LSG Hamburg, Urteil vom 27.08.2019 - 3 VE 1/18
Vorinstanzen: SG Hamburg 24.01.2018 S 12 VE 8/16
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Der 1992 geborene Kläger begehrt Entschädigungsleistungen. Ihm wurde am 7. Juni 2013 von I. mit einem Messer in den Bauch
gestochen. Er erlitt eine etwa 2 cm breite und 10 cm lange Stichverletzung. Die Bauchdecke und eine kleinere Arterie wurden
durchtrennt, der linke gerade Bauchmuskel wurde zur Hälfte durchtrennt. Der Kläger blieb vom Kreislauf her stabil, verlor
aber insgesamt etwa 1,8 l Blut. Die fortschreitende Blutung wurde durch eine Notoperation gestoppt, der stationäre Aufenthalt
währte insgesamt eine Woche. Das Landgericht Hamburg verurteilte den I. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe
von drei Jahren (Urteil v. 3. Dez. 2013, 601 Ks 8/13) und legte folgenden Sachverhalt zugrunde: Der seinerzeit 20 Jahre alte Kläger verbrachte den Abend des 6. Juni 2013 mit
zwei Begleitern, dem M. und dem B ... Sie konsumierten im Verlauf des Abends zusammen eine Flasche Wodka (0,7 l) in Form von
Mischgetränken. Um kurz nach 1.25 Uhr suchten sie die gelegeneTankstelle an der auf, um weitere nichtalkoholische Getränke
zum Mischen zu erwerben. Am dortigen Nachtschalter trafen sie auf den 1976 geborenen, ihnen unbekannten I. und dessen zwei
Begleiter, die alle erheblich angetrunken waren. Wegen einer Nichtigkeit kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren
Verlauf der Kläger den I. nach wechselseitigen Beleidigungen schließlich als "Hurensohn" bezeichnete. Daraufhin eilte der
I. der sich schon entfernenden Gruppe um den Kläger nach, um diesen zur Rede zu stellen. Dabei zeigte er ein von ihm mitgeführtes
Messer mit einer Klingenlänge von 8,5 cm vor, um sich Respekt zu verschaffen. Der Kläger gab sich hiervon unbeeindruckt und
forderte den körperlich unterlegenen I. zum Faustkampf heraus. Der Kläger tänzelte dabei provozierend in der Kampfhaltung
eines Boxers um den I. herum, forderte ihn zum Kampf heraus und höhnte lautstark, dieser könne "wohl nur mit Messer", er solle
die Waffe wegtun und "wie ein Mann" "eins gegen eins" kämpfen. Daraufhin übergab der I. das Messer an einen seiner Begleiter,
um sich einem Faustkampf mit dem Kläger zu stellen. Die beiden Begleiter des Klägers und ein hinzugetretener Begleiter des
I. versuchten zunächst erfolglos, die Kontrahenten zu trennen. Es kam im Einmündungsbereich der in die jedenfalls zwischen
dem Kläger und dem I. zu wechselseitigen Schubsereien, Beschimpfungen und Drohungen, möglicherweise auch zu leichteren Tritten
oder Schlägen. Der I., der befürchtete, dass sich auch die beiden Begleiter des Klägers gewaltsam gegen ihn wenden könnten,
holte sich das Messer von seinem Begleiter wieder. Jetzt gelang es den Begleitern des Klägers, diesen aus der Situation zu
lösen. Die Gruppe um den Kläger überquerte die und ging ruhigen Schrittes die Richtung Reeperbahn hinunter. Es kam zu einem
letzten Wortwechsel mit dem I. über die hinweg, bei dem der Kläger wiederum sinngemäß in provozierendem Tonfall äußerte, er
habe keine Angst vor dem I., auch wenn dieser ein Messer habe. Der I., der seinen Versuch, den Kläger in die Schranken zu
weisen, als gescheitert empfand, wollte diese Schmach nicht hinnehmen und setzte der Gruppe schnellen Schrittes nach, wobei
er das Messer in der Hand hielt. Er erreichte als erstes den M. und stieß diesem mit dem geöffneten Messer in der Hand von
hinten kommend mit beiden Händen gegen den Oberkörper, so dass der M. vornüber auf den Gehweg fiel. Der vor dem M. gehende
Kläger wandte sich daraufhin um und wollte seinem Begleiter zur Hilfe kommen. Der I. griff ihn sofort mit Schlägen und Tritten
an, der Kläger wich zunächst einige Meter zurück, wandte sich dann jedoch ebenfalls mit wuchtigen Schlägen und Tritten gegen
den I ... Sodann griff der I. den zurückweichenden Kläger erneut mit Schlägen und Tritten an, der erneut seinerseits mit Tritten
und Schlägen zum Gegenangriff überging und dabei vom M., der inzwischen aufgestanden war, mit mehreren Schlägen gegen den
I. unterstützt wurde. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung, gegen 1.30 Uhr, versetzte der I. dem Kläger den Stich in
den Unterbauch, unmittelbar danach wurde er von einem wuchtigen Schlag des Klägers getroffen und ging zu Boden. Im Zuge des
Sturzes ließ er das Messer fallen, das vom M. weggeschoben wurde. Der I. griff sodann den M. von hinten an und rang ihn zu
Boden, bevor dieser sich aus der Umklammerung befreien konnte. Der Kläger hatte inzwischen seine Stichverletzung bemerkt,
zeigte seine Wunde und forderte den I. sinngemäß auf sich anzusehen, was er da angerichtet habe. Der I. entgegnete sinngemäß,
das sei nur ein Kratzer und der Kläger habe ihn schließlich auch geschlagen und getreten. Weitere Angriffe erfolgten bis zum
Eintreffen der Polizei nicht. Das Landgericht stellte weiterhin fest, dass der Kläger über einen Zeitraum von etwa einem Monat
unter schmerzhaften Beeinträchtigungen gelitten habe, die Verletzung aber inzwischen vollständig und folgenlos ausgeheilt
sei. Es sah das Verhalten des I. nicht als durch Notwehr gerechtfertigt an. Als der Kläger und seine Begleiter sich nach der
Rangelei im Einmündungsbereich der bewegt hätten, sei diese erste körperliche Auseinandersetzung beendet gewesen und der I.
habe sich nicht mehr in der Gefahr befunden, von dem körperlich überlegenen Kläger und dessen Begleitern angegriffen zu werden.
Vielmehr habe der I. zunächst den M. und dann auch den Kläger tätlich angegriffen, so dass diese sich in einer Notwehrlage
befunden hätten. Ihre Schläge und Tritte gegen den I. seien als Notwehr- bzw. Nothilfehandlungen gerechtfertigt gewesen. Strafmildernd
berücksichtigte das Landgericht unter anderem, dass die Verletzung des Klägers letztlich ohne Spätfolgen abgeheilt und der
I. durch die grob beleidigende Äußerung des Klägers provoziert worden sei; er habe sich aufgrund dieser Provokation spontan
zur weiteren Eskalation des gesamten Tatgeschehens und letztlich auch zur konkreten Tatausführung selbst entschlossen. Strafschärfend
berücksichtigte das Landgericht unter anderem, dass der I. zwar beleidigt und provoziert worden sei, der Anlass des Streits
und die Tathandlung jedoch in einem deutlichen Missverhältnis stehen würden. Durch sein wiederholtes Nachsetzen und die Verwendung
des Messers habe der I. die letztlich entscheidenden Beiträge zur Eskalation des Geschehens geleistet. Der Bundesgerichtshof
verwarf die Revision des I. als unbegründet (Beschl. v. 17. Juni 2014 - 5 StR 240/14). Bereits am 7. Juni 2013 hatte der Kläger in Form eines Kurzantrags über die Polizei Entschädigungsleistungen bei der Beklagten
beantragt. In der Folgezeit legte er ein Schreiben seines Prozessbevollmächtigten an seine Krankenkasse vom 19. Juni 2013
vor, in dem der Tathergang beschrieben wird. Weiterhin bestehende Verletzungsfolgen benannte der Kläger nicht. Die Beklagte
zog im Rahmen ihrer Ermittlungen u.a. die staatsanwaltschaftliche Akte bei. Mit Bescheid vom 19. August 2014 lehnte sie den
Antrag des Klägers mit der Begründung ab, dieser habe die Schädigung mitverursacht. Er habe, wie das Landgericht festgestellt
habe, sich nach dem Ende der ersten Auseinandersetzung nicht endgültig vom I. entfernt, obwohl ihm dies möglich gewesen sei,
sondern habe den bereits gereizten Täter über die Straße hinweg erneut provoziert. Der Kläger habe auch damit rechnen müssen,
dass der I. das Messer wieder einsetzen werde. Mit seinem Widerspruch brachte der Kläger vor, er habe zwar dem Täter nach
Beendigung der ersten Auseinandersetzung etwas über die hinweg zugerufen. Diese Äußerung sei aber nicht mehr ursächlich für
den darauf folgenden Angriff ihm gegenüber gewesen. Vielmehr habe er dann seinem Begleiter Nothilfe geleistet. Dass er dabei
mit dem Messer angegriffen werde, habe er nicht vorhersehen können. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2016 wies die Beklagte
den Widerspruch zurück. Nunmehr stützte sie die Leistungsversagung auf den Aspekt der Unbilligkeit. Mit seiner am 1. Februar
2016 vor dem Sozialgericht Hamburg erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Nach seiner Auffassung ist ebenso
wenig der Versagungstatbestand der Unbilligkeit erfüllt. Er hat ein ärztliches Attest seines Hausarztes vom 12. März 2014
vorgelegt, wonach er seit dem Angriff unter Depressionen, Angst, Panik sowie Narben und Schmerzen leide. Die Beklagte hat
an ihren Bescheiden festgehalten. Das Sozialgericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen sowie Befundberichte
von der Diplom-Psychologin Sch. und von Herrn S. eingeholt. Die mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht hat am 24. Januar
2018 in Anwesenheit des Klägers stattgefunden. Mit Urteil vom selben Tag hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen.
Es ist der Begründung des Widerspruchsbescheid gefolgt und hat lediglich hervorgehoben, der Geschehensablauf sei nicht dadurch
unterbrochen worden, dass die Begleiter des Klägers diesen aus der Situation gelöst hätten und es über die hinweg zu einem
letzten Wortwechsel mit dem Täter gekommen sei. Der Kläger sei durchaus in der Lage gewesen sei, den vorsätzlichen rechtswidrigen
tätlichen Angriff des Täters zu vermeiden, indem er zum Beispiel nach dem ersten Vorzeigen des Messers eingelenkt und sich
der Situation entzogen hätte. Das erstinstanzliche Urteil ist dem Kläger am 1. Februar 2018 zugestellt worden. Am 1. März
2018 hatte dagegen Berufung eingelegt. Er hat vorgebracht, eine Leistungsversagung sei nicht unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung
gerechtfertigt. Es sei unbestritten, dass er den Täter anfänglich beleidigt habe und es später zu wechselseitigen Provokationen
einschließlich des letzten Wortwechsels zwischen ihm und dem Täter gekommen sei. Sein Verhalten möge dabei den Tatbestand
der Beleidigung erfüllen. Er habe aber nicht annähernd gleich schwer gegen die Rechtsordnung verstoßen wie der Täter. Ebenso
wenig habe er sich leichtfertig selbst gefährdet, insbesondere habe er sich nicht leichtfertig der Gefahr einer gefährlichen
Körperverletzung ausgesetzt. Vielmehr hätten er und seine Begleiter sich zügig vom Täter entfernt, dieser sei ihnen jedoch
gefolgt und habe den M. angegriffen. Er, der Kläger habe seinem Begleiter Hilfe leisten wollen, woraufhin der Täter ihn mit
Schlägen und weitausholenden Tritten angegriffen habe. Dieser Angriffe habe der Kläger sich erwehren dürfen, was auch das
Landgericht festgestellt habe. Auslöser für den Messerstich sei mithin der Angriff des Täters gegen den M. und die durch Notwehr
bzw. Nothilfe gerechtfertigte Gegenwehr des Klägers gewesen. Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom
24. Januar 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 19. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar
2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und bezieht sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Die Beteiligten haben sich jeweils mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt.
Die mündliche Verhandlung vor dem Senat, in der für den Kläger sein Bevollmächtigter erschienen ist, hat am 27. August 2019
stattgefunden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf
die Sitzungsprotokolle, den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Unterlagen. Diese haben bei der Entscheidung
vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zutreffend hat das Sozialgericht die Klage, an deren Zulässigkeit keinerlei
Zweifel bestehen, als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 19. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 8. Januar 2016 erscheint rechtmäßig und beschwert den Kläger daher nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ( SGG). 1. Für den geltend gemachten Anspruch kommt als einzige Rechtsgrundlage § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz ( OEG) in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Bundesversorgungs-gesetz (BVG) in Betracht. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält u.a., wer im Bundesgebiet infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen seine Person eine gesundheitliche
Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung
der Vorschriften des BVG. 2. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt. Insbesondere liegt im Messerstich durch den I. ein vorsätzlicher, rechtswidriger
Angriff auf den Kläger, der llazi war nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Dies ergibt sich aus den auch für den Senat überzeugenden
Feststellungen des Landgerichts Hamburg im rechtskräftigen Strafurteil, die im Wege des Urkundsbeweises gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 415 ff. Zivilprozessordnung herangezogen worden sind (s. zu dieser Möglichkeit Senatsurteil vom 31. Mai 2016, L 3 VE 6/14, juris-Rn. 31 mwN). Die inhaltliche
Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen wird im Übrigen von keinem der Beteiligten bestritten. 3. Für den Kläger
sind aber Versorgungsleistungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder
wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchsstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung
zu gewähren. Die Mitverursachung im Sinne der ersten Alternative ist ein Sonderfall der Unbilligkeitsgeneralklausel im Sinne
der zweiten Alternative; sie ist stets zuerst zu prüfen und bestimmt abschließend, wann die unmittelbare Tatbeteiligung des
Geschädigten Leistungen ausschließt (BSG, Urt. v. 29. März 2007, B 9a VG 2/05 R, juris-Rn. 13). a. Anders als von der Beklagten im Widerspruchsbescheid und daran
anknüpfend vom Sozialgericht vertreten, liegt zur Überzeugung des Senats ein Fall des § 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 OEG vor. Indem der Kläger, als er sich mit seiner Gruppe bereits über die hinweg entfernt hatte, dem I. erneut provozierende
Äußerungen zurief, hat er seine Schädigung mitverursacht. Zum Bereich der unmittelbaren Tatbeteiligung gehören alle unmittelbaren,
nach natürlicher Betrachtungsweise mit dem eigentlich schädigenden Tatgeschehen insbesondere auch zeitlich eng verbundenen
Umstände (BSG, Urt. v. 29. März 2007, B 9a VG 2/05 R, juris-Rn. 13, mwN). Der Senat zählt hierunter die Äußerungen des Klägers, die dieser
dem I. über die hinweg zurief. Bei natürlicher Betrachtungsweise liegt ein einheitlicher Lebenssachverhalt vom ersten Aufeinandertreffen
der Gruppen am Nachtschalter der Tankstelle bis jedenfalls zum Messerstich auf den Kläger vor. Dazwischen waren nur etwa fünf
Minuten vergangen und das gesamte Geschehen spielte auf dem Tankstellengelände sowie den unmittelbar daran angrenzenden Straßen
und Gehwegen ab. Dass der Kläger sich aus der Rangelei im Einmündungsbereich der gelöst und begonnen hatte, sich mit seinen
Begleitern Richtung entfernen, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Der Senat sieht darin keine echte Zäsur, die alles,
was davor geschah, als bloße Vorgeschichte erscheinen lassen würde. Hierfür hätte es einer deutlichen Unterbrechung bedurft,
was beispielsweise anzunehmen wäre, wenn die beiden Gruppen erst im weiteren Verlauf der Nacht an einer anderen Stelle wieder
aufeinandergetroffen wären. Eine derart deutliche Unterbrechung vermag der Senat wegen des weiterhin gegebenen engen zeitlich-räumlichen
Zusammenhangs zwischen dem Ende der Rangelei im Einmündungsbereich der und dem Nachsetzen des I. über die hinweg nicht zu
erkennen. Nach seiner Bewertung kam es lediglich zu einer kurzen "Abkühlung" zwischen den einzelnen Phasen einer zusammenhängenden
Auseinandersetzung. b. Die Äußerungen, die der Kläger dem I. über die hinweg zurief und die demnach als unmittelbare Tatbeteiligung
anzusehen sind, können nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Angriff des I. entfiele (s. dazu, dass der mitverursachende
Tatbeitrag des Gewaltopfers conditio sine qua non für den Angriff sein muss, BSG, Urt. v. 29. März 2007, B 9a VG 2/05 R, juris-Rn. 15). Nach den auch insoweit für den Senat überzeugenden Feststellungen
des Landgerichts entschloss sich der I. erst daraufhin spontan zum Angriff auf die Gruppe um den Kläger und letztlich zum
angeschuldigten Messerstich. c. Mitverursachung iSd § 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 OEG liegt jedenfalls dann vor, wenn der Beitrag des Gewaltopfers von seinem Gewicht her mit dem rechtswidrigen Verhalten des
Angreifers vergleichbar ist (BSG, Urt. v. 29. März 2007, B 9a VG 2/05 R, juris-Rn. 15 mwN). Das trifft auf die klägerischen Äußerungen nicht zu. Selbst als
strafbewehrte Beleidigung bliebe ihr Unrechtsgehalt deutlich hinter der gefährlichen Körperverletzung durch den I. zurück.
Das lässt sich, worauf der Kläger für sich genommen zu Recht hingewiesen hat, bereits an der unterschiedlichen Strafandrohung
ablesen. Das Landgericht hat das deutliche Missverhältnis zwischen dem Anlass des Streits und der Tathandlung des I. herausgearbeitet
und betont, dieser habe die entscheidenden Beiträge zur Eskalation des Geschehens geleistet. Auch diese Feststellungen sind
für den Senat überzeugend. d. Wie der Kläger in der Berufungsschrift selbst dargestellt hat, vermag aber auch ein nicht strafbewehrtes
sonstiges tatförderndes Verhalten des Gewaltopfers den Anspruch auf Geschädigtenversorgung auszuschließen. Insbesondere in
Fällen einer Provokation des Angreifers liegt eine Mitverursachung iSd § 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 OEG vor, wenn das Gewaltopfer keinen Straftatbestand erfüllt, aber sich leichtfertig durch eine unmittelbare, mit dem eigentlichen
Tatgeschehen zeitlich eng zusammenhängende Förderung der Tat selbst gefährdet (BSG, Urt. v. 29. März 2007, B 9a VG 2/05 R, juris-Rn. 15; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10. Jan. 2019, L 13 VG 3/18, juris-Rn. 24 mwN; LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 28. Sept. 2018; L 6 VG 2878/17, juris-Rn. 66 mwN; Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 2 OEG Rn. 14 ff.). Nach Überzeugung des Senats gefährdete der Kläger sich in diesem Sinne leichtfertig, als er dem I. über die
hinweg seine Äußerungen zurief. aa. Nach den auch insoweit überzeugenden Feststellungen des Landgerichts äußerte der Kläger
im Weggehen gegenüber dem I. erneut in provozierendem Tonfall, er habe, sinngemäß, keine Angst vor diesem, auch wenn der ein
Messer habe. Ohne dass der genaue Wortlaut der Äußerung ermittelt zu werden bräuchte, ist damit zur Überzeugung des Senats
erwiesen, dass der Kläger den I. mit seinen Worten und seinem Tonfall provozierte, was vom Kläger letztlich eingeräumt wird.
bb. Diese Provokation förderte den Angriff unmittelbar. Wie das Landgericht auch für den Senat überzeugend darlegt, entschloss
sich der I. erst daraufhin zum Angriff auf die Gruppe des Klägers und ließ sich letztlich zum Messerstich auf den Kläger hinreißen.
cc. Schließlich bewertet der Senat die Äußerungen bei einer Gesamtwürdigung aller Begleitumstände als leichtfertig. Leichtfertigkeit
ist im Opferentschädigungsrecht durch einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit gekennzeichnet, der etwa der groben Fahrlässigkeit
des Bürgerlichen Rechts entspricht. Dabei gilt allerdings ein individueller (subjektiver) Maßstab, der auf die persönlichen
Fähigkeiten des Opfers abstellt (BSG, Beschl. V. 30. April 2018, B 9 V 58/17 B, juris-Rn. 6 mwN). Festzuhalten ist zunächst, dass der Kläger sich unproblematisch anders hätte verhalten können, indem er
einfach auf seine letzten provozierenden Äußerungen verzichtet hätte. Das gilt umso mehr, als der Kläger sich in dem Moment
nicht mehr in der unmittelbaren körperlichen Auseinandersetzung mit dem I. befand, sondern bereits wieder seiner Wege ging.
Das schlichte Unterlassen wäre dem Kläger auch zumutbar gewesen. Insbesondere gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass seine
letzten provozierenden Äußerungen unter irgendeinem Aspekt gerechtfertigt waren. Im Gegenteil, der Kläger entfachte die bereits
abgekühlte Auseinandersetzung erneut und ohne jede Not. Bei einer Gesamtwürdigung ist beim Senat der Eindruck entstanden,
der Kläger wollte den I. noch im Weggehen verhöhnen, weil er sich im Gefühl der körperlichen Überlegenheit gefiel und das
letzte Wort behalten wollte. Der Kläger dringt nicht mit seinem Vorbringen durch, er habe das gefährliche Verhalten des Klägers
nicht vorhersehen können. Obgleich die Auseinandersetzung abgekühlt war, als der Kläger sich mit seinen Begleitern entfernte,
lag der Streit noch in der Luft. Jedenfalls in dieser weiterhin angespannten Situation musste der Kläger nach dem Dafürhalten
des Senats damit rechnen, dass der I. sich durch eine erneute Provokation zu einem Messerangriff hinreißen lassen würde. Dieser
hatte zuvor deutlich gezeigt, dass er im Besitz eines Messers war und sich durch ein vergleichbares Verhalten des Klägers
"bis aufs Messer" reizen ließ, denn er war dem Kläger bereits mit offener Klinge entgegengetreten. Ebenso erkennbar war für
den Kläger, dass der I. das Messer inzwischen wieder in seinen Besitz gebracht hatte. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass
ein gereizter und alkoholisierter Mensch, der die körperliche Auseinandersetzung offensichtlich nicht scheut und ein Messer
trägt, darauf bei einer Attacke zurückgreift. Der Kläger hatte jedenfalls keinerlei Grund zu der Annahme, der I. nutze der
Messer lediglich zur Bedrohung und werde es nicht als Waffe für eine erhebliche Bauchverletzung einsetzen. Trotz seiner körperlichen
Überlegenheit konnte er auch nicht darauf vertrauen, einen Angriff durch den erkennbar bewaffneten I., mit dem demnach zu
rechnen war, unverletzt abzuwehren. Dass der I. zunächst den M. zu Boden brachte, der sich nach den vorliegenden Erkenntnissen
nicht provozierend geäußert hatte, und der Kläger diesem zur Hilfe eilte, gibt zu keiner abweichenden Beurteilung Anlass.
Der Senat stellt nicht in Abrede, dass der Kläger bei seinen Schlägen und Tritten gegen den I. im Rahmen der Notwehr bzw.
Nothilfe gerechtfertigt war. Das nimmt seinen zeitlich vorausgehenden Äußerungen aber nicht den Charakter einer leichtfertigen
Provokation. Es stellt auch keine erhebliche Abweichung von der vorhersehbaren Reaktion des I. dar, dass dieser zunächst den
M. angriff, der als letzter der Gruppe ging. Denn im messerbewehrten Angriff des I. auf die Gruppe des Klägers verwirklichte
sich gerade die Gefahr, die der Kläger leichtfertig durch seine Provokation gesetzt hatte. Der Beurteilung des klägerischen
Verhaltens als "leichtfertig" steht schließlich nicht entgegen, dass der Kläger seinerzeit ein Heranwachsender und durch den
Alkoholkonsum mutmaßlich enthemmt war. Es gibt keinerlei Anzeichen für eine mangelnde Reife oder eingeschränkte Steuerungsfähigkeit
des Klägers zur Tatzeit. 4. Da demnach alle in Betracht kommenden Versorgungsleistungen für den Kläger schon dem Grunde nach
ausgeschlossen sind, hat der Senat nicht weiter zu den etwaigen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der erlittenen
Schädigung ermitteln müssen. II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. III. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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