Rechtmäßigkeit der Entziehung eines Merkzeichens
Änderung eines Dauerverwaltungsaktes
Entziehungsbescheid kein Dauerverwaltungsakt
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten noch um die Rechtmäßigkeit der Entziehung des Merkzeichens aG.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2007 hatte der Beklagte beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Vorliegen der
gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G, aG, H sowie RF festgestellt. Mit Bescheid vom 3. November 2009
hob der Beklagte seinen Bescheid vom 31. Mai 2007 teilweise auf, setzte den GdB auf 70 herab und stellte weiter fest, die
medizinischen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, aG, H und RF lägen nicht mehr vor. Die Änderungen sollten ab dem 3. November
2009 Wirksamkeit erlangen. Den hier gegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober
2010 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage vor dem Sozialgericht Potsdam hat der Kläger sich gegen die Absenkung des GdB gewährt
und darüber hinaus die Entziehung der Merkzeichen B, aG, H und RF angegriffen. Mit Datum vom 15. Juli 2011 hat der Beklagte
ein von ihm sog "Teilanerkenntnis" dahingehend abgegeben, dass ab dem 18. August 2010 der GdB 80 betrage und die gesundheitlichen
Voraussetzungen für das Merkzeichens B vorlägen. Dieses "Teilanerkenntnis" hat der Kläger angenommen, die Klage jedoch zunächst
fortgeführt. In der mündlichen Verhandlung am 19. März 2013 hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben des Inhalts, dass
die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H weiterhin bestünden. Auch dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger
angenommen und zugleich sein Klagebegehren bezüglich der Höhe des Grades der Behinderung und des Merkzeichens RF für erledigt
erklärt. Die Teilanerkenntnisse hat der Beklagte mit Bescheid vom 3. April 2013 umgesetzt.
Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 19. März 2013 abgewiesen und dem Beklagten auferlegt, ein Drittel der
außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Zur Begründung hat es ausgeführt, beim Kläger lägen die medizinischen
Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht vor.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 19. März 2013 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 3. November 2009 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2010 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 3. April 2013 aufzuheben,
soweit darin der Bescheid des Beklagten vom 31. Mai 2007 hinsichtlich der Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für
das Merkzeichen aG aufgehoben wird.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des medizinischen Sachverständigen Facharztes für Allgemeinmedizin
und physikalische und rehabilitative Medizin Dr. S vom 19. Februar 2014. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug
genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des
Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, soweit sie die im Berufungsverfahren
allein noch streitgegenständliche Entziehung des Merkzeichens aG betrifft, denn insofern ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den Bescheid ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch (SGB X). Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,
die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im hier zu entscheidenden
Fall handelt es sich bei dem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung um den Verwaltungsakt vom 31. Mai 2007. Ob im Sinne der genannten
Vorschrift in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung
eingetreten ist, kann indes dahinstehen, denn der angefochtene Verwaltungsakt vom 3. November 2009 überschreitet hinsichtlich
der darin angeordneten Rechtsfolge den Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Entgegen der Ermächtigungsnorm hat der angefochtene Verwaltungsakt vom 3. November 2009 den Dauerverwaltungsakt vom 31.
Mai 2007 nicht mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben, sondern mit Wirkung für die Vergangenheit. Nach dem Verfügungsteil
des Bescheides vom 3. November 2009 sollte die Aufhebungswirkung ab demselben Tag eintreten. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam,
in dem er ihm bekannt gegeben wird. Mithin konnte die Wirkung des angefochtenen Verwaltungsakts vom 3. November 2009 gegenüber
dem Kläger erst ab der Bekanntgabe im Sinne des § 37 SGB X eintreten und nicht bereits am 3. November 2009. Tatsächlich handelte es sich damit um eine Aufhebung mit Wirkung bereits
für die Vergangenheit und nicht um eine Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft.
Die Rechtswidrigkeit führt auch zur vollständigen Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Insbesondere kommt eine Aufhebung
nur für die Zeit vor Bekanntgabe des Bescheides nicht in Betracht, da eine Teilbarkeit des Bescheides in zeitlicher Hinsicht
nicht gegeben ist. Ein Bescheid, mit dem eine begünstigende Feststellung im Schwerbehindertenverfahren ganz oder teilweise
aufgehoben wird, ist nicht derart in zeitlicher Hinsicht teilbar, dass einer rechtswidrig früh einsetzenden Wirkung durch
Aufhebung des Bescheides nur für einen Teilzeitraum Rechnung getragen und der Bescheid im Übrigen aufrechterhalten werden
könnte (a.A. wohl 11. Senats des LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. November 2014 - L 11 SB 178/10). Bei einem Entziehungsbescheid, der eine günstige Feststellung in einem Dauerverwaltungsakt ändert, handelt es sich seinerseits
nämlich nicht um einen Dauerverwaltungsakt (so auch LSG Hamburg, Urteil vom 24. Juni 2014, L 3 SB 23/12, juris). Seine Wirkung beschränkt sich darauf, den aufzuhebenden Dauerverwaltungsakt zum Zeitpunkt der von der Behörde intendierten
Wirksamkeit ganz oder teilweise aufzuheben. Für nachfolgende Zeiträume enthält er hingegen keinerlei Feststellung. Maßgeblich
ist insoweit einzig der ursprüngliche Dauerverwaltungsakt in der Fassung, die er durch den Entziehungsbescheid erhalten hat.
Diese zeitlich punktuelle Wirkung eines Aufhebungsbescheides führt dazu, dass eine erst später eintretende Wirkung der intendierten
Entziehung - anders eine geringer ausfallende Entziehung der Begünstigung - nicht ein Minus gegenüber der ursprünglichen Regelung
ist, sondern ein Aliud.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) und berücksichtigt das Ausmaß des Obsiegens in der jeweiligen Instanz. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. §
160 Abs.
2 SGG sind nicht gegeben.