LSG Hessen, Urteil vom 18.08.2010 - 6 SO 5/10
Anspruch auf Sozialhilfe; Hilfe zur angemessenen Schulausbildung; Bindungswirkung der Zuweisungsentscheidung der Schulverwaltung
Die bestandskräftige und damit unverändert fortwirkende Regelung der Schulverwaltung hinsichtlich der Beschulung in einer
konkret bezeichneten Schule bindet den Träger der Sozialhilfe auch im Rahmen der Entscheidung über die Eingliederungshilfe.
[Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Normenkette: SGB XII § 53 Abs. 1 S. 1 ,
SGB XII § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Vorinstanzen: SG Marburg 27.11.2009 S 9 SO 32/09
I. Die Berufung des Klägers sowie die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 27. November
2009 werden zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Im Streit steht die Übernahme von Schulgeld im Wege der Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zu einer angemessenen
Schulausbildung nach dem Sozialgesetzbuch 12. Buch - Sozialhilfe (SGB XII).
Der 1993 geborene Kläger leidet an einem angeborenen Blutgerinnungsfaktormangel, einem Zustand nach Leberblutung sowie akutem
Nierenversagen, cerebralen Krampfanfällen, einem subduralem Hämatom und einem in der Folge eingetretenem globalen Entwicklungsrückstand
im Grade einer geistigen Behinderung. Mit Bescheid vom 17.3.2000 stellte das Staatliche Schulamt für den Landkreis LL. fest,
dass bei dem Kläger ein sonderpädagogischer Förderungsbedarf vorliege und Einverständnis mit der Beschulung in der X.-Schule
bestehe. Wegen der Einzelheiten wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Ablichtung des Bescheides (Bl. 11 f.) Bezug genommen.
Bei der X.-Schule handelt es sich um eine staatlich genehmigte Ersatzschule und Schule für Praktisch Bildbare, Körperbehinderte,
Lernhilfe und Erziehungshilfe. Träger der Schule ist der Verein für MM. B-Stadt e.V. Mit diesem schlossen die Eltern des Klägers
einen Schulvertrag, wonach der Kläger mit Wirkung von August 2000 in die erste Klasse der Schule aufgenommen werden sollte.
§ 6 des Vertrages lautete: "Das Schulgeld wird mit dem Kostenträger vereinbart". Am 30.5.2000 erklärten die Eltern des Klägers
gegenüber dem Trägerverein der Schule, ein Schulgeld in Höhe von 400,- DM zu entrichten.
Mit Schreiben vom 4.6.2007 wurde bei dem Beklagten die Übernahme von Schulgeld in Höhe von 302,92 EUR für den Kläger beantragt.
Dies wurde von dem Beklagten mit Bescheid vom 25.11.2008 unter Hinweis auf die Möglichkeit des Besuchs einer nicht schulgeldpflichtigen
öffentlichen Förderschule abgelehnt. Hiergegen wurde für den Kläger am 9.12.2008 Widerspruch erhoben, der von dem Beklagten
mit Widerspruchsbescheid vom 31.3.2009 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Zur Begründung führte er aus, die bestehende
Schulgeldfreiheit für öffentliche Schulen lasse keinen Raum für eine Übernahme von Schulgeld im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt.
Zwar lasse das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz ( GG) grundsätzlich die freie Wahl zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten und zugelassenen Schulformen. Ein Recht der
Eltern, für ihre Kinder eine private Ersatzschule zu wählen, könne aber weder hieraus, noch aus der Privatschulfreiheit des
Art. 7 Abs. 4 S. 1 GG abgeleitet werden. Nur wenn es im Einzelfall nicht möglich sei, eine der Begabung angemessene Beschulung im Rahmen der allgemeinen
Schulpflicht anzubieten, könne im Rahmen der Eingliederungshilfe ein Anspruch auf eine Beschulung an einer Privatschule bestehen.
Das Staatliche Schulamt habe den Eltern des Klägers ohne Einzelfallprüfung lediglich den Besuch einer staatlichen oder einer
privaten Förderschule freigestellt. Eine Prüfung, ob es dem Kläger möglich gewesen wäre, die in seinem Falle erforderliche
Schulbildung in einer staatlichen Schule zu erlangen, habe durch die staatliche Schulaufsicht nicht stattgefunden. Der Kläger
besuche die X.-Schule auf Wunsch seiner Eltern. Werde es von den Eltern des Kindes unterlassen, die zuständigen Stellen zur
Prüfung der Beschulbarkeit des Kindes an den öffentlichen Schulen einzuschalten, könne nur dann angenommen werden, dass das
Kind auf einer öffentlichen Förderschule nicht beschult werden kann, wenn sich dies auch ohne Beteiligung der schulischen
Fachstellen aufdränge. Es komme bei der Entscheidung über die Gewährung von Sozialhilfe auch nicht darauf an, ob der Besuch
einer privaten Ersatzschule durch den Kläger weniger Kosten für die Allgemeinheit verursache, als wenn dieser eine öffentliche
Förderschule besuchen würde.
Hiergegen erhob der Kläger am 8.4.2009 Klage vor dem Sozialgericht Marburg.
Vom Sozialgericht wurde die Mutter des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 27.11.2009 persönlich angehört und sodann
der Beklagte mit Urteil vom gleichen Tag unter Aufhebung des Bescheides vom 25.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 31.3.2009 verurteilt, dem Kläger ab dem 8.6.2007 Leistungen in Höhe von 204,52 EUR monatlich zu zahlen. Anspruchsgrundlage
für die Übernahme des Schulgeldes sei § 53 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII. Der Kläger gehöre zum Kreis
der Personen, die eingliederungshilfeberechtigt sind, denn er leide an einer Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX, die ihn wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, einschränke. Das Schulgeld sei in der zuerkannten
Höhe als Leistung der Eingliederungshilfe gem. § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII zu übernehmen, da dessen Entrichtung Voraussetzung
für den Besuch einer Schule sei, die dem Kläger eine "angemessene Schulbildung" vermittele. Der Besuch der X.-Schule sei zur
Eingliederung des Klägers in die Gesellschaft geeignet und auch erforderlich. Dass die Schule geeignet sei, den Eingliederungshilfebedarf
des Klägers zu decken, ergebe sich bereits aus dem Bescheid des Staatlichen Schulamtes vom 17.3.2000, in dem das "Einverständnis"
mit dem Besuch der X.-Schule erklärt wurde. An diese schulrechtliche Einstufung sei der Sozialhilfeträger gebunden. Aus dem
Bescheid des Staatlichen Schulamtes vom 17.3.2000 folge zugleich, dass der Besuch der X.-Schule sozialhilferechtlich erforderlich
sei, ohne dass es auf eine weitere Prüfung, insbesondere auch des § 9 Abs. 2 SGB XII, ankomme. Mit diesem Bescheid habe das
Schulamt den Kläger der X.-Schule zugewiesen, so dass er verpflichtet gewesen sei, diese konkrete Schule zu besuchen. Ein
Wahlrecht zwischen mehreren unterschiedlichen Schulen sei ihm nicht eröffnet worden. Dem könne nicht entgegengehalten werden,
mit dem Bescheid sei aufgrund der Formulierung "Mit der Beschulung in der X.-Schule bin ich einverstanden" keine Zuweisung
an diese Schule erfolgt. Maßstab der Auslegung eines Verwaltungsaktes sei der im Ausspruch geäußerte Erklärungswille und Erklärungswert,
wie er sich einem verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, darstelle, nicht jedoch eine Absicht der
Behörde, die von diesem "Empfängerhorizont" aus nicht erkennbar sei. Aufgrund der Betreffzeile "Feststellung des sonderpädagogischen
Förderbedarfs für Ihr Kind ... hier: Bestimmung der konkreten Schule, an der die Förderung stattfindet" ergebe sich für den
verständigen Empfänger zwei Regelungsgehalte des Bescheides, nämlich einerseits die Feststellung, dass bei dem Kind, auf das
sich der Bescheid bezieht, ein sonderpädagogischer Förderungsbedarf bestehe und andererseits die Bestimmung der Schule, an
der dieser sonderpädagogische Förderbedarf zu decken sei. Als Schule werde in dem Bescheid ausschließlich die X.-Schule benannt,
so dass sich für den verständigen Verfügungsempfänger - trotz der Formulierung "bin ich einverstanden" der Eindruck aufdrängen
müsse, er sei zum Besuch dieser Schule verpflichtet. Dies gelte umso mehr, als im nachfolgenden Satz die Wendung "AA. wird
daher ab dem 1.8.2000 die obengenannte Schule besuchen" benutzt worden sei, was nur als verbindliche Aufforderung, die erwähnte
Schule zu besuchen, verstanden werden könne. Von den Eltern des Klägers sei bei ihrer Befragung im Rahmen der mündlichen Verhandlung
bestätigt worden, sie hätten den Bescheid auch in dieser Weise aufgefasst. Darauf, ob die Behörde es nur versehentlich unterlassen
habe, den Kläger in dem Bescheid zunächst einer staatlichen Schule zuzuweisen und ihm allenfalls die Option eröffnen wollte,
alternativ die private X.-Schule zu besuchen, komme es nicht an, denn dieser bei Erlass des Verwaltungsaktes eventuell vorhandene
Wille sei aufgrund des Inhalts des Bescheides nicht nach außen hin erkennbar geworden. Wegen der Bindung des Sozialhilfeträgers
an die Zuweisungsentscheidung des Schulamtes sei dem Beklagten der Einwand verwehrt, die damit festgelegte Schulausbildung
sei aus sozialhilferechtlicher Sicht auf die Vermittlung einer unangemessenen Schulausbildung gerichtet. Der Anspruch auf
Eingliederungshilfe bestehe allerdings nur in dem Umfang, in dem die Eltern des Klägers sich ihrerseits zur Zahlung von Schulgeld
verpflichtet hätten und entsprechende Zahlungen auch erbracht worden seien. Für die Zahlung des geltend gemachten Betrages
von 303,92 EUR pro Monat sei ein solcher Bedarf nicht ersichtlich, denn weder seien der Kläger bzw. seine Eltern aufgrund
des Schulvertrages oder aus anderen rechtlichen Gründen verpflichtet, Zahlungen in dieser Höhe an die Schule bzw. den Trägerverein
zu erbringen noch leisteten sie freiwillige Zahlungen in dieser Höhe. Die Stellung des Antrages auf Übernahme eines Schuldgeldes
von 303,92 EUR monatlich richte sich ausschließlich an den außerhalb des zivilrechtlichen Vertragsverhältnisse stehenden Beklagten
und könne auch bei großzügiger Auslegung nicht als Änderung der vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Eltern und dem Trägerverein
- im Sinne einer Erhöhung des zu erbringenden Schulgeldes - interpretiert werden. Es komme darüber hinaus nicht darauf an,
ob der Kläger bzw. seine Eltern bedürftig im Sinne des § 19 SGB XII seien, da Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung gemäß
§ 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 2 SGB XII unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Hilfeempfängers und der
mit ihm in Einstandsgemeinschaft lebenden Personen erbracht werden.
Gegen das Urteil wurde sowohl durch den Kläger als auch seitens des Beklagten Berufung eingelegt.
Zur Begründung trägt der Kläger vor, aus dem Vertrag mit der Schule ergebe sich die Verpflichtung zur Zahlung von Schulgeld,
das seit vielen Jahren unverändert monatlich 303,92 EUR betrage. In der Erkenntnis, dass die Eltern den vollen Betrag nicht
würden leisten können, habe die Schule die Beitragserklärung vom 30.5.2000 akzeptiert. Eine von üblichem Schulgeld abweichende
Vereinbarung sei demgegenüber zu keinem Zeitpunkt geschlossen worden. Auch ein Verzicht der Schule auf die Entrichtung des
vertragsgemäßen Schulgeldes sei mit der akzeptierten Beitragserklärung nicht verbunden gewesen. Die Verpflichtung zur Entrichtung
des vollen Schulgeldes habe vielmehr unverändert fortbestanden, auch wenn sie nicht in voller Höhe erfüllt worden sei. Die
Vertragsparteien seien vielmehr einig gewesen, dass die Eltern des Klägers den zu zahlenden Betrag aufstocken würden, wenn
sie dazu finanziell in der Lage wären. Zum Beleg bezieht sich der Kläger auf eine schriftliche Erklärung der X.-Schule vom
19.5.2010, wonach das Schulgeld für den Besuch der Schule bis zum 31.12.2001 594,41 DM, von da an 303,92 EUR betragen habe
und in voller Höhe von einer Vielzahl von Sozialleistungsträgern entrichtet werde.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 27.11.2009 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ab dem 8.6.2007 Leistungen
in Höhe von 303,92 EUR monatlich zu zahlen sowie die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 27.11.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, der Besuch der X.-Schule durch den Kläger sei nicht eingliederungshilferechtlich erforderlich.
Die Eltern des Klägers hätten diesen mit dem Wissen in die X.-Schule geschickt, dass das Schulgeld von ihnen selbst zu tragen
sei. Aus diesem Grunde sei auch das Schulgeld mit den Eltern in der Höhe entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit individuell
vereinbart worden. Diese Vereinbarungen seien der Höhe nach von Elternpaar zu Elternpaar jeweils unterschiedlich und orientierten
sich an der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Eltern. Nach § 12 S. 1 Nr. 1 der Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglH-VO) blieben die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt.
Die Vermittlung einer "angemessenen" Schulbildung sei eine Angelegenheit des allgemeinen Schulsystems und dessen den schulrechtlichen
Anforderungen entsprechende Maßnahmen hätten Vorrang. Darüber hinaus verstoße das angegriffene Urteil gegen den Nachrang der
Sozialhilfe gem. § 2 Abs. 1 SGB XII. Auch der Besuch einer staatlichen Förderschule hätte dem Kläger eine "angemessene Schulbildung"
vermitteln können, ohne dass es zu einem Einsatz von Schulgeld gekommen wäre. Aufgabe der Förderschulen sei es auch, das zur
sonderpädagogischen Förderung von schulpflichtigen Kindern erforderliche qualifizierte Personal gemäß ihrem in der Verfassung
verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu stellen. Der Besuch der X.-Schule sei nicht als angemessener Wunsch im Sinne
von § 9 Abs. 2 S. 1 SGB XII einzuordnen. Bei einer solchen Betrachtungsweise würde ansonsten der staatlichen Förderschule
unterstellt, ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag nicht gerecht zu werden. Die Eltern des Klägers hätten sich gar keine andere
Förderschule angesehen, sondern für sich beschlossen, dass ihr Sohn die X.-Schule besuchen möge. Somit habe auch nicht geprüft
werden können, ob auch die vorhandenen öffentlichen Schulen dem konkreten Förderbedarf des Kindes gerecht werden. Bei solchen
Sachverhalten könne ein behinderungsbedingter Nachteil bei dem Besuch einer staatlichen Förderschule nicht festgestellt werden.
Damit könne auch die Erforderlichkeit zum Besuch der X.-Schule nicht bejaht werden. Das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern für
den Besuch einer Schule könne nicht mit Erforderlichkeit im Sinne der Sozialhilfe und auch der Eingliederungshilfe gleichgesetzt
werden. Sozialhilfe sei eine staatliche Nothilfe, die keinen klagbaren Anspruch auf optimale Lebensbedingungen, sondern nur
einen Anspruch auf angemessene Lebensbedingungen, im Sinne eines menschenwürdigen Daseins, begründe. Im Rahmen des § 9 Abs.
2 SGB XII müsse geprüft werden müsse, ob nicht Mehrkosten durch andere geeignete und zumutbare Gestaltung der Hilfe vermieden
werden könnten. Diese liege in Form der öffentlichen Förderschule vor. Diesen Grundsatz habe das Sozialgericht nicht in seine
Prüfung einbezogen. Die gesetzgeberische Gewährleistung von Schulgeldfreiheit lasse als Sonderregelung keinen Raum für eine
Übernahme von Schulgeld im Rahmen der Sozialhilfe. Auf die Frage, ob bei dem Besuch einer privaten Ersatzschule weniger Mittel
der Allgemeinheit erforderlich seien, als bei dem Besuch einer öffentlichen Förderschule, komme es bei der Entscheidung über
die Gewährung von Soziahilfe nicht an. Eine solche Gesamtbetrachtung ließen die Bestimmungen des SGB XII nicht zu und das
SGB XII beinhalte keine allgemeine Auffangregelung für strittige Fragen der Bedarfsplanung der Schulträger bzw. der Kosten
der öffentlichen Hand insgesamt. Bei dem Kostenvergleich zur Feststellung, ob eine Hilfegewährung entsprechend dem Wunsch
des Hilfeempfängers "unvertretbare Mehrkosten" erfordere, komme es nicht darauf an, in welcher Höhe der Träger der Sozialhilfe
Kosten übernehmen müsse, bzw. welche Kosten der öffentlichen Hand in einem anderen Leistungsbereich entstünden, für die der
Benutzer wegen der Kostenfreiheit dort aber nicht aufkommen müsse. Seitens des Staatlichen Schulamtes sei keine verpflichtende
Entscheidung für den Besuch der X.-Schule getroffen worden. Lediglich der sonderpädagogische Förderbedarf sei in dem Bescheid
des Staatlichen Schulamtes vom 17.03.2000 festgestellt worden. Das Staatliche Schulamt habe keine Zuweisung zur X.-Schule
bestimmt, sondern sich lediglich mit dem dortigen Schulbesuch einverstanden erklärt.
Zum Beleg bezieht sich die Beklagte auf eine E-Mail-Nachricht des Staatlichen Schulamts vom 4.5.2009, wonach der Kläger auch
eine staatliche Förderschule hätte besuchen können und mit dem Bescheid vom 17.3.2000 keine Verpflichtung zum Besuch der X.-Schule
verbunden gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der von dem Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte.
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger und der Beklagten erhobenen Berufungen sind jeweils zulässig aber in der Sache nicht begründet.
Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung des Schulgeldes in der von ihm tatsächlich
gegenüber der X.-Schule zu leistenden Höhe von monatlich 204,52 EUR zusteht. Anspruchsgrundlage hierfür sind die §§ 53 und
54 SGB XII. Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft
teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind Leistungen der Eingliederungshilfe,
wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht,
dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es nach § 53 Abs. 3 SGB
XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten
Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII u.a. Hilfen
zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen
einschließlich der Vorbereitung hierzu, wobei die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen
Schulpflicht unberührt bleiben. Ergänzend bestimmt § 12 der nach § 60 SGB XII ergangenen EinglH-VO, dass hiervon auch Maßnahmen
der Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher umfasst sind, wenn diese erforderlich
und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung
zu ermöglichen.
Zunächst steht es in Übereinstimmung mit den Verfahrensbeteiligten und dem Sozialgericht auch zur Überzeugung des Senats fest,
dass bei dem Kläger Behinderungen vorliegen, die ihn grundsätzlich zur Inanspruchnahme von Leistungen der Eingliederungshilfe
berechtigen.
Aufgrund der vom Staatlichen Schulamt für den Landkreis LL. im Bescheid vom 17.3.2000 getroffenen Feststellung bestehen weiterhin
keine Zweifel, dass bei dem Kläger ein sonderpädagogischer Förderungsbedarf besteht und dessen Beschulung in der X.-Schule
grundsätzlich geeignet ist, diesem Förderbedarf im Sinne einer geeigneten Schulbildung gerecht zu werden. Es wird auch von
dem Beklagten nicht bestritten, dass der Besuch der X.-Schule grundsätzlich eine geeignete Maßnahme zur Erfüllung der Schulpflicht
des Klägers unter Berücksichtig dessen sonderpädagogischen Förderbedarfs darstellt, so dass sich insoweit weitere Ausführungen
an dieser Stelle erübrigen.
Die Förderung des Besuchs der X.-Schule stellt darüber hinaus auch eine erforderliche Maßnahme dar, um dem Kläger im Sinne
des § 12 EinglH-VO eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen. In Übereinstimmung
mit den Ausführungen des Sozialgerichts Marburg in dem angefochtenen Urteil, dem sich der Senat insoweit vollumfänglich anschließt,
ergibt sich dies ebenfalls unmittelbar aus dem bindenden Bescheid des Staatlichen Schulamtes vom 17.3.2000, da hiermit ("
nach eingehender sonderpädagogischer Überprüfung und der Anhörung der Schule ") die dortige Beschulung des Klägers angeordnet
wurde. Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt es nicht darauf, dass das Schulamt (jetzt) seinem Bescheid vom 17.3.2000 nicht
die Bedeutung einer verbindlichen Regelung im Sinne der Zuweisung an die X.-Schule beimisst. Die Wirkung eines Verwaltungsaktes
wird nicht von der Motivation des Erstellers, sondern vom objektiven Erklärungswert der Verfügung bestimmt. Maßstab der Auslegung
eines Verwaltungsaktes ist der im Ausspruch geäußerte Erklärungswille und Erklärungswert, wie er sich einem verständigen Beteiligten,
der die Zusammenhänge berücksichtigt, darstellt, nicht jedoch eine Absicht der Behörde, die von diesem "Empfängerhorizont"
aus nicht erkennbar ist (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 30.6.1999, Az. B 2 U 24/98 R). Das Sozialgericht hat daher zutreffend festgestellt, dass es insoweit maßgeblich auf den Empfängerhorizont eines verständigen
Laien ankommt. Der Betreff des Bescheides "Bestimmung der konkreten Schule, an der die Förderung stattfindet" sowie der Satz
"AA. wird daher ab 1.8.2000 die obengenannte Schule besuchen" lassen für einen verständigen Bescheidadressaten ohne weiteres
den Schluss zu, dass mit dem Bescheid eine verbindliche Zuweisung des Klägers an die X.-Schule erfolgte. Diese bestandskräftige
und damit unverändert fortwirkende Regelung bindet die Beklagte auch im Rahmen der Entscheidung über die Eingliederungshilfe.
Bei der sozialhilferechtlichen Prüfung, ob eine zu dem Besuch einer bestimmten Schule erforderliche Hilfe als "Hilfe zu einer
angemessenen Schulbildung" geeignet und erforderlich ist, kann der Sozialhilfeträger den Entscheidungen der Schulverwaltung
über die Zuweisung des schulpflichtigen behinderten Kindes an eine bestimmte Schule bzw. eine bestimmte Schulart nicht entgegenhalten,
diese Form der Erfüllung der Schulpflicht sei aus sozialhilferechtlicher Sicht auf die Vermittlung einer unangemessenen Schulbildung
gerichtet. Soweit das Gesetz mit dem Merkmal "angemessen" zum Ausdruck bringt, dass die dem behinderten Menschen zu ermöglichende
Schulbildung seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten entsprechen muss, ist der Sozialhilfeträger an Entscheidungen der
Schulverwaltung über die Zuweisung des schulpflichtigen behinderten Kindes an eine bestimmte Schule bzw. eine bestimmte Schulart
gebunden. In welchem Umfang eine bestimmte, nach den Bestimmungen des Schulrechts vorgesehene Beschulung den geistigen und
körperlichen Fähigkeiten des Behinderten entspricht, ist darum der Prüfung der Schulbehörde vorbehalten (Bundesverwaltungsgericht
- BVerwG - Urteil vom 28.04.2005, Az: 5 C 20/04). Der Senat schließt sich dieser zu § 40 Abs. 1 Nr. 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ergangenen Rechtsprechung des BVerwG auch für den Bereich des SGB XII an. Legt sich daher die Schulbehörde auf eine bestimmte
Art der Beschulung fest, wie dies vorliegend vom Staatlichen Schulamt für den Landkreis LL. im Bescheid vom 17.3.2000 in Form
der Anordnung des Besuchs der X.-Schule erfolgte, dann ist es dem Sozialhilfeträger verwehrt, den Besuch der Schule im Rahmen
der Prüfung der Anspruchsvoraussetzung der Hilfe zur angemessenen Schulbildung als nicht erforderlich oder ungeeignet abzulehnen.
Selbst wenn man mit dem Beklagten unter Berücksichtigung der zuletzt von diesem vorgelegten Stellungnahme des Schulamtes davon
ausgehen würde, dass mit dem Bescheid des Schulamtes vom 17.3.2000 der Besuch der X.-Schule nicht verbindlich angeordnet,
sondern den Eltern des Klägers ein Wahlrecht zwischen der X.-Schule und einer staatlichen Förderschule eingeräumt wurde, stünde
dies dem Anspruch des Klägers nach einer neueren Entscheidung des BVerwG vom 26.10.2007 (Az.: 5 C 35/06) nicht entgegen. In dem dort zu entschiedenen Fall hatte die Schulbehörde neben der Beschulung in einer Förderschule für
Behinderte auch die Beschulung in einer integrativ unterrichtenden XY-Grundschule zugelassen und es den Eltern überlassen,
aus ihrer elterlichen Sicht und nach Maßgabe der besonderen Kenntnis der Entwicklungsbedürfnisse ihres Kindes zwischen diesen
Schulformen eigenständig zu wählen. Nach dem BVerwG ist in dieser Konstellation die im zugelassenen Rahmen getroffene Entscheidung
der Eltern von dem Träger der Sozialhilfe zu respektieren. Wird von der Schulbehörde den Eltern in dieser Weise die Auswahl
zwischen gleichermaßen geeigneten Schulformen überlassen, kann diesen später nicht entgegen gehalten werden, dass die in diesem
Rahmen erfolgte Auswahl nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG bzw. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII, § 12 Nr. 1 EinglHVO nicht "erforderlich" ist, das Kind nach dem sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatz zumutbar auf den Besuch
der staatlichen Förderschule verwiesen werden dürfte oder es sich bei der für das Kind getroffenen Entscheidung der Eltern
für eine integrative Beschulung und damit für eine Förderung durch den dort erreichbaren "integrativen Mehrwert" lediglich
um einen auf die Gestaltung der Hilfe bezogenen Wunsch handelte, dem der Mehrkostenvorbehalt (§ 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG) entgegengehalten werden könnte. Mit der genannten Entscheidung des BVerwG geht auch der Senat davon aus, dass bei der Anwendung
und Auslegung der in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII (bzw. vormals § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG) und § 12 EinglHVO genannten unbestimmten Rechtsbegriffe "angemessen", "erforderlich" und "geeignet" und die hierbei de lege lata anzuerkennenden
Einwirkungen des schulrechtlich bestehenden Wahl- und Bestimmungsrechtes die Grundrechte der Kinder und der Eltern aus Art.
2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 GG und der besondere verfassungsrechtliche Schutz von Menschen mit Behinderung (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) zu berücksichtigen sind. Soweit schulrechtlich eine Wahlfreiheit zwischen öffentlicher Förderschule und der Beschulung in
einer privaten Ersatzschule eröffnet ist, bedarf es im Hinblick auf die genannten verfassungsrechtlich anerkannten und geschützten
Interessen des Kindes und der Eltern für eine generelle Beschränkung der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung auf den
Besuch öffentlicher Schulen einer ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers. Ansonsten würde im Ergebnis die schulrechtlich
gewährte Wahlfreiheit für den auf Sozialhilfe angewiesenen Personenkreis wieder infrage gestellt. Der Senat stimmt mit dem
BVerwG insoweit überein, dass sich dies allein durch den allgemeinen sozialrechtlichen Mehrkostenvorbehalt nicht rechtfertigen
lässt. Auch kann es nach den vorgenannten Ausführungen keinen für das Sozialhilferecht bindenden schulrechtlichen Nachranggrundsatz
dergestalt geben, dass Eingliederungshilfe in Gestalt von Schulgeld bereits dann ausscheidet, wenn ein kostenfreier Besuch
einer staatlichen Schule bei abstrakter Betrachtungsweise eine angemessene Schulbildung ermöglicht (so aber LSG NRW, Beschluss
vom 26.03.2010, Az.: L 8 SO 45/10 B ER). Umgekehrt braucht hier wegen der nachfolgend aufgeführten Umstände nicht entschieden
werden, in welchen Grenzfällen sich in der Abwägung, etwa im Rahmen der Angemessenheitsprüfung, Kostenbelange zu Lasten des
Betroffenen durchsetzen können.
Bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der "Angemessenheit" der sonderpädagogischen Förderung war vorliegend weiterhin zu
berücksichtigen, dass der Kläger die X.-Schule bereits seit August 2000 besucht. Zum Zeitpunkt der Antragstellung hatte er
dort bereits 7 Schulbesuchsjahre bzw. zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung sogar mehr als 8 Schulbesuchsjahre absolviert. Angesichts
der vielfältigen Behinderungen des Klägers (insbesondere aufgrund der bestehenden geistigen Behinderung) erscheint für ihn
ein Schulwechsel zu diesem Zeitpunkt allein zum Zwecke der Verringerung seines eingliederungshilferechtlichen Förderbedarfs
allein schon aufgrund der langen Zeitdauer der Beschulung in der X.-Schule nicht mehr zumutbar.
Der Senat schließt sich dem Sozialgericht auch insoweit an, als es den Anspruch des Klägers der Höhe nach auf den Betrag des
tatsächlich entrichteten Schulgeldes von monatlich 204,52 EUR beschränkt hat. Allein in dieser Höhe besteht eine Verpflichtung
des Klägers bzw. dessen Eltern gegenüber dem Trägerverein der X.-Schule, der wiederum für den Ersatzanspruch des Klägers gegenüber
dem Beklagten maßgeblich ist. Der Anspruch des Trägervereins gegenüber dem Kläger bzw. dessen Eltern folgt aus der zwischen
diesen bestehenden "Vereinbarung" im Sinne der Nr. 6 des Schulvertrages. Eine solche Vereinbarung vermag der Senat allein
in der seitens der Schule akzeptierten "Beitragserklärung - Schulgeld" vom 30.5.2000 zu erkennen, welche die Verpflichtung
zur Zahlung eines monatlichen Schulgeldes in Höhe von 400,- DM bzw. 204,52 EUR beinhaltet. Für den Kläger wurde durch dessen
Prozessbevollmächtigten ausdrücklich vorgetragen, die Schule habe diese Beitragserklärung akzeptiert, so dass der Senat davon
ausgeht, dass hierdurch die im Schulvertrag genannte "Vereinbarung" zustande gekommen ist. Da im Schulvertrag hinsichtlich
der Höhe des zu entrichtenden Schulgeldes eindeutig eine gesonderte "Vereinbarung" gefordert wird, vermag die (einseitige)
Erklärung der Schule vom 19.5.2010 die geltend gemachten Förderungen in Höhe von 303,92 EUR nicht zu belegen. Weitere Anspruchsgrundlagen
für die Leistungen in der vom Kläger mit der Berufung geltend gemachten Höhe sind nicht ersichtlich.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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