Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente unter Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit sowie von Ersatzzeiten.
Der am X.XXXXX 1922 in B., seinerzeit Polen, als Sohn jüdischer Eltern geborene Kläger (ursprünglicher Vorname S.) lebt seit
seiner Auswanderung aus Deutschland im Februar 1950, wo er u. a. in einem Lager für sogenannte displaced persons (DP) in F./Bayern
gewohnt hatte und wegen einer Lungen-Tuberkulose in einem Sanatorium behandelt worden war, in den USA, deren Staatsangehörigkeit
er besitzt. Er wurde als rassisch Verfolgter nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt und erhielt bzw. erhält Entschädigungen
für Schaden an Gesundheit und an Freiheit. So erkannte ihm das Bayrische Landesentschädigungsamt (BLEA) mit Bescheid vom 8.
August 1958 eine Entschädigung in Höhe von 6.600 DM für eine Freiheitsentziehung/Freiheitsbeschränkung im Sinne des BEG von
44 vollen Monaten zu. Die Behörde sah die Voraussetzungen für die Entschädigung erfüllt durch einen zwangsweisen Aufenthalt
des Klägers im Ghetto Bialystok ab August 1941 und eine anschließende Haft in den Konzentrationslagern (KZ) Auschwitz und
Buchenwald bis April 1945. Es folgte damit den Angaben des Klägers, die dieser im Antrag vom 24. November 1949 gemacht hatte
und die von den Zeugen F1 und E. durch eidesstattliche Versicherungen bestätigt worden waren. Bereits am 11. Mai 1955 hatte
das BLEA in einem vor dem Landgericht München I geschlossenen Vergleich die beim Kläger bestehende Lungen-Tuberkulose als
verfolgungsbedingte Schädigung anerkannt und sich zur Zahlung einer Rente verpflichtet. Bei der vorausgegangenen Begutachtung
durch Dr. G., Los Angeles, am 11. Juni 1953 hatte der Kläger zur Familienvorgeschichte u. a. angegeben, er sei bis 1941 in
Bialystok als Schlosser tätig gewesen, durch die Gestapo verhaftet und im Ghetto interniert worden. Er habe zwangsweise schwere
Arbeit verrichten müssen. Ernährung und Bekleidung seien ungenügend, Unterkunft und sanitäre Verhältnisse mangelhaft gewesen.
Am 27. August 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung
für im Ghetto Bialystok vom November 1941 bis September 1942 geleistete Arbeit. Er sei beim Jewish Community Work Force Office
beschäftigt gewesen und habe täglich von 8h bis 17h körperliche Arbeiten - säubern, transportieren, graben (cleaning, transport,
digging) - verrichtet. Die Frage nach einer Entlohnung (compensation) - Barlohn oder Sachbezüge (cash or material goods) -
beantwortete er mit "nein" (no). Er habe die Beschäftigung durch das Jewish Community Center erhalten. Im September oder Oktober
1942 sei er vom Ghetto in ein Zwangsarbeits-/Konzentrationslager verlegt worden. Nachdem der Kläger den ihm übersandten Rentenantragsvordruck
nicht zurückgesandt hatte, lehnte die Beklagte seinen Rentenantrag mit Bescheid vom 28. März 2003 wegen unterlassener Mitwirkung
ab.
Am 14. März 2003 beantragte der Kläger erneut eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung
von im Ghetto zurückgelegten Beschäftigungs- bzw. Beitragszeiten. Nach Auswertung der Entschädigungsakten lehnte die Beklagte
mit Bescheid vom 6. Mai 2003 die Gewährung einer Rente mit der Begründung ab, der Kläger habe die dafür erforderliche Wartezeit
von fünf Jahren mit anrechenbaren Zeiten (Beitrags-, Ersatz und Kindererziehungszeiten) nicht erfüllt, denn es seien keine
auf die Wartezeit anrechenbaren Zeiten vorhanden. Die Zeit vom November 1941 bis September 1942 könne nicht als Zeit einer
Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden, weil nach dem Inhalt der BEG-Akten weder Entgelt noch Sachbezüge im wesentlichen
Umfang gewährt worden seien. Dies habe er durch seine eigenen Angaben im Rentenantrag vom 27. August 2002 bestätigt.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren hat der Kläger angegeben, er habe von 1941 bis 1943 im Ghetto Bialystok 10 - 12 Stunden
täglich manuelle (manual) Arbeiten, auch als Schuhmacher, verrichtet und dafür als Entlohnung (payment) Lebensmittel und "marks"
erhalten. Die Arbeit sei auch außerhalb des Ghettos verrichtet worden; er sei jedoch täglich ins Ghetto zurückgekehrt. Für
seine anderslautenden Angaben im ersten Rentenantrag sei die jüdische Organisation in Kalifornien verantwortlich, die sich
seinerzeit um den Rentenantrag gekümmert habe. Er habe sich seinerzeit nicht wohl gefühlt und sei deshalb mit den Vorgängen
nicht befasst gewesen. Diese Organisation habe fälschlicherweise angegeben, dass er für seine Arbeit im Ghetto Bialystok nicht
bezahlt (compensated) worden sei. Tatsächlich sei er für seine Arbeit als Schuhmacher wie alle Beschäftigten im Ghetto mit
deutschem Geld (german marks) und Lebensmitteln entlohnt worden. Später führte er aus, Soweit die Beklagte ihre Entscheidung
darauf gestützt habe, dass man ihm nach dem Inhalt der BEG-Akten weder (Bar-)Entgelt noch Sachbezüge gewährt habe, sei zu
berücksichtigen, dass er dort nicht nach einer Beschäftigung oder einem Entgelt gefragt worden sei und deshalb keinen Anlass
gehabt habe, dazu Stellung zu nehmen. Im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens führte er zum Hinweis der Beklagten auf
seine Angaben in seinem Rentenantrag aus dem Jahre 2002 aus, soweit er seinerzeit - im Alter von 80 Jahren und ohne anwaltliche
Vertretung - angegeben habe, keine Entlohnung für die Arbeit im Ghetto erhalten zu haben, sei zu berücksichtigen, dass die
Fragestellung "I have received compensation for my work" auch dahingehend verstanden werden könne und verstanden worden sei,
ob eine Kompensation, d. h. eine Wiedergutmachung für die Arbeit, gewährt worden sei. Dies sei tatsächlich nicht der Fall
gewesen und solle nunmehr mit einer Rente nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto
(ZRBG (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juni 2002 - BGBl. I S. 2074 - gem. Art. 3 Abs. 2 dieses Gesetzes in Kraft getreten am 1.Juli 1997)) erstmals erfolgen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Für den strittigen Zeitraum sei eine
Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss nicht glaubhaft. Es sei (vielmehr) überwiegend wahrscheinlich, dass es sich bei
den angegebenen Reinigungs-, Transport- und Grabungsarbeiten um typische Einsätze im Rahmen von Zwangsarbeit gehandelt habe,
zu denen der Kläger je nach Bedarf herangezogen worden sei, so dass das Merkmal der Freiwilligkeit fehle. Eine entgeltliche
Beschäftigung als Schuhmacher aus eigenem Willensentschluss sei nach den vorliegenden Unterlagen nicht glaubhaft.
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger an seinem Vortrag festgehalten, dass er im Ghetto Bialystok von November 1941
bis einschließlich September 1942 aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt habe. Der eigene
Willensentschluss sei eine Reaktion auf die im Getto herrschenden Lebensverhältnisse gewesen. Die mangelhafte Versorgung mit
Lebensmitteln, Wohnraum und Kleidung habe die noch vorhandenen Willenskräfte mobilisiert, was in der Annahme einer vom Judenrat
vermittelten beziehungsweise angebotenen Tätigkeit gemündet habe. Dieser habe unter anderem die Tätigkeiten vermittelt, die
er im Antragsverfahren genannt habe. Es habe im Ghetto eine große Anzahl von Produktionsbetrieben gegeben, die für die Okkupationsmacht
und die deutsche Wehrmacht gearbeitet hätten. Es hätten im Ghetto Bialstok etwa 10 Fabriken und eine große Zahl neu gegründete
Werkstätten bestanden, die auf Anweisung der Besatzungsbehörden verschiedene kriegswichtige Waren hergestellt hätten. Die
Beschäftigung sei auch gegen Entgelt ausgeübt worden. Gegenteilige Angaben - wie bei der Beantwortung der Fragen im Fragebogen
- seien auf dessen unklare Gestaltung durch die Beklagte zurückzuführen. Es hätte nicht nach "compensation" sondern nach "wages"
gefragt werden müssen.
Darüber hinaus hat der Kläger - d. h. seine Bevollmächtigte - umfangreiche Ausführungen zu den Vorschriften gemacht, die während
der deutschen Besetzung Polens im sogenannten Generalgouvernement (
GG) den Arbeitseinsatz der Juden geregelt haben, und verweist in diesem Zusammenhang auf das von Professor G1 im September 2004
zu den Verhältnissen in den im
GG gelegenen Ghettos erstatteten Gutachten.
Die Beklagte hat keine neuen Fakten und Beweismittel gesehen. Das Gutachten des Prof. G1 ersetze nicht die individuelle Glaubhaftmachung.
Es sei nicht glaubhaft, dass der Kläger als gelernter Schlosser die im Rentenverfahren angegebenen niederen Tätigkeiten (Reinigung,
Transport, Grabearbeiten) aus eigenem Willensentschluss ausgeführt habe. Gerade im Ghetto Bialystok hätten viele Gewerbebetriebe
und Werkstätten existiert, in denen er sehr wohl im erlernten Beruf hätte tätig sein können. Stattdessen sei im Widerspruchsverfahren
vorgetragen worden, er habe als Schuhmacher gearbeitet.
Das Sozialgericht hat die Klage durch den Gerichtsbescheid vom 20. Juni 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt,
der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, da er die dafür
erforderliche Wartezeit von fünf Jahren mit anrechenbaren Zeiten (Beitrags-, Ersatz und Kindererziehungszeiten) nicht erfüllt
habe. Insbesondere seien für ihn keine Beitragszeiten im Sinne von § 2 ZRBG auf die Wartezeit anzurechnen. Es sei nicht überwiegend
wahrscheinlich, dass er die von ihm geschilderten Arbeiten aus eigenem Willensentschluss und gegen Entgelt verrichtet habe.
Trotz des vom Kläger als Verfolgtem erfüllten Ersatzzeittatbestandes des §
250 Abs.
1 Nr.
4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) könnten keine Ersatzzeiten auf die Wartezeit angerechnet werden, da er ohne Beitragszeiten nicht Versicherter im Sinne des
§
250 Abs.
1 SGB VI sei.
Der Kläger hat gegen diesen ihm am 25. Juni 2007 zugestellten Gerichtsbescheid am 16. Juli 2007 Berufung eingelegt. Er beanstandet,
dass das Sozialgericht ausschließlich mit Vermutungen argumentiert und eine nachvollziehbare Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale
"eigener Willensentschluss" und "Beschäftigung" in Abgrenzung zur Zwangsarbeit unterlasse habe. Den Ausführungen des Sozialgerichts
sei nicht zu entnehmen, was es unter einem eigenen Willensentschluss verstehe und wie es eine Beschäftigung im Sinne von §
1 ZRBG von Zwangsarbeit abzugrenzen gedenke. Gemessen an der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts (Urteil
vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R) habe den vom Kläger im Ghetto Bialystok verrichteten Arbeiten ein eigener Willensentschluss zu Grunde gelegen, denn er
habe sich für die körperlichen Arbeiten entschieden, um so seine Lebensbedingungen zu verbessern und dadurch eine relative
Sicherheit gegen die Deportation in ein Vernichtungslager zu erlangen. Nach jener Entscheidung des Bundessozialgerichts liege
ein eigener Willensentschluss im Sinne des ZRBG vor, wenn die Arbeit vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage in einem
solchen Ghetto jedenfalls auch noch auf einer, wenn auch auf das elementarste reduzierten Wahl zwischen zwei Verhaltensmöglichkeiten
beruhe, solange die neben der Möglichkeit der Arbeitsaufnahme gegeben gewesene Alternative nicht in der Unterwerfung unter
die absolute Gewaltausübung des Weisungsgebers bestanden habe. Bei dem vom Kläger und vom Sozialgericht erwähnten Jewish Community
Work Force Office habe es sich nicht um eine Einrichtung gehandelt, die Zwangsarbeit zugeteilt habe, sondern schlicht um den
Judenrat. Dieser sei nicht in der Lage gewesen, Zwangsarbeiter zuzuteilen. Diese sei ausschließlich von deutschen Besatzungsbehörden
durchgesetzt worden. Der Judenrat habe lediglich die Möglichkeit gehabt, die Ghettobewohner aufzurufen, sich für Arbeiten
zur Verfügung zu stellen und insoweit ihren eigenen Willensentschluss zu betätigen.
Zu Unrecht habe das Sozialgericht den Rentenanspruch an der fehlenden Entgeltlichkeit seiner Tätigkeit im Ghetto scheitern
lassen. Das Sozialgericht habe es versäumt, zu definieren, was es unter Entgelt in diesem Sinne verstehe. Da § 1 ZRBG keinen
eigenen Entgeltbegriff kenne, sei auf §
14 Abs.
1 S. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften (
SGB IV) zurückzugreifen. Demnach gehörten zum Entgelt insbesondere auch Sachbezüge wie Nahrungsmittel. Neben solchen Sachbezügen
habe er Geldleistungen erhalten, was er mit dem Begriff "marks" habe umschreiben wollen. Dabei habe es sich nicht um Reichsmark,
sondern um Geldleistungen allgemein gehandelt. Abgesehen davon seien gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die
tariflich zustehenden Arbeitsentgelte für die Beitrags- und Versicherungspflicht maßgeblich und führe ein tariflich geschuldetes
Entgelt gleichzeitig zur Sozialversicherungspflicht. Dabei komme es in diesem Zusammenhang nicht einmal auf die tatsächliche
Auszahlung des Entgelts an den Arbeiter an. Allerdings seien ihm Gelder ausgezahlt worden. Das Vorhandensein der Lohnrichtlinien
stelle dafür den Beweis des ersten Anscheins dar. Die Beklagte habe im Wege der Beweislastumkehr das Gegenteil zu beweisen.
Schließlich hält der Kläger seinen Antrag auf persönliche Anhörung zu seiner entgeltlichen Beschäftigung im Ghetto Bialystok
aufrecht und wiederholt den Antrag, den Sachverständigen Prof. Dr. G1 zur Situation zu hören. Es werde in das Wissen des Sachverständigen
gestellt, dass im Ghetto Bialystok die Ghettoarbeiter Beschäftigungen nur aufgrund eines eigenen Willensentschlusses entgeltlich
ausgeführt hätten und dass diese Arbeiten durch den Judenrat vermittelt worden seien.
Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Juni 2007 und den Bescheid vom 6. Mai 2003 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab dem 1.
Juli 1997 Regelaltersrente unter Anrechnung der Zeit von November 1941 bis September 1942 als Ghettobeitragszeit sowie von
Verfolgungsersatzzeiten zu gewähren,
hilfsweise den Kläger persönlich anzuhören, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Juni 2007 zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Sie könne im Gesamtvortrag nicht erkennen, dass ein eigener Willensentschluss
des Klägers für die in seinen Rentenantrag genannten Arbeiten dargelegt worden sei. Die Tätigkeiten seien im Regelfall obrigkeitlich
zugewiesen worden. Der Vortrag im Berufungsverfahren sei aus der nachträglichen Bewertung der Lebenssituation des Klägers
abgeleitet. Es ergebe sich kein stimmiges Gesamtbild, an Hand dessen eine gute Möglichkeit dafür bestehe, dass der Kläger
die Wahl zwischen verschiedenen Tätigkeiten gehabt habe. Auch fehle es an Kenntnissen, wie es im Einzelnen zu den Beschäftigungen
gekommen sei, ob er die Tätigkeit ohne Gefahr für Leib und Leben oder für die Restfreiheit hätte ablehnen können.
Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift
aufgeführten Akten verwiesen, die Gegenstand der Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen
Rentenversicherung.
Nach §
35 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr
vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§
50 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI) erfüllt haben. Auf die allgemeine Wartezeit werden Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet (§
51 Abs.
1 und 4
SGB VI). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge
gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt
gelten (§
55 Abs.
1 Sätze 1 und 2
SGB VI). Pflichtbeitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung hat der Kläger nicht zurückgelegt. Er hat solche
Zeiten weder behauptet noch gibt es für sie irgendeinen Anhalt.
Der Kläger hat aber auch keine Zeiten zurückgelegt, für die Pflichtbeiträge im Sinne des §
55 Abs.
1 Satz 2
SGB VI als gezahlt gelten, nämlich keine fiktiven Beitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung nach §
2 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 ZRBG. Hiernach wird die Zahlung von Beiträgen fingiert, wenn ein Verfolgter sich zwangsweise in
einem Ghetto aufgehalten, dort aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung aufgenommen und diese Beschäftigung gegen
Entgelt ausgeübt hat und das Ghetto sich in einem Gebiet befunden hat, das vom Deutschen Reich besetzt oder in dieses eingegliedert
war. Die Voraussetzungen für die Fiktion einer Beitragsentrichtung müssen glaubhaft gemacht werden. Dies folgt aus § 1 Abs.
2 ZRBG, wonach die Vorschriften des ZRBG die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) ergänzen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 WGSVG ist eine Tatsache glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren
Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Dass der Kläger so genannte Ghetto-Beitragszeiten zurück gelegt
hat, indem er eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hat, ist indes nicht
überwiegend wahrscheinlich.
Zwar unterliegt es nach den im Entschädigungsverfahren getroffenen Feststellungen keinem Zweifel, dass der Kläger Verfolgter
im Sinne des BEG ist und dass er sich während der strittigen Zeit zwangsweise im Ghetto Bialystok aufgehalten und das Ghetto
sich in einem Gebiet befunden hat, das vom Deutschen Reich besetzt oder in dieses eingegliedert war, nämlich im Bezirk Bialystok,
der nach der Besetzung durch deutsche Truppen im Juni 1941 ab dem 1. August 1941 unter deutsche Zivilverwaltung gestellt wurde.
Es besteht jedoch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger im Ghetto Bialystok gegen Entgelt tätig war.
Zwar hat er dies im seit Juni 2003 zunächst im Widerspruchsverfahren und sodann im gerichtlichen Verfahren behauptet und vorgetragen,
er habe Sachbezüge und Geldleistungen erhalten. Dem steht jedoch entgegen, dass er im ersten Rentenverfahren die Frage nach
einem irgendwie gearteten Entgelt - sei es Bargeld, seien es Sachbezüge - für die von ihm im Ghetto verrichteten Tätigkeiten
eindeutig mit "nein" beantwortet hat. Die Versuche des Klägers bzw. seiner Bevollmächtigten, diese ursprüngliche - möglicherweise
in Unkenntnis ihrer rechtlichen Bedeutung gemachte - Aussage zu relativieren, sind nicht überzeugend. Er kann seine Verantwortung
für diese Angaben nicht auf eine von ihm eingeschaltete jüdische Hilfsorganisation schieben und sich von ihnen mit der Bemerkung
distanzieren, er sei damals mit der Angelegenheit nicht befasst gewesen. Auch wenn nach einem Vergleich der Unterschrift des
Klägers mit den schriftlichen Antworten diese nicht von ihm selbst handschriftlich niedergelegt worden sein dürften, sind
sie ihm - nicht nur formell - zuzurechnen, denn er hat den ausgefüllten Fragebogen seinerzeit unterschrieben, wobei zu unterstellen
ist, dass er sie vorher gelesen hat. Abgesehen davon widerspricht diese Einlassung des Klägers bzw. seines früheren Bevollmächtigten
seinem aktuellen Vortrag bzw. dem seiner gegenwärtigen Prozessbevollmächtigten, der dort verwendete Begriff "compensation"
sei missverständlich und auch missverstanden worden; es hätte korrekterweise nach "wages" gefragt werden müssen. Der dabei
gegebene Hinweis auf das hohe Alter des Klägers und eine fehlende anwaltliche Vertretung beim Ausfüllen des Fragebogens stellt
klar, dass diesen Ausführungen zufolge der Kläger persönlich ihn gelesen und die Fragen beantwortet hat, mag er sodann die
Antworten auch nicht selbst schriftlich niedergelegt haben.
Allerdings ist auch dieser zweite Versuch einer Relativierung der Angaben des Klägers im ersten Rentenantrag nicht überzeugend.
Mag der englische Begriff "compensation" als solcher mehrere Bedeutungen haben, darunter auch den der Entschädigung, so wird
doch mit der anschließenden Frage nach dem "type of compensation, earnings (cash or material goods)" und nach der wöchentlichen
Höhe ("weekly amount") deutlich, dass nach compensation im Sinne von Entlohnung gefragt wird. Gleichzeitig wird damit klargestellt,
dass es dabei nicht nur um Lohn im Sinne von Barlohn geht, sondern auch um Sachbezüge, so dass die Verneinung dieser Frage
durch den Kläger durchaus erhebliches Gewicht hat.
Die beiden einander widersprechende Aussagen lassen sich auch nicht mit der Erwägung harmonisieren, dass die Entlohnung des
Klägers nicht ihm persönlich, sondern dem Judenrat ausgezahlt worden sein und dieser sie für Gemeinschaftsaufgaben, insbesondere
die Beschaffung von Lebensmitteln verwendet haben könnte, die anstelle des Barlohnes an die Ghettobewohner abgegeben wurden,
so dass die erste Aussage des Klägers nur seinen - unzutreffenden - subjektiven Eindruck wiedergäbe. Für eine solche Gestaltung
der Verhältnisse in seinem Falle hat der Kläger nichts vorgetragen; im Gegenteil hat er noch im Berufungsverfahren behauptet,
ihm seien Gelder ausgezahlt worden.
Eine für den Kläger günstigere Beurteilung des Sachverhalts ergibt sich auch nicht bei Anwendung der Lohnanspruchstheorie,
die vom Sozialgericht Hamburg in anderen Fällen zur Begründung einer Entgeltlichkeit herangezogen wird und wonach eine Beschäftigung
gegen Entgelt im Sinne des ZRBG auch vorliegen soll, wenn ein solches tatsächlich nicht gezahlt worden ist, gleichwohl aber
ein Entgeltanspruch nach den am Beschäftigungsort geltenden Normen bestand. Gegen ihre Anwendung spricht unabhängig von der
Bewertung der im Ghetto Bialystok geltenden Bestimmungen (Der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen, Zivilverwaltung für den
Bezirk Bialystok (Koch), "Verordnung über die Lohngestaltung im Bezirk Bialystok vom 18. September 1941", 18.9.1941, Amtsblatt
des Oberpräsidenten, Zivilverwaltung für den Bezirk Bialystok, 1 (1941), Nr. 12, 9.10 1941, (S. 1) ohne Paginierung), dass
dann das Tatbestandsmerkmal der Entgeltlichkeit ohne materiellen Vorteil erfüllt sein würde. Dies widerspricht dem Wortlaut
und dem Sinn des ZRBG. Es begegnet auch methodischen Bedenken, die vom Bundessozialgericht im Beitragsrecht - als Entstehungsprinzip
bezeichnete - entwickelte Theorie (BSG 14.7.2004 - B 12 KR 7/04 R, SozR 4-2400 § 22 Nr. 1) auf die hier vorzunehmende Bewertung einer verrichteten Arbeit als einer freien Beschäftigung gegen
Entgelt anzuwenden. Das Entstehungsprinzip gilt für die Feststellung der Versicherungspflicht und der Beitragshöhe. Es stellt
für die Entstehung, den Fortbestand und die Berechnung einer Beitragsforderung nicht auf das tatsächlich gezahlte Arbeitsentgelt,
sondern auf die Höhe des Arbeitsentgelts ab, auf das dem Arbeitnehmer ein Rechtsanspruch zusteht. Aus dem Entstehungsprinzip
lässt sich aber nicht bereits das Bestehen einer freien Beschäftigung ableiten. Vielmehr setzt es das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses
aufgrund von arbeitsvertraglichen Beziehungen sowie einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt voraus und regelt
die Folgen einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten durch den Arbeitgeber im Beitragsrecht. Einen Rückschluss auf
das Vorliegen eines freien Beschäftigungsverhältnisses lässt es nicht zu (so LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.5.2006
- L 4 RJ 123/04; vgl. auch Urteil vom 21.11.2008 - L 14 R 306/06).
Unter diesen Umständen kann es der Senat auf sich beruhen lassen, ob der Kläger im Ghetto Bialystok im Sinne des § 2 ZRBG
Beschäftigungen aus eigenem Willensentschluss ausgeübt hat.
Von einer Befragung des Prof G1 zu den Verhältnissen in Bialystok, die der Kläger vorgeschlagen hat, hat der Senat abgesehen.
Allgemeine historische Erkenntnisse über die Zustände in den Ghettos des Bezirkes Bialystok, wie sie Prof. G1 in seinem für
das Sozialgericht Hamburg u. a. im Verfahren S 26 RJ 311/04 erstatteten Gutachten vom 17. Juni 2007 - auch das Ghetto Bialystok selbst - dargestellt hat, mögen das Vorliegen von freiwillig
aufgenommenen und entgeltlichen Beschäftigungen als durchaus möglich erscheinen lassen, können jedoch die Glaubhaftmachung
der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen des ZRBG im Einzelfall nicht ersetzen.
Der Senat hat ferner entgegen dem Hilfsantrag zu 1) im Rahmen seines Ermessens davon abgesehen, den Kläger persönlich anzuhören.
Die Entscheidung über die Anordnung des persönlichen Erscheinens zur mündlichen Verhandlung liegt nach §
111 Abs.
1 Satz 1
SGG im Ermessen des Gerichts. Die Anordnung dient vor allem der Erforschung des Sachverhalts unter Heranziehung der Beteiligten
(§
103 Satz 1
SGG). Das ergibt sich bereits aus dem über §
202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbaren §
141 Abs.
1 Satz 1
Zivilprozessordnung (
ZPO), wonach das Gericht das persönliche Erscheinen anordnen soll, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint.
Darüber hinaus kann das persönliche Erscheinen angeordnet werden, um das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten zu
erörtern und darauf zu wirken, dass sie sich über erhebliche Tatsachen vollständig erklären sowie angemessene und sachdienliche
Anträge stellen (§
112 Abs.
2 Satz 2
SGG). Bei der Erfüllung seiner Pflichten nach §§
103 Satz 1
SGG,
112 Abs.
2 Satz 2
SGG stehen den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit auch außerhalb der Anordnung des persönlichen Erscheinens vielfältige Möglichkeiten
zur Verfügung, die Beteiligten zur Aufklärung des Sachverhalts heranzuziehen und darauf hinzuwirken, dass sie sich über erhebliche
Tatsachen vollständig erklären. So können sich die entscheidungserheblichen Tatsachen zunächst aus den vorbereitenden Schriftsätzen
der Beteiligten ergeben (§
108 Satz 1
SGG). Ist der Beteiligte anwaltlich vertreten, darf das Gericht grundsätzlich davon ausgehen, dass die Prozessbevollmächtigten
sich im Rahmen ihrer Verpflichtung zur gewissenhaften Berufsausübung (vgl. § 43 Satz 1 Bundesrechtsanwaltsordnung) zumindest bemühen, den maßgeblichen Prozessstoff vollständig und wahrheitsgemäß vorzutragen. Zudem kann das Gericht den
Beteiligten aufgeben, zu bestimmten Vorgängen Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen (§
106a Abs.
2 Nr.
1 SGG). Es kann die Verwaltungsakte der Beklagten und anderer Behörden beiziehen (§§
104 Satz 3,
119 SGG) und die darin enthaltenen Erklärungen der Beteiligten verwerten. Die Anhörung der Beteiligten im Termin und die Anordnung
ihres persönlichen Erscheinens hierzu kommt daher nur als eines von mehreren Erkenntnismitteln in Betracht, insbesondere wenn
und soweit das Gericht die bislang vorliegenden Erklärungen nicht für ausreichend hält und sich von einer persönlichen Befragung
weitere Aufklärung erhofft. Dagegen bedarf es einer Anordnung des persönlichen Erscheinens beispielsweise nicht, wenn das
Gericht auf der Grundlage der bisherigen Angaben der Beteiligten den Sachverhalt als ausreichend geklärt ansieht (vgl. Landessozialgericht
für das Land Nordrhein-Westfalen 8. Senat, Urteil v. 19.11.2008 L 8 R 275/07 - juris mit weiteren Nachweisen).
Gemessen an diesen Maßstäben war die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers nicht geboten. Er hat zu der streitentscheidenden
Frage der Entgeltlichkeit der von ihm im Ghetto Bialystok verrichteten Beschäftigungen durch seine Bevollmächtigte umfangreich
vorgetragen und seine ursprüngliche entgegengesetzte Einlassung eingehend erläutert. Dies war vom Gericht zu bewerten. Es
ist weder ersichtlich noch vorgetragen, zu welchen weiteren Erkenntnissen die persönliche Anhörung des Klägers insofern führen
könnte bzw. hätte führen können. Es können zugunsten des Klägers auch keine Ersatzzeiten auf die Wartezeit angerechnet werden.
Zwar gehört er als Verfolgter zu dem Personenkreis, der den Ersatzzeittatbestand des §
250 Abs.
1 Nr.
4 SGB VI erfüllt. Jedoch setzt die Anrechnung dieser Ersatzzeiten voraus, dass der betreffende Verfolgte "Versicherter" ist. Versichert
im Sinne dieser Vorschrift ist aber nur derjenige, für den wenigstens ein Beitrag zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung
wirksam gezahlt worden ist oder als entrichtet gilt. Daran fehlt es hier. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil hierfür eine Veranlassung im Sinne des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG nicht bestanden hat.