Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
- SGB XII - an die Klägerin im Zeitraum vom 01. Juli 2005 bis 30. Juni 2006.
Die 1940 in L (L) geborene Klägerin, die polnische Staatsangehörige ist, hält sich jedenfalls seit dem 26. November 2004 in
der Bundesrepublik Deutschland auf und lebt bei ihrer Tochter und deren 1997 geborenem Sohn. Die Klägerin ist mit Bescheid
der Gemeinde B vom 26. Mai 2003 in Polen seit 1999 als Behinderte "mit beträchtlichem Grad" anerkannt. In der Übersetzung
der "Entscheidung über den Behinderungsgrad" auf der Sitzung vom 26. Mai 2003 heißt es unter Ziffer 7: "Notwendigkeit der
ständigen oder langfristigen Betreuung oder Hilfe einer anderen Person im Bezug auf die beträchtliche Begrenzung zur Führung
einer selbständigen Existenz" - "bedürft", unter Ziffer 6 "Gebrauch machen von der Unterstützung des Milieu in der selbständigen
Existenz" heißt es: "gem. der Anordnung des Behandlungsarztes". Die Klägerin ist ferner im Besitz eines polnischen Versicherungsausweises
der Rentner vom 20. Juni 2003, der den Zusatz enthält "Die Erwähnte ist dauerarbeitsunfähig sowie unfähig zu einer selbständigen
Existenz". Die Klägerin ist im Besitz einer Bescheinigung vom 25. Mai 2005 über ein Aufenthaltsrecht gem.
§ 5 Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU.
Zum Zeitpunkt der Einreise der Klägerin nach Deutschland im November 2004 verfügte deren Tochter über ein monatliches Einkommen
in Höhe von 1 400,25 €, das sich zusammensetzte aus dem Nettoverdienst von 1 076,25 € aus einer vom 15. September 2004 bis
zum 31. August 2005 befristeten Beschäftigung mit einer Probezeit bis zum 14. März 2005, Kindergeld von 154,00 € sowie Unterhaltsvorschuss
für den Sohn in Höhe von 170,00 €. Die Tochter hatte monatlich eine Bruttowarmmiete in Höhe von 608,00 € zu zahlen. Die Klägerin
selbst bezog bei ihrer Einreise eine Rente aus Polen in Höhe von 688,66 Polnischer Złoty (PLN) und eine Pflegebeihilfe in
Höhe von 141,70 PLN (zusammen: 830,36 PLN), unter Zugrundelegung des Wechselkurses im Januar 2006 (Ankaufspreis 1,00 € = 3,83
PLN) zusammen umgerechnet zirka 193,70 €. Im Jahr 2004 betrug das Mindestgehalt in Polen, das von einer aus Vertretern von
Regierung, Arbeitnehmern und Arbeitgebern zusammengesetzten Kommission periodisch neu festgelegt wird, 824 PLN (Quelle internet
http://www.polish-online.com).
Am 19. Juli 2005 stellte die Klägerin, vertreten durch ihre Tochter, bei dem Beklagten einen Antrag auf Grundsicherung nach
dem SGB XII. Hierbei gab die Tochter an, dass die Klägerin bisher von ihr unterstützt worden sei. Nunmehr werde sie, die Tochter,
arbeitslos und könne diese Unterstützung nicht mehr leisten. Die Klägerin habe noch eine Wohnung in Polen gemietet, für die
sie 360,00 PLN zahle, zirka 70,00 €. Die Miete werde an den Hausmeister in bar bezahlt, wenn die Klägerin in Polen sei. Die
Tochter der Klägerin legte bei der Antragstellung u. a. einen Kontoauszug ihres eigenen Kontos vom 18. Juli 2005 vor, der
trotz Eingang der Lohnzahlung für den Monat Juni 2005 ein Sollsaldo von 5 903,19 € aufweist.
Mit Bescheid vom 25. Juli 2005 lehnte der Beklagte es ab, der Klägerin Sozialhilfe zu gewähren. Gemäß § 23 Abs. 3 SGB XII
hätten Ausländer, die eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Die Klägerin sei seit
November 2004 polizeilich bei ihrer Tochter gemeldet. Sie bewohne dort nach der Erklärung ihrer Tochter ein Zimmer und sei
bis jetzt voll von der Tochter unterstützt worden. Sie erhalte eine polnische Rente, die auf ihr polnisches Konto überwiesen
werden. In Deutschland unterhalte sie kein eigenes Konto. Sie unterhalte in Polen auch noch nach acht Monaten eine Wohnung
zur Miete. Die Mietzahlungen erfolgten dort, nach Erklärung ihrer Tochter, beim Hauswart in bar, wenn sie in Polen weile.
Bei ihren Aufenthalten in Polen hebe sie auch das Geld von ihrem polnischen Konto ab. Die im Antrag gemachten Angaben zusammen
mit den von der Tochter gemachten Erklärungen ließen, auch unter Würdigung der speziellen persönlichen Verhältnisse, keinen
anderen Schluss zu, als dass sie sich nicht dauerhaft in Deutschland aufhalte und nur zu dem Zweck eingereist sei, hier Sozialhilfeleistungen
zu beziehen.
Mit am 23. August 2005 bei dem Beklagten eingegangenem Widerspruch machte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin geltend,
dass diese eingereist sei, weil sie pflegebedürftig sei. Sie werde von ihrer Tochter gepflegt. Die Wohnung in Polen sei gekündigt
und werde in zwei Wochen aufgelöst. Es gebe Schwierigkeiten, die polnische Rente nach Deutschland zu transferieren, daher
müsse ein Konto in Polen unterhalten werden. Die Klägerin habe in Polen keine nahen Verwandten, daraus sei ersichtlich, dass
der Aufenthalt in B bei der Tochter allein aus Gründen der Betreuung gewählt worden sei.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2005 mit der Begründung zurück, dass die Klägerin
den Ausschlusstatbestand des § 23 Abs. 3 SGB XII erfülle. Neben dem Wunsch der Klägerin, von ihrer in B lebenden Tochter gepflegt
zu werden, sei die Einreise offenkundig auch von der Möglichkeit geprägt worden, in B Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu können.
Die Klägerin habe außer einer geringen Altersrente, deren Höhe nicht nachgewiesen sei, keine weiteren Einkommen. Sie verfüge
auch über kein Vermögen und sei folglich im Zustand aktueller Hilfebedürftigkeit eingereist. Es bestehe auch nicht in sonstiger
Weise die Aussicht, unabhängig von Sozialhilfe in Deutschland zu leben. Daher habe ihr klar sein müssen, dass sie den Einreise-
bzw. Aufenthaltswunsch nur unter Inanspruchnahme öffentlicher Fürsorgeleistungen verwirklichen könne.
Hiergegen hat die Klägerin am 16. Dezember 2005 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat. Ergänzend zu ihrem Vorbringen im Widerspruchsverfahren hat sie vorgetragen,
sie sei nicht unter Inkaufnahme des Bezuges von Sozialleistungen eingereist. Denn im Zeitpunkt der Einreise im November 2004
habe die Tochter über eine Arbeitsstelle verfügt. Erst mit Schreiben vom 22. Juni 2005 sei dieser mitgeteilt worden, dass
der Vertrag nicht verlängert werde und somit das Arbeitsverhältnis zum 30. Oktober 2005 (gemeint wohl: zum 31. August 2005)
ende. Die Tochter habe zwar lediglich über eine befristete Arbeitsstelle verfügt, habe jedoch die Hoffnung gehegt, dass diese
Arbeitsstelle in eine unbefristete verlängert werde. Sie habe seinerzeit noch über Kindergeld und Unterhaltsvorschuss verfügt,
zusammen mit der polnischen Rente hätten die finanziellen Mittel für drei Personen ausgereicht. Erst aufgrund der drohenden
Arbeitslosigkeit der Tochter sei dann der Antrag auf Gewährung von Sozialhilfeleistungen gestellt worden. Auf Anfrage des
Sozialgerichts hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ferner mitgeteilt, dass die Klägerin ihre Wohnung in Polen nicht
aufgegeben, sondern nur untervermietet habe. Es sei kein Geld für den Umzug vorhanden gewesen, die Untervermietung sei die
kostengünstigste Variante gewesen.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat ferner einen Bescheid des Versorgungsamts Berlin vom 22. Februar 2006 vorgelegt,
mit dem für die Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt worden ist.
Der Beklagte ist erstinstanzlich bei seiner mit dem Widerspruchsbescheid vertretenen Auffassung geblieben und hat ergänzend
ausgeführt, dass die Angaben zur Wohnung widersprüchlich und nicht nachgewiesen seien. Es entstehe der Eindruck, dass die
Möglichkeit einer eventuellen Rückkehr nach Polen offen gehalten werde. Die Hoffnung der Tochter der Klägerin, dass ihr befristetes
Arbeitsverhältnis in ein unbefristetes verlängert werde, sei aufgrund der schlechten Arbeitsmarktlage kaum realistisch gewesen.
Im Übrigen habe die Tochter am Rande der Ausschöpfung des Dispositionskredites von 6 000,00 € gelebt.
Das SG hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 04. April 2006 persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf
Blatt 33 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.
Mit Urteil vom 04. April 2006 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin dem Grunde nach Grundsicherungsleistungen
ab dem 01. Juli 2005 bis zum 30. Juni 2006 zu bewilligen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Anspruch auf
Grundsicherungsleistungen stehe nicht § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII entgegen. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Unterlagen
und des Ergebnisses der Befragung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung gehe die Kammer davon aus, dass Zweck
der Einreise der Klägerin nicht der Sozialhilfebezug und dieser auch nicht für ihren Einreiseentschluss prägend gewesen sei.
Die Klägerin habe für das Gericht glaubhaft dargelegt, dass Grund für ihre Einreise ihr schlechter Gesundheitszustand gewesen
sei. Die Kammer gehe davon aus, dass die Klägerin bei ihrem Entschluss, nach Deutschland zu ihrer Tochter zu kommen, die Frage,
wie sie dort ihren Lebensunterhalt bestreiten könne, nicht bedacht habe. Sie habe nach ihren Angaben den Ausreiseentschluss
in einer gewissen "Panik" gefasst, ohne die Ausreise im Einzelnen zu planen und auch ohne zu bedenken, ob ihre und die wirtschaftlichen
Verhältnisse ihrer Tochter einen Aufenthalt in Deutschland tragen könnten. Die Kammer gehe nach dem Eindruck, den sie von
der Klägerin gewonnen habe, davon aus, dass diese aufgrund ihres Alters und ihres Bildungsstandes keine umfassenden Kenntnisse
von der Möglichkeit des Sozialhilfebezuges in Deutschland gehabt habe. Die Tatsache, dass sie ihre Wohnung in Polen im Wege
der Untermiete beibehalte, spreche nicht für eine Einreise zum Zwecke der Sozialhilfeerlangung. Tatsächlich sei der Klägerin
nach ihrer Einreise nach Deutschland, spätestens bei Eintritt der Arbeitslosigkeit der Tochter, wohl klar geworden, dass ein
ausreichender Lebensunterhalt nicht gesichert sei und dass die Möglichkeit bestehe, dass sie Deutschland wieder verlassen
müsse. Daher behalte sie sich die Rückkehrmöglichkeit für den Notfall vor, beabsichtige die Rückkehr jedoch nicht. Die Beweislast
für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII läge bei dem Beklagten, dem der Nachweis, dass diese
Voraussetzungen erfüllt seien, nicht gelungen sei. Leistungen würden bis einschließlich Juni 2006 zugesprochen, weil Leistungen
der Grundsicherung in der Regel für zwölf Kalendermonate bewilligt würden (§ 44 Satz 1 SGB XII).
Der Beklagte hat gegen das ihm am 26. Mai 2006 zugestellte Urteil am 06. Juni 2006 Berufung eingelegt, zu deren Begründung
er auf erhebliche Zweifel an der Bewertung des Tatbestandes des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII "um-zu" (Einreise, um Sozialhilfe
zu erlangen) durch das Sozialgericht verweist. Die Feststellungen, dass die Klägerin dauerhaft arbeitsunfähig und erheblich
behindert sei, datierten vom Mai 2003. Bis zu ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland sei die Klägerin somit in der
Lage gewesen, ohne ständige oder langfristige Betreuung und Hilfe anderer zu leben. Dass sie zur Führung einer selbstständigen
Existenz nicht mehr in der Lage sein solle, dürfe auch allein deshalb in Zweifel gezogen werden, weil sie unverändert fähig
sei, in regelmäßigen Abständen nach Polen zu reisen, um dort ihre Rente in Empfang zu nehmen und Nachuntersuchungen vornehmen
zu lassen. Das Sozialgericht sei weitgehend den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gefolgt, ohne diese hinreichend
zu hinterfragen. Dass die Klägerin im November 2004 gleichsam "in Panik" aus Polen ausgereist sei, nachdem diese mit der bestehenden
Behinderung weit mehr als ein Jahr in Polen gelebt habe, sei nicht glaubhaft. Zwar möge primärer Zweck der Einreise nicht
die Inanspruchnahme von Sozialhilfe gewesen sein, sondern der Wunsch, keinesfalls jedoch der Notwendigkeit, eines Lebens bei
der Tochter. Zumindest gleichrangig sei die Einreise jedoch auch von der Gewissheit geprägt gewesen, den Lebensunterhalt hier
aus Sozialhilfemitteln bestreiten zu können. Die Kenntnis des hiesigen sozialen Netzes sei zumindest bei der Tochter zu unterstellen.
Es sei auch nicht auszuschließen, dass mit der Antragstellung bewusst zugewartet worden sei, um einen unmittelbaren Zusammenhang
nicht deutlich werden zu lassen. Hierbei sei sogar eine erhebliche Überziehung des Kontos der Tochter in Kauf genommen worden,
was für ein sehr gezieltes und abgestimmtes Vorgehen spreche. Würde allein der Wunsch von Ausländern, bei hier aufhältlichen
Angehörigen zu leben, als beachtlich und wesentlich in den Vordergrund gestellt, das dabei bestehende Wissen um die Möglichkeit
einer Alimentation aus staatlichen Mitteln jedoch als eher unbeachtlich und unbedeutend hintangestellt werden, würde die Bestimmung
des § 23 Abs. 3 SGB XII tatsächlich leer laufen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. April 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, dass bis Mai 2003 eine weitere Tochter
noch vor Ort in Polen gelebt habe, die dann nach Frankreich gezogen sei. Nach diesem Zeitpunkt habe sie sich bis zu ihrer
endgültigen Einreise nach Deutschland immer wieder für ca. einen Monat oder einige Wochen bei ihrer Tochter in Berlin aufgehalten,
wenn sich ihr die Gelegenheit geboten habe, bei jemandem mitzufahren. Auch zu den vierteljährlichen Nachuntersuchungen bei
ihrem Arzt in Polen in den Jahren 2004 bis 2006 habe sie Mitfahrgelegenheiten genutzt. Hierbei sei sie von Bekannten von Haustür
zu Haustür gebracht worden, die Fahrten seien durch viele Pausen unterbrochen worden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
gibt an, dass im Jahr 2004 ein Sturz hinzugekommen sei, der der Klägerin ihre hilflose Lage verdeutlicht und deshalb eine
eher panikartiger Abreise zur Tochter nach B begründet habe. Bei ihrer Einreise habe die Tochter noch über eine Tätigkeit
verfügt, die Möglichkeit der Alimentation aus Sozialhilfemitteln sei somit kein Einreisemotiv der Klägerin gewesen. Erst als
die Tochter arbeitslos geworden sei, habe die Klägerin im August 2005 einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen gestellt,
also über ein Dreivierteljahr nach ihrer Einreise. Die Wohnung in Polen sei inzwischen aufgelöst und die Möbel vom Nachmieter
zum Ausgleich für die Räumung übernommen worden. Ferner hat der Prozessbevollmächtigte den Dienstvertrag der 1974 geborenen
Tochter der Klägerin von September 2004 über eine Beschäftigung als Mitarbeiterin im Betreuungsdienst ab dem 15. September
2005 beim R gGmbH sowie diverse Kontoauszüge der Klägerin eingereicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten
(ein Hefter, ein Halbhefter betreffend den Zeitraum ab 19. Dezember 2005 bis 12. Oktober 2006, ein Halbhefter ab 29. Juni
2007 bis 12. November 2008) sowie die Gerichtsakte zum Verfahren S 2 SO 6121/05 ER / L 23 SO 167/06 ER Bezug genommen, die
vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene und auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat den Beklagten zu Recht verurteilt, der Klägerin Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01. Juli 2005 bis zum 30.
Juni 2006 zu bewilligen. Der ablehnende Bescheid vom 25. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. November
2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Zeitraum einen
Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII i.V.m. §§ 41ff SGB XII gegen den Beklagten.
Streitgegenständlich ist ausschließlich der Zeitraum vom 01. Juli 2005 bis 30. Juni 2006. Nur für diesen Zeitraum ist der
Beklagte durch das Urteil des SG zur Leistung verpflichtet worden. Nur hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten.
Für diesen Zeitraum hat die Klägerin als Ausländerin, die sich im Inland aufhält, einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung gem.
§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII i.V.m. §§ 41ff SGB XII. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich
aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt sowie andere Hilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch zu leisten. Nach § 23 Abs.
1 Satz 2 SGB XII bleiben die Vorschriften des Vierten Kapitels unberührt. Damit haben Ausländer auch Anspruch auf Leistungen
zur Grundsicherung bei Alter und Erwerbsminderung nach den §§ 41 ff. SGB XII (Wahrendorf, Grube/Wahrendorf, SGB XII, Komm.,
2. Aufl., § 23 Rn 16). Gemäß § 41 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB XII ist Personen, die die Altersgrenze erreicht und ihren gewöhnlichen
Aufenthalt im Inland haben und die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84
und 90 SGB XII beschaffen können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten. Die Voraussetzungen
dieser Vorschrift sind für die Klägerin erfüllt. Die 1940 geborene Klägerin war ohne Vermögen, verfügte nur über Rentenbezüge
von umgerechnet unter 200 € monatlich und hatte am 11. Juni 2005 das 65. Lebensjahr vollendet und somit die Altersgrenze erreicht.
Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichen die Altersgrenze mit Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 41 Abs.
2 Satz 2 SGB XII). Sie hatte auch im maßgeblichen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Die insoweit erstinstanzlich
vom Beklagten im Hinblick auf die Beibehaltung der Wohnung in Polen geäußerten Zweifel teilt der Senat nicht.
Da das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch wie schon das Bundessozialhilfegesetz keine näheren Regelungen zur Bestimmung des Rechtsbegriffs des gewöhnlichen Aufenthalts enthält, gilt gemäß §
37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB I - die Legaldefinition in §
30 Abs.
3 Satz 2
SGB I mit der Maßgabe, dass der unbestimmte Rechtsbegriff unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowie Regelungszusammenhang
der jeweiligen Norm auszulegen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 - BVerwG 5 C 11.94 - BVerwGE 99, 158, 162, 164).
Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB 1 hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen
lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Es genügt, dass der Betreffende sich
an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt
seiner Lebensbeziehungen hat, ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt ist nicht erforderlich (BVerwG Urteil vom 18. März
1999 - 5 C 11/98 - FEVS 49, 434-441). Der Senat hat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens keinen Zweifel daran, dass die Klägerin auch in
den Jahren 2005 und 2006 bereits ihren Lebensmittelpunkt in B bei ihrer Tochter und dem Enkelsohn hatte und dass ihr Aufenthalt
in B von Anfang an auf Dauer angelegt war. Die Einlassung der Klägerin, dass die Beibehaltung und Untervermietung ihrer Wohnung
in Polen lediglich den fehlenden finanziellen Mitteln für deren Auflösung geschuldet war, nicht aber die Möglichkeit einer
Rückkehr nach Polen offen halten sollte, hält der Senat für nachvollziehbar und glaubhaft. Anhaltspunkte, an dem Wahrheitsgehalt
dieser Angabe zu zweifeln, sind nicht erkennbar und werden auch vom Beklagten nicht vorgebracht.
Einem Anspruch der Klägerin steht nicht die Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII entgegen. Nach dieser Vorschrift haben Ausländer
die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Aus dem Wortlaut des Tatbestandsmerkmals
"um Sozialhilfe zu erlangen" ergibt sich, dass ein finaler Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme
von Sozialhilfe gegeben sein muss (vgl. insoweit zur Vorgängerregelung des § 120 Abs. 3 S. 1 Bundessozialhilfegesetz [BSHG]: BVerwG, U. v. 4. Juni 1992 -- BVerwG 5 C 22.87 -- BVerwGE 90, 212, 214). Eine derartige Zweck-Mittel-Relation von Einreise und verfolgtem Zweck (Sozialhilfe) ist dabei nicht nur dann gegeben,
wenn der Wille, Sozialhilfe zu erlangen, der einzige Einreisegrund ist. Das Erfordernis des finalen Zusammenhangs ist auch
dann erfüllt, wenn bei unterschiedlichen Einreisemotiven der Zweck der Inanspruchnahme von Sozialhilfe für den Einreiseentschluss
von prägender Bedeutung war. Die Möglichkeit, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, muss für den Einreiseentschluss des Ausländers,
sei es allein, sei es neben anderen Gründen, in besonderer Weise bedeutsam und nicht nur anderen Einreisezwecken untergeordnet
gewesen sein (vgl. BVerwG, aaO., 214; Beschluss des Senats vom 21.08.2007 L 23 B 10/07 AY ER Juris). Das Motiv, Sozialhilfe zu erlangen, muss für den Ausländer neben anderen Einreisegründen so wichtig gewesen
sein, dass er ansonsten nicht eingereist wäre. Die materielle Beweislast hierfür hat zunächst der Träger der Sozialhilfe (Birk
in LPK-SGB XII, 7. Auflage, 2005, Rn. 33 zu § 23 SGB XII m.w.N.; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf SGB XII, § 23 Rdnr. 19).
Unter Beachtung dieser Grundsätze und in Abwägung aller Gesamtumstände ist der Senat nicht davon überzeugt, dass das Ziel,
Sozialhilfe zu beziehen, für die Klägerin bei ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland von prägender Bedeutung war.
Es kann vielmehr nicht davon ausgegangen, dass die Klägerin - auch - mit der Absicht eingereist ist, in der Bundesrepublik
von Sozialleistungen zu leben.
Hiervon ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung unter anderem dann ausgegangen worden, wenn Antragsteller in einer
Situation aktueller Hilfebedürftigkeit eingereist sind, was jeweils eine unmittelbar nach der Einreise erfolgte Antragstellung
und Bewilligung von Sozialleistungen deutlich gezeigt hatte und die Antragsteller keine Aussicht besaßen, unabhängig von Sozialhilfe
in Deutschland zu leben, so dass ihnen klar sein musste, dass sich ihr Wunsch nach einem Leben in Deutschland nur unter Inanspruchnahme
öffentlicher Fürsorgeleistungen verwirklichen lasse (z.B: OVG Berlin FEVS 55, 186).
Von einer derartigen Fallgestaltung unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt wesentlich. Die Klägerin ist zunächst nicht
im Zustand aktueller finanzieller Hilfebedürftigkeit eingereist. Bezogen auf ein Leben in Deutschland war die Klägerin bei
einer Rente von umgerechnet knapp unter 200 € zwar hilfebedürftig, nicht jedoch in Polen. Dort entsprachen ihre Rentenbezüge
in etwa dem polnischen Mindestgehalt, eine finanzielle Hilfebedürftigkeit lag nicht vor. Die Beantragung von Sozialhilfe erfolgte
zudem erstmals im Juli 2005, d. h. acht Monate nach der Einreise. Für die insoweit vom Beklagten geäußerten Bedenken, dass
die Antragstellung bewusst so spät erfolgt sein könne, um den Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug zu verschleiern,
sieht der Senat keine Anhaltspunkte. Der Senat vermag auch keine Tatsachen zu erkennen, die es nahe legen könnten, dass die
Klägerin als zum Zeitpunkt der Einreise 64jährige polnische Rentnerin, die nach ihrem persönlichen Eindruck in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat eher einfach strukturiert ist, oder deren 30jährige Tochter, die über keine Berufsausbildung verfügt,
über die Feinheiten der deutschen sozialhilferechtlichen Rechtsprechung im Bilde gewesen sein könnten und ihr Verhalten danach
ausgerichtet hätten.
Ob der Klägerin geglaubt werden kann, dass sie darauf vertraut habe, von der Tochter dauerhaft unterhalten zu werden, bzw.
ob ein solches Vertrauen schutzwürdig wäre, brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Zweifel könnten insoweit bestehen, als
die Arbeitsstelle der Tochter befristet war, der Zuzug sogar noch während des Laufs einer Probezeit erfolgte und der Haushaltsgemeinschaft
nach Abzug der Miete nur ca. 990 € zur Verfügung standen, wobei der sozialhilferechtliche Regelbedarf von Großmutter, Mutter
und Sohn mit 863 € nur geringfügig unter diesem Betrag lag. Für ein solches Vertrauen könnte andererseits sprechen, dass die
Arbeitsstelle der Tochter im Bereich der Betreuung von Behinderten bestand, in dem trotz allgemein hoher Arbeitslosigkeit
Mangel an Arbeitskräften besteht, so dass die Hoffnung auf eine dauerhafte Beschäftigung in diesem Bereich nicht ganz fern
lag. Dies kann jedoch dahinstehen.
Denn selbst wenn es der Klägerin bereits bei ihrer Einreise hätte klar sein müssen, dass sie auf Dauer nur unter Inanspruchnahme
öffentlicher Fürsorgeleistungen in Deutschland würde leben können, ist nach den vorliegenden Besonderheiten eine sog. "um-zu"-Einreise
(Einreise, um Sozialhilfe zu erlangen) zu verneinen, weil der Sozialhilfebezug in diesem Einzelfall nur als notgedrungene,
aber unvermeidbare Konsequenz des Zuzugswunsches in Kauf genommen worden wäre.
Insoweit teilt der Senat die Überzeugung des erstinstanzlichen Sozialgerichts, dass die Einreise der Klägerin nicht lediglich
der Verwirklichung eines rein subjektiven Wunsches nach einer bestimmten Gestaltung der Lebensführung diente, sondern dass
diesem Wunsch objektive Umstände zugrunde lagen, die bei einer wertenden Betrachtung dem Zuzugswunsch ein besonderes Gewicht
vermittelten. Für die Klägerin wäre nämlich der weitere Aufenthalt in Polen mit besonderen persönlichen Belastungen oder Härten
verbunden gewesen, die gerade durch eine Übersiedlung nach Deutschland ausgeräumt oder vermindert werden konnten (vgl. zu
diesen Voraussetzungen: Oberverwaltungsgericht Berlin, 6. Senat - Urteil vom 22. April 2003 - 6 S 9.03 - FEVS 55, 186).
Die Klägerin war anerkannte Schwerbehinderte und nach den Feststellungen der hierfür zuständigen polnischen Stelle in der
Führung einer selbstständigen Existenz ohne ständige oder langfristige Betreuung oder Hilfe einer anderen Person erheblich
eingeschränkt. Ausweislich des Bescheides des Versorgungsamts Berlin vom 22. Februar 2006, mit dem der Klägerin ein Grad der
Behinderung (GdB) von 100 zuerkannt worden ist, und nach ihren eigenen Ausführungen vor dem Sozialgericht und im Verhandlungstermin
vor dem Senat besteht die hierfür maßgebliche gesundheitliche Funktionseinschränkung bei der Klägerin im Genital- und Intimbereich.
Der Senat hat keine Veranlassung, an den Angaben der Klägerin zu zweifeln, dass in diesem Bereich auch die erforderlichen
Pflegeleistungen anfallen, für die sie Hilfe benötigt.
Der Wunsch der Klägerin, die erforderliche Pflege und Betreuung von einem hierzu bereiten weiblichen Familienmitglied - ihrer
Tochter - durchführen zu lassen, ist nicht nur für den Senat nachvollziehbar, sondern stellt bei wertender Betrachtung ein
anzuerkennendes Motiv für den Zuzugswunsch der Klägerin dar, das ein etwaiges Wissen über einen möglicherweise erforderlichen
Sozialhilfebezug zurückdrängen würde.
Denn auch wenn eine Betreuung der Klägerin in Polen durch fremde Pflegekräfte möglich gewesen sein sollte, wie es die Formulierung
in dem Bescheid der Gemeinde Bytom vom 26. Mai 2003 unter Ziffer 6 "Gebrauch machen von der Unterstützung des Milieu in der
selbständigen Existenz gem. der Anordnung des Behandlungsarztes" nahe legen mag, so würde doch der Umstand, dass eine Pflege
im Intimbereich von Fremden durchgeführt werden muss, eine besondere persönliche Belastung für die Klägerin darstellen, die
auch objektiv als Härte bei einem weiteren Aufenthalt in Polen anzusehen ist.
Der Senat folgt insoweit nicht der Auffassung des Beklagten, dass die Klägerin nach dem Wegzug ihrer jüngeren Tochter nach
Frankreich bis zu ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland noch 1 ½ Jahre durchgängig in der Lage gewesen ist, ohne
ständige oder langfristige Betreuung und Hilfe anderer zu leben. Vielmehr stellt sich der Sachverhalt für den Senat nach den
glaubhaft vorgetragenen Einlassungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowie im Erörterungstermin vor der Berichterstatterin
so dar, dass sich die Klägerin bereits im Zeitraum zwischen Mai 2003 und November 2004 für wesentliche Zeiträume bei ihrer
Tochter in B aufgehalten hat und dort von dieser versorgt wurde. Im Übrigen könnte jedenfalls im vorliegenden Fall allein
aus dem Umstand, dass eine Zeitlang ein Leben ohne eine durch behördliche Bescheide als notwendig anerkannte Unterstützung
möglich gewesen wäre, nicht geschlossen werden, dass die entsprechenden behördlichen Feststellungen unzutreffend sind. Insoweit
fehlt es an entgegenstehenden - ärztlichen - Feststellungen.
Nach Alledem ist der Senat nicht davon überzeugt, dass das Ziel, Sozialhilfe zu beziehen, für die Klägerin bei ihrer Einreise
in die Bundesrepublik Deutschland von prägender Bedeutung war. Nach dem persönlichen Eindruck von der Klägerin und in Abwägung
aller Gesamtumstände ist der Senat vielmehr davon überzeugt, dass diese auch nach Deutschland zu ihrer Tochter eingereist
wäre, wenn die Möglichkeit Sozialhilfe zu erlangen nicht bestünde.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegen nicht vor.