Anspruch auf Insolvenzgeld nach Einstellung der Geschäftstätigkeit einer Bank aufgrund Bankaufsichtsrecht
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe des für die Zeit von 1. Juli bis 30. September 2002 gewährten Insolvenzgeldes.
Der Kläger war in der Abteilung Derivate der D. GmbH beschäftigt, die durch Betriebsübergang auf die E. AG, in F., übergangen
ist. Am 19. Juli 2002 sprach die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gegenüber der E. AG ein Zahlungs- und Verfügungsverbot
aus. Die E. AG stellte daraufhin ihre Handelstätigkeit ein und der Kläger konnte seiner Tätigkeit als Wertpapierhändler bis
zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 30. September 2002 nicht mehr nachgehen.
Der Kläger beantragte am 26. November 2002 bei der Beklagten Insolvenzgeld. Dazu legte er Gehaltsabrechnungen seines Arbeitgebers
für Juli, August und September 2002 vor. Darin wurde ein Bruttogehalt als Händler in Höhe von 6.392,00 Euro, ein Arbeitgeberanteil
für vermögenswirksame Leistungen für Händler in Höhe von 39,88 Euro sowie eine allgemeine Sonderzahlung in Höhe von 52.626,64
Euro für jeden Monat ausgewiesen (insgesamt 59.058,62 Euro monatlich). Für Juli 2002 wurde daraus ein Nettoverdienst von 37.992,44
Euro, für August 2002 ein Nettoverdienst von 31.029,44 Euro und für September 2002 von 30.124,25 Euro berechnet. Die Arbeitgeberanteile
für die freiwillige Krankenversicherung und für die Pflegeversicherung des Klägers wurden darin mit 244,60 Euro und 28,69
Euro monatlich angegeben.
Der Kläger reichte außerdem ein Schreiben seines Arbeitgebers an ihn vom 15. Oktober 2002 ein, in dem ihm mitgeteilt wurde,
dass die Firma E. AG am 19. Juli 2002 die Zahlungsunfähigkeit gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
angezeigt habe. Es bestünden Gehaltsforderungen des Klägers für Juli bis September 2002 in Höhe von jeweils 59.058,62 Euro
brutto. Zudem legte der Kläger eine Bestätigung der D. GmbH vom 11. September 2002 über sein Gehalt vom 1. Januar 2002 bis
30. Juni 2002 vor. Dieses habe sich aus einem Grundgehalt in Höhe von 38.346,90 Euro brutto und Tantiemen in Höhe von 315.760,44
Euro zusammengesetzt.
In dem Anstellungsvertrag vom 1. bzw. 5. November 1999 zwischen der D. GmbH und dem Kläger ist in § 9 Abs. 2 geregelt:
"Für den Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird vereinbart, dass ein Tantiemenanspruch bis zum Ausscheiden (aktive
Mitarbeit) aus dem Unternehmen besteht."
Weitere Einzelheiten zur Berechnung der Tantieme finden sich in § 9 Abs. 3 bis 6 des Anstellungsvertrages.
Darüber hinaus ist in § 10 Abs. 2 des Vertrages folgendes geregelt:
"Änderung oder Ergänzungen des Vertrages bedürfen der Schriftform. Dies gilt auch für Nebenabreden "
Im Nachtrag vom 23. bzw. 28. Juni 2000 zu diesem Anstellungsvertrag ist § 4 folgendermaßen neu geregelt:
"Der Arbeitnehmer erhält als Festgehalt ab 1. Juli 2000 ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 12.500 DM. "
Außerdem ist darin § 9 Abs. 1 folgendermaßen neu gefasst:
"Die Zahlung der Tantieme erfolgt mit dem Mai- bzw. Novembergehalt. Sie wird nachträglich für das vorausgegangene Kalenderhalbjahr
gezahlt. Die Tantieme für das 1. Halbjahr 2000 wird im Januar 2001 ausgezahlt."
Der Kläger legte außerdem ein Schreiben vom 28. Juni 2002 vor, mit dem er über einen Betriebsübergang der Abteilung Derivate
der D. GmbH auf die E. AG unterrichtet wurde, und sein Schreiben vom 27. Juni 2002, mit dem er auf einen Widerspruch gegen
den Betriebsübergang verzichtet hat. Außerdem fügte der Kläger seine Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 19. September
2002 zum 30. September 2002 und das Annahmeschreiben der E. AG vom gleichen Tage bei.
Mit Bescheid vom 29. November 2002 gewährte die Beklagte dem Kläger einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld in Höhe von 10.000
Euro.
Mit Schreiben vom 30. April 2003 wies der Insolvenzverwalter des Arbeitgebers des Klägers, C., darauf hin, dass am 19. Juli
2002 ein Zahlungs- und Verfügungsverbot gemäß § 46a Abs. 1 Kreditwesengesetz (KWG) ausgesprochen worden sei. Die Handelstätigkeit der Insolvenzschuldnerin sei daraufhin unverzüglich eingestellt worden. Der
Kläger habe somit seiner Tätigkeit als Wertpapierhändler im Zeitraum von Mitte Juli bis Ende September 2002 nicht mehr nachgehen
können. Folglich sei es ihm auch nicht möglich gewesen, seine Zielvereinbarung zu erreichen. Die Insolvenzschuldnerin habe
daher in der Verdienstbescheinigung für den Kläger für den Zeitraum Juli bis September 2002 das monatliche Grundgehalt zuzüglich
der durchschnittlichen monatlichen Tantiemenansprüche der vergangenen zwölf Monate ausgewiesen.
Mit Schreiben vom 9. Mai 2003 bat die Beklagte den Insolvenzverwalter um die Erstellung einer geänderten Insolvenzgeldbescheinigung,
die nur die Tantiemenansprüche für die Zeit vom 1. bis 19. Juli 2002 berücksichtigt, da der Kläger nach dem 19. Juli 2002
keine Tantiemen auslösenden Geschäfte mehr abschließen konnte. Es komme bei den Tantiemenansprüchen für die Zeit vom 1. bis
19. Juli 2002 auf die Entstehung der Ansprüche in dieser Zeit an, unabhängig von dem Vorliegen einer Zielvereinbarung. Eine
Durchschnittsberechnung anhand der Tantiemenansprüche aus vorangegangenen Zeiträumen sei nicht zulässig. Daraufhin legte der
Insolvenzverwalter eine geänderte Insolvenzgeldbescheinigung vor. In der Bescheinigung vom 16. Mai 2003 gab der Insolvenzverwalter
das Arbeitsentgelt des Klägers einschließlich Sonderzahlungen für Juli 2002 mit 39.762,15 Euro brutto und mit 22.718,97 Euro
netto, für August und September 2002 jeweils mit 6.431,88 Euro brutto und mit 4.427,44 Euro netto an. In der Insolvenzgeldbescheinigung
wird auch darauf hingewiesen, dass mit Beschluss vom 10. Dezember 2002 das Insolvenzverfahren über die Insolvenzschuldnerin
eröffnet worden sei.
Mit Bescheid vom 21. Mai 2003 gewährte die Beklagte dem Kläger Insolvenzgeld für Juli 2002 in Höhe von 22.718,97 Euro und
für August und September 2002 jeweils in Höhe von 4.427,44 Euro. Abzüglich der Vorschussleistungen in Höhe von 10.000 Euro
ergebe sich noch ein Anspruch in Höhe von 21.573,85 Euro.
Mit Schreiben vom 18. Juni 2003 legte der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Es sei nicht nachvollziehbar, warum
von der ursprünglichen Insolvenzgeldbescheinigung abgewichen worden sei. Die erfolgsabhängige Vergütung sei in die Berechnung
einzubeziehen. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2003 wies der Kläger zusätzlich darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) bereits verdiente Provisionen und Provisionen, die aufgrund Annahmeverzuges des Arbeitgebers nach
§
615 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) nicht mehr verdient werden konnten, durch das Insolvenzgeld versichert seien (BSG, Urteil vom 20. März 1984, Az.: 10 RAr 4/83). Diese Auffassung werde in Literatur einhellig geteilt. Ein Annahmeverzug habe unstreitig vorgelegen, da der Kläger arbeitsbereit
gewesen sei und seine Arbeitsleistung angeboten habe. Zudem habe der Kläger im Hinblick auf das durch die Aufsichtsbehörde
verhängte Moratorium seine Arbeitsleistung nicht erbringen können, so dass ein Angebot der Arbeitsleistung auch entbehrlich
gewesen wäre. Für die Berechnung des Insolvenzgeldes gelte das Lohnausfallprinzip, so dass die Tantiemen vollständig zu berücksichtigen
seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und verwies
darauf, dass die Tantiemenansprüche für die Zeit der aktiven Mitarbeit bis 19. Juli 2002 berücksichtigt worden seien. Für
die Zeit nach der aktiven Mitarbeit seien nach den vertraglichen Vereinbarungen Tantiemenansprüche nicht entstanden. Es seien
keine Gründe erkennbar, vorliegend von der arbeitsvertraglichen Vereinbarung, die keine Einschränkungen, etwa auf einen nur
vom Arbeitnehmer veranlassten Wegfall der aktiven Mitarbeit kenne, abgewichen werden solle.
Am 19. Februar 2004 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Klage erhoben. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 26. Mai 2005
den Insolvenzverwalter C. beigeladen und mit Urteil vom 23. Juni 2006 die Klage, die auf die Gewährung weiteren Insolvenzgeldes
in Höhe von 68.679,69 Euro gerichtet war, abgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, dass der Tantiemenanspruch eine erfolgsabhängige
Vergütung sei. Das öffentlich-rechtliche Verfügungsverbot habe dazu geführt, dass der Kläger keine tantiemenwirksamen Geschäfte
mehr habe abschließen können. Daher habe kein wirtschaftlicher Erfolg des Unternehmens mehr bestanden, an dem der Kläger hätte
partizipieren können. Dieser Umstand sei auch nicht über die Regeln des Annahmeverzuges bzw. der Betriebsrisikolehre (§
615 BGB) zu überwinden. Dafür sei entscheidend, dass sich der Arbeitnehmer mit der vertraglichen Vereinbarung einer erfolgsabhängigen
Vergütung am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens beteiligt habe. Wenn dieser Erfolg nicht mehr eintrete oder eintreten
könne, berühre dies den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers unmittelbar. Eine Fortzahlung des zuvor verdienten Entgelts sei
nur möglich, wenn das Unternehmen an sich noch wirtschaftlichen Erfolg erziele und nur einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen
von Arbeitnehmern durch den Annahmeverzug daran gehindert würden, an diesem mitzuwirken. Einen Anspruch auf Fortzahlung von
Entgelt habe der Kläger deshalb nur in Höhe seines Festgehaltes. Entgangene Tantiemen könnten auch nicht als Schadensersatzansprüche
berücksichtigt werden. Zwar sei eine Zusage erteilt worden, dass sich an den Arbeitsbedingungen nichts ändere. Diese könne
jedoch nicht als Garantie dafür verstanden werden, dass der Kläger in dem außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Fall eines
betrieblichen Verfügungsverbotes so gestellt werde, als könne das Unternehmen seine Geschäfte wirksam fortführen.
Das Urteil des Sozialgerichts wurde dem Kläger am 29. Juli 2006 zugestellt. Er hat am 28. August 2006 gegen das Urteil Berufung
eingelegt.
Der Kläger behauptet, beim Betriebsübergang der Abteilung Derivate der D. GmbH auf die E. AG sei der ursprünglich mit der
D, GmbH geschlossene Anstellungsvertrag unter Aufhebung des Schriftformerfordernisses für eine Vertragsänderung dahingehend
geändert worden, dass dem Kläger zugesichert worden sei, dass er in den ersten Monaten nach dem Betriebsübergang einen Anspruch
in Höhe der vorausgegangenen durchschnittlichen Tantiemen als Festgehalt habe, falls die Erwirtschaftung von Tantiemen faktisch,
insbesondere aufgrund noch nicht in Betrieb genommener Systeme oder noch fehlender Zulassung zur X., noch nicht möglich sein
sollte. Der Kläger ist deshalb der Meinung, die E. AG habe ihm nach dem Betriebsübergang die Beibehaltung seiner gesamten
Einkünfte unabhängig von der Erreichung etwaiger Ziele zugesichert, wobei das ihm zugesicherte Einkommen auf Basis seines
Festgehaltes und der Tantiemen für das erste Halbjahr 2002 zu ermitteln sei. Dies habe sich auch in den Gehaltsabrechnungen
der E. AG widergespiegelt, in denen fixe, gleich bleibende Sonderzahlungen enthalten seien. Als festes Arbeitsentgelt sei
sein Gehalt in der gesamten Höhe insolvenzgeldfähig.
Aber auch wenn ein Teil seines Gehaltes als erfolgsabhängig eingestuft werden sollte, ergebe sich ein Insolvenzgeldanspruch
in Höhe des vollen Gehaltes, da sich ein Vergütungsanspruch einschließlich aller Tantiemen gegen die E. AG aus §
615 Abs.
1 und
3 BGB ergebe. Bei der Anwendung von §
615 BGB müsse das Lohnausfallprinzip gelten. Das Risiko der Einstellung des Betriebes aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften
oder behördlicher Anordnungen trage der Arbeitgeber. Es widerspreche dem Schutzzweck der Regelung, wenn die Fortzahlung von
Lohn von der Fortführung des Unternehmens und von der Erreichung wirtschaftlicher Ziele abhängig gemacht werde (BAG, Urteil
vom 11. August 1998 - AZR 410/97). Im Übrigen ergebe sich ein insolvenzgeldfähiger Anspruch auch aus einem Schadensersatzanspruch gegen die E. AG, weil deren
Zusicherung unveränderter Arbeitsbedingungen und dass keine Einkommenseinbußen eintreten, nicht eingehalten worden sei. Außerdem
ergebe sich ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen seinen Arbeitgeber aus Delikt, da er zum Zeitpunkt der Abgabe der
Zusicherung von seinem Arbeitgeber über die unmittelbar bevorstehende Zahlungsunfähigkeit und die sich daraus ergebende Unmöglichkeit
der Erfüllung seiner Ansprüche getäuscht worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Kläger unter
Abänderung des Bescheides vom 21. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2004 weiteres Insolvenzgeld
in Höhe von 68.392,42 Euro zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich eine Zusicherung,
die sich auf den Fortbestand der Arbeitsbedingungen beziehe, keine Gewinngarantie für jeden Fall darstelle, so dass sich daraus
keine Entgeltansprüche des Klägers herleiten ließen. Sollte jedoch eine Änderung des Anstellungsvertrages, der die Tantiemen
in ein Festgehalt umgewandelt habe, mündlich vorgenommen worden sein, sei diese wegen des im Vertrag bestimmten Schriftformerfordernisses
und wegen des Verstoßes gegen das Nachweisgesetz unwirksam. Der Anstellungsvertrag des Klägers sei vielmehr unverändert auf den neuen Betrieb übergegangen. Auch aus der Regelung
des §
615 BGB ergäben sich für den Kläger keine Ansprüche auf Fortzahlung von Tantiemen. Ein Gewinnausfall stelle keinen Annahmeverzug
dar. Der Kläger habe deshalb keinen Anspruch auf Tantiemen und auf höheres Insolvenzgeld.
Auf Nachfrage des Gerichts hat der Beigeladene eine Kopie der ursprünglich ausgestellten Insolvenzgeldbescheinigung vom 27.
Januar 2003 vorgelegt. In dieser ist ein Bruttoarbeitsentgelt für die Monate Juli bis September 2002 in Höhe von 59.332,00
Euro ausgewiesen. Das noch zustehende Netto-Arbeitsentgelt betrage für Juli 2002 38.265,82 Euro, für August 2002 31.302,82
Euro und für September 2002 30.397,63 Euro (insgesamt 99.966,27 Euro). Dieses ergebe sich jeweils aus dem in der Gehaltsberechnung
der E. AG ausgewiesenen Netto-Verdienst zuzüglich der Arbeitgeberanteile für die Pflegeversicherung und die Krankenversicherung.
Diese seien zusätzlich zu berücksichtigen, weil sie vom Arbeitgeber nicht mehr abgeführt worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie
der Leistungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Insolvenzgeld insgesamt in Höhe von 99.966,27 Euro zu. Da die Beklagte dem Kläger mit dem
Bescheid vom 21. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2004 Insolvenzgeld nur in Höhe von 31.573,85
Euro gewährt hat, steht dem Kläger ein Anspruch auf Gewährung weiteren Insolvenzgeldes in Höhe von 68.392,42 Euro zu.
Nach §
183 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch
Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger dem Grunde nach ein
Anspruch auf Insolvenzgeld zusteht. Der Kläger war im Inland bei der E. AG beschäftigt. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen seines Arbeitgebers am 10. Dezember 2002 standen ihm nach Auskunft seines Arbeitgebers noch Ansprüche auf
Arbeitsentgelt zu. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30. September 2002 beendet wurde, ist das Sozialgericht auch zutreffend
von einem Insolvenzgeldzeitraum vom 1. Juli bis 30. September 2002 ausgegangen.
Nach §
183 Abs.
1 Satz 3
SGB III gehören zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt, die bei der Berechnung des Insolvenzgeldes berücksichtigt werden, wenn sie
noch offen sind und in den Insolvenzgeldzeitraum fallen, alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Nach der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts sind davon alle Arten von Bezügen aus dem Arbeitsverhältnis erfasst, die als Gegenwert für geleistete
Arbeit oder das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft angesehen werden können (siehe die Nachweise aus der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts bei Peters-Lange, in: Gagel (Hrsg.),
SGB III (Losblatt), Stand: Dezember 2009, §
183 Rdnr. 90).
Beim Kläger zählt zu den Bezügen aus dem Arbeitsverhältnis, die bei der Berechnung des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen
sind, zunächst das in § 4 des Anstellungsvertrages vom 1. bzw. 5. November 1999 geregelte und durch die Vereinbarung vom 23.
bzw. 28. Juni 2000 angepasste Festgehalt. Dieses Festgehalt ist bei der Berechnung des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen,
soweit es für den Insolvenzgeldzeitraum geschuldet ist. Dies ist für den Anspruch des Klägers auf Festgehalt für Juli, August
und September 2002 der Fall.
Zu den Bezügen aus dem Arbeitsverhältnis, die bei der Berechnung des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen sind, zählen grundsätzlich
auch Ansprüche auf Tantiemen, Gewinnbeteiligungen und Provisionen (Lakies, Der Anspruch auf Insolvenzgeld, NZA 2000, 565, 567; Peters-Lange, in: Gagel (Hrsg.),
SGB III (Losblatt), Stand Dezember 2009, §
183 Rdnr. 90). Damit kann der Anspruch des Klägers auf eine Tantieme nach § 9 des Anstellungsvertrages vom 1. bzw. 5. November
1999 in der Fassung der Vereinbarung vom 23. bzw. 28. Juni 2000 grundsätzlich bei der Berechnung des Insolvenzgeldes Berücksichtigung
finden. Er stellt für den Kläger eine Beteiligung an dem Gewinn des Unternehmens dar und soll dem Kläger einen Anteil an dem
von ihm durch seine Tätigkeit miterzielten Gewinn verschaffen. Dies ergibt sich aus § 4 des Anstellungsvertrages des Klägers.
Nach § 4 Abs. 1 dieses Vertrages erhält der Kläger jeweils nachträglich für das vorangegangene Kalenderhalbjahr eine Tantieme,
die mit dem Mai- bzw. Novembergehalt gezahlt wird. Die Tantieme berechnet sich nach § 4 Abs. 2 bis 6 des Anstellungsvertrages
nach bestimmten Prozentsätzen der Nettoerträge der Gruppe des Klägers, wobei der Kläger einen Anteil entsprechend seiner Tätigkeit
erhält. Damit ist der Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Tantieme bei der Berechnung des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen,
soweit dieser sich auf den Insolvenzgeldzeitraum bezieht.
Für die Zuordnung zum Insolvenzgeldzeitraum kommt es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) darauf an, wann
das Arbeitsentgelt erarbeitet worden ist (BSG, Urteil vom 4. März 2009, B 11 AL 8/08 R, Juris, Rdnr. 19). Dafür sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der arbeitsrechtliche Entstehungsgrund und
die Zweckbestimmung der Leistung (BSG, Urteil vom 4. März 2009, B 11 AL 8/08 R, Juris, Rdnr. 20 m.w.N.) entscheidend. Bei jährlich abzurechnenden und auszuzahlenden Gewinnbeteiligungen stellt die Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts auf den Erarbeitungszeitraum ab, ohne dass es auf den Abrechnungs- oder Auszahlungszeitpunkt ankäme
(s. Peters-Lange, in Gagel (Hrsg.),
SGB III (Losblatt), Stand Dezember 2009, §
183 Rdnr. 109 mit Verweis auf BSG, Urteil vom 30. Juli 1981, 10/8b RAr 4/80, Juris). Die Tantieme des Klägers wird zwar zusammen mit dem Mai- bzw. dem Novembergehalt ausgezahlt. Sie bezieht sich jedoch
in ihrer Berechnung und ihrer Höhe auf ein bestimmtes Kalenderhalbjahr und hängt von den in diesem Kalenderhalbjahr erzielten
Nettoerträgen der Gruppe ab, der der Kläger angehört. Weil die Tantieme den Erfolg des Klägers bei seiner Tätigkeit in einem
bestimmten Zeitraum belohnt, ist sie dem Zeitraum zuzuordnen, in dem die Erträge erzielt werden, für die die Tantieme gezahlt
wird. Sie ist daher bei der Berechnung des Insolvenzgeldanspruchs zu berücksichtigen, soweit sie vom Arbeitgeber für den Insolvenzgeldzeitraum
geschuldet ist.
Soweit der Kläger im Zeitraum vom 1. bis 19. Juli 2002 in seiner Gruppe arbeiten und Erträge erzielen konnte, ist der für
diese Zeit entstandene Tantiemenanspruch bei der Berechnung des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen. Aber auch soweit der Kläger
im Zeitraum vom 20. Juli bis 30. September 2002 wegen des von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ausgesprochenen
Zahlungs- und Verfügungsverbot gemäß § 46a Abs. 1 KWG nicht mehr als Wertpapierhändler tätig werden konnte und keine Erträge mehr erzielt wurden, die Grundlage der Berechung eines
Tantiemeanspruchs gewesen sein könnten, schuldet der Arbeitgeber dem Kläger die Zahlung einer Tantieme, die bei der Berechnung
des Insolvenzgeldanspruchs zu berücksichtigen ist.
Die Verpflichtung zur Zahlung dieser Tantiemen ergibt sich entgegen der Auffassung des Sozialgerichts aus § 9 des Anstellungsvertrages
des Klägers mit seinem Arbeitgeber und den Grundsätzen des Annahmeverzuges und der Zuweisung des Betriebsrisikos an den Arbeitgeber
in §
615 BGB. Kommt ein Dienstberechtigter mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Dienstverpflichtete für die infolge des
Verzugs nicht geleisteten Dienste nach §
615 Satz 1
BGB die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch nach §
615 Satz 2
BGB den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige
Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Dies gilt nach §
615 Satz 3
BGB in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt, entsprechend. Nach der Betriebsrisikolehre
muss der Arbeitgeber, der das Unternehmen organisiert und leitet, die Verantwortung für das Unternehmen trägt und die Erträge
aus dem Unternehmen zieht, seinen Arbeitnehmern für die Funktionstüchtigkeit des Unternehmens einstehen (Hromadka/Maschmann,
Arbeitsrecht - Individualarbeitsrecht, 1998, § 8 Rdnr. 33). In Rechtsprechung und Literatur wird deshalb angenommen, dass
der Arbeitgeber nach §
615 Satz 3
BGB das Risiko des Arbeitsausfalls trägt, wenn der Betrieb aus rechtlichen Gründen, wie etwa bei behördlichen Maßnahmen, eingestellt
werden muss (Preis, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 10. Auflage 2010, §
615 BGB Rdnr. 133 m.w.N.). Dies soll insbesondere gelten, wenn das Verbot durch die besondere Art des Betriebes bedingt ist (Preis,
Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 10. Auflage 2010, §
615 BGB Rdnr. 133 mit Verweis auf BAG, Urteil vom 30. Mai 1963, 5 AZR 282/62, Juris). Dementsprechend stellt die Einstellung der Geschäftstätigkeit einer Bank aufgrund einer bankaufsichtsrechtlichen
Maßnahme ein Betriebsrisiko der Bank dar, das von ihr und nicht von den Arbeitnehmern zu tragen ist. Verbietet die Bankenaufsicht
einer Bank, die Annahme von Einlagen, Geldern oder Wertpapieren von Kunden, weil bei ihr die Gefahr besteht, dass sie ihre
Verpflichtungen gegenüber ihren Gläubigern nicht erfüllen kann, und kann die Bank daher keinen Wertpapierhandel mehr betreiben
und ihre Wertpapierhändler nicht mehr für den Wertpapierhandel einsetzen, trägt die Bank das Risiko des Arbeitsausfalls. Ein
solcher Arbeitsausfall, der in Folge einer bankaufsichtrechtlichen Maßnahme eintritt, stellt ein spezifisches Risiko des Betriebes
einer Bank dar, für das hinsichtlich der Fortzahlung des Lohnes für seine Arbeitnehmer der Arbeitgeber einzutreten hat. Zwar
übernimmt der Arbeitnehmer bei Vereinbarung einer variablen Vergütung, die an die Entwicklung von Umsatz oder Ertrag des Unternehmens
gekoppelt ist, das Risiko, dass keine variable Vergütung gezahlt wird, wenn der entsprechende Umsatz oder der entsprechende
Ertrag des Unternehmens nicht erreicht wird. Er hat daher durch die Vereinbarung einer variablen Vergütung einen Teil des
an sich vom Arbeitgeber zu tragenden Wirtschaftsrisikos übernommen und trägt damit die Risiken und Chancen mit, die sich aus
der Stellung des Unternehmens gegenüber seinen Wettbewerbern und aus der Entwicklung des Marktes insgesamt ergeben. Sollte
sich bei seinem Arbeitgeber aus einer verschlechterten Stellung des Unternehmens gegenüber seinen Wettbewerbern oder aus einer
Veränderung des Marktes insgesamt ein Rückgang von Umsatz oder Ertrag des Unternehmens ergeben, müsste dafür der Arbeitgeber
wegen der Vereinbarung einer variablen Vergütung mit dem Arbeitnehmer nicht nach §
615 Satz 3
BGB einstehen und diesem keine Vergütung auf einem bestimmten Niveau garantieren. Ein solcher Fall liegt hier jedoch entgegen
der Auffassung des Sozialgerichts wegen der Verwirklichung eines in den Besonderheiten des konkreten Betriebes des Arbeitgebers
liegenden Risikos nicht vor. Vielmehr musste der Arbeitgeber des Klägers hier seine Handelstätigkeit wegen des von der Bundesanstalt
für Finanzdienstleistungsaufsicht nach § 46 Abs. 1 KWG ausgesprochenen Zahlungs- und Verfügungsverbot vollständig einstellen. Der Kläger konnte somit seiner Tätigkeit als Wertpapierhändler
im Zeitraum von Mitte Juli bis Ende September 2002 gar nicht mehr nachgehen. Für diesen Arbeitsausfall muss jedoch der Arbeitgeber
nicht nur hinsichtlich der Fortzahlung des Festgehaltes als Wertpapierhändler, sondern auch hinsichtlich des Ausfalls von
Tantiemenzahlungen, die wegen der Einstellung der Handelstätigkeit nicht mehr verdient werden konnten, einstehen.
Insolvenzgeld wird nach §
185 Abs.
1 SGB III in der hier anwendbaren bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung vom 24.
März 1997 (BGBl. I 584) in Höhe des Nettoarbeitsentgelts geleistet, das sich ergibt, wenn das Arbeitsentgelt um die gesetzlichen
Abzüge vermindert wird. Dass diese Fassung des Gesetzes anzuwenden ist, ergibt sich auch aus der Regelung des § 434j Abs.
12 Nr.
5 SGB III, nach der §
185 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung anzuwenden ist, wenn das Insolvenzereignis vor dem 1. Januar 2004 liegt.
Dies ist hier der Fall, weil die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der E. AG am 10. Dezember 2002 erfolgt
ist. Die Höhe des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts (Nettoarbeitsentgelt), das die Höhe des Insolvenzgeldanspruchs
bestimmt, ergibt sich aus der von dem Beigeladenen zuerst ausgestellten Insolvenzgeldbescheinigung vom 27. Januar 2003. Dies
gilt sowohl für die Höhe des dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2002 zustehenden Festgehaltes als auch
für seine Ansprüche auf Tantiemen, da dort Tantiemenzahlungen für den gesamten Zeitraum berücksichtigt wurden. Wie in der
Insolvenzgeldbescheinigung ausgewiesen, ist dabei der in der Gehaltsabrechnung der E. AG angegebene Netto-Verdienst um die
vom Arbeitgeber nicht mehr abgeführten Arbeitgeberanteile für die (private) Kranken- und Pflegeversicherung zu erhöhen.
Sowohl hinsichtlich der Tantiemenansprüche des Klägers für die Zeit vom 1. bis 19. Juli 2002, in der noch keine bankaufsichtsrechtliche
Maßnahme getroffen wurde, als auch hinsichtlich der Zeit vom 20. Juli bis 30. September 2002, in dem die Handelstätigkeit
wegen der bankaufsichtsrechtlichen Maßnahmen ganz eingestellt werden musste, muss auf die vom beigeladenen Insolvenzverwalter
in seiner Insolvenzgeldbescheinigung vom 27. Januar 2003 vorgenommene Schätzung zurückgegriffen werden. Hinsichtlich des Zeitraums,
in dem die Handelstätigkeit wegen der bankaufsichtsrechtlichen Maßnahmen ganz eingestellt werden musste, ist dem Insolvenzgeld
der Tantiemenanspruch zugrunde zu legen, der ohne diese behördliche Maßnahme entstanden wäre. Da tatsächlich jedoch keine
Handelstätigkeit durchgeführt werden konnte, auf deren Basis sich der Tantiemenanspruch errechnen ließe, ist der Tantiemenanspruch
entsprechend zu schätzen. Dies gilt aber auch für den Zeitraum, in dem zwar eine Handelstätigkeit noch erfolgt ist, aber vom
Arbeitgeber keine für die Berechnung des Tantiemenanspruchs ausreichende Aufzeichnungen von Erträgen und Kosten speziell für
diesen Zeitraum erfolgt sind, aus denen sich der genaue Tantiemenanspruch berechnen ließe. Auch in diesem Fall ist daher auf
eine Schätzung des Tantiemenanspruchs durch den Arbeitgeber zurückzugreifen. Diese Schätzung hat der Insolvenzverwalter in
seiner Insolvenzgeldbescheinigung vom 27. Januar 2003 vorgenommen, indem er für die Tantiemenansprüche für den Zeitraum Juli
bis September 2002 die durchschnittlichen monatlichen Tantiemenansprüche der vergangenen zwölf Monate zugrunde gelegt hat.
Dies ist als Schätzgrundlage nicht zu beanstanden. Damit beträgt der dem Kläger noch zustehende Nettoverdienst, wie in der
Insolvenzgeldbescheinigung vom 27. Januar 2003 ausgewiesen, für Juli 2002 38.265,82 Euro, für August 2002 31.302,82 Euro und
für September 2002 30.397,63 Euro, also insgesamt 99.966,27 Euro. Abzüglich des bereits von der Beklagten mit dem Bescheid
vom 29. November 2003 und dem Bescheid vom 21. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2004 gewährten
Insolvenzgeldes in Höhe von 31.573,85 Euro steht dem Kläger noch ein Anspruch auf Gewährung weiteren Insolvenzgeldes in Höhe
von 68.392,42 Euro zu.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §
193 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) und berücksichtigt, dass die Beklagte vollständig unterlegen ist.
Gründe, die Revision nach §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.