Höhe einer Nachzahlung für extrabudgetär vergütete Leistungen
Sperrwirkung der Rechtshängigkeit für ein zweites Verfahren
Sperrwirkung unzulässiger Klagen
Tatbestand:
Im Streit steht die Höhe der Nachzahlung für extrabudgetär vergütete Leistungen in den Quartalen II/2005 bis IV/2006.
Der Kläger war im streitigen Quartal als Facharzt für Allgemeinmedizin im Bezirk der Beklagten zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassen. Neben seiner regulären Tätigkeit behandelte er Patienten auch in der Hausärztlichen Notfallpraxis am M. (i.F.:
H.) in H1. Hierbei handelt es sich um eine Einrichtung niedergelassener Hausärzte in Zusammenarbeit mit dem M., die die allgemeinärztliche
Notfallbehandlung sichern und die Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus und Hausarzt verbessern soll. Die Praxis hat am Wochenende
und an Feiertagen von 9 Uhr bis 21 Uhr geöffnet.
Mit Bescheid vom 20. Dezember 2007 erkannte die Beklagte dem Kläger Nachvergütungen für die Quartale II/2005 bis IV/2006 in
Höhe von 242,10 Euro im Primärkassenbereich und 114,67 Euro im Ersatzkassenbereich zu. Sie führte aus, Verhandlungen mit verschiedenen
Krankenkassen hätten zu dem Ergebnis geführt, dass die in diesen Quartalen erbrachten extrabudgetär zu vergütenden Leistungen
(mit Ausnahme der Substitutionsbehandlung und der Verordnung von Rehabilitationsmaßnahmen) mit einem Punktwert von 4,87 ct
vergütet werden könnten.
Der Kläger erhob hiergegen am 5. Februar 2008 Widerspruch und führte zur Begründung aus, es seien nicht sämtliche extrabudgetäre
Leistungen mit einem Punktwert von 4,87 ct vergütet worden. Es fehlten "sämtliche mit der Nr. 99506 bezeichneten Ziffern für
am Krankenhaus erbrachte extrabudgetäre Leistungen". Im Übrigen rege er an, diesen Widerspruch in das laufende Widerspruchsverfahren
betreffend das Quartal II/2007 zu integrieren. Die Beklagte griff diese Anregung nicht auf und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid
vom 7. April 2011 zurück. Sie verwies zur Begründung auf § 10 Abs. 1 Buchstabe e (recte: d) der Honorarverteilungsvereinbarungen
(i.F.: VM) in den ab dem 1. April 2005 geltenden Fassungen.
Hiergegen hat der Kläger am 9. Mai 2011 Klage erhoben.
Das sozialgerichtliche Verfahren hat im Hinblick auf die damals anhängigen Berufungsverfahren betreffend die im Bescheid vom
20. Dezember 2007 genannten Quartale (Az. L 5 KA 29/11, 31/11, 33/11, 36/11, 37/11, 38/11, 39/11) zunächst ab Juli 2012 geruht und ist auf Antrag des Klägers ab November 2012 fortgesetzt
worden: Der Kläger hat sich darauf berufen, dass der Streitgegenstand nicht mit dem der Berufungsverfahren betreffend die
genannten Quartale identisch sei. Das vorliegende Verfahren beziehe sich auf Gebührennummern, die die Beklagte bereits dem
Grunde nach anerkannt habe, und betreffe insoweit die Frage nach dem zutreffenden Punktwert.
Die Beklagte hat die Klage mit der Begründung für unzulässig gehalten, dass die Frage nach dem Punktwert bereits Gegenstand
der genannten Berufungsverfahren sei. Weiterhin habe der Bescheid vom 20. Dezember 2007 auch nicht die Vergütung der in der
H. erbrachten Leistungen geregelt, so dass der Kläger nicht klagebefugt sei. Unter dem Begriff "extrabudgetär vergütete Einzelleistungen"
würden im vertragsärztlichen Sprachgebrauch spezielle Leistungen verstanden, die auch hinsichtlich ihrer Vergütung eigens
mit den Krankenkassen vereinbart werden müssten. Vielmehr sei die Vergütung für die gesamte Tätigkeit des Klägers in der H.
abschließend in den Honorarbescheiden betreffend das jeweilige Quartal geregelt worden.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 5. Februar 2013 (dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt
am 7. Februar 2013) mit der Begründung abgewiesen, die Klage sei unzulässig. Da die Beklagte den Widerspruch nicht als unzulässig
verworfen, sondern in der Sache beschieden habe, habe sie den Regelungsgehalt des Bescheides vom 20. Dezember 2007 um die
Entscheidung erweitert, ob Leistungen im Rahmen der H. zu den extrabudgetär vergüteten Einzelleistungen gehörten oder nicht.
Da sie dies inzidenter verneint habe, sei der Kläger durch den Widerspruchsbescheid beschwert, weil sein Anliegen, für seine
Leistungen im Rahmen der H. auch eine Vergütung mit einem Punktwert von 4,87 ct zu erhalten, abgelehnt worden sei. Trotzdem
sei die Klage - die sich angesichts des klägerischen Vorbringens in Widerspruchs- und Klageverfahren auf eine Vergütung seiner
im Rahmen der H. erbrachten Leistungen mit einem Punktwert von 4,87 ct richte - wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig,
denn der Kläger habe seine früheren Klagen auf höhere Vergütung in den streitigen Quartalen um den Antrag erweitert, sämtliche
Leistungen, die er in diesen Quartalen in der H. erbracht habe, unter Zugrundelegung seines arztindividuellen Punktwerts vergütet
zu erhalten.
Der Kläger hat am 28. Februar 2013 Berufung eingelegt.
Er führt aus, die Klage sei zulässig gewesen, denn die Beklagte habe jedenfalls im Widerspruchsbescheid über die Vergütung
der in der H. erbrachten Leistungen entschieden. Der Bescheid vom 20. Dezember 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 7. April
2011 seien auch nicht Gegenstand eines anderen Klage- oder Berufungsverfahrens geworden. Die übrigen Berufungsverfahren beträfen
andere Bescheide aus mehreren Quartalen. Das vorliegende Verfahren betreffe allein den Punktwert für von der Beklagten bereits
anerkannte Gebührenziffern, während Gegenstand der zum Zeitpunkt der Klageerhebung anhängigen Berufungsverfahren die Frage
sei, ob bestimmte andere Gebührennummern von der Beklagten zu vergüten seien. Die Klage sei auch begründet, denn die Beklagte
habe sich in ihrem Bescheid vom 20. Dezember 2007 ausdrücklich dazu verpflichtet, alle extrabudgetären Leistungen nach einem
Punktwert von 4,87 ct zu vergüten. Zu diesen Leistungen gehörten auch die in der H. erbrachten, wie die Beklagte zu einem
früheren Zeitpunkt ausdrücklich erklärt habe.
Der Kläger beantragt ausdrücklich,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 5. Februar 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung
des Bescheides vom 20. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2011 die Honorarverteilung über
die extrabudgetiert zu vergütenden Leistungen für die Quartale II/2005 bis IV/2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts neu zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung und führt ergänzend aus, eine materielle Beschwer habe ihr Widerspruchsbescheid
vom 7. April 2011 nicht enthalten.
Der Senat hat die Berufung durch Beschluss vom 15. August 2013 auf den Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen
Richtern übertragen. In dieser Besetzung hat der Senat sodann am 25. Februar 2015 über die Berufungen mündlich verhandelt.
Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und die beigezogene Verwaltungsakte
der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach
§
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) übertragen hatte.
Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Sie ist - auch bei einem denkbar weit verstandenen Klageantrag - teils unzulässig, teils unbegründet.
Soweit der Kläger eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung mit Blick auf diejenigen Leistungen begehrt, die er
in den streitigen Quartalen unter Angabe der Abrechnungsnummer 99506 geltend gemacht hat, ist seine mit der Berufung weiterverfolgte
Klage wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig. Die Abrechnungsnummer 99506 kennzeichnet hierbei nicht etwa - wie dies
bei Gebührennummern nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab der Fall ist - eine bestimmte ärztliche Leistung, sondern sie
stellt als rein interne Abrechnungsnummer sicher, dass der in §§ 10 Abs. 1 Buchstabe d und 11 Abs. 1 Buchstabe d der in den
Quartalen II/2005 bis IV/2007 geltenden VMe angeordnete Vorabzug stattfindet. Die genannten Vorschriften bestimmten, dass
die näher bezeichneten und rechtlich jedenfalls dem Not(fall)dienst im weiteren Sinne zuzuordnenden Leistungen bei der Verteilung
der Gesamtvergütung vorab zu berücksichtigen waren. Daher ordneten die Honorarverteilungsvereinbarungen in den genannten Vorschriften
an, dass am Tag der Notfallversorgung neben den Gebührennummern nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab in der Abrechnung
auch die Nr. 99506 anzugeben war.
Nach §
202 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
17 Abs.
1 Satz 2 des
Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG) kann die Sache während der Rechtshängigkeit von keinem Beteiligten anderweitig anhängig gemacht werden. Die Rechtshängigkeit
entfaltet mithin für ein zweites Verfahren über denselben Streitgegenstand Sperrwirkung, was zur Unzulässigkeit der zweiten
Klage führt (aus neuerer Zeit etwa BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 17/13 R, SozR 4-1500 §
192 Nr. 2). Rechtshängigkeit tritt nach §
94 SGG durch Erhebung der Klage ein.
Zum Zeitpunkt der Klageerhebung im vorliegenden Verfahren (d.h. am 7. Mai 2011) hatte der Kläger wegen der Höhe der Vergütung
aller in der H. erbrachten Leistungen in den Quartalen II/2006 bis IV/2006 bereits mehrere Klagen vor dem Sozialgericht erhoben.
Es handelte sich um die folgende Verfahren (die der Kläger im Übrigen sämtlich mit der Berufung weiterverfolgt hat):
Quartal Datum der Klageerhebung Aktenzeichen SG Berufungsaktenzeichen II/2005 17. Dezember 2007 S 3 KA 188/07 L 5 KA 36/11 III/2005 17. Dezember 2007 S 3 KA 452/09 L 5 KA 39/11 IV/2005 17. Dezember 2007 S 3 KA 453/09 L 5 KA 38/11 I/2006 13. Oktober 2008 S 3 KA 153/08 L 5 KA 29/11 II/2006 13. Oktober 2008 S 3 KA 379/09 L 5 KA 31/11 III/2006 13. Oktober 2008 S 3 KA 380/09 L 5 KA 37/11 IV/2006 13. Oktober 2008 S 3 KA 381/09 L 5 KA 33/11
In allen dieser Verfahren hat er (spätestens im November 2010) jeweils u.a. beantragt, die Beklagte zur Neubescheidung seiner
Honorarabrechnung für das betreffende Quartal mit der Maßgabe zu verurteilen, dass alle in der H. erbrachten Leistungen nach
dem arztindividuellen Punktwert zu vergüten seien. Da bei Beachtung der §§ 10 Abs. 1 Buchstabe d und 11 Abs. 1 Buchstabe d
der VMe sämtliche in der H. erbrachten Leistungen mit der Abrechnungsnummer 99506 hätten versehen werden müsse, decken sich
insoweit die Streitgegenstände, auch wenn der Kläger im vorliegenden Verfahren andere Verwaltungsentscheidungen anficht als
in mit seinen älteren Klagen.
Hierbei kommt es auch nicht darauf an, ob und inwieweit die in den genannten Berufungsverfahren weiterverfolgten Klagen zulässig
sind, denn auch unzulässige Klagen lassen die Sperrwirkung der anderweitigen Rechtshängigkeit eintreten (Jaritz, in: Roos/Wahrendorf,
SGG, 2014, §
94 Rn. 75 m.w.N.). Aus diesem Grund - und weil es für die Frage nach anderweitiger Rechtshängigkeit auf einen Vergleich der
Klageanträge und nicht etwa der in ihnen angefochtenen Bescheide ankommt - ist es insoweit auch ohne Bedeutung, dass der Widerspruchsbescheid
vom 7. April 2011 nicht nach §
96 Abs.
1 SGG Gegenstand der damals bereits vor dem Sozialgericht rechtshängigen Klagen auf höhere Vergütung in den genannten Quartalen
geworden ist.
Dem Sachentscheidungshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit steht auch nicht entgegen, dass der Senat mit Urteilen vom
25. Februar 2015 über die genannten Berufungsverfahren entschieden hat, denn die Rechtshängigkeit hält bis zum Eintritt der
Rechtskraft der letztinstanzlichen Entscheidung an (Jaritz, in: Roos/Wahrendorf,
SGG, 2014, §
94 Rn. 76).
Soweit der Kläger darüber hinaus pauschal die Aufhebung der angefochtenen Bescheide sowie eine Verpflichtung der Beklagten
zur Neubescheidung hinsichtlich der "Honorarverteilung über die extrabudgetär zu vergütenden Leistungen" beantragt, ist seine
in der Berufungsinstanz weiterverfolgte Klage zulässig, aber unbegründet, denn diesbezügliche Fehler sind weder dargetan noch
auch nur ansatzweise erkennbar.
Soweit der Klageantrag so aufzufassen ist, dass der Kläger den Rechtsschein beseitigt wissen möchte, der Widerspruchsbescheid
vom 7. April 2011 habe - der Bindungswirkung nach §
77 SGG fähig - auch über seinen Antrag auf eine höhere Vergütung der in der H. erbrachten Leistungen entschieden, ist die Klage
zulässig, aber unbegründet. Da dem Widerspruchsbescheid vom 7. April 2011 hinsichtlich dieser Leistungen lediglich die Aussage
zu entnehmen ist, dass die vom Kläger geltend gemachte Mehrvergütung für die in der H. erbrachten und (unstreitig) nach Nr.
99506 abzurechnenden Leistungen auch nicht aus den Mitteln zu zahlen ist, die die Beklagte im Wege einer Sondervereinbarung
der im Bescheid vom 20. Dezember 2007 geschilderten Art erlangt hat, kann der Kläger auch nicht die isolierte Aufhebung des
Widerspruchsbescheides zur Verhinderung des Eintritts von Bindungswirkung verlangen.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.