Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens
Beurteilung der Verfahrensdauer
Gewisse Schwere der Belastung
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht (SG) Berlin unter dem Aktenzeichen(Az.) S 99 AS 19027/10 sowie dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg unter dem Az. L 29 AS 152/12 geführten Verfahrens. Dem rechtskräftig abgeschlossenen Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der damals als ordentlicher Student Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehende und 1986 geborene Kläger erhob - vertreten durch seinen Vater als Prozessbevollmächtigten - am 01. Juni 2010
"Eilantrag" sowie "Klage" vor dem SG Berlin gegen das Jobcenter Neukölln - den Beklagten im Ausgangsverfahren - und beantragte,
die Zahlung von Kosten der Unterkunft (KdU) gemäß den Vorschriften des Zweiten Sozialgesetzbuchs (SGB II) an ihn wiederaufzunehmen. Vorangegangen waren ein Bescheid des Jobcenters vom 16. Dezember 2009, mit welchem dieses den
Antrag des Klägers auf Aufnahme in die Bedarfsgemeinschaft des Vaters abgelehnt hatte, sowie der Widerspruchsbescheid vom
28. Mai 2010, mit welchem der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 16. Dezember 2009 unter Verweis darauf, dass
der Kläger nach § 7 Abs. 5 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei und es für die Bewilligung eines Zuschusses zu den ungedeckten KdU gem. § 22 Abs. 7 SGB II an der Vorlage eines BAföG-Bescheides fehle, zurückgewiesen worden war. Diese Klage wurde unter dem Az. S 100 AS 17448/10 beim SG registriert, das Eilverfahren erhielt das Az. S 100 AS 17448/10 ER. Das Eilverfahren S 100 AS 17448/10 ER ist rechtskräftig abgeschlossen (abweisender Beschluss des SG vom 10. August 2010, die hiergegen eingelegte Beschwerde zurückweisender Beschluss des LSG vom 14. Oktober 2010 - L 34 AS 1583/10 B ER -, die hiergegen eingelegte Erinnerung und Anhörungsrüge als unzulässig verwerfender Beschluss des LSG vom 09. August
2011 - L 34 AS 1930/10 B RG -). Eine Entschädigungsklage (L 38 SF 83/14 EK AS) betreffend das einstweilige Rechtsschutzverfahren S 100 AS 17448/10 ER hat der Kläger am 28. Mai 2014 für erledigt erklärt. Am 26. September 2014 hat der Kläger eine Entschädigungsklage betreffend
das Klageverfahren S 100 AS 17448/10 erhoben (L 37 SF 216/14 EK AS), welche nach Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 25. November 2014 seit 28. Mai 2015
wegen Nichtzahlung des Kostenvorschusses erledigt ist.
Der Kläger erhob am 15. Juni 2010, wiederum vertreten durch seinen Vater als Prozessbevollmächtigten, erneut Klage beim SG "gegen das Jobcenter Neukölln und deren Bescheid vom 28. Mai 2012". Der Beklagte müsse unverzüglich die Zahlung von 1/3 der
KdU für ihn wieder aufnehmen und auf die Nachzahlung Zinsen zahlen. Ferner stellte der Prozessbevollmächtigte "erneut" den
Antrag, "dass die Arge verpflichtet wird, bei ausbleibendem BAföG für meine Söhne F M oder F T unverzüglich einspringen muss. Verstößt sie erneut dagegen und zahlt nicht innerhalb von drei
Wochen nach Bekanntgabe, dann wird ein Erzwingungsgeld von 1.000,- EURO je angefangenen Monat zu unseren Gunsten fällig".
Seiner Klage fügte er eine Kopie des BAföG-Bescheides vom 19. Februar 2010 betreffend die Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum Oktober 2009 bis September 2010
bei.
Diese Klage wurde beim SG unter dem Az. S 99 AS 19027/10 registriert und dem damaligen Beklagten zur Stellungnahme innerhalb eines Monats zugleitet. In der am 19. Juli 2010 beim
SG eingegangenen Klageerwiderung wies der damalige Beklagte darauf hin, dass, nachdem erst im Juni 2010 der BAföG-Bescheid vom 19. Februar 2010 zu den Akten gereicht worden sei, mit Bescheiden vom 21. Juni 2010 und 28. Juni 2010 zwischenzeitlich
wieder Leistungen für den Kläger (Zuschuss zu den ungedeckten KdU nach § 22 Abs. 2 SGB II) rückwirkend ab dem 01. Februar 2010 (bis zum 31. Januar 2011) gezahlt würden. Hierzu nahm der Kläger am 31. Juli 2010 Stellung
und verwies u. a. auf eine vom damaligen Beklagten vor der 114. Kammer abgegebene "Zusicherung", gegen die der dortige Beklagte
verstoßen habe. Dessen hierzu erbetene Erwiderung ging am 25. August 2010 bei dem SG ein. Das SG zog noch im August 2010 die Akten zu den Verfahren S 103 AS 11153/06 (hierzu verbunden u. a. S 114 AS 21436/07) sowie S 116 AS 11041/10 bei, welche im Laufe des Oktober 2010 vorlagen. Es fertigte diverse Kopien aus den Gerichtsakten (u. a. des Protokolls des
Erörterungstermins vom 12. September 2008 zu dem Rechtsstreit S 114 AS 21436/07) und forderte den dortigen Beklagten auf, verschiedene Bescheide zu übersenden, die dann am 11. November 2010 beim SG eintrafen. Auf weitere Nachfragen des Vorsitzenden vom 23. November 2010 reagierte der damalige Beklagte mit Schreiben vom
29. November 2010 (Eingang am 30. November 2010) und erläuterte den Stand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens S 100 AS 17448/10 ER sowie die geänderte Bescheidlage zur Bewilligung eines Zuschusses zu den ungedeckten KdU (Aufhebungsbescheid vom 03. August
2010 für die Zeit ab dem 1. September 2010 wegen Anrechnung von Einkommen aus Kindergeld, Bewilligung gem. Teilanerkenntnis
vor dem LSG vom 29. September 2010 i. H. v. 13,84 EUR). Mit Schreiben vom 16. Dezember 2010 bat der Kammervorsitzende den
Beklagten um kurzfristige Mitteilung nach endgültiger Erledigung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und verfristete
die Sache um sechs Wochen. Im Januar 2011 sowie im März 2011 übersandte das SG auf Anforderung der 103. Kammer die beigezogene Gerichtsakte S 103 AS 11153/06 dorthin. Im Februar übersandte das SG auf Anforderung der 94. Kammer die Verwaltungsakten. Nach Erinnerung seitens des SG Anfang April 2011 teilte der dortige Beklagte schließlich unter dem 8. April 2011 mit, dass das einstweilige Rechtsschutzverfahren
nach zwischenzeitlicher Erhebung einer Anhörungsrüge nicht abgeschlossen sei. Daraufhin verfristete der Vorsitzende den Rechtsstreit
wieder mehrmals, letztlich bis zum 12. Oktober 2011, an welchem die Mitteilung des dortigen Beklagten über die Beendigung
des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens einging.
Daraufhin wurde am 17. Oktober 2011 ein Termin zur Erörterung des Sachverhalts für den 08. November 2011 anberaumt (Ladung
vom 18. Oktober 2011). Nachdem der damalige Beklagte mit Schreiben vom 24. Oktober 2011 auf eine seiner Auffassung nach gegebene
doppelte Rechtshängigkeit zu dem Verfahren S 100 AS 17448/10 hingewiesen hatte, zog der Kammervorsitzende noch vor dem Termin die dazugehörigen Akten samt den Akten zu dem einstweiligen
Rechtsschutzverfahren S 100 AS 17448/10 ER bei. In dem Termin erläuterte der Kläger sein Begehren und benannte den aus seiner Sicht streitigen Zeitraum, woraufhin
das SG mit Beschluss vom 10. November 2011 (Zustellung am 15. November 2011) das Verfahren im Hinblick auf den "erneuten" Antrag,
den Beklagten des Ausgangsverfahrens zu verpflichten, "bei ausbleibendem BAföG für meine Söhne F Murken oder F T unverzüglich" einzuspringen und bei erneutem Verstoß dagegen sowie Nichtzahlung innerhalb
von drei Wochen nach Bekanntgabe "ein Erzwingungsgeld von 1.000,00 EUR je angefangenen Monat zu unseren Gunsten" zu verhängen,
abtrennte.
Das abgetrennte Verfahren wurde nunmehr unter dem Az. S 99 AS 30173/11 fortgeführt. Die Klage zum Ausgangsverfahren wurde nach Anhörung unter Einräumung einer Frist zur Stellungnahme innerhalb
von drei Wochen vom 23. November 2011 (zugestellt am 26. November 2011) durch Gerichtsbescheid des SG vom 09. Januar 2012 abgewiesen (bzgl. des Zeitraums vom 14. Dezember 2009 bis zum 30. Juni 2010 wegen doppelter Rechtshängigkeit
als unzulässig, bzgl. des Zeitraums vom 01. Oktober 2009 bis zum 13. Dezember 2009 als unbegründet). Die Entscheidung wurde
dem Klägerbevollmächtigten am 20. Januar 2012 zugestellt.
Am 22. Januar 2012 ging die Berufung des Klägers beim SG, am 24. Januar 2012 beim LSG ein. Die Berufung wurde unter dem Az. L 29 AS 152/12 registriert. Das LSG forderte umgehend die Akten des Ausgangsverfahrens sowie die Verwaltungsakten und eine Stellungnahme
des damaligen Beklagten an, die nach gerichtlicher Erinnerung unter Fristsetzung von drei Wochen vom 14. März 2012 am 9. Mai
2012 vorlag und dem Klägervertreter umgehend zur Stellungnahme übersandt wurde. Am 25. Mai 2012 wurden vom LSG die Akten S
100 AS 14778/10 vom SG angefordert, die vermeintlich am 5. Juni 2012 eingingen. Tatsächlich waren die Akten S 100 AS 17448/10, die Familie M betreffend, übersandt worden. Am 7. Juni 2012 wurde der Rechtsstreit zur Sitzung ausgeschrieben. Am 27. Juli
2013 ging die Verzögerungsrüge des Klägers beim LSG ein. Am 23. September 2013 und am 13. Januar 2014 wurden vom LSG die Verwaltungsakten
an den 28. bzw. 34. Senat des LSG Berlin-Brandenburg versandt. Nachdem zwischen dem 04. Februar 2014 und dem 21. März 2014
erfolglos versucht worden war, die Akte S 100 AS 14778/10 beizuziehen, wurde am 16. April 2014 schließlich Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 14. Mai 2014 anberaumt (Terminsmitteilung
vom 17. April 2014). In dem Termin zur mündlichen Verhandlung wurde der Rechtsstreit durch Urteil vom 14. Mai 2014 (dem Klägerbevollmächtigten
zugestellt am 22. Mai 2014) abgeschlossen.
Am 10. Juni 2014 hat der Kläger (Schreiben vom 06. Juni 2014) - vertreten durch seinen Vater - bei dem LSG Berlin-Brandenburg
eine auf Gewährung einer Entschädigung in Höhe von (iHv) 3.400,00 EUR gerichtete Klage erhoben und die Gewährung von Prozesskostenhilfe
(PKH) beantragt.
Der Senat hat mit Beschluss vom 23. Dezember 2014 dem Kläger PKH gewährt, soweit seine Klage auf Feststellung der unangemessenen
Dauer des vor dem LSG Berlin-Brandenburg unter dem Az. L 29 AS 152/12 geführten Verfahrens gerichtet ist. Im Übrigen hat der Senat die Gewährung von PKH abgelehnt und zur Begründung u.a. ausgeführt:
Es erscheine zwar durchaus möglich, dass der Senat im Entschädigungsverfahren feststellen wird, dass das von dem Kläger gegen
den Grundsicherungsträger vor dem LSG unter dem Az. L 29 AS 152/12 geführte Berufungsverfahren überlang ist. Hingegen sei es als ausgeschlossen anzusehen, dass er den Beklagten zur Zahlung
einer Entschädigung verurteilen wird oder die Überlänge des erstinstanzlichen Klageverfahrens S 99 AS 19027/10 feststellt. Die für möglich erachtete entschädigungsrelevante Verzögerung im Berufungsverfahren rechtfertige im konkreten
Einzelfall nicht die Gewährung einer Entschädigung. Vielmehr wäre es zur Wiedergutmachung ggf. offensichtlich ausreichend
festzustellen, dass die Verfahrensdauer unangemessen ist. Dies folge - auch unter Berücksichtigung des Streitgegenstandes
- insbesondere aus dem Prozessverhalten des Klägers im konkreten, aber auch der Vielzahl der von ihm bzw. seinem Vater ansonsten
geführten Verfahren.
Hierzu führt der Kläger aus, dass er in Sippenhaft genommen würde, weil sein Vater so viel klage. Das Forschen wegen doppelter
Rechtshängigkeit sei unsinnig, wenn viele Fälle vorlägen. Eine doppelte Rechtshängigkeit stehe einer zügigen Rechtsfindung
nicht entgegen. Er bleibe dabei, dass bei einfachen Verfahren sechs Monate je Instanz ausreichend seien. Das Verfahren vor
dem SG weise eine Verzögerung von sechs Monaten, das vor dem LSG eine solche von 13 Monaten auf.
Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin unter dem
Aktenzeichen S 99 AS 19027/10 sowie dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen L 29 AS 152/12 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 3.400 EUR zzgl. der gesetzlichen Zinsen ab dem 10. Juni 2014 zu zahlen,
hilfsweise festzustellen, dass die Dauer des vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen L 29 AS 152/12 geführten Verfahrens unangemessen war,
und ihn hilfsweise von den Kosten des Verfahrens freizustellen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist zuletzt der Meinung, dass im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens keine erheblichen Verzögerungen eingetreten
seien und diese sich im Berufungsverfahren auf zehn Monate belaufen könnten. Damit liege jedoch keine entschädigungsrelevante
Verzögerung vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie auf die Akten des hier streitgegenständlichen
Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
A. Die Klage ist zulässig.
I. Maßgebend für das vorliegende Klageverfahren sind die §§
198 ff. des
Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG) sowie die §§
183,
197a und
202 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
(GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer
gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554). Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer handelt es sich nicht
um einen Amtshaftungsanspruch im Sinne des Art.
34 des
Grundgesetzes (
GG). Es ist daher nicht der ordentliche Rechtsweg, sondern vorliegend der zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.
Denn die grundsätzlich in §
201 Abs.
1 Satz 1
GVG vorgesehene Zuweisung der Entschädigungsklagen an das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren
durchgeführt wurde, wird für sozialgerichtliche Verfahren in §
202 Satz 2
SGG modifiziert. Nach dieser Regelung sind die Vorschriften des 17. Titels des
GVG (§§
198-
201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle
des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der
Zivilprozessordnung das
SGG tritt. Für die Entscheidung über die Klage ist daher das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zuständig.
II. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Nach §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG iVm §
202 Satz 2
SGG sind die Vorschriften des
SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen. Gemäß §
54 Abs.
5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn
ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Kläger macht angesichts der Regelung des §
198 GVG nachvollziehbar geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung im Sinne (iS) des §
54 Abs.
5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl.
§
198 Abs.
5 GVG).
III. Zweifel an der Wahrung der gemäß §
90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform bestehen ebenso wenig wie an der Einhaltung der in §
198 Abs.
5 Satz 2
GVG normierten Sechsmonatsfrist für eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.
B. Die auf Entschädigung iHv 3.400,00 EUR und hilfsweise auf Feststellung der Überlänge des Berufungsverfahrens L 29 AS 152/12 gerichtete Klage ist unbegründet.
I. Zu Recht richtet sich die Klage gegen das hier passiv legitimierte Land Berlin, obwohl der Kläger auch die Dauer des in
der Berufungsinstanz vor dem LSG Berlin-Brandenburg geführten Verfahrens rügt und dieses Gericht seinen Sitz im Land Brandenburg
hat (vgl. u. a. die Senatsentscheidungen vom 6. Dezember 2013, L 37 SF 69/12 EK KA und L 37 SF 2/13 EK U, beide veröffentlicht in juris). Auch die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf die Präsidentin
des LSG Berlin-Brandenburg (§ 29 Abs. 1 Satz 2 der Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der
Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz vom 22. Oktober 2012, Amtsblatt Berlin 2012, Seite 1979) ist nicht zu beanstanden.
Insbesondere durfte diese Übertragung durch eine Verwaltungsanweisung vorgenommen werden; ein Gesetz war nicht erforderlich
(so Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. April 2013, X K 3/12, veröffentlicht in juris, dort Rn. 30 ff. für die vorher geltende Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich
der Senatsverwaltung für Justiz vom 20. September 2007, Amtsblatt Berlin 2007, 2641; ebenso die ständige Rechtsprechung des
Senats, vgl. Urteile vom 6. Dezember 2013, L 37 SF 69/12 EK KA und L 37 SF 2/13 EK U, a. a. O.).
II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung oder Feststellung einer Verfahrensüberlänge.
Nach §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil
erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach
den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß §
198 Abs.
4 GVG ausreichend ist (§
198 Abs.
2 S. 2
GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer
des Verfahrens gerügt hat (§
198 Abs.
3 Satz 1
GVG). Dies gilt nach Art. 23 Satz 2 bis 5 GRüGV für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des GRüGV schon verzögert sind, mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge
unverzüglich nach Inkrafttreten des GRüGV erhoben werden muss. Nur in diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch
nach §
198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum.
Erstmalig hat der Kläger am 27. Juli 2013 und damit nach Abschluss des Klageverfahrens S 99 AS 19027/10 sowie außerhalb der insoweit zur wahrenden Frist von drei Monaten ab Inkrafttreten des GRüGV am 03. Dezember 2011 (vgl. Urteile
des BFH vom 07.11.2013, X K 13/12, Rn. 31 ff. sowie vom 20.08.2014, X K 9/13, Rn. 23, des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 10.04.2014, III ZR 335/13, Rn. 23 ff. sowie des Bundessozialgerichts (BSG) vom 03.09.2014, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 23 und vom 05.05.2015, B 10 ÜG 8/14 R, Rn. 21, alle zitiert nach juris) Verzögerungsrüge
während des laufenden Berufungsverfahrens L 29 AS 152/12 erhoben. Ob damit eine unverzüglich erhobene Verzögerungsrüge für das Klageverfahren vorliegt, kann jedoch im Ergebnis dahingestellt
bleiben, denn das erstinstanzliche Verfahren ist weder zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des GRüGV noch zum Zeitpunkt seines
Abschlusses verzögert gewesen. Für das Berufungsverfahren liegt jedenfalls eine Verzögerungsrüge vor.
Ob ein Verfahren als überlang anzusehen ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Vielmehr regelt §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG ausdrücklich, dass es auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie
das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten ankommt.
Maßgebend bei der Beurteilung der Verfahrensdauer ist - so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
(BT-Drucks. 17/3802, S. 18 f. zu § 198 Abs. 1) - unter dem Aspekt einer möglichen Mitverursachung zunächst die Frage, wie
sich der Entschädigungskläger selbst im Ausgangsverfahren verhalten hat. Außerdem sind insbesondere zu berücksichtigen die
Schwierigkeit, der Umfang und die Komplexität des Falles sowie die Bedeutung des Rechtsstreits, wobei nicht nur die Bedeutung
für den auf Entschädigung klagenden Verfahrensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Betroffenen von Belang ist, sondern
auch die Bedeutung für die Allgemeinheit. Diese Umstände sind darüber hinaus in einen allgemeinen Wertungsrahmen einzuordnen
(vgl. dazu BSG, Urteile vom 21.02.2013, B 10 ÜG 1/12 und 2/12 KL, zitiert nach juris, jeweils Rn. 25 ff. und mwN.). Denn schon aus der Anknüpfung
des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an den als Grundrecht nach Art.
19 Abs.
4 GG iVm Art.
20 Abs.
3 GG sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) qualifizierten Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit wird deutlich, dass es auf
eine gewisse Schwere der Belastung ankommt. Ferner sind das Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit der Richter (Art.
97 Abs.
1 GG) sowie das Ziel, inhaltlich richtige Entscheidungen zu erhalten, zu berücksichtigen. Schließlich muss ein Rechtsuchender
damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Sachen zu behandeln hat, sodass
ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten ist. Insgesamt reicht daher zur Annahme der Unangemessenheit der Verfahrensdauer nicht
jede Abweichung vom Optimum aus, vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen vorliegen
(BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 33).
1. Ausgangspunkt der Angemessenheitsprüfung bildet die - in §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG definierte - Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss. Nicht von
Bedeutung für das Entschädigungsverfahren ist hingegen die Dauer eines Widerspruchsverfahrens (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 25, 27).
Das gerichtliche Ausgangsverfahren wurde mit Erhebung der Klage am 15. Juni 2010 eingeleitet und war mit am 22. Mai 2014 erfolgter
Zustellung des - rechtskräftigen - Urteils des LSG Berlin-Brandenburg vom 14. Mai 2014 erledigt. Es hat sich mithin über knapp
vier Jahre hingezogen.
2. Bei dem Verfahren handelt es sich um ein für den Kläger von allenfalls marginaler Bedeutung anzusehendes sozialgerichtliches
Verfahren überdurchschnittlicher Komplexität und durchschnittlicher Schwierigkeit, in dessen Verlauf es zwar zu Verzögerungen
gekommen ist, die jedoch nicht die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer rechtfertigen.
a) Die für die Beurteilung der Verfahrensdauer maßgebliche Bedeutung des Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen
Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zum anderen trägt zur Bedeutung der
Sache im Sinne von §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung
bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers bzw.
der Klägerin und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine/ihre weiteren geschützten Interessen
auswirkt (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/13, Rn. 29, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 31, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 35, B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 38, jeweils
zitiert nach juris). Gemessen daran ist dem streitgegenständlichen Ausgangsverfahren nur marginale Bedeutung zuzumessen. Denn
der Prozessbevollmächtigte (Vater) des Klägers erstrebte im Ausgangsverfahren laut dem Protokoll zum Erörterungstermin vom
08. November 2011 die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01. Oktober 2009 bis zum 30. Juni 2010 sowie eine wie auch immer geartete Verpflichtung des damaligen
Beklagten zum unverzüglichen "Einspringen" bei ausbleibenden BAföG-Leistungen für den Kläger bzw. dessen Bruder verbunden mit dem Fälligwerden eines Erzwingungsgeldes im Falle der Nichtbefolgung.
Hinsichtlich letzteren, letztlich unbestimmten und durch die tatsächliche Entwicklung jedenfalls obsoleten, Antrags ist die
Abtrennung und Eintragung eines gesonderten Verfahrens (S 99 AS 30173/11) erfolgt. Die für den Kläger als Studierenden nach dem SGB II aufgrund des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 5 SGB II allein möglichen Leistungen in Form eines Zuschusses zu den ungedeckten KdU gemäß § 22 Abs. 7 SGB II sind ihm jedoch bereits mit Bescheiden des Beklagten im Ausgangsverfahren vom 24. September 2009 und 21. Juni 2010 bewilligt
und laut Zahlungsübersicht des Beklagten im Ausgangsverfahren auch ausgezahlt worden, wie sich bereits den Beschlüssen des
SG sowie des LSG im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (S 100 AS 17448/10 ER - L 34 AS 1583/10 B ER) entnehmen lässt. Es ist damit nicht erkennbar, dass es in dem Ausgangsverfahren seitdem aus der Sicht eines verständigen
Klägers noch um relevante Leistungen gehen konnte. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 15. Mai
2014 dann die Bewilligung von Leistungen, die "ihm als Wohngeld für diesen Zeitraum zugestanden hätten zuzüglich Zinsen",
begehrte, konnte dies auch aus der Warte eines verständigen Betroffenen ohne juristische Bildung erkennbar nicht Erfolg versprechend
sein, da der Grundsicherungsträger nicht für Wohngeld zuständig ist. Eine rechtliche oder tatsächliche Bedeutung der Rechtssache
kann aus der Behauptung völlig unhaltbarer Ansprüche nicht erwachsen. Im Übrigen ist nicht einmal ersichtlich, dass der Kläger
selbst der Sache noch Bedeutung beigemessen hätte. Denn er hat sich selbst - mit Ausnahme des Erörterungstermins vom 08. November
2011 - ab Juli 2010 im Wesentlichen nicht mehr zur Sache geäußert.
b) Die für die Verfahrensdauer weiter bedeutsame Schwierigkeit ist als durchschnittlich, die Komplexität des Verfahrens hingegen
als überdurchschnittlich einzustufen. Denn hier - wie auch in anderen Rechtsstreitigkeiten des Klägers bzw. seines ihn immer
vertretenden Vaters - war vor dem Hintergrund zahlreicher vor den Sozialgerichten anhängiger Streitigkeiten mit einer unübersehbaren
Zahl von immer wieder sich überschneidenden, stark auslegungsbedürftigen Anträgen umfangreich unter Beiziehung anderer Akten
die Frage doppelter Rechtshängigkeit zu überprüfen, ohne dass von dem Kläger oder seinem Prozessbevollmächtigten sachdienliche
Mithilfe zu erwarten war. Dass der Vater des Klägers eine Überprüfung auf doppelte Rechtshängigkeit für überflüssig hält,
kann angesichts der insoweit klaren gesetzlichen Vorgaben eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen.
c) Schließlich kommt es - auch wenn dies in §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG als Kriterium zur Bestimmung der Angemessenheit nicht ausdrücklich erwähnt wird - für eine Verletzung des Art. 6 EMRK durch den Beklagten wesentlich darauf an, ob ihm zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens
geführt haben. Maßgeblich sind dabei allein Verzögerungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere
aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 41). Vor diesem Hintergrund sind die während des Verfahrens aufgetretenen
aktiven und inaktiven Zeiten der Bearbeitung konkret zu ermitteln. Kleinste relevante Zeiteinheit ist im Geltungsbereich des
GRüGV dabei stets der Monat (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 29, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 25, B 10 ÜG 2/13, Rn. 24, jeweils zitiert nach juris)
im Sinne des Kalendermonats (BSG, Urteil vom 12.02.2015, B 10 ÜG 11/13 R, 2. Leitsatz und Rn. 34).
Zu beachten ist dabei, dass dann keine inaktive Zeit der Verfahrensführung vorliegt, wenn ein Kläger während Phasen (vermeintlicher)
Inaktivität des Gerichts selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht auslöst.
Denn eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, bewirken
generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 57).
Schließlich ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass das Entschädigungsverfahren keine weitere Instanz eröffnet, um das
Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Bei der Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts
hat das Entschädigungsgericht vielmehr die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung
und -gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Zudem räumt die
Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet
und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen,
ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. des Grundrechts aus Art.
19 Abs.
4 GG in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung
abgewogen hat (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/13 R, Rn. 36, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 39, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 43, B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 42,
jeweils zitiert nach juris). Denn ungeachtet richterlicher Unabhängigkeit besteht eine richterliche Grundpflicht zur stringenten
und beschleunigten Verfahrensgestaltung (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 49). Dies bedeutet, dass die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets
die Gesamtdauer des Verfahrens im Blick behalten müssen. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtet sich die aus dem
Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und
dessen Beendigung zu bemühen. Jedenfalls für Verfahren von hinreichender Bedeutung verbietet sich ab einem gewissen Zeitpunkt
(weitere) Untätigkeit oder eine zögerliche Verfahrensleitung. Richterliche Verhaltensweisen, die zu Beginn eines Verfahrens
grundrechtlich gesehen noch unbedenklich, wenn auch möglicherweise verfahrensökonomisch nicht optimal erscheinen mögen, können
bei zunehmender Verfahrensdauer in Konflikt mit dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit geraten. Das gilt etwa
für die Setzung großzügiger Fristen zur Stellungnahme, den mehrfachen Austausch von Schriftsätzen ohne richtungweisende Einflussnahme
des Gerichts und ohnehin für so genannte Schiebeverfügungen (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/13 R, Rn. 37, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 40, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 44, zitiert jeweils nach juris).
Weiter ist zu berücksichtigen, dass Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten
in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten ausgeglichen werden können (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/13, Rn. 43, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 43, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 51, B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 44, zitiert
jeweils nach juris). Da Anknüpfungspunkt für die Angemessenheitsprüfung das Verfahren von seiner Einleitung bis zu seinem
rechtskräftigen Abschluss insgesamt ist, bedeutet dies zur Überzeugung des Senats, dass insoweit auch eine instanzübergreifende
Betrachtung zu erfolgen hat, zumal insbesondere in ermittlungsintensiveren Verfahren die Gründlichkeit der Bearbeitung in
der ersten Instanz erhebliche Auswirkungen auf die Dauer des zweitinstanzlichen Verfahrens zumindest haben kann. Dies heißt,
dass in einem erstinstanzlichen Verfahren aufgetretene Verzögerungen noch durch die zügige Bearbeitung im Berufungs- bzw.
Beschwerdeverfahren zu kompensieren sind und umgekehrt im Falle einer sehr zügigen Bearbeitung einer Sache vor dem Sozialgericht
das zweitinstanzliche Verfahren entsprechend länger dauern kann. Dabei können die dem jeweiligen Gericht für seinen Verfahrensabschnitt
zur Verfügung stehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeiten zur Überzeugung des Senats vollumfänglich auf das Verfahren der jeweils
anderen Instanz übertragen werden, soweit sie nicht "aufgebraucht" sind. Anlass, hier eine nur gleichsam anteilige Übertragung
vorzunehmen, sieht der Senat bereits vor dem Hintergrund, dass Anknüpfungspunkt für die Verfahrensdauer das Verfahren insgesamt
ist, nicht. Es wäre aus seiner Sicht auch nicht nachvollziehbar, warum ein Kläger, der ein Verfahren durch zwei Instanzen
betreibt, in deren Verlauf es beispielsweise zu insgesamt 32 Inaktivitätsmonaten kommt, entschädigungsrechtlich in Abhängigkeit
davon anders stehen sollte, in welchem Verfahrensstadium diese Verzögerungszeiten aufgetreten sind und auf welchen Verfahrensabschnitt
er letztlich seinen Entschädigungsanspruch begrenzt. Ob es möglicherweise weitergehende Kompensationsmöglichkeiten unter Einbeziehung
auch eines Verfahrens vor dem Bundessozialgericht geben kann, kann dabei hier dahinstehen.
Gemessen daran gilt hier mit Blick auf das streitgegenständliche Ausgangsverfahren Folgendes:
aa) Erstinstanzliches Verfahren
Nachdem das Verfahren erstinstanzlich zunächst kontinuierlich gefördert worden war, ist es erstmals ab dem 16. Dezember 2010
(Bitte des Kammervorsitzenden an den Beklagten um Mitteilung des Abschlusses des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens) zu
einer Verzögerung gekommen, welche spätestens am 17. Oktober 2011 (Anberaumung des Erörterungstermins auf den 08. November
2011) geendet hatte. Ob in diesem Zeitraum eine durchgehende Verzögerung vorlag oder die Versendung der Gerichtsakte bzw.
der Verwaltungsakten an andere Kammern des SG in den Monaten Januar und Februar 2011 sowie das Abwarten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, in dem u. a. über die
damals auch im Ausgangsverfahren streitigen Leistungen nach dem SGB II an den Kläger für den Zeitraum vom 01. Juni 2010 bis zum 30. Juni 2010 zu entscheiden war, als Phase der gerichtlichen Aktivität
zu bewerten ist, bedarf hier - wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden - keiner Entscheidung. Für das erstinstanzliche
Verfahren sind unter Beachtung des Kalendermonatsprinzips maximal 9 Monate (von Januar bis September 2011) gerichtlicher Inaktivität
zu berücksichtigen.
bb) Berufungsverfahren
Im Berufungsverfahren ist es zu einer Liegezeit vom 7. Juni 2012 (Verfügung in das "ET-Fach") bis zum 16. April 2014 (Bestimmung
des Termins zur mündlichen Verhandlung am 14. Mai 2014) gekommen. Für das zweitinstanzliche Verfahren sind unter Beachtung
des Kalendermonatsprinzips daher maximal 21 Monate (von Juli 2012 bis März 2014) gerichtlicher Inaktivität zu berücksichtigen.
In den Zeiträumen davor liegt keine gerichtliche Inaktivität vor. Ob die Versendung der Verwaltungsakten im September 2013
sowie im Januar 2014 an den 28. bzw. 34. Senat des LSG sowie die versuchte Aktenbeiziehung im Februar und März 2014 dabei
nicht als inaktive Zeiten der Verfahrensführung zu werten wären, bedarf hier keiner Beurteilung.
cc) Gesamtabwägung
Auch wenn sich nach alledem die Kalendermonate, für die von gerichtlicher Inaktivität auszugehen ist, auf maximal 30 summieren,
bedeutet dies nicht, dass von einer entschädigungsrelevanten Verzögerung in ebendiesem Umfang auszugehen wäre. Denn die Bestimmung
der maximal zulässigen, noch angemessenen Verfahrenslaufzeit kann jeweils nur aufgrund einer abschließenden Gesamtbetrachtung
und Gesamtwürdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls insbesondere mit Blick auf die in §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG benannten Kriterien erfolgen. Die Feststellung längerer Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten
Verfahrensabschnitten führt noch nicht zwangsläufig zu einer unangemessenen Verfahrensdauer. Denn es ist zu beachten, dass
einem Rechtsschutzsuchenden - je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels sowie abhängig von der Schwierigkeit
des Rechtsstreits und von seinem eigenen Verhalten - gewisse Wartezeiten zuzumuten sind, da grundsätzlich jedem Gericht eine
ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen muss (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 52). Allerdings muss die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte
einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln
etc.) andererseits so geregelt sein, dass ein Richter oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung
mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf. älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate
zurückzustellen braucht. Die systematische Verfehlung dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für die Ausstattung
der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land mit den Kosten der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn
Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 53, B 10 ÜG 2/14 R - Rn. 46, jeweils zitiert nach juris). Vor diesem Hintergrund
sind - vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls - Vorbereitungs- und Bedenkzeiten im Umfang von bis zu zwölf
Monaten je Instanz regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte
als begründet und gerechtfertigt angesehen werden können, und können in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende
Abschnitte unterteilt sein. Angemessen bleibt die Gesamtverfahrensdauer regelmäßig zudem dann, wenn sie zwölf Monate überschreitet,
aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht oder durch Verhalten des Klägers oder Dritter
verursacht wird, die das Gericht nicht zu vertreten hat (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris, Rn. 33, 54 f., - B 10 ÜG 2/14 R - Rn. 47 f.).
In Anwendung der vorstehenden Grundsätze übersteigt die Verfahrensdauer das noch angemessene Maß nicht. Wie dargelegt steht
den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit neben den Zeiten der aktiven Verfahrensführung je Instanz im Regelfall eine zwölfmonatige
Vorbereitungs- und Bedenkzeit zu, die entschädigungslos hinzunehmen ist. Anlass, diesen Zeitraum zu reduzieren, sieht der
Senat nicht.
Im Gegenteil ist die Vorbereitungs- und Bedenkzeit, die dem SG und ebenso dem LSG bei der Bearbeitung der Verfahren des hiesigen Klägers zusteht, in aller Regel je Instanz um sechs Monate
zu erweitern, wie der Senat bereits in seinen den Vater des Klägers betreffenden Urteilen vom 25. August 2015 (L 37 SF 29/14 EK AS, juris) und vom 28. April 2016 (L 37 SF 159/14 EK AS, juris) ausgeführt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit in analoger Anwendung der §§
136 Abs.
3,
153 Abs.
2 SGG auf die Begründungen in seinen den Beteiligten bekannten Urteilen vom 25. August 2015 (aaO., Rn. 50 ff) und 28. April 2016
(aaO., Rn. 70 ff) Bezug. Zur Überzeugung des Senats muss sich der Kläger dabei das Verhalten seines Vaters als Prozessbevollmächtigten
im Rahmen der Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer zurechnen lassen, denn der Kläger selbst betreibt keines seiner
sozialgerichtlichen Verfahren persönlich. Handelnde Person ist stets sein Vater, der sich von seinen längst volljährigen Söhnen
stets schriftlich bevollmächtigen lässt und in den Schreiben an das Gericht zum Ausdruck bringt, dass die Führung der gerichtlichen
Verfahren (auch) sein eigenes Anliegen ist (siehe exemplarisch nur die zugrunde liegende Entschädigungsklage: "Namens meines
betroffenen Sohnes F M klage ich gegen SG/LSG wegen überlangem Verfahren. Das Verfahren begann mit meiner Klage vom 15.6.2010
[ ]." Dabei vermischt der Vater regelmäßig eigene Anliegen mit denen seiner beiden Söhne. Die intensive Inanspruchnahme der
Gerichte durch den Vater des Klägers zeigt sich auch daran, dass am 8. März 2017 allein am LSG Berlin-Brandenburg (ohne SG
Berlin) 272 Verfahren (offene und erledigte) mit einer Beteiligung des Vaters des Klägers, 103 Verfahren mit einer Beteiligung
des Klägers und 96 Verfahren mit einer Beteiligung des Bruders des Klägers erfasst waren, wobei teilweise Verfahrensidentität
besteht. Seitdem hat sich die Zahl der Verfahren mit einer Beteiligung des Vaters weiter erhöht. Dass der Vater des Klägers
offensichtlich den Überblick über die von ihm anhängig gemachten Rechtsstreitigkeiten und die verfolgten Begehren verloren
hat (siehe dazu Urteil des Senats vom 28. April 2016, aaO., Rn. 74) zeigt sich auch daran, dass er im Verhandlungstermin am
16. März 2017 die genannte Zahl von 272 Verfahren unsubstantiiert bestritten hat und selbst von allenfalls 100 Verfahren ausgeht.
Entgegen der Auffassung des Klägers wird er nicht für ein Verhalten seines Vaters in "Sippenhaft" genommen. Vielmehr muss
er sich das Verhalten seines Vaters als Prozessbevollmächtigten nach §
202 Satz 1
SGG iVm §
85 Zivilprozessordnung zurechnen lassen (vgl. dazu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, §
73 Rn. 73 und Rn. 73a).
Unter Berücksichtigung von 36 Monaten Vorbereitungs- und Bedenkzeit ist es jedoch bei maximal 30 Kalendermonaten der gerichtlichen
Inaktivität nicht zu einer entschädigungsrelevanten Verzögerung gekommen. Auch wenn das streitgegenständliche Verfahren damit
objektiv sicher länger gedauert hat, weist es gleichwohl noch keine unangemessene Dauer auf.
III. Da ein Entschädigungsanspruch nicht besteht, war nicht über die geltend gemachten Prozesszinsen gemäß §§
288 Abs.
1,
291 Satz 1
Bürgerliches Gesetzbuch analog zu entscheiden. IV. Die hilfsweise begehrte Feststellung einer Verfahrensüberlänge scheidet schon deshalb aus, weil
das Verfahren noch keine unangemessene Dauer aufweist.
V. Die hilfsweise begehrte Freistellung von den Kosten des Verfahrens ist kein Anspruch, über den der Senat im Rahmen der
Entschädigungsklage durch Urteil zu entscheiden hat. Auch insoweit war die Klage abzuweisen.
VII. Anlass, die Revision nach §§
160 Abs.
2 Nr.
1,
202 Satz 2
SGG,
201 Abs.
2 Satz 3
GVG zuzulassen, bestand nicht.