
2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige
Anordnung treffen. Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung sind ein Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch (§
86b Abs.
2 SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung). Zutreffend hat das SG auf S. 3 seines Beschlusses auch angeführt, dass in Fällen, in denen es um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums
geht, eine Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund fehlender Erfolgsaussichten der Hauptsache nur zulässig ist,
wenn das Gericht die Sach- und Rechtslage abschließend und nicht nur summarisch geprüft hat (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005
Az. 1 BvR 569/05 und Beschluss vom 06.02.2007 Az. 1 BvR 3101/06).
Das Grundrecht des Ast auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.
1 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art.
20 Abs.
1 GG (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010, 1 BvL 1/09 u.a.) ist hier nicht verletzt. Die materiellen Voraussetzungen für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe
am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben sind gewährleistet. Denn der Ast erhält, unabhängig von der Frage,
ob eine Anrechnung rechtlich zulässig ist, vom Träger der DRV Bund monatlich einen Betrag von 302,94 Euro und darüber hinaus
von dem Antragsgegner die Kosten der Unterkunft sowie den Beitrag zu seiner freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen
Krankenversicherung. Die Differenz zur Regelleistung in Höhe von 359 Euro, die dem Ast unter Beachtung eines im Grunde nach
(etwa eine Größenordnung von 6% der Rentenleistung) zu zahlenden Zuschusses zur Krankenversicherung bei einem Obsiegen in
der Hauptsache fehlt, ist bis zur endgültigen Entscheidung hinnehmbar. Sie entspricht jedenfalls dem Bestandteil des Regelsatzes,
der nicht der Befriedigung einer gegenwärtigen Notlage dient, sondern der Ansparung für zukünftige Bedarfe wegen einmaliger
anfallender Bedarfslagen (vgl. dazu den Beschluss des entscheidenden Senats vom 23.03.2009, Az.:L 8 SO 36/09 B ER). Für die
Bedrohung der pysischen Existenz wegen der weiter behaupteten Bedarfslagen zusätzlicher Krankheitskosten oder behinderungsbedingter
Mehraufwendungen fehlen konkrete Anhaltspunkte.
Eine "Gefahr der Entstehung schwerer und unzumutbarer, anders nicht abwendbarer Beeinträchtigungen" iSd Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05, vom 29.7.2003 - 2 BvR 311/03, vom 30.7.2003 - 1 BvR 646/02 = NVwZ 2004, 96 und vom 6.2.2007 - 1 BvR 3101/06) besteht damit nicht (vgl. dazu Beschluss des erkennenden Senats vom 03.12.2009, Az.: L 8 SO 191/09 B ER).
Damit darf zu Recht darauf abgestellt werden, dass der Kläger einen Anordnungsanspruch nicht hinreichend glaubhaft gemacht
hat. Trotz des Grundsatzes der Amtsermittlung (§
103 SGG), der im Übrigen auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gilt, kann hier mangels Mitwirkung des Klägers keine
hinreichende Aussage über den Zuschuss zur Krankenversicherung getroffen werden. Damit ist nicht erkennbar, dass dem Ast auf
jeden Fall die Differenz zwischen der Auszahlung des Rentenversicherungsträgers und dem Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes
zusteht. Der Zuschuss zur Krankenversicherung (vgl. §
106 SGB VI) liegt mithin in einer Größenordnung von gut sechs Prozent des Rentenzahlbetrages. Schließlich lässt sich auch keine Aussage
zu einem Mehrbedarf im Sinne von § 30 Abs. 1 SGB XII treffen. Dazu bedürfte es des Nachweises einer erheblichen Gehbehinderung
durch Bescheid oder Ausweis. Zwar gilt auch im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes der Amtsermittlungsgrundsatz des §
103 SGG. Wie im Hauptsacheverfahren würden jedoch die Beteiligten Mitwirkungspflichten bzw. eine Mitwirkungslast (§§
103 Satz 1, 2. Halbsatz, 106 Abs.
1,
112 Abs.
2 SGG) treffen. Dazugehört zwar nicht unbedingt das Ausfüllen von Antragsformularen. Gemäß §
60 Abs.
2 SGB I sollen Vordrucke benutzt werden, soweit für die in §
60 Absatz
1 Satz 1 Nr.
1 und
2 SGB I genannten Angaben Vordrucke vorgesehen sind. Da §
60 Abs.
2 SGB I eine Soll-Vorschrift darstellt, ist es unschädlich, wenn der Verpflichtete die Vordrucke aus triftigem Grunde nicht benutzt,
aber trotzdem alle leistungs- und entscheidungserheblichen Tatsachen mitteilt. Unabdingbar ist in der Sache des Ast jedoch
zumindest die Zustimmung zur Einholung von Auskünften oder Beiziehung von Unterlagen, die seinen Gesundheitszustand betreffen,
insbesondere hinsichtlich seines Feststellungsverfahrens nach dem
SGB IX. Insoweit besteht eine Mitwirkungsobliegenheit, die hier zwar nicht sanktioniert wird, aber bei eine Beweislastentscheidung
Beachtung finden darf. Denn gemäß §
60 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind,
und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen (Nr.
1) und Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer
Vorlage zuzustimmen (Nr. 3). Soweit sich der Ast dieser Mitwirkung verweigert, hat er die Konsequenzen zu tragen (vgl. Beschluss
des erkennenden Senats vom 14.01.2010, L 8 SO 218/09 B ER).
Nicht aber ist die Antragstellung als solche erforderlich, da Leistungen der Sozialhilfe nach Bekanntwerden der Notlage einsetzen
(vgl. § 18 SGB XII: Einsetzen der Sozialhilfe; die Sozialhilfe, mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung, setzt ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass
die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen) und der Kläger nicht offensichtlich auf Dauer voll erwerbsgemindert ist (Leistungen
der Grundsicherung erfolgen nur auf Antrag, vgl. § 41 Abs. 1. 2. HS SGB XII). Im Übrigen liegt bereits ein Antrag auf Grundsicherung
nach dem SGB II vor (vgl. zur Weitergeltung von Anträgen Urteil des BSG vom 28.10.2009, B 14 AS 56/08 R, Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 13/08 R). Wieweit angesichts einer Beteiligung des Landkreises an einer Arbeitsgemeinschaft
für Grundsicherung einer derartigen organisatorischen Verflechtung entspricht, dass ein Antrag beim Grundsicherungsträger
dem Träger der Sozialhilfe zuzurechnen ist, muss hier nicht entschieden werden, da im Landkreis des Antragsgegners keine Arge
besteht. Die Antragsgegnerin war hier viel mehr schon gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende
für die Leistungen der Kosten der Unterkunft (§ 22 SGB II) zuständig.
Letztlich fehlt es auch an einem Anordnungsgrund. Zum einen ist durch das Verhalten des Antragsgegners die Befriedigung des
Bedarfs an Kosten der Unterkunft sichergestellt. Zum anderen liegt keine Notwendigkeit vor, über die voraussichtlich geringe
Zahlung einer Regelleistung eine vorläufige Anordnung zu treffen. Solange es der Ast unter Anführung einer irrigen Rechtsansicht
zur Einkommensqualität seiner Witwerrente nicht für nötig erachtet, gehörig an der Ermittlung des Sachverhaltes mitzuwirken,
bestehen erhebliche Zweifel an der Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung. Schließlich ist dem Ast mehrmals die Notwendigkeit
seiner Mitwirkung vor Augen gehalten worden. So hatte bereits die Agentur für Arbeit als Trägerin der Leistungen der Grundsicherung
für Erwerbsfähige mit Bescheid vom 03.09.2008 die Leistung wegen fehlender Mitwirkung ganz versagt.
Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Beschlusses erster Instanz verwiesen.
Die Beschwerde hat damit insgesamt keinen Erfolg. Damit hat der Ast auch keinen Anspruch auf Kostenerstattung (§
193 SGG).
Aus den oben genannten Gründen liegt auch keine hinreichende Erfolgsaussicht vor, die die Zubilligung von Prozesskostenhilfe
rechtfertigen würde. Auch (aber nur) insoweit wird auf dem Beschluss erste Instanz verwiesen, wonach (vgl. §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
114 Satz 1
ZPO) ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur
zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe nur dann erhält, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.