Sozialversicherungspflicht eines Angestellten in einer Familien-GmbH als Minderheitsgesellschafter ohne Sperrminorität
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger in den Jahren 1990 bis 2005 bei der Beigeladenen zu 1. sozialversicherungspflichtig
beschäftigt gewesen ist.
Der 1954 geborene Kläger ist Ingenieur und seit dem Jahr 1977 bei der Beigeladenen zu 1. beschäftigt.
Die Beigeladene zu 1. ist im Mai 1961 von B. A. (der 1925 geborene Vater des Klägers) und C. A. (Onkel des Klägers) gegründet
worden. Gegenstand des Unternehmens ist die Herstellung von Baufertigteilen aus Beton und anderen Stoffen sowie der Vertrieb
dieser Erzeugnisse und der Handel mit Baustoffen jeder Art sowie die Ausführung von Bauarbeiten. Die Stammeinlage in Höhe
von 200.000 DM hielten zunächst B. A. in Höhe von 110.000 DM und C. A. in Höhe von 90.000 DM. Gemäß § 8 des Gesellschaftsvertrages
gelten für die Beschlussfassungen der Gesellschafter die gesetzlichen Bestimmungen. Bei Abstimmungen gewährt ein Gesellschaftsanteil
von 1.000 DM eine Stimme. Beide Gesellschafter wurden als Geschäftsführer bestellt, B. A. mit Alleinvertretungsberechtigung.
Der Kläger hält seit dem 23. Oktober 2003 als Erbe von C. A. dessen Stammeinlage (Testament der Eheleute C. und D. A. vom
26. April 1973; 1992 verstarb C. A.). Seit dem 1. Januar 2006 ist der Kläger Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. Der Vater
des Klägers blieb bis zu seinem Tod im Jahr 2013 ebenfalls Geschäftsführer. Beide waren einzelvertretungsberechtigt.
Mit Arbeitsvertrag zwischen der Beigeladenen zu 1. und dem Kläger vom 22. Juli 1977 wurde der Kläger als Bauingenieur mit
der Funktion eines technischen Leiters eingestellt. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug mindestens 48 Stunden. Es wurde ein
monatliches Bruttogehalt in Höhe von 1.800 DM vereinbart.
Am 13. Dezember 1989 schlossen die Beigeladene zu 1. und der Kläger einen Anstellungsvertrag. Nach der Präambel dieses Vertrages
war beabsichtigt, den Kläger als weiteren Geschäftsführer der Gesellschaft zu bestellen. Der Kläger wurde als Betriebsleiter
eingestellt, der neben dem Geschäftsführer für die wirtschaftlichen, finanziellen und organisatorischen Belange der Gesellschaft
Sorge zu tragen hat. Auf Verlangen hat er an den Gesellschafterversammlungen teilzunehmen und mündliche oder schriftliche
Zwischenberichte über seine Tätigkeit zu erstatten (§ 2 des Vertrages). Er hat seine gesamte Arbeitskraft der Gesellschaft
zur Verfügung zu stellen und möglichst die für die Gesellschaft geltende Arbeitszeit einzuhalten und jederzeit zur Dienstleistung
zur Verfügung zu stehen (§ 3 des Vertrages). Darüber hinaus wurde vereinbart, dass der Kläger ab dem 1. Januar 1990 als Vergütung
für seine Tätigkeit 4.700 DM monatlich bezieht, am Unternehmensgewinn beteiligt ist und ein erfolgsabhängiges 13. Monatsgehalt
erhält. Im Krankheitsfall bestand ein Gehaltsanspruch für die Dauer von 42 Tagen. Dem Kläger stand ein Jahresurlaub von 30
Arbeitstagen zu, der im Einvernehmen mit der Gesellschaft festzulegen war. Der Vertrag wurde auf unbestimmte Zeit mit einer
halbjährigen Kündigungsfrist geschlossen. Der Kläger war berechtigt, Mitarbeiter einzustellen und zu entlassen sowie alle
Handlungen vorzunehmen, die den gewöhnlichen Betrieb des Handlungsgewerbes der Gesellschaft betreffen. Entsprechende Kontovollmachten
waren ihm einzuräumen. Änderungen des Vertrages bedurften der Schriftform.
Unter dem 15. Dezember 2005 schlossen der Kläger und die Beigeladene zu 1. mit Wirkung zum 1. Januar 2006 einen GmbH-Geschäftsführer-Vertrag.
Hiernach ist der Kläger zusammen mit einem Prokuristen oder einem weiteren Geschäftsführer vertretungsberechtigt. Soweit kein
weiterer Geschäftsführer vorhanden ist, vertritt er die Gesellschaft allein. Für seine Tätigkeit erhält er eine Jahresvergütung
von 66.000 EUR brutto. Am 28. Juni 2007 wurde der Kläger als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer im Handelsregister
eingetragen. Ebenso einzelvertretungsberechtigt und zudem befreit von den Beschränkungen gemäß §
181 BGB blieb weiterhin sein Vater.
Mit Schreiben vom 1. November 2007 beantragte die Beigeladene zu 1. die Überprüfung der Versicherungspflicht des Klägers.
Mit Bescheid vom 24. April 2008 stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger fest, dass dieser seit dem 1. Januar 2006 versicherungsfrei
in allen vier Sozialversicherungszweigen tätig ist. Er habe zwar weniger als 50 % des Stammkapitals inne, führe die Geschicke
der Beigeladenen zu 1. aber im Grund genommen alleine, da sich der Vater des Klägers aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen
habe. Zudem sei der Kläger als Geschäftsführer alleinvertretungsberechtigt. Daher überwögen die Merkmale einer selbstständigen
Tätigkeit.
Darüber hinaus stellte die Beklagte mit Bescheid vom 8. September 2008 fest, dass für den Zeitraum vom 1. Januar 1990 bis
31. Dezember 2005 von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen sei. Der Kläger habe zwar in dieser Zeit einen verantwortungsvollen
Aufgabenbereich inne gehabt. Dennoch überwögen die arbeitnehmertypischen Merkmale. Dies habe sich erst mit der Bestellung
des Klägers zum Geschäftsführer geändert.
Gegen den Bescheid vom 24. April 2008 erhob der Kläger Widerspruch. Er sei bereits seit dem 1. Januar 1990 für die Beigeladene
zu 1. sozialversicherungsfrei tätig.
Die Beklagte legte diesen Widerspruch als gegen den Bescheid vom 24. April 2008, ergänzt durch die Schreiben vom 9. Juni und
8. September 2008, erhoben aus und wies ihn mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2008 zurück. Der Kläger habe in der
Zeit vom 1. Januar 1990 bis 31. Dezember 2005 bei der Beigeladenen zu 1. eine abhängige Beschäftigung verrichtet und der Versicherungs-
bzw. Beitragspflicht in der Krankenversicherung (1. Januar 1990 bis 31. Dezember 2004), der Pflegeversicherung (1. Januar
1995 bis 31. Dezember 2004), der Renten- und Arbeitslosenversicherung (1. Januar 1990 bis 31. Dezember 2005) unterlegen.
Am 10. Dezember 2008 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Er führe - auch im Hinblick auf das im Jahr
1973 testierte Erbe - seit 1990 das Unternehmen wie sein eigenes. Sein Onkel sei bereits im Jahr 1977 in den Ruhestand gegangen.
Nach seinem Tod sei dessen Ehefrau Gesellschafterin geworden, habe sich jedoch nie mit der Gesellschaft beschäftigt. Sein
Vater habe sich im Jahr 1990 zurückgezogen, betreue keine Kunden mehr und habe auch an den technischen Entwicklungen keinen
Anteil mehr genommen. Er habe vielmehr seine 120 bis 150 Wohnungen verwaltet und den Flugplatz betrieben. Ihm - dem Kläger
- habe die gesamte Personalführung oblegen. Sein Bruder habe sich Ende 1998 aus der Tätigkeit für die Beigeladene zu 1. zurückgezogen
und sei im Jahre 2010 verstorben. Nach dem Tod des Vaters würden er und seine beiden Schwestern, die für die Beigeladene zu
1. nicht tätig seien, dessen Gesellschaftsanteile je zu 1/3 erben. Die Beigeladene zu 1. sei in den Bereichen Fertighausbau,
Bau von Rolladenkästen und Fensterbau tätig. Er - der Kläger - sei bereits vor 1990 für die Bereiche Fertighausbau und Bau
von Rolladenkästen zuständig gewesen und habe diese allein geleitet. Aufgrund von personellen Veränderungen habe er 1989/1990
auch den Bereich Fensterbau übernommen und völlig umgestaltet. Ende der 90er Jahre sei dieser Bereich zu einem umsatzstarken
Bereich geworden, der mittlerweile die Hälfte des Umsatzes erwirtschafte. Er habe stets mit den Kunden und Lieferanten verhandelt
und so gearbeitet, wie ein freier Unternehmer. Auch für die Gehaltsverhandlungen sei er zuständig gewesen. Für Beschlüsse
der Gesellschafterversammlung habe es keinen Anlass gegeben. Er sei bereits vor seiner Bestellung als Geschäftsführer berechtigt
gewesen, umfangreiche Rechtsgeschäfte für die Beigeladene zu 1. zu tätigen. Er habe alle Verträge abgezeichnet - auch über
sehr große Beträge. Er habe die Beigeladene zu 1. auch in Rechtsstreiten vertreten. Sein Vater habe sich vorgestellt, dass
er - der Kläger - und sein Bruder gleichberechtigt für die Beigeladene zu 1. tätig werden könnten. Dies sei wohl der Grund
dafür, dass die Bestellung zum Geschäftsführer erst im Jahr 2006 erfolgt sei. Da er seine Tätigkeit nach seinen Vorstellungen
habe ausüben können, sei ihm eine frühere Bestellung nicht so wichtig gewesen. Ende der 90er Jahre habe er auch ohne Einbeziehung
seines Vaters sein Gehalt erhöht. Da er von seinem Onkel mehrere Immobilien geerbt habe, sei ihm die Höhe seines Gehaltes
nicht wichtig gewesen.
Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung die Zeugen F. (Fachbauleiter) und E. (kaufmännische Angestellte) angehört.
Auf die Niederschrift der Zeugenaussagen (Bl. 200 ff. d.A.) wird verwiesen.
Mit Urteil vom 27. Februar 2012 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 24. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20. November 2008 teilweise aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger durch seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu
1. nicht versicherungspflichtig in der Krankenversicherung in der Zeit vom 1. Januar 1990 bis 31. Dezember 2004, in der Pflegeversicherung
in der Zeit vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 2004 sowie in der Renten- und Arbeitslosenversicherung in der Zeit vom 1.
Januar 1990 bis 31. Dezember 2005 gewesen ist. Zwar sei der Kläger lediglich Minderheitsgesellschafter, aufgrund der Gesamtumstände
könne dennoch nicht von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausgegangen werden. Die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse
seien für die Ausübung der Tätigkeit des Klägers nicht relevant. Seit Jahrzehnten übe der Kläger seine Tätigkeit für die Beigeladene
zu 1. in der Weise aus, dass alle Außenstehenden sowie Mitarbeiter den Kläger als Betriebsinhaber und Leiter des Unternehmens
wahrnehmen würden. Er führe die Geschicke der Gesellschaft und bestimme, in welche Richtung sich das Unternehmen weiter entwickle.
Seit seiner Bestellung im Jahre 1990 zum Betriebsleiter habe sich das verdichtet. Er habe den Betrieb umgestaltet, neues Personal
eingestellt, die Fertigung umgestellt und in neue Maschinen in der Größenordnung von über 700.000 DM investiert. Seit den
90er Jahren liege die gesamte Unternehmensleitung in seiner Hand. Zum damaligen Zeitpunkt sei der Vater des Klägers bereits
65 Jahre alt gewesen und habe sich vorrangig um seine Immobilien sowie den von ihm betriebenen Flugplatz gekümmert. Der Vater
des Klägers sei zwar noch im Betrieb präsent gewesen, habe die Leitung der Beigeladenen zu 1. jedoch vollständig an den Kläger
abgegeben. Der Kläger selbst führe zwar keine praktischen Tätigkeiten für die Beklagte zu 1. aus. Er verfüge aber über die
erforderlichen Kenntnisse und habe unternehmerische Leitungsfunktion. Dass er erst im Januar 2006 zum Geschäftsführer bestellt
worden sei, sei auf familiäre Rücksichtnahme zurückzuführen. Seine beiden Schwestern seien als Ärztin bzw. Rechtsanwältin
berufstätig und nicht für die Beigeladene zu 1. tätig gewesen. Sein Bruder sei zwar zunächst für die Beigeladene zu 1. tätig
gewesen, er habe jedoch keine entsprechende Ausbildung und seine Tätigkeit für die Beigeladene zu 1. im Jahre 1998 unvermittelt
aufgegeben. Darüber hinaus hat das Sozialgericht ausgeführt, dass von den 10.000 m² Betriebsgelände der Beigeladenen zu 1.
ein Grundstück von 1.500 m² im Eigentum einer vom Kläger und seinem Vater gegründeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)
stehe. Auf diesem Grundstück befinde sich das Bürogebäude. Ferner grenze das Grundstück so an das übrige Grundstück an, dass
das Werksgelände nicht betreten und verlassen werden könne, ohne diesen vorderen Teil zu benutzen. Dies verleihe dem Kläger
eine erhebliche Rechtsmacht, da er im Verhältnis zu seinem Vater und der Beigeladenen zu 1. im Streitfall eine Blockade der
Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. hätte herbeiführen können. Eine solche Rechtsposition sei vollkommen untypisch für einen
abhängig beschäftigten Mitarbeiter.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 12. April 2012 zugestellte Urteil am 20. April 2012 vor dem Hessischen Landessozialgericht
Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie erneut darauf verwiesen, dass der Kläger im streitigen Zeitraum zunächst nicht
Gesellschafter und ab 2003 lediglich Minderheitsgesellschafter der Beigeladenen zu 1. (gewesen) sei. Dementsprechend habe
er Weisungen der Gesellschafterversammlung zu beachten gehabt. Ein entgegenstehender Gesellschaftsbeschluss liege nicht vor.
Mithin habe im streitigen Zeitraum die Rechtsmacht bei den Gesellschaftern bzw. dem Hauptanteilseigner und Geschäftsführer
gelegen. Ob diese Rechtsmacht tatsächlich ausgeübt worden sei, sei unbeachtlich. Dass der Vater des Klägers erst zum 1. Januar
2006 seine Stellung als Geschäftsführer tatsächlich aufgegeben habe, spreche dafür, dass er sich das Sagen habe vorbehalten
wollen. Die Angabe des Klägers, dies sei mit Rücksicht auf den Bruder erst so spät geschehen, vermöge im Hinblick auf dessen
bereits im Jahre 1998 erfolgtes Ausscheiden aus der Beigeladenen zu 1. nicht zu überzeugen. Das Miteigentum des Klägers am
Betriebsgrundstück schließlich rechtfertige auch nicht die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit, da die sich daraus ergebende
"Abhängigkeit" auch bestünde, wenn ein "Fremder" Verpächter oder Vermieter wäre. Nach den Aussagen des Klägers in der mündlichen
Verhandlung vor dem Sozialgericht sei der Vater des Klägers täglich im Betrieb gewesen. Es sei davon auszugehen, dass die
"Geschäftsübergabe" erst zum 1. Januar 2006 erfolgt sei. Schließlich sei auch von Bedeutung, dass der Kläger als versicherungspflichtiger
Arbeitnehmer angemeldet gewesen sei. Ferner seien für ihn im streitigen Zeitraum Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, Lohnsteuer
entrichtet und das Gehalt als Betriebsausgabe verbucht worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 27. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend trägt er vor, dass er die alleinige Kenntnis des Kundenstamms
gehabt habe. Seit 1990 habe ausschließlich er das erforderliche Know-how. Er könne seitdem in dem väterlichen Unternehmen
nach eigenem Gutdünken schalten und walten und sei de facto "Kopf und Seele" des Unternehmens. Seit 1990 trage er die Verantwortung
für sämtliche Personalentscheidungen. Aufgrund seines Miteigentumsanteils an einem Teil des Betriebsgeländes habe er auch
im streitigen Zeitraum eine erhebliche Rechtsmacht gehabt, da er im Streitfall eine Blockade der Tätigkeit der Beigeladenen
zu 1. hätte herbeiführen können. Er hätte jederzeit dem Betrieb die wesentlichen Betriebsgrundlagen entziehen können. Darlehensverträge
oder Grundstücksgeschäfte habe er in der streitigen Zeit für die Beigeladene zu 1. nicht unterzeichnet.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die Beklagte war als Einzugsstelle gemäß §
28 h Abs.
2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) für die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Klägers zuständig. §
7a Abs.
1 Satz 3
SGB IV ist nicht anwendbar, da der Kläger nicht Abkömmling des Arbeitgebers und im Zeitraum der Antragstellung auch nicht Geschäftsführer
einer GmbH gewesen ist.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung
der Versicherungs- und Beitragspflicht (§
5 Abs.
1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch -
SGB V; §
20 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch -
SGB XI; §
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch -
SGB VI; §
25 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch -
SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist §
7 Abs.
1 Satz 1
SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber
persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den
Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers
unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein
einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete
Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche
Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen
Verhältnissen ab, geben diese den Ausschlag (BSG, Urteil vom 28. September 2011, B 12 KR 17/09 R mwN). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich
zulässig ist (vgl. hierzu insgesamt BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R). Ein maßgeblicher rechtlicher oder auch nur tatsächlicher Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft aufgrund der
Gesellschafterstellung schließt ein Beschäftigungsverhältnis in diesem Sinne aus, wenn der Gesellschafter damit Einzelanweisungen
an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern könnte (BSG, Urteile vom 23. Juni 1994, 12 RK 72/92 und vom 25. Januar 2006, B 12 KR 30/04 R mwN).
Eine derartige Rechtsmacht haben GmbH-Gesellschafter regelmäßig dann, wenn sie zugleich Geschäftsführer der Gesellschaft sind
und mindestens 50 % des Stammkapitals inne haben (BSG, Urteil vom 18. April 1991, 7 RAr 32/90). Aber auch dort, wo die Kapitalbeteiligung geringer ist, kann sich aus den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages die Rechtsmacht
ergeben, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer mit seinem Anteil alle ihm nicht genehmen Entscheidungen verhindern kann
(sog. Sperrminorität, vgl. BSG, Urteil vom 17. Mai 2001, B 12 KR 34/00 R mwN). Ein GmbH-Gesellschafter, der in der GmbH angestellt und nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, besitzt hingegen allein
aufgrund seiner gesetzlichen Gesellschaftsrechte nicht die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft
aufzuheben oder abzuschwächen. Vorbehaltlich anderweitiger Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag ist die Dienstaufsicht und
das Weisungsrecht über die Angestellten der GmbH nämlich Sache der laufenden Geschäftsführung und nicht der Gesellschafterversammlung
(vgl. BSG, Urteile vom 23. Juni 1994, 12 RK 72/92 und vom 17. Mai 2001, B 12 KR 34/00 R mwN). Dennoch kann eine rechtlich bestehende Abhängigkeit durch die tatsächlichen Verhältnisse so überlagert sein, dass eine
Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ausscheidet. Das hat die Rechtsprechung für Beschäftigungen von Kommanditisten
in der "eigenen" Kommanditgesellschaft wiederholt ausgesprochen, gilt aber ebenso für die Beschäftigung von Gesellschaftern
in der GmbH (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 1994, 12 RK 72/92 mwN). Ob eine Überlagerung rechtlich bestehender Abhängigkeit durch die tatsächlichen Verhältnisse vorliegt, ist anhand einer
Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Dabei kann auch der Umfang der tatsächlichen Einflussnahme der
Gesellschafter auf die GmbH von Bedeutung sein (vgl. BSG, Urteil vom 17. Mai 2001, B 12 KR 34/00 R mwN; Hessisches LSG, Urteil vom 5. Februar 2013, L 1 KR 335/11).
Bei einem Geschäftsführer einer Familiengesellschaft kann eine selbstständige Tätigkeit vorliegen, wenn die Gesamtwürdigung
der Umstände ergibt, dass dieser aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem
Gutdünken führen kann, ohne dass ihn die Gesellschafter daran hindern und es daher an der für eine Beschäftigung unabdingbaren
Voraussetzung der persönlichen Abhängigkeit fehlt (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1987, 7 RAr 25/86). Dies gilt gleichermaßen, wenn es an der unabdingbaren Voraussetzung seiner Unterordnung unter das Weisungsrecht eines anderen
fehlt, weil niemand da ist, der die Arbeitgeberfunktion ausüben könnte (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 1. März 2012, L 1 KR 11/10). Ausnahmsweise kann zudem von Selbstständigkeit des Fremd-Geschäftsführers auszugehen sein, wenn dieser allein über das
nötige Fachwissen verfügt und dieses nicht ersetzt werden kann (Hessisches LSG, Urteile vom 23. November 2006, L 1 KR 763/03 und vom 28. Juni 2012, L 1 KR 190/10). Ob von der bestehenden Rechtsmacht tatsächlich Gebrauch gemacht und damit auf die Tätigkeit eines Geschäftsführers oder
leitenden Angestellten tatsächlich Einfluss genommen wurde, ist hingegen unbeachtlich, weil die versicherungsrechtliche Beurteilung
ansonsten wesentlich davon abhinge, ob die Tätigkeit aus Sicht der Rechtsmachtinhaber beanstandungsfrei ausgeübt wurde. Dies
kann jedoch kein rechtlich entscheidendes Kriterium zur Unterscheidung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit
sein (vgl. Hessisches LSG, Urteile vom 27. Oktober 2011, L 8 KR 335/09 und 10. März 2011, L 1 KR 41/10; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. März 2010, L 16 (5) KR 190/08 jeweils mwN). Daher wird in aller Regel auch bei einer
Familiengesellschaft von einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung des Geschäftsführers auszugehen sein. Denn in
"ruhigen Zeiten" mag die Rechtsmacht der Gesellschafter gegenüber dem Geschäftsführer zwar durch familiäre Bindungen überlagert
sein, sodass von ihr faktisch kein Gebrauch gemacht wird. Diese Rechtsmacht entfällt jedoch nicht dadurch, dass rechtliche
Vereinbarungen erst im Konfliktfall Bedeutung erlangen, wenn z.B. nach einer familiären Trennung die familiären Rücksichtsnahmen
ein Ende haben. Maßgeblich ist daher regelmäßig die abstrakte Rechtsmacht (Hessisches LSG, Urteile vom 18. November 2010,
L 1 KR 346/09 und vom 28. Juni 2012, L 1 KR 190/10). Familiäre Verbundenheit oder Rücksichtsnahme ist grundsätzlich nicht geeignet, die Rechtsmacht, wie sie sich nach dem Gesellschaftsrecht
ergibt, gänzlich zu negieren. Eine bloße "Schönwetter-Selbstständigkeit" mit Blick auf zwar bestehende, jedenfalls bis zu
einem ungewissen Konfliktfall tatsächlich aber nicht ausgeübte Kontrollrechte scheidet aus (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012, B 12 KR 25/10 R). Das Fehlen einer (maßgeblichen) Unternehmensbeteiligung führt jedoch nicht zwingend zu einer abhängigen Beschäftigung.
Vielmehr kann in sehr eng begrenzten Einzelfällen eine selbstständige Beschäftigung anzunehmen sein. Ein solcher Ausnahmefall
kann vorliegen, wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direktionsrechts völlig mangelt.
Hiervon kann insbesondere bei demjenigen auszugehen sein, der - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt -
aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken
führt und frei schalten und walten kann (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 1987, 7 RAr 25/86; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 31. März 2010, L 6 R 3/09; Hessisches LSG, Urteil vom 22. November 2012, L 1 KR 93/11). Darüber hinaus gilt, dass auch die Ausübung leitender Tätigkeiten in einem Familienunternehmen der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses
nicht entgegensteht. Selbst wer Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt, kann als leitender Angestellter bei einem Dritten persönlich
abhängig beschäftigt sein (BSG, Urteil vom 6. März 2003, B 11 AL 25/02 R).
Nach diesen Maßstäben ist der Kläger für die Beigeladene zu 1. im streitigen Zeitraum (1. Januar 1990 bis 31. Dezember 2005)
abhängig beschäftigt gewesen.
Der Kläger ist erst seit Oktober 2003 Minderheitsgesellschafter (45 % Stammeinlage) ohne Sperrminorität und war bis 1. Januar
2006 nicht Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. Er hatte damit während der streitigen Zeit aufgrund seiner gesetzlichen
Gesellschaftsrechte nicht die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft aufzuheben oder abzuschwächen.
Der Kläger konnte aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen auch nicht wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens
nach eigenem Gutdünken führen. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass der Vater des Klägers sich bereits im streitigen Zeitraum
weitgehend aus dem laufenden Betrieb herausgehalten hat und der Kläger die Geschäfte der Beigeladenen zu 1. zunehmend allein
geführt hat. Der Vater des Klägers hätte jedoch als Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer jederzeit die Rechtsmacht
gehabt, um die Firmengeschäfte wieder an sich ziehen zu können. Auch wenn er den Kläger die Geschäfte hat führen lassen, war
er dennoch in der Firma präsent. Damit konnte er sich auch einen Überblick darüber verschaffen, ob die Firma in seinem Sinne
geleitet wird. Erst zum 1. Januar 2006 hat er den Kläger zum Geschäftsführer bestellt. Aufgrund des Geschäftsführervertrages
war der Kläger zudem (noch) nicht unbeschränkt einzelvertretungsberechtigt, noch ist er von den Beschränkungen gemäß §
181 BGB befreit worden. Die Einzelvertretungsberechtigung ist erst zum 28. Juni 2007 in das Handelsregister eingetragen worden.
Dem ist zu entnehmen, dass der Vater des Klägers die Rechtsmacht jedenfalls in der streitigen Zeit (noch) nicht an den Kläger
hat abgeben wollen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der im Jahr 1990 erst 65-jährige Vater des Klägers seinem damals 36
jährigen Sohn nur sukzessive die Führungsmacht hat übertragen wollen und dass er durchaus auf die Geschäftsführung maßgeblichen
Einfluss genommen hätte, wenn der Kläger die Geschäfte der Beigeladenen zu 1. nicht erfolgreich und im Sinne seines Vaters
geführt hätte. Dem entspricht auch der Anstellungsvertrag, nach welchem der Kläger als Betriebsleiter eingestellt worden ist
und "neben dem Geschäftsführer" für die Belange der Gesellschaft Sorge zu tragen sowie auf Verlangen an die Gesellschafterversammlung
Zwischenberichte über seine Tätigkeit zu erstatten hatte. Wenngleich der Kläger faktisch auch bereits im streitigen Zeitraum
die Beigeladene zu 1. wie ein Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter geführt haben mag, so hat er dennoch nicht wie ein
Alleininhaber frei schalten und walten können. Vielmehr hat der Vater des Klägers sich weiterhin durch die konkrete Ausgestaltung
des Anstellungsvertrages und die bis Ende 2005 nicht erfolgte Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer vorbehalten, als
Mehrheitsgesellschafter und einzelvertretungsberechtigter und von den Beschränkungen gemäß §
181 BGB befreiter Geschäftsführer im Konfliktfall die Geschäftsführung der Beigeladenen zu 1. an sich ziehen zu können. Als Firmengründer
und langjähriger Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. hätte er insoweit auf seine umfangreichen Firmenkenntnisse und seine
Berufserfahrung zurückgreifen können. Inwieweit der Vater des Klägers im streitigen Zeitraum Einfluss auf die Geschäftsführung
genommen hat, ist hingegen nicht relevant.
Es ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger aufgrund seines Know-how ihm nicht genehme Entscheidungen der Gesellschaft bzw.
des Geschäftsführers hätte abwenden können. Die umfangreichen Branchenkenntnisse, welche der Kläger über die Jahre erworben
hat, hätten sich auch andere Personen mit einschlägiger Ausbildung und Berufserfahrung aneignen können. Das Fachwissen des
Klägers hätte somit ersetzt werden können.
Das Miteigentum des Klägers an einem Teil des Betriebsgeländes kann ebenfalls eine selbstständige Tätigkeit nicht begründen.
Denn bei einer GbR gemäß §§
705 ff.
BGB werden, soweit nicht anders geregelt, gemäß §
709 BGB die Geschäfte gemeinschaftlich geführt. Damit hätte der Kläger ohne Zustimmung seines Vaters keine Entscheidung gegen die
Beigeladene zu 1. treffen können.
Ein weiteres wichtiges Indiz für eine abhängige Beschäftigung ist zudem der zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1.
geschlossene Anstellungsvertrag und die darin getroffenen Regelungen zum Gehalt, zum Urlaubsanspruch und zur Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall. Es fehlt an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass die entsprechenden Willenserklärungen rechtlich nicht
ernst gemeint (§
118 BGB) oder unter den rechtlichen Voraussetzungen eines Scheingeschäfts (§
117 BGB) abgegeben worden wären. Eine formlose Abbedingung der entsprechenden Abreden des schriftlichen Anstellungsvertrages durch
schlüssiges Verhalten ist schon nach dem ausdrücklich bekundeten Willen der Vertragsparteien ausgeschlossen, da Vertragsänderungen
der Schriftform bedürfen (§ 10 Abs. 2 des Anstellungsvertrages).
Ferner wurde im streitigen Zeitraum das Gehalt als Betriebsausgabe verbucht und Lohnsteuer entrichtet. Die Verbuchung der
Vergütung als Betriebsausgaben und die Entrichtung von Lohnsteuer sind starke Indizien für eine abhängige Beschäftigung. Lohnsteuerpflicht
und Beitragspflicht in der Sozialversicherung beruhen auf dem gleichen Rechtsbegriff des "entgeltlichen" Beschäftigungsverhältnisses.
Werden die Bezüge als Betriebsausgaben verbucht und lohnversteuert, so wird damit für den Bereich des Steuerrechts eindeutig
zum Ausdruck gebracht, dass ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis besteht. Wird steuerrechtlich von einem Arbeitsverhältnis
ausgegangen, so wird regelmäßig auch für den Bereich der Sozialversicherung von einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis
ausgegangen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 21. April 1993 - B 11 RAr 67/92 - USK 9335; Hessisches LSG, Urteil vom 22. August 2013, L 1 KR 212/10).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.