Verschlimmerung der Folgen einer Berufskrankheit, Höhe der MdE bei besonderer beruflicher Betroffenheit eines Chirurgen, unbillige
Härte
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der Kläger absolvierte von 1960 bis 1966 ein Medizinstudium. Die Medizinalassistentenzeit dauerte vom 01. Dezember 1966 bis
zum 30. November 1968. Von Februar 1969 bis zum 01. August 1975 durchlief er die Ausbildung zum Facharzt für Chirurgie. Die
Facharzt-Anerkennung der Ärztekammer B erfolgte am 03. September 1975 (Urkunde vom selben Tag).
Im Februar 1977 bemerkte der Kläger Hautjucken und verstärkte Müdigkeit. Am 14. März 1977 wurden die Transaminasen kontrolliert
und in der Folge eine akute, protrahiert verlaufende Bs-Antigen-negative Virushepatitis festgestellt (internistisches Gutachten
der Frau Prof. Dr. A vom 10. August 1977 für die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Eigenunfallversicherung Berlin - EUV -). Zu diesem Zeitpunkt war er als Oberarzt in der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses N beschäftigt. Mit Bescheid
vom 25. Mai 1978 gewährte ihm die EUV nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit und Wiederaufnahme seiner Tätigkeit als Oberarzt am 31. Januar 1978 eine vorläufige
Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 v. H. wegen der während der versicherten Tätigkeit erworbenen
Hepatitis infectiosa. Diese Erkrankung wurde als Berufskrankheit (BK) anerkannt. Aufgrund Bescheides vom 22. Februar 1979
wurde die vorläufige Rente schließlich als Dauerrente gewährt. Der Rentenberechnung wurde der Jahresarbeitsverdienst-Höchstbetrag
zugrunde gelegt. Ab dem 09. Mai 1986 wurde die Rente nach einer MdE von 35 v. H. wegen einer Verschlechterung (nunmehr chronisch-aggressive
Hepatitis) gewährt (Bescheid vom 24. Juni 1986). Mit Wirkung zum 01. Oktober 1990 wurde die MdE jedoch wieder auf 25 v. H.
abgesenkt, da kein Anhalt mehr für eine aggressive Entzündung bestand (Bescheid vom 24. August 1990).
1980 erhielt der Kläger die Genehmigung, in Verbindung mit der Bezeichnung Arzt für Chirurgie die Teilgebietsbezeichnung Gefäßchirurgie
(Urkunde der Ärztekammer B vom 17. Dezember 1980) zu führen, 1992 folgte die Anerkennung, die Teilgebietsbezeichnung Unfallchirurgie
zu führen (Urkunde der Ärztekammer B vom 13. November 1992). Bereits 1981 hatte er nach seinen Angaben im Fachgebiet Chirurgie
habilitiert. Am 01. Juni 1992 wurde ihm die akademische Würde "außerplanmäßiger Professor" vom Präsidenten der F Universität
B verliehen (Urkunde vom 01. Juni 1992). Seit 1981 war er als Privatdozent und seit 1992 als Hochschullehrer in den genannten
Fachgebieten tätig (Lehrveranstaltungen, Ausbildung im Praktischen Jahr, Betreuung von Doktorarbeiten, Abnahme von Prüfungen
in den ärztlichen Staatsexamen).
Seit dem 01. Januar 1984 war er Chefarzt der Chirurgischen Abteilung im Wkrankenhaus S sowie Durchgangsarzt (D-Arzt) für die
Berufsgenossenschaften. Als Chefarzt der Chirurgischen Abteilung war er mit Einverständnis des Arbeitgebers als ermächtigter
Kassenarzt mit täglicher Sprechstunde tätig und befugt, privat stationäre Wahlleistungen zu liquidieren. Des Weiteren war
er als medizinischer Gutachter für Berufsgenossenschaften, Versicherungen und Gerichte mit einem Arbeitsanfall von durchschnittlich
60 bis 70 Stunden im Monat tätig. Sein Jahresverdienst betrug vor 2001 zwischen 350.000,00 und 450.000,00 DM vor Abzug von
Steuern und Abgaben an Mitarbeiter und Krankenhausträger.
Bereits am 19. Oktober 2000 wurde der Kläger nach seinen Angaben durch seinen Arbeitgeber von seinen Aufgaben freigestellt.
Das Arbeitsverhältnis mit dem Rechtsträger des E Wrankenhauses S endete zum 31. Januar 2002, die Erlaubnis zur Ausübung von
Nebentätigkeiten - ambulante D-Arzttätigkeit für gesetzliche Unfallversicherungsträger, KV-Tätigkeit und Liquidationsrecht
für stationäre Wahlleistungen - endete zum 31. März 2001 (Aufhebungsvereinbarung vom 28. Februar 2001). Gleichzeitig erfolgte
nach dem Inhalt der Vereinbarung die Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung der Bezüge sowie unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen
bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Laut der Aufhebungsvereinbarung erhielt der Kläger Abfindungen für die endgültige Aufgabe
der D-Arzttätigkeit sowie für die Aufgabe sonstiger Tätigkeiten im Rahmen der Nebentätigkeitserlaubnis in Höhe von 1.000.000,00
DM brutto, für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von 358.658,00 DM brutto zuzüglich - nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses
- ein Urlaubsgeld in Höhe von 500,00 DM und ein pauschales Weihnachtsgeld in Höhe von 5.947,12 DM brutto. Gemäß ergänzender
Vereinbarung vom selben Tag wurde ihm noch eine weitere Abfindung in Höhe von 100.000,00 DM in Aussicht gestellt, wenn es
bis zum 15. April 2001 aufgrund seiner maßgeblichen Mitwirkung zu einer Übertragung der BG-Ermächtigung auf Oberarzt Dr. K
kommen sollte. Außerdem wurde er aufgrund des Eintretens in den vorzeitigen Ruhestand von den Lehrverpflichtungen und den
Prüfertätigkeiten für die Medizinische Fakultät C der H-Universität zu B entbunden (Schreiben von Prof. Dr. D vom 05. April
2001).
In der Folge war er nach seinen Angaben zunächst noch als Beratungsarzt für die Beklagte, als Gutachter im Umfang von 20 bis
30 Stunden im Monat und im Rahmen kursorischer Prüfungen für das Landesamt für Gesundheit und Soziales - Landesprüfungsamt
- tätig. Die beratungsärztliche Tätigkeit ist seit 2003 beendet, die gutachterliche Tätigkeit seit 2004. Einsätze als Prüfer
erfolgen nur noch gelegentlich. Er bezieht eine Berufsunfähigkeitsrente aus seiner privaten Versicherung bei der A.
Im Rahmen der regelmäßigen von der Beklagten veranlassten Nachuntersuchung stellte Prof. Dr. N in seinem Gutachten vom 14.
Februar 2002 eine Progredienz des Leidens fest. Er diagnostizierte eine mäßiggradig chronisch aktive portale und lobuläre
Hepatitis vom Virustyp mit fokaler-portaler Septenbildung, nekroinflammatorischer Aktivität nach Scheurer: portal-periportal
Grad III, lobuläre Aktivität Grad II, Fibrosegrad III. Die MdE sei mit 50 v. H. anzusetzen. Die Leberwerte waren laut Gutachten
normal, Hauterscheinungen bestanden nicht. Der Kläger klagte bei der Untersuchung - wie schon die Jahre zuvor - über Müdigkeit
und Abgeschlagenheit sowie Rückenbeschwerden und retrosternale Beschwerden mit Fortleitung in die linke obere Extremität.
Mit Schreiben vom 18. März 2002 beantragte der Kläger eine Höherstufung der MdE aufgrund "besonderer beruflicher Betroffenheit",
nachdem er dies zuvor bereits telefonisch erstmals am 18. Oktober 2001 getan hatte. Er habe seine Tätigkeit als Arzt und Chirurg
aufgrund der Hepatitis C aufgeben müssen. Da die Aufgabe nicht durch eine gravierende Verschlimmerung selbst, sondern durch
die jüngsten Erkenntnisse einer möglichen Infektionsübertragung bei ärztlichen Tätigkeiten hervorgerufen worden sei, sei dies
quasi mit dem Umstand einer deutlichen Verschlimmerung der Erkrankung gleichzusetzen. In einem Beratungsgespräch bei der Beklagten
am 05. April 2002 führte er ergänzend aus, die Aufgabe der Tätigkeiten sei zwar medizinisch nicht begründet gewesen, da bei
seiner Tätigkeit keine Ansteckungsgefahr von ihm ausgegangen sei, aber sie sei auf Druck der öffentlichen Meinung erzwungen
worden und insofern im Zusammenhang mit der BK zu sehen.
Nachdem die Beklagte ergänzende Stellungnahmen des Prof. Dr. N vom 12. März 2002 und 10. Juli 2002, ein internistisches Gutachten
nach Aktenlage von dem Internisten F vom 01. Juni 2002 sowie eine beratungsärztliche Stellungnahme von Frau Prof. Dr. S vom
08. August 2002, jeweils zur Frage der MdE-Bewertung, eingeholte hatte, gewährte sie mit Bescheid vom 03. September 2002 ab
dem 01. Februar 2002 wegen einer wesentlichen Verschlimmerung Verletztenrente nach einer MdE von 50 v. H.. Gleichzeitig wurde
ein Anspruch auf Erhöhung der Rente wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit gemäß §
56 Abs.
2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) abgelehnt, da kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der BK und der Tatsache, dass die berufliche Tätigkeit nicht mehr
ausgeübt werden könne, bestehe, denn eine medizinische Begründung für die Aufgabe der Tätigkeit liege nicht vor.
Mit seinem Widerspruch vom 13. September 2002 wandte sich der Kläger gegen die Ablehnung der Erhöhung der MdE aufgrund einer
besonderen beruflichen Betroffenheit. Der Ursachenzusammenhang zwischen der anerkannten BK und der Aufgabe der beruflichen
Tätigkeit sei insoweit eindeutig und nachvollziehbar im Sinne einer medizinischen Begründung gegeben, als von ihm eine BK-bedingte
Ansteckungsgefahr ausgehe. Diese Erkenntnis habe sich erst in den letzten zwei bis drei Jahren vor seinem Ausscheiden wissenschaftlich
herauskristallisiert. Aufgrund seiner Ausbildung im Fach Chirurgie mit Spezialausbildungen in der Gefäß- und Unfallchirurgie
habe er eine Spezialisierung, für die mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Ausgleich gefunden werden könne. Es wären immerhin
noch fünf Jahre Chefarzttätigkeit verblieben. Hier könne ein Ausgleich etwa durch gutachterliche Tätigkeiten nicht erfolgen.
Zum anderen sei schon aufgrund seines Alters die Wahrscheinlichkeit für das Antreten einer neuen Stelle gering. Im Jahre 2001
sei in Presse und Fernsehen eine öffentliche Diffamierungskampagne gegen hepatitiserkrankte Chirurgen über Deutschland hinweg
gerollt. Da erst in den letzten Jahren erkannt worden sei, dass sich das Infektionsübertragungsrisiko nicht vollständig ausschließen
lasse, verbiete sich für ihn jede ausgleichende anderweitige Tätigkeit in Form von Praxisvertretungen mit Notarztdiensten,
ambulantem Operieren etc..
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine
Erhöhung der MdE unter dem Aspekt einer "besonderen beruflichen Betroffenheit" könne nicht erfolgen. Zwar habe der Kläger
seine berufliche Tätigkeit als aktiver Chirurg im Jahre 2001 aufgeben müssen, jedoch nicht wegen sich in den Folgen der BK
begründender mangelnder körperlicher Leistungsfähigkeit, sondern aufgrund eines infolge der operativen Tätigkeit angenommenen
Infektionsrisikos. Dieser Umstand sei entgegen der Ansicht des Klägers einer wesentlichen Verschlimmerung der BK nicht gleichzusetzen.
Eine berufskrankheitenspezifische Ansteckungsgefahr sei vom Kläger tatsächlich nicht ausgegangen. Hierzu werde auf die Ausführungen
des Ausschusses "Rechtsfragen" der Konferenz der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Unfallkassen vom 18./19. März 2002
verwiesen. Seitens der Unfallkassen gebe es für Personal mit häufigem Blutkontakt wie Chirurgen Empfehlungen zur Verhütung
der Übertragung von Hepatitis-C-Viren. Diese bestünden aus einem Katalog besonderer Vorsichtsmaßnahmen. Dahinter stehe das
Ziel, den Infizierten soweit wie möglich im Beruf zu belassen und dabei das Infektionsrisiko zu minimieren.
Mit der hiergegen gerichteten Klage vor dem Sozialgericht (SG) Potsdam hat der Kläger geltend gemacht, ihm stehe wegen besonderer beruflicher Betroffenheit ab dem 01. Februar 2002 eine
Verletztenrente nach einer MdE von 70 v. H. zu. Er habe außergewöhnliche Nachteile dadurch erlitten, dass er infolge seiner
BK besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen nicht mehr nutzen könne. Diese Nachteile würden nicht durch sonstige Fähigkeiten
ausgeglichen. Die Nichtberücksichtigung dieser Nachteile würde zu einer unbilligen Härte führen.
Auslöser der Entlassungsbestrebungen seines ehemaligen Arbeitgebers sei der Umstand gewesen, dass dessen Haftpflichtversicherung
das Infektionsrisiko nicht habe tragen wollen, das aufgrund der Hepatitis-C-Erkrankung für seine Patienten bestanden habe.
Nach Freistellung von seiner Tätigkeit sei zur Vermeidung einer Kündigung und eines sich anschließenden arbeitsgerichtlichen
Prozesses eine Aufhebungsvereinbarung geschlossen worden. Keinesfalls sei eine Medienkampagne Grund für die Beendigung der
Tätigkeit gewesen, diese sei erst Mitte 2001 gelaufen.
Auf die Gründe für die Beendigung der Chefarzttätigkeit komme es jedoch nicht entscheidend an. Entscheidend sei allein die
wesentliche Verschlimmerung der BK. Aufgrund dieser Verschlimmerung wäre ihm heute eine Wiederaufnahme seiner auf einer extrem
hohen Spezialisierung beruhenden Tätigkeiten als Hochschullehrer, chirurgischer Chefarzt, D-Arzt und ermächtigter Kassenarzt
weder körperlich möglich noch würde er mit einer solchen Erkrankung überhaupt eine Anstellung als Arzt, welche ein Minimum
an Belastbarkeit erfordere, erhalten. Auch für die Tätigkeit als Hochschullehrer sei keine körperliche Belastbarkeit vorhanden,
außerdem fehle es angesichts der mangelnden kontinuierlichen Praxis an der Lehrbefähigung. Die mangelnde Praxis beeinträchtige
zudem die wegen der geringen körperlichen Belastbarkeit ohnehin geringfügige Möglichkeit, als medizinischer Gutachter tätig
zu sein.
Keineswegs könne auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls abgestellt werden. Hier werde die vorliegende Sonderproblematik
nicht berücksichtigt. Anders als im Normalfall eines Unfalls fielen im Fall der Hepatitis-C-Infektion der Eintritt gravierender
Konsequenzen für die Stellung des Versicherten im Erwerbsleben und Versicherungsfall, d. h. die Infektion, nicht zusammen.
Bei einer Erkrankung mit Hepatitis C wechselten typischerweise Phasen ohne ausgeprägte Symptomatik und mit relativ geringer
Beeinträchtigung mit solchen, in denen die MdE krankheitsbedingt stark erhöht sei. Ob eine besondere Härte vorliege oder nicht,
könne deswegen nicht aufgrund eines schlichten Abgleichs der Situation vor dem Versicherungsfall mit derjenigen nach dem Versicherungsfall
entschieden werden. Eine solche Orientierung am Normalfall wäre gänzlich unangebracht und widerspreche der Intention des Gesetzgebers.
Denn die Verletztenrente werde infolge des Prinzips der abstrakten Schadensberechnung auch dann zuerkannt, wenn der erkrankte
Versicherte aufgrund zusätzlicher eigener Anstrengungen tatsächlich keine konkreten Einbußen im Erwerbslebens erleide. Diese
Wertung würde konterkariert, knüpfte man die maßgebliche Zäsur für die Beurteilung der besonderen Härte auch in Fällen wie
dem vorliegenden an den Eintritt des Versicherungsfalls.
Gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) liege hier ein Härtefall nach §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII deshalb vor, weil er über eine 15jährige Ausbildung, eine 25jährige praktische Erfahrung als Facharzt für Chirurgie, die
durch eine Kombination der Zusatzspezialisierungen Gefäßchirurgie (20 Jahre) und Unfallchirurgie (8 Jahre) ergänzt werde,
eine 17jährige Erfahrung als Leiter einer großen Krankenhausabteilung sowie eine 19jährige Lehrerfahrung als Hochschullehrer
verfüge. All diese außergewöhnlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten könne er wegen der Verschlimmerung seiner BK nicht mehr
wahrnehmen. Seine beruflichen Nachteile seien demnach ganz erheblich und begründeten eine unbillige Härte i. S. d. §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII.
Die erhaltene Abfindung sei im Rahmen der Überlegungen zu §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII irrelevant, denn er habe diese Abfindung als Kompensation dafür erhalten, dass er auf einen voraussichtlich jahrelangen und
belastenden Arbeitsrechtsstreit um eine rechtlich nicht haltbare Kündigung verzichtet habe. Die spezifischen Nachteile i.
S. v. §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII, die er seit dem 01. Februar 2002 erlitten habe, weil seine Arbeitsfähigkeit von diesem Zeitpunkt an berufskrankheitenbedingt
massiv reduziert gewesen sei, seien durch die Abfindung nicht kompensiert worden.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, bei der Beurteilung der Frage, ob eine unbillige Härte i. S. v. §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII vorliege, seien strenge Maßstäbe anzulegen, um eine Aufweichung des Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung zu vermeiden.
Bei der Anwendung dieser Vorschrift sei zu beachten, dass der Versicherte vor dem Versicherungsfall besondere Kenntnisse und
Erfahrungen erworben haben müsse. Nach dem Versicherungsfall erworbene Kenntnisse und Erfahrungen seien nicht zu berücksichtigen.
Diese - vor dem Versicherungsfall erworbenen - Kenntnisse und Erfahrungen müssten vom Versicherten infolge des Versicherungsfalls
nur noch in erheblich reduziertem Maß oder gar nicht mehr genutzt werden können. Der Kläger habe hingegen seine besonderen
Kenntnisse und Erfahrungen im Wesentlichen erst nach dem Versicherungsfall erworben. Zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls
im Jahre 1977 sei er 35 Jahre alt und Facharzt für Chirurgie mit der Berechtigung, den Titel "Doktor" zu führen, sowie Oberarzt
gewesen. Die Ausbildungszeit habe einschließlich Facharztausbildung fast 13 Jahre betragen. Erst danach und trotz der aus
der BK resultierenden gesundheitlichen Einschränkungen wie Müdigkeit, Übelkeit und subjektiv eingeschränkter Belastbarkeit
habe er sich weiter qualifiziert und sogar die Professorenwürde erlangt. Die nach dem Versicherungsfall erworbenen Kenntnisse
und Erfahrungen hätten jedoch bei der MdE-Bewertung nach §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII außer Betracht zu bleiben. Zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls habe er noch keine so günstige soziale Stellung
wie beispielsweise ab dem Jahr 1992 erreicht und noch den größten Teil seines Berufslebens vor sich gehabt. Eine berufskrankheitenbedingte
Einschränkung im konkreten Beruf habe darüber hinaus tatsächlich nicht vorgelegen. Selbst wenn man nicht auf den Zeitpunkt
des Versicherungsfalls, sondern auf den Zeitpunkt der Verschlimmerung im Jahre 2002 abstelle, ergebe sich keine besondere
berufliche Betroffenheit. Zwar sei es nach den gutachterlichen Feststellungen des Prof. Dr. N von Februar 2002 zu einer wesentlichen
Verschlechterung gekommen. Diese Verschlechterung stehe jedoch nicht im Zusammenhang mit der Berufsaufgabe. Diese habe vielmehr
ausweislich der vom Kläger mit seinem Arbeitgeber am 28. Februar 2001 geschlossenen Aufhebungsvereinbarung bereits lange vor
dem Nachweis einer Verschlechterung der BK-Folgen stattgefunden. Zeitnah zum Vereinbarungsabschluss habe es auch keine Äußerung
des Klägers gegeben, welche auf eine Verschlechterung hingedeutet hätte. Zudem habe der Kläger selber im Verwaltungsverfahren
nicht geltend gemacht, die Tätigkeit wegen einer Verschlechterung aufgegeben zu haben. Ob durch die im Februar 2002 eingetretene
Verschlechterung der BK-Folgen tatsächlich eine Tätigkeitsaufgabe erzwungen worden wäre, stelle eine unbewiesene Behauptung
des Klägers dar. Darüber hinaus bleibe es dem Kläger unbenommen, als Gutachter und/oder beratender Arzt weiter zu arbeiten.
Der Einwand des Klägers, jemand, der nicht mehr praktisch tätig sei, werde seltener mit Gutachten beauftragt, überzeuge nicht.
Schließlich habe er wegen der Aufgabe der beruflichen Tätigkeit auch keinen sozialen Abstieg in Kauf nehmen müssen wie sich
aus den in der Aufhebungsvereinbarung festgelegten Abfindungssummen ergebe.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 01. März 2007 abgewiesen. Die Beklagte habe die besondere berufliche Betroffenheit, die der
Kläger aufgrund seiner Hepatitis-C-Erkrankung geltend mache, zu Recht verneint. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der von
ihr anerkannten BK und der Tatsache, dass seine beruflichen Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt werden könnten, sei nicht gegeben.
Der Kläger sei ohne Vorliegen einer medizinischen Begründung durch seinen ehemaligen Arbeitgeber von seinen Aufgaben entbunden
worden. Zwischen dem Abschluss der Aufhebungsvereinbarung und dem die Verschlechterung feststellenden Bescheid der Beklagten
liege ein Zeitraum von eineinhalb Jahren. Zudem habe der Kläger die von ihm geltend gemachten besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten
im Wesentlichen erst nach Eintritt des Versicherungsfalls am 14. März 1977 erlangt. Abzustellen sei jedoch auf den Zeitpunkt
des Eintritts des Versicherungsfalls. Zu jenem Zeitpunkt habe er noch keine derart günstige Stellung erlangt wie beispielsweise
ab dem Jahre 1992. Tatsächlich sei seine berufliche Tätigkeit trotz BK mit einem sozialen Aufstieg verknüpft gewesen, so dass
eine berufskrankheitsbedingte Einschränkung im konkreten Beruf nicht vorgelegen habe. Ebenso wenig habe er wegen der Aufgabe
seiner beruflichen Tätigkeit einen für die Anwendung von §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII erforderlichen sozialen Abstieg in Kauf nehmen müssen. Laut der vorliegenden Vereinbarung habe er insgesamt eine Abfindungssumme
von 749.096,35 Euro erhalten, wovon er für die Zeit vom 01. Januar 2002 bis zum Erreichen des regulären Renteneintrittsalters
von 65 Jahren im August 2006 seinen Lebensunterhalt zu bestreiten gehabt habe. Damit hätten ihm 17.024,91 Euro brutto monatlich
zur Verfügung gestanden, was unter Abzug einer Pauschale von 40% für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge einen Nettobetrag
in Höhe von 10.240,95 Euro ergebe.
Gegen das am 01. August 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 01. September 2007 eingegangene Berufung des Klägers,
mit welcher er sein erstinstanzliches Begehren mit im Wesentlichen derselben Begründung fortführt. Er betont nochmals, dass
aus seiner Sicht die tatsächlichen Gründe für die Beendigung seiner Tätigkeit nicht entscheidungserheblich seien. Abzustellen
sei allein darauf, dass er infolge der Verschlechterung der BK-Folgen seine Tätigkeit als Chefarzt, hoch spezialisierter Facharzt
und Hochschullehrer nicht mehr ausüben könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 01. März 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 03.
September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2003 zu verurteilen, ihm ab dem 01. Februar 2002 Verletztenrente
nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer
höheren Verletztenrente.
Nach §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier einer BK - über die 26. Woche nach dem
Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden
verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens - Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung
- § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VIIin Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung vgl.BSGE 63, 207, 209 = SozR 2200 § 581 Nr. 28 m. w. N.; vgl. BT-Drucks 13/2204 S. 90. Die Höhe der MdE richtet sich somit grundsätzlich nicht
nach den Beeinträchtigungen im erlernten oder ausgeübten Beruf. Die individuelle Betroffenheit im Beruf des Versicherten wird
dadurch berücksichtigt, dass sich der Jahresarbeitsverdienst nach der letzten Erwerbstätigkeit bemisst.
Darüber hinaus werden jedoch bei der Bemessung der MdE auch Nachteile berücksichtigt, die der Versicherte dadurch erleidet,
dass er bestimmte von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr
oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung
ihm zugemutet werden kann, ausgeglichen werden §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII.
Die Beklagte hat die MdE unter unfallmedizinischen Gesichtspunkten mit 50 v. H eingeschätzt und sich hierbei auf das Gutachten
des Prof. Dr. N vom 14. Februar 2002, dessen ergänzende Stellungnahmen vom 12. März 2002 und 10. Juli 2002 sowie die beratungsärztliche
Stellungnahme von Frau Prof. Dr. S vom 09. August 2002 gestützt. Bereits diese Einschätzung ist jedoch fraglich. Die MdE-Sätze
sind nach 5er- oder 10er-Graden abgestuft. In der Praxis gelten seit langem für bestimmte Folgen bestimmte MdE-Sätze, so genannte
Regelsätze oder Erfahrungswerte, die von der Rechtsprechung aufgrund ständiger Übung zu beachten sind (vgl. BSG Urteil vom
23. Juni 1982 - 9b/8/8a RU 86/80 - in SozR 2200 § 581 Nr. 15, 22, 23). Dabei enthalten diese Regelsätze lediglich Anhaltspunkte für den Normalfall und sind
nicht schematisch anzuwenden. Es sind jeweils die individuellen Umstände des Einzelfalls zu beachten, insbesondere auch das
Zusammenwirken von Unfallfolgen mit Vorschäden (vgl. Ricke in Kasseler Kommentar Randnr. 20 zu § 56).
Die Bewertung der MdE in Fällen der berufsbedingten Hepatitis-C-Infektion beruht nach der unfallmedizinischen Standardliteratur
auf morphologischen Kriterien (Ausmaß der entzündlichen Aktivität einerseits und histologisches Stadium, Ausmaß der Fibrose
andererseits), die zugleich Rückschlüsse auf das Ausmaß der klinisch-funktionellen Beeinträchtigungen zulassen. Die die Klassifikation
prägenden quantitativen Bewertungen von entzündlicher Aktivität und morphologischem Stadium (Ausmaß der Fibrose) können in
einem MdE-Bewertungsschema korreliert werden (nachzulesen in Mehrtens/Brandenburg, Die
Berufskrankheitenverordnung Kommentar, Anm. 21.2 zu M 3101 sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. A. 2003, Anm. 9.2.6,
jeweils unter Bezugnahme auf Prof. Dr. H. Selmair u. a., "Vorschläge zur Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei
chronischen Virus-B- und -C-Hepatitiden in der gesetzlichen Unfallversicherung auf der Grundlage einer neuen morphologischen
Nomenklatur", MedSach 94 (1998), 132, 134). In die klinische Gesamtdiagnose gehen weitere Parameter ein, welche die morphologischen
Kriterien und die im Bewertungsschema vorgeschlagenen Empfehlungswerte für die MdE ergänzen. Die Möglichkeit einer individuell
begründeten modifizierten MdE-Bewertung ergibt sich vor allem unter Berücksichtigung des klinischen Befindens und klinischen
Untersuchungsbefundes, der serologischen und molekularbiologischen Befunde, der Transaminaseaktivitäten, einer Dysproteinämie,
der Prokollagen-III-Peptid-Konzentration, der Syntheseleistung und der Entgiftungsfunktion sowie der aktuellen Beeinflussung
durch therapeutische Maßnahmen (antivirale Therapien) (vgl. Mehrtens/Brandenburg, aaO. Anm. 21.2 zu M 3101). Nach dem Bewertungsschema
wäre hier zunächst das Ausmaß der entzündlichen Aktivität (gering, mäßig oder stark) sowie das Ausmaß der Fibrose (null bis
gering, mäßig, stark) zu bestimmen. Eine Zirrhose lag nach den Befunden des Prof. Dr. N im Jahr 2002 nicht vor. Das Ausmaß
der entzündlichen Aktivität sowie der Fibrose bestimmt sich nach spezifischen Parametern: Ausmaß der entzündlichen Infiltrate
in portalen Feldern (PE), Häufigkeit und Anordnung entzündlicher Zerstörungen der periportalen Grenzlamelle - Mottenfraßnekrosen
bzw. piece-meal-Nekrosen, interface-Hepatitis, periportale Alteration - (PMN), Häufigkeit fokaler Leberzelluntergänge im lobulären
Bereich (LN), Vorkommen konfluierender Nekrosen oder von Brückennekrosen (KN), Beschränkung der Fibrose auf portale Felder
oder portale Fibrose mit portalen Septen ohne Störung der Architektur oder Vorhandensein zahlreicher portaler Septen - zum
Teil mit porto-portalen und porto-zentralen Brückenbildungen sowie entsprechenden Störungen der Architektur oder bindegewebiger
pseudolobulärer Umbau der Leber.
Die von Prof. Dr. N durchgeführte Abdomensonografie ergab einen Verdacht auf einen beginnenden Leberparenchymumbau i. S. einer
beginnenden Fibrose bei unauffälligen Perfusionsparametern und leichter Hepato-/Splenomegalie. Aszites wurde nicht nachgewiesen.
Die Lebersyntheseparameter waren alle normwertig. Bei der Leberbiopsie fanden sich die Portalfelder mäßiggradig fibrös verbreitert
mit fokaler porto-portaler Septenbildung. Auch war ein portales Entzündungsinfiltrat mit semizirkulärem Übergreifen desselben
auf das angrenzende Läppchenparenchym mit Nachweis von piece-meal-Nekrosen nachweisbar. Betroffen war etwa 50% des jeweiligen
Portalumfeldes.
Mit diesen Befunden lässt sich letztlich keine eindeutige Einordnung in das oben genannte Bewertungsschema durchführen. Zwar
spricht Prof. Dr. N in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. März 2002 von einer mäßig bis starken entzündlichen Aktivität
bei mäßiger Fibrose und mäßiger Zirrhose. Diese Einordnung ist für den Senat allerdings nicht nachvollziehbar, denn der Sachverständige
hat insbesondere keine Angaben zur den Faktoren LN und KN gemacht, so dass eine klare Bestimmung des Ausmaßes der entzündlichen
Aktivität nicht möglich ist. Eine Zirrhose lag zumindest 2002 nicht vor (vgl. Aktenlagegutachten des Internisten F vom 01.
Juni 2002 und Stellungnahme von Frau Prof. Dr. S vom 08. August 2002). Darüber hinaus ist der Sachverständige nicht auf das
klinische Befinden und den klinischen Untersuchungsbefund sowie die weiteren Laborbefunde eingegangen. Hier ist hervorzuheben,
dass die Lebersynthesewerte normwertig waren, die entzündliche Aktivität laborchemisch gering war (GPT-Wert normwertig) und
andere Entzündungsparameter nicht nachgewiesen wurden, extrahepatische Manifestationen der Erkrankung und auch andere Erscheinungen
wie Hautjuckreiz und Aszites fehlten. Bereits von Anfang an klagte der Kläger im Übrigen über Müdigkeit, Abgeschlagenheit
und gelegentliche Übelkeit. Somit ist zwar eine Verschlechterung des feingeweblichen Befundes im Sinne eines Fortschreitens
der Fibrose eindeutig, die MdE-Bewertung aus unfallmedizinischer Sicht jedoch nicht abschließend möglich; aber auch nicht
notwendig, denn vorliegend ist jedenfalls eine weitere - über die von der Beklagten aus rein medizinischen Gründen durchgeführte
Erhöhung von 25 v. H. auf 50 v. H. - hinausgehende Anhebung des MdE-Grades wegen besonderen beruflichen Betroffenseins nach
§
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII nicht gerechtfertigt.
Diese Vorschrift verlangt wie ihre Vorläuferbestimmung in § 581 Abs. 2 der
Reichsversicherungsordnung (
RVO) bei der Bemessung der MdE Nachteile zu berücksichtigen, die Versicherte dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene
besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang
nutzen können. Bereits vor der Einfügung der Vorschrift durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963
(BGBl. I 241) entsprach es der ständigen Rechtsprechung des BSG, zur Vermeidung unbilliger Härten bei der Bemessung der MdE
auch die Auswirkungen der Unfallfolgen auf den Lebensberuf des Verletzten im Einzelfall angemessen, nicht etwa ausschlaggebend,
zu berücksichtigen (vglBSGE 1, 174178BSGE 4, 294298). Seit dem Inkrafttreten des § 581 Abs. 2
RVO (ab dem 01. Januar 1997: §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII) sind die bis dahin entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung gesetzlich normiert. Allerdings lässt diese unfallversicherungsrechtliche
Regelung keine allgemeine Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit - etwa entsprechend den Grundsätzen des
§ 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes - zu. Eine derartige Auslegung widerspräche der Systematik des Rechts der gesetzlichen
Unfallversicherung, das für die Bemessung der Verletztenrente anders als das Versorgungsrecht für Beschädigtengrundrenten
nicht lediglich ohne Rücksicht auf Alter und Einkommen des Beschäftigten allein nach der Höhe der MdE zu gewährende Pauschalsätze
vorsieht, sondern (auch) den individuelleren Maßstab des vom Verletzten während des letzten Jahres vor dem Versicherungsfall
verdienten Arbeitsentgelts (§§
56 Abs.
3,
81 ff.
SGB VII) zugrunde legt (BSG in SozR 3-2200 § 581 Nr. 7 m. w. N.). Die eine Höherbewertung der MdE rechtfertigenden Nachteile liegen im Rahmen des §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII deshalb nur dann vor, wenn unter Wahrung des in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatzes der abstrakten
Schadensberechnung die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen
Härte führen würde (stRspr seitBSGE 23, 253, 255 = SozR Nr. 2 zu § 581
RVO; zuletzt BSG in SozR3-2200 § 581 Nr. 7). Der Versicherungsfall muss sich spezifisch auf die Fähigkeit zum Erwerb auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens
auswirken (vgl. Kater in Kater/Leube, Gesetzliche Unfallversicherung
SGB VII, Randnrn. 71 und 75 zu §
56). Selbst wenn der Verletzte seinen erlernten Beruf infolge des Versicherungsfalls nicht mehr ausüben kann, muss dies daher
nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der MdE führen (vgl. Urteil des BSG vom 05. September 2006 - B 2 U 25/05 R - in SozR 4-2700 § 56 Nr. 2).
Als wesentliche Merkmale für die Beurteilung der Frage, ob eine höhere Bewertung der MdE zur Vermeidung unbilliger Härten
geboten ist, hat das BSG insbesondere das Alter des Verletzten, die Dauer der Ausbildung sowie vor allem die Dauer der Ausübung
der speziellen beruflichen Tätigkeit und auch den Umstand bezeichnet, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige
Stellung im Erwerbsleben gewährleistete, sowie schließlich, dass der Versicherungsfall einen unzumutbaren sozialen Abstieg
hervorgerufen hat (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 581 Nr. 7, S. 29, 30 m. w. N.).
Nach diesen Maßstäben ist hier eine unbillige Härte zu verneinen. Entgegen der Klägerauffassung ist bei der Beurteilung der
Frage, ob eine unbillige Härte vorliegt, nicht auf den Zeitpunkt des Eintritts der wesentlichen Verschlimmerung der BK-Folgen
im Februar 2002 abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls. Versicherungsfall ist nach §§
7 Abs.
1,
9 Abs.
1 SGB VII i. V. m. Nr.
3101 der Anlage zur
Berufskrankheiten-Verordnung -
BKV - (vormals Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKVO) die berufsbedingte Infektion mit Hepatitis C. Der Versicherte muss grundsätzlich vor dem Versicherungsfall (hier der 14.
März 1977) besondere Kenntnisse und Erfahrungen erworben und dadurch eine besonders günstige Stellung im Erwerbsleben erlangt
haben (so auch BSG, Urteil vom 05. September 2006 - B 2 U 25/05 R - in SozR 4-2700 §
56 Nr. 2; vgl. des Weiteren z. B. Kranig in Hauck/Haines, Kommentar zum
SGB VII, Randnr. 47 zu §
56; Sacher in Lauterbach, Kommentar zum
SGB VII, Randnr. 60; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Nr. 500 S. 4h). Dies korrespondiert mit den allgemeinen Grundsätzen zur Beurteilung
der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung. Ausgangspunkt für diese Beurteilung ist nämlich in jedem Fall das Ausmaß der
Erwerbsfähigkeit des Versicherten, welches im Zeitpunkt des Versicherungsfalls bestanden hat (vgl. z. B. Burchardt in Brackmann,
Handbuch der Sozialversicherung, Randnrn. 54 und 106 zu § 56; Ricke in Kasseler Kommentar, Randnr. 17 zu § 56; Sacher in Lauterbach
aaO., Randnr. 20 zu § 56 m. w. N.; Mehrtens in Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Randnr. 10.2 zu §
56; Kunze in LPK -
SGB VII, Randnr. 8 zu §
56; Kater in Kater/Leube, aaO., Randnr 29 zu § 56). Auch der der Rentenberechnung zugrunde zu legende Jahresarbeitsverdienst
(JAV) richtet sich nach dem Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte und -einkommen des Versicherten in den 12 Kalendermonaten vor
dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist (§
82 Abs.
1 Satz 1
SGB VII). Nach dem Versicherungsfall erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten sind daher nicht zu berücksichtigen (so auch Sacher in
Lauterbach aaO. Randnr. 60 zu § 56; Podzun aaO. Nr. 500 S. 4h).
Gründe, die eine andere, vom - Normalfall abweichende - Sichtweise für den hier spezifischen Fall der Hepatitis-C-Infektion
als BK nach Nr. 3101 der Anlage zur
BKV rechtfertigen würden, sind nicht erkennbar. Insbesondere liegt keine gesetzliche Regelungslücke in §
56 SGB VII vor. Zumal es sich bei der Verschlimmerung von Arbeitsunfall- bzw. BK-Folgen nach Eintritt des Versicherungsfalls um einen
häufig im Unfallversicherungsrecht anzutreffenden Sachverhalt handelt.
Stellt man - wie der erkennende Senat - auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls ab, so hat der Kläger zum damaligen Zeitpunkt
keine außergewöhnlich günstige Stellung im Erwerbsleben eingenommen. Zwar hatte er bis dahin - wie bei Medizinern üblich -
eine langjährige universitäre und praktische Ausbildung absolviert (insgesamt rund 15 Jahre bis zum Facharzt für Chirurgie),
jedoch war er tatsächlich in der Lage, erfolgreich weiter zu arbeiten. Darüber hinaus hatte er mit 35 Jahren noch keine derartige
Lebensposition erreicht, als dass eine berufliche Umorientierung auf dem Gebiet der Medizin (beispielsweise in Richtung Lehre
für medizinisches Personal wie Krankenschwestern etc. oder angestellte Ärzte bei Behörden - Vertrauensärzte, Versorgungsärzte,
medizinische Dienste der Krankenkassen, ärztliche Abteilungen von Rentenversicherungsträgern u. ä. - oder in der medizinischen
bzw. pharmazeutischen Industrie) bzw. eine noch grundlegendere berufliche Umorientierung nicht möglich und vor allem nicht
zumutbar gewesen wäre.
Auch wenn man nicht auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls, sondern auf den Zeitpunkt der medizinischen Feststellung einer
Verschlimmerung durch Prof. Dr. N im Februar 2002 abstellt, ist eine besondere Härte zu verneinen. Dass der Kläger letztlich
seinen Hauptberuf als Chirurg Jahrzehnte nach dem Eintritt des Versicherungsfalls im Oktober 2000 (so seine eigene Angabe
im Schriftsatz vom 05. Mai 2003) aufgegeben hat, steht nämlich - wie er selber vorträgt - nicht im ursächlichen Zusammenhang
mit der BK. Er hat daher nicht infolge des Versicherungsfalls Nachteile i. S. d. §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII erlitten.
Im Rahmen der Beurteilung der Frage, ob der Kläger seine - angenommenen - besonderen Kenntnisse und Erfahrungen ursächlich
zurückzuführend auf den Versicherungsfall nur noch in erheblich reduziertem Maß oder gar nicht mehr nutzen kann und daraus
resultierend über den Normalfall hinausgehende, durch die nach der festgestellten MdE berechnete Rente nicht ausgeglichene,
Nachteile erlitten hat, ist - wie generell im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung - der Kausalitätsbegriff der "Theorie
der wesentlichen Bedingung" zugrunde zu legen. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen
Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden
kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen
Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen
solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird,
und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach dieser werden als kausal und rechtserheblich nur solche
Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.
Danach war Ursache für die nahezu vollständige Aufgabe aller Tätigkeiten des Klägers allein die mangelnde Bereitschaft des
damaligen Arbeitgebers des Klägers und dessen Versicherers, das Infektionsrisiko für die Patienten des Klägers zu tragen.
Zum Zeitpunkt der Verschlimmerung der BK-Folgen war der Kläger nach seinen Angaben tatsächlich nur noch in stark reduziertem
Umfang erwerbstätig als Gutachter und beratender Arzt. Eine hypothetische Kausalität ist nicht zu bilden. Die von ihm geltend
gemachten Nachteile hatten sich schon mehr als ein Jahr vor der Verschlimmerung aus anderen Gründen realisiert und allein
dies ist entscheidungsrelevant.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Revision war im Hinblick auf das Fehlen eindeutiger obergerichtlicher Rechtsprechung zur besonderen beruflichen Betroffenheit
für den Fall der Verschlimmerung von BK- bzw. Arbeitsunfallfolgen wegen grundsätzlicher Bedeutung (§
160 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 SGG) zuzulassen.