Gründe:
Der Kläger wehrt sich gegen ein Ordnungsgeld i.H.v. 200 EUR.
Mit seiner im Februar 2013 erhobenen Klage wandte sich der Kläger gegen Bescheide der Beklagten, die seinen Antrag auf Übernahme
vorweg geltend gemachter Bewerbungskosten i.H.v. 20 EUR als Darlehen ablehnten. Im November 2014 verfügte das Sozialgericht
die Anhörung der Beteiligten zu seiner Absicht, über die Klage durch Gerichtsbescheid (§
105 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) zu entscheiden. Im Dezember 2014 bzw. März 2015 erklärten sich beide Beteiligte mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung einverstanden.
Die an den Kläger gerichtete Ladung zum Erörterungstermin am 25. Februar 2019 wurde ihm mit Postzustellungsurkunde vom 23.
Januar 2019 zugestellt. Der Kläger erschien zu diesem Termin nicht. Ausweislich des Protokolls zu diesem Erörterungstermin
gab das Sozialgericht dem Kläger lediglich auf darzulegen, warum er trotz der Anordnung des persönlichen Erscheinens zum Termin
nicht erschienen sei. Hierauf antwortete der Kläger mit Schriftsatz vom 29. Mai 2019: Er habe keine Kenntnis von einem Termin
gehabt und sei zudem chronisch krank, sodass eine Teilnahme gesundheitlich ohnehin nicht möglich gewesen wäre; bereits 2014
habe das Sozialgericht hierzu eine ärztliche Bescheinigung erhalten. Außerdem sei die Angelegenheit "aus dem Jahr 2012 (Klage
2014) und längst nicht mehr zutreffend im Jahr 2019".
Mit Schreiben vom 29. November 2019 fragte das Sozialgericht beim Kläger an, ob sein Schreiben vom 25. (gemeint offensichtlich:
29.) Mai 2019 dahin zu verstehen sei, dass er den Rechtsstreit für erledigt halte.
Mit Verfügung vom 24. Januar 2020 lud das Sozialgericht den Kläger zur mündlichen Verhandlung am 27. März 2020 und ordnete
sein persönliches Erscheinen an. Unter dem 25. Februar 2020 verfügte das Sozialgericht, dass der Rechtsstreit am 29. Mai 2019
durch Zurücknahme erledigt worden sei und der Termin zum 27. März 2020 aufgehoben werde. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte,
dass er die Klage nicht zurückgenommen habe (Schriftsatz vom 27. Februar 2020), lud das Sozialgericht den Kläger unter Anordnung
des persönlichen Erscheinens erneut zur mündlichen Verhandlung am 27. März 2020 der umgeladen wurde auf den 4. Mai 2020. In
diesem Termin, an dem der Kläger nicht teilnahm, wies das Sozialgericht die Klage ab; die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde
ist im Senat anhängig unter dem Aktenzeichen L 14 AS 1167/20.
Mit Beschluss vom 6. Mai 2020 setzte das Sozialgericht gegen den Kläger ein Ordnungsgeld i.H.v. 200 EUR fest, weil er der
mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2019 ferngeblieben sei, obwohl er ordnungsgemäß geladen und über die Folgen seines
Ausbleibens belehrt worden sei. Ferner führte der Sozialgericht - vor einer abschließenden Erwägung zur Höhe des Ordnungsgeldes
- aus:
"Soweit der Kläger in dem Schriftsatz vom 29. Mai 2020 behauptet, dass er keine Kenntnis von dem Termin gehabt habe, ist dies
unglaubwürdig. Die Zustellungsurkunde ist eine öffentliche Urkunde im Sinne der Vorschrift des §
415 ZPO und erbringt damit den vollen Beweis dafür, dass dem Kläger die Ladung persönlich übergeben wurde.
Die behauptete gesundheitlich bedingte Abwesenheit des Klägers ist nicht belegt. Die ärztliche Bescheinigung aus dem Jahr
2014 ist nicht geeignet, die Verhandlungsunfähigkeit am 25. Februar 2019 zu belegen. Dem Gericht sind keine weiteren Gründe
für das Ausbleiben des Klägers bekannt."
Gegen diesen ihm am 8. Mai 2020 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Klägers vom 5. Juni 2020, zu deren
Begründung er u.a. auf sein Schreiben vom 29. Mai 2019 verweist.
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
2. Die Beschwerde ist auch begründet, weil der Beschluss des Sozialgerichts ermessensfehlerhaft ist.
a. Bleibt ein Beteiligter, dessen persönliches Erscheinen nach §
111 Abs.
1 Satz 1
SGG angeordnet worden ist, im Termin aus, so kann gegen ihn Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen
Zeugen festgesetzt werden (§
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
141 Abs.
3 Satz 1
Zivilprozessordnung [ZPO]). Die Auferlegung eines Ordnungsgeldes setzt mithin zum einen voraus, dass der Beteiligte unter Anordnung des persönlichen
Erscheinens und Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens (§
111 Abs.
1 Satz 2
SGG) ordnungsgemäß geladen worden ist, zum anderen, dass er ohne rechtzeitige genügende Entschuldigung (§
381 Abs.
1 Satz 1
ZPO) zum Termin weder erschienen ist noch einen geeigneten Vertreter entsandt hat (§
141 Abs.
3 Satz 2
ZPO). Der Senat kann unterstellen, dass diese Voraussetzungen hier im Hinblick auf den Termin vom 25. Februar 2019 gegeben sind.
b. Das Sozialgericht hat das ihm nunmehr eröffnete Ermessen nicht ausgeübt.
aa. Während bei einem Ausbleiben eines Zeugens gemäß §
380 Abs.
1 Satz 2
ZPO (" wird gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt") ein Ordnungsgeld zu verhängen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut von §
141 Abs.
3 Satz 1
ZPO ("kann gegen sie Ordnungsgeld festgesetzt werden"), dass das Gericht bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen Ermessen
nicht nur in Bezug auf die Höhe des Ordnungsgeldes (Auswahlermessen), sondern zunächst im Hinblick auf das "Ob" der Festsetzung
(Entschließungsermessen) hat. Bei letzterer ist eine zweistufige Prüfung unter besonderer Berücksichtigung des jeweiligen
Gesetzeszwecks (§
111 Abs.
1 Satz 1
SGG; §
141 Abs.
3 Satz 1
ZPO) vorzunehmen: In der ersten Stufe ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens vor dem Hintergrund des zum Zeitpunkt der
Prüfung bekannten Verfahrensstandes darauf zu untersuchen, ob sie - auch (noch) im Zeitpunkt des Termins, dem der Beteiligte
ferngeblieben ist - geboten war; in der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob die Verhängung eines Ordnungsgeldes die gebotene Reaktion
auf das Ausbleiben darstellt (Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. März 2010 - L 5 AS 1114/09 B -, juris). Für die Prüfung, ob das Sozialgericht sein durch §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
141 Abs.
3 Satz 1
ZPO eröffnetes Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat, muss seinem Beschluss zu entnehmen sein, dass es seinen Ermessensspielraum
erkannt hat (zu diesem Kriterium im Sozialverwaltungsverfahren Engelmann, in: Schütze, SGB X, 9.A., § 35 Rn. 11 m.w.N.) und von welchen Ermessensgesichtspunkten es - unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls
und des (auch) aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art.
20 Abs.
3 Grundgesetz) resultierenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - sowohl im Hinblick auf die Anordnung des persönlichen Erscheinens als auch
auf die Festsetzung eines Ordnungsgeldes ausgegangen ist (LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.; Beschluss vom 31. Mai 2017 - L 31 AS 1027/17 B -, juris).
Ob die - im Ermessen des Gerichts stehende (§
111 Abs.
1 Satz 1
SGG) - Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten nur dazu dient (bzw. dienen darf), durch die persönliche Anwesenheit
von Beteiligten das gerichtliche Verfahren zu fördern und in diesem Zusammenhang vor allem die Möglichkeit zu geben, das Wissen
der Partei um den Sachverhalt zu nutzen (LSG Berlin-Brandenburg a.a.O., m.w.N.), oder auch weitere Zwecke mit dieser Anordnung
verfolgt werden (dürfen) (zum Meinungsstand vgl. Münker, jurisPraxisReport-SozR 2/2011 Anm. 6; Freudenberg, jurisPraxisReport-SozR
10/2009 Anm. 6; Frehse, SGb 2010, 388-393; jeweils mit weiteren Nachweisen), muss der Senat allerdings ebenso wenig entscheiden wie die Frage, welchen Zielen die
Festsetzung eines Ordnungsgeldes dienen darf (zum Meinungsstand: Münker, Freudenberg, Frehse, LSG Berlin-Brandenburg, alle
a.a.O.). Denn der angefochtene Beschluss krankt bereits an unabhängig davon erheblichen Ermessensfehlern.
bb. In der Begründung seiner Entscheidung (Teil II. des Beschlusses) befasst sich das Sozialgericht ausschließlich mit den
tatbestandlichen Voraussetzungen von §
141 Abs.
3 Satz 1
ZPO (ordnungsgemäße Ladung und Belehrung, Fehlen einer genügenden Entschuldigung für das Ausbleiben). Damit lässt sein Beschluss
schon seine Befugnis und Pflicht zur Ermessensausübung im Rahmen von §
202 Abs.
1 SGG i.V.m. §
141 Abs.
3 Satz 1
ZPO nicht erkennen. Zwar muss der Begriff "Ermessen" nicht ausdrücklich erwähnt werden; vielmehr kann die Darstellung der berücksichtigten
Ermessensgesichtspunkte und deren Abwägung genügen (vgl. Engelmann a.a.O.). Aber auch daran mangelt es der angefochtenen Entscheidung,
weil wesentliche Umstände des vorliegenden Falles unberücksichtigt geblieben sind.
So hätte das Sozialgericht nicht außer Acht lassen dürfen, dass die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach seinem instanzabschließenden
Urteil vom 27. März 2020 wenn nicht im Regelfall ausgeschlossen war, so doch einer besonderen Rechtfertigung bedurft hätte
(zum Meinungsstand s. die Nachweise bei Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
Sozialgerichtsgesetz, 13.A., §
111 Rn. 6a, und Kühl, in: Fichte/Jüttner,
SGG, 3.A.; §
111 Rn. 3).
Auch hätte das Sozialgericht erwägen müssen, welches Ziel mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens zum Termin am 25.
Februar 2019 sachgerechterweise noch verfolgt werden konnte, nachdem es bereits im November 2014 eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid,
d.h. ohne mündliche Verhandlung (§
105 Abs.
1 Satz 1
SGG), für möglich gehalten hat. Gegen das Ziel, mit Hilfe des Klägers den Sachverhalt weiter aufzuklären oder den Kläger seine
Klage näher begründen zu lassen, spricht, dass das Sozialgericht ihn - als Ergebnis des Erörterungstermins - nur zu einer
Entschuldigung seines Ausbleibens aufgefordert hat. Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang angesichts des mehrfachen Wechsels
der zuständigen Kammer während des erstinstanzlichen Verfahrens nicht, dass der die Festsetzung eines Ordnungsgeldes prüfende
Vorsitzende typischerweise der Akte nicht entnehmen kann, aus welchen Gründen ein früherer Vorsitzender das persönliche Erscheinen
eines Beteiligten angeordnet hat. Dieser Umstand zwingt aber zu umso größerer Zurückhaltung bei der Festsetzung eines Ordnungsgeldes,
zumindest aber zu einem erhöhten Begründungsaufwand. Dies gilt umso mehr, wenn - wie im vorliegenden Fall - der betreffende
Termin schon weit über ein Jahr zurückliegt.
3. Der Senat hat eine Kostenentscheidung zu treffen (hierzu a.), muss über deren Rechtsgrundlage indes nicht abschließend
befinden (hierzu b.).
a. Seit dem Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) vom 5. Mai 2004 (BGBl I 718) bedarf grundsätzlich auch jeder auf eine Beschwerde hin ergehende gerichtliche Beschluss einer
Kosten(grund)entscheidung. Denn das RVG sieht gesonderte Gebühren für jedes Beschwerdeverfahren vor. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG ist (u.a.) jedes Beschwerdeverfahren eine "besondere Angelegenheit", die im Verhältnis zur Hauptsache zusätzliche Gebühren
für den prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt selbst dann auslöst, wenn die Tätigkeit, die den Anlass zu der Beschwerde bildet,
durch die Verfahrensgebühr des Hauptsacheverfahrens abgegolten wird. Dementsprechend fällt nach Gebührenziffer 3501 der Anlage
1 zum RVG (Vergütungsverzeichnis) für ein Beschwerdeverfahren in Fällen des § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG eine eigene Gebühr an. Dies macht - zumindest in (wie hier) gemäß §
183 Satz 1
SGG kostenprivilegierten Verfahren - eine isolierte Kostenentscheidung erforderlich (BSG, Beschluss vom 01. April 2009 - B 14 SF 1/08 R -, juris; LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.; Münker a.a.O.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
Sozialgerichtsgesetz, 13.A., §
176 Rn. 5a; jeweils m.W.N.). Im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art.
3 Grundgesetz darf es indes für die Frage nach der Erforderlichkeit einer Kostenentscheidung keine Rolle spielen, ob bei einer Beschwerde
eine anwaltliche Vertretung stattgefunden hat (LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt a.a.O.).
b. Da es im vorliegenden Fall offensichtlich unbillig wäre, der Beklagten die Kosten des Klägers für das Beschwerdeverfahren
aufzuerlegen, und da ausschließlich die unzureichende Begründung des sozialgerichtlichen Beschlusses Anlass für das Beschwerdeverfahren
war, sind diese auf die Staatskasse zu übernehmen. Ob diese Rechtsfolge aus einer analogen Anwendung von §
193 SGG oder von § 46 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz i.V.m. §
467 Abs.
1 Strafprozessordnung abzuleiten ist (zum Meinungsstand: LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.; Münker a.a.O.), kann der Senat dahin stehen lassen.
4. Diese Entscheidung kann gem. §
177 SGG nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden.