Arzneimittelregresse wegen der Verordnung intravenöser Immunglobuline
Erstreckung einer Zulassung auf bestimmte Anwendungsgebiete
Off-Label-Use
Lebensbedrohliche Erkrankung
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Arzneimittelregresse wegen der Verordnung intravenöser Immunglobuline (IVIG) in den Quartalen
II/2008 bis IV/2009.
Die Klägerin zu 1. ist Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Physikalische und Rehabilitative Medizin, der Kläger zu 2. ist
Arzt für Neurologie. Beide nehmen an der vertragsärztlichen Versorgung teil und waren im hier streitbefangenen Zeitraum in
einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) mit Sitz in F. tätig. In den Quartalen II/2008 bis IV/2009 behandelten sie sechs Versicherte
der Beigeladenen zu 2., die an Multipler Sklerose (MS) mit schubförmigem bzw vorherrschend schubförmigem Verlauf erkrankt
waren. Dabei stellten sie in den Quartalen II bis IV/2008 insgesamt 22 Verordnungen zugunsten der Patientinnen C.S., I.S.
und I.J. über das IVIG Octagam aus. In den Quartalen III und IV/2008 verordneten sie das Präparat Octagam einmal für den Versicherten
D.R. und dreimal zugunsten der Versicherten S.P. In den Quartalen I bis IV/2009 stellten sie schließlich insgesamt 32 Verordnungen
über Octagam für die Patientinnen C.S., I.S. und L.K. aus.
Im Juni 2010 (bezüglich der Verordnungen in den Quartalen II bis IV/2008) bzw im Januar 2011 (I bis IV/2009) beantragte die
Beigeladene zu 2. die Feststellung eines "sonstigen Schadens", weil IVIG für die Therapie der MS nicht zugelassen seien und
die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht vorlägen. Dem traten die Kläger mit Stellungnahmen entgegen, in denen sie das Erkrankungsbild der Patienten und ihre
Gründe für die Verordnung von Octagam darlegten. Die Beigeladene zu 2. legte daraufhin gutachtliche Einschätzungen der Medizinischen
Dienste der Krankenversicherung (MdK) Niedersachsen/Bremen zu den Versicherten D.R., S.P., I.S. und C.S. vor, in denen eine
Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verneint wurde.
Mit an die BAG adressierten Bescheiden vom 12. Januar 2012 (Quartale II bis IV/2008), vom 27. Oktober 2011 (Quartale III und
IV/2008) und vom 21. Juni 2012 (I bis IV/2009) setzte die Prüfungsstelle Niedersachsen für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit
in der vertragsärztlichen Versorgung Regresse in Höhe von 17.238,22 Euro, 2.538,82 Euro und 28.113,22 Euro fest, weil die
Verordnungen mit den Arzneimittel-Richtlinien nicht vereinbar seien.
Hiergegen legten die Kläger am 24. Januar 2012, am 21. November 2011 und am 29. Juni 2012 Widerspruch ein. Zur Begründung
führten sie aus, dass die betroffenen Versicherten in den umstrittenen Quartalen an der integrierten Versorgung nach dem Vertrag
der Beigeladenen zu 2. mit dem ambulanten Pflegedienst G. zur Versorgung von Patienten mit entzündlichen/degenerativen Erkrankungen
des Zentralen Nervensystems bzw mit AIDS teilgenommen hätten. Aus §
140a Abs
1 S 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) folge deshalb, dass der Sicherstellungsauftrag für die vertragsärztliche Versorgung eingeschränkt sei und die integrierte
Versorgung aus der vertragsärztlichen Versorgung herausgelöst sei. Hieraus ergebe sich die sachliche Unzuständigkeit der Prüfgremien,
weil diese nach §
106 Abs
1 SGB V nur dafür zuständig seien, die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu prüfen. Sollte sich der Beschwerdeausschuss
dem nicht anschließen, werde beantragt, die Entscheidung über die Widersprüche zu vertagen.
Mit drei Bescheiden vom 21. Februar 2013 wies der Beklagte die Widersprüche zurück und bestätigte die festgesetzten Regresse.
Der Beklagte sei für die Bescheidung der Widersprüche zuständig, weil §
106 SGB V den Grundsatz des allumfassenden Prüfauftrags statuiere und sich den in den §§ 140a ff
SGB V niedergelegten Regelungsinhalten nichts Gegenteiliges entnehmen lasse. Die Widersprüche seien unbegründet, weil die Kläger
das Präparat Octagam in den vorliegenden Fällen außerhalb seiner arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet hätten. Eine
ausnahmsweise gegebene Verordnungsmöglichkeit für Patienten mit MS sei weder auf der Grundlage des §
35b Abs
3 S 1
SGB V noch nach der Rechtsprechung des BSG zum sog Off-Label-Use oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Beschluss vom 6. Dezember 2005 (Az.: 1 BvR 347/98) gegeben.
Gegen diese Bescheide haben die Kläger am 15. März 2013 Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Zur Begründung haben sie an ihrer Auffassung festgehalten, der Beklagte und die Prüfungsstelle seien zur
Überprüfung von Verordnungen für solche Patienten nicht zuständig, die im Rahmen der integrierten Versorgung nach §§ 140a
ff
SGB V behandelt worden seien. Dies gelte auch für die von den Regressen erfassten sechs Versicherten; hierzu haben die Kläger Teilnahmeerklärungen
der Patienten vorgelegt. Die Kläger hätten als Vertragsärzte ebenfalls an dem Vertrag teilgenommen. Wenn die Beigeladene zu
2. die umstrittenen Verordnungen für unzulässig halte, hätte sie dies auf der Grundlage des Integrationsvertrages klären können,
wofür insbesondere ein Steuerungsgremium nach § 2 des Vertrags und Facharbeitskreise nach § 3 zur Verfügung gestanden hätten.
Die vertraglich vorgesehene Kooperation beinhalte ua auch eine intensive ambulante Infusionstherapie zur Vermeidung stationärer
Behandlungen. Wenn Off-Label-Use-Verordnungen von Immunglobulinen in der Anl 6 des Integrationsvertrags (Arzneimittelempfehlungsliste)
nicht genannt würden, besage dies nichts, weil diese Verordnungen in Fällen einer nicht bestehenden Behandlungsalternative
die absolute Ausnahme seien. Der Beklagte hätte schließlich die Widersprüche keinesfalls zurückweisen dürfen, sondern dem
in der Widerspruchsbegründung gestellten Antrag auf Vertagung nachgehen müssen.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 21. September 2016 stattgegeben und die Bescheide vom 21. Februar 2013 aufgehoben. Die angegriffenen
Entscheidungen seien rechtswidrig, weil der Beklagte für Entscheidungen bei Verstößen gegen die Arzneimittel-Richtlinie im
Rahmen der integrierten Versorgung nicht zuständig gewesen und bis heute auch nicht zuständig geworden sei. Durch das Gesetz
zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22. Dezember 2010 (AMNOG) habe der Gesetzgeber
den §
106 Abs
2 SGB V zum 1. Januar 2011 zwar dahingehend erweitert, dass die Prüfgremien von den Vertragspartnern auch zur Prüfung verordneter
Leistungen in Sonderversorgungsformen (ua nach §
140a SGB V) ermächtigt werden könnten. Von dieser Ermächtigung sei jedoch in Niedersachsen bisher kein Gebrauch gemacht worden. Nach
der Rechtsprechung des BSG sei für die Zuständigkeit der Prüfgremien entscheidend, ob die maßgeblichen Leistungen von der Sicherstellungs- und Gewährleistungsverpflichtung
der Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) umfasst seien. Dies treffe für die vorliegende Arzneimittelversorgung von MS-Patienten
nicht zu, weil diese in den §§ 4, 6 und 12 des mit dem G. abgeschlossenen Vertrags ausdrücklich geregelt sei. Auch darauf,
ob die Leistungserbringung im Rahmen einer Zulassung/Ermächtigung und unter Geltung der Regelungen der vertragsärztlichen
Versorgung erfolgt sei, könne nicht entscheidend abgestellt werden, weil die §§ 140a Abs
2,
140b Abs
4 S 3
SGB V insoweit abweichende Vereinbarungen der Vertragspartner ermöglichten. Schließlich seien Leistungen auf der Grundlage von
Verträgen nach §§ 73b, 73c und 140a
SGB V nach § 3 Abs 2 Nr 14 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen.
Gegen das ihr am 29. September 2016 zugestellte Urteil hat die Beigeladene zu 2. am 21. Oktober 2016 Berufung bei dem Landessozialgericht
(LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Der mit dem G. abgeschlossene Vertrag sehe für die Vertragsärzte einen Antrag zur Teilnahme
vor, den die Kläger bisher nicht vorgelegt hätten. Auch die Versicherten S.P. und D.R. seien in den hier fraglichen Verordnungszeitpunkten
nicht in das integrierte Versorgungsprogramm einbezogen gewesen. Zu Unrecht habe das SG weiterhin nicht berücksichtigt, dass die vertragsärztlichen Leistungen, zu der auch die Verordnung von Arzneimitteln gehöre,
gerade nicht Gegenstand dieses Vertrages seien, weil im dortigen § 15 Abs 3 und 4 geregelt sei, dass die Abrechnung der vertragsärztlichen
Leistungen im Rahmen des bestehenden Gesamtvertrages erfolge. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den sehr allgemein
gefassten Regelungen zur Pharmakotherapie, vor allem zur Infusionstherapie, weil es dort ausschließlich um die personelle
Komponente der Durchführung der Arzneimittelversorgung gehe. Damit sei auch der Sicherstellungsauftrag nicht iSv §
140a Abs
1 S 4
SGB V eingeschränkt. Schließich würden auch die Kosten für die Arzneimitteltherapie im hier anzuwendenden Vertrag im Rahmen der
Regelversorgung abgerechnet.
Die Beigeladene zu 2. beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 21. September 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise: weitere Sachermittlungen nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 16. August
2019 (Seiten 8, 11 und 13) durchzuführen sowie
die Revision zuzulassen.
Ziel der integrierten Versorgung nach den 2002 und 2005 mit dem G. abgeschlossenen Verträgen sei es durchgehend gewesen, stationäre
Behandlungen von MS-Patienten zu vermeiden bzw im Fall eines Krankheitsschubs durch eine ambulante Versorgung zu ersetzen;
hierdurch sollten auch Kosten in der stationären Versorgung eingespart werden. Dies könnten die im Schriftsatz vom 16. August
2019 benannten Zeugen Dr. H., I. und Dr. J. bestätigen. Der hier vorliegende Vertrag zur integrierten Versorgung enthalte
im Vergleich zu dem vorangegangenen Vertrag aus dem Jahr 2002 ein weiterentwickeltes, deutlich ausdifferenziertes Regelungswerk
zur Sicherstellung einer qualitätsgesicherten und wirtschaftlichen Versorgung einschließlich der Arzneimitteltherapie. Dieses
sehe zB ein Steuerungsgremium, einen Facharbeitskreis und Regelungen zur Patientensteuerung und zum Qualitätsmanagement vor;
§ 14 Abs 5 regele außerdem eine Prüfung der wirtschaftlichen Leistungserbringung im Einzelfall durch die Beigeladene zu 2.
in Bezug auf die Versorgung im häuslichen Umfeld. An dieses Regelungswerk hätte sich die Beigeladene zu 2. mit ihren Einwänden
gegen die Verordnung von Immunglobulinen ausrichten müssen, anstatt Regressanträge bei der Prüfungsstelle zu stellen. Dass
die Kläger am Vertrag zur integrierten Versorgung teilgenommen haben, ergebe sich aus - in der mündlichen Verhandlung vorgelegten
- Beitrittserklärungen vom 28. Februar 2005. Für die einzelnen betroffenen Patienten habe es neben der Versordnung von Immunglobulinen
im Verordnungszeitpunkt keine Behandlungsalternative gegeben, weil bei ihnen ua psychische Erkrankungen, Spritzenphobien oder
ein Kinderwunsch vorgelegen hätten. Aus verschiedenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen - die von den Klägern vorgelegt
werden - ergebe sich auch, dass die Behandlung mit IVIG als Reservepräparat in der Basistherapie der schubförmigen MS empfohlen
werde, wenn andere zugelassene Arzneimittel nicht wirken oder kontraindiziert sind. Das BSG habe in vier Entscheidungen zwischen 2002 und 2010 zwar keine ausreichenden Belege für die Aussicht auf einen Behandlungserfolg
angenommen; demgegenüber habe sich die Studien- und medizinische Erkenntnislage inzwischen aber entscheidend weiterentwickelt.
Dies ergebe sich insbesondere aus Veröffentlichungen des Paul-Ehrlich-Instituts und der "Expertengruppe Off-Label im Bereich
Neurologie/Psychiatrie nach §
35b Abs
3 SGB V" vom 21. Juni 2010. Auch angesichts eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 20. Oktober 2011, mit
dem ein Ausschluss von Immunglobulinen aus der vertragsärztlichen Versorgung in den Arzneimittel-Richtlinien abgelehnt worden
war, bestünden erhebliche Zweifel, ob das BSG heute ablehnende Entscheidungen zu Behandlungen mit Immunglobulinen überhaupt noch treffen würde. Weiterhin scheide die Festsetzung
eines Regresses aus, weil sich die Beigeladene zu 2. in der Vergangenheit in Einzelfällen auch zur Kostenübernahme bereit
erklärt habe. Im Übrigen habe der 4. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen (Hinweis auf den Beschluss vom 7. März 2011 - L 4 KR 48/11 B ER) mit überzeugender Begründung entschieden, dass eine grundrechtskonforme Rechtsanwendung nach Maßgabe des BVerfG-Beschlusses
vom 6. Dezember 2005 auch vorzunehmen sei, wenn zwar nicht das Leben, aber die körperliche Unversehrtheit des Versicherten
gefährdet sei. Schließlich sind die Kläger weiterhin der Auffassung, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden,
weil der Beklagte ihren im Widerspruchsverfahren gestellten Hilfsanträgen auf Vertagung der Entscheidung nicht nachgekommen
sei.
Die übrigen Beteiligten stellen keinen Antrag.
Der Beklagte schließt sich im Wesentlichen der Auffassung der Beigeladenen zu 2. an. Außerdem sei aus den vorgelegten Teilnahmeerklärungen
nicht ersichtlich, dass der Versicherte D.R. schon im Verordnungszeitpunkt an dem Vertrag zur integrierten Versorgung teilgenommen
habe. Die vom SG Hannover angeführte Vorschrift des § 3 Abs 2 Nr 14b BMV-Ä sei erst mit dem 1. Oktober 2013 wirksam geworden. Aus dem streitgegenständlichen Vertrag ergebe sich nicht, dass die Prüfgremien
nach §
106 Abs
1 SGB V nicht zur Wirtschaftlichkeitsprüfung verpflichtet gewesen seien, weil die Verantwortung der Beigeladenen zu 1. nach § 5 Abs
1 des Vertrages nicht berührt werde. Aus dem mit der Einführung der Verträge nach §
140a Abs
1 SGB V verfolgten gesetzgeberischen Ziel, Einsparungen zu erzielen, folge weiterhin, dass entsprechende Verordnungen auch der Wirtschaftlichkeitsüberwachung
durch die Prüfgremien unterfielen, solange dies nicht explizit ausgeschlossen sei. Im Übrigen sei vorliegend ein Vertrag abgeschlossen
worden, der ausschließlich die pflegerische Versorgung nach §
37 SGB V inklusive Add-on-Leistungen zum Gegenstand habe, sodass nicht automatisch alle Leistungen unter den Anwendungsbereich des
§
140a SGB V fielen. Schließlich ergebe sich aus der von den Klägern vorgelegten Bewertung der "Expertengruppe Off-Label-Use" gerade keine
für einen zulässigen Off-Label-Use ausreichende Studienlage.
Die Beigeladene zu 1. hält die Entscheidung des SG Hannover für zutreffend. Ergänzend verweist sie auf §
140a Abs
5 SGB V, wonach die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten der an der integrierten Versorgung teilnehmenden Versicherten
deren Einwilligung voraussetze. Angesichts dessen erscheine es bedenklich, wenn die Prüfungsstelle ohne vorangehende Prüfung
der näheren Umstände ein Prüfverfahren in Gang gebracht habe. Wenn in dem mit dem G. abgeschlossenen Vertrag eine Regelung
über die Wirtschaftlichkeitsprüfung fehle, führe dies nicht zu einer automatischen Kompetenz der Prüfungsstelle, weil dies
zur Folge hätte, dass die Beigeladene zu 1. an den Kosten einer Wirtschaftlichkeitsprüfung beteiligt werde, auf deren Inhalt
sie mangels Beteiligung am Vertragsschluss aber keinerlei Einfluss habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte
des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beigeladenen zu 2. ist zulässig und begründet. Das SG hat der Klage vom 15. März 2013 zu Unrecht stattgegeben.
I. Die Klage ist als (isolierte) Anfechtungsklage gemäß §
54 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
II. Sie ist jedoch unbegründet. Die Bescheide vom 21. Februar 2013 sind nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat zu Recht Regresse
in Höhe von insgesamt 47.890,26 Euro festgesetzt.
1. In der Sache handelt es sich hierbei allerdings nicht um Regresse wegen eines sonstigen Schadens iSv §
32 der Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß §
106 SGB V ab dem Jahr 2008 (PrüfV 2008), wie dies die Beigeladene zu 2. in ihren Prüfanträgen von Juni 2010 und Januar 2011 angenommen
hat, sondern um Arzneimittel-Verordnungsregresse nach Einzelfallprüfung. Dies ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung
des BSG (SozR 4-2500 § 106 Nr 28 und Nr 30), wonach sich der Schaden, der den Krankenkassen durch die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel
entstanden ist, grundlegend von dem sonstigen Schaden unterscheidet. Bei Verordnungsregressen besteht der zu ersetzende Schaden
der Krankenkasse darin, dass sie an Apotheken Geldbeträge für Arzneien gezahlt hat, welche den Versicherten gegen Vorlage
einer vertragsärztlichen Verordnung ausgehändigt wurden und ausgehändigt werden durften. Die Krankenkasse hat mithin Kosten
aufgewandt, die sie prinzipiell aufwenden muss, die aber im konkreten Fall nicht angefallen wären, wenn der Vertragsarzt den
normativen Vorgaben entsprochen hätte. Der Regress wegen eines sonstigen Schadens ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass
das Verhalten des Arztes Folgekosten der Krankenkasse in anderen Leistungsbereichen ausgelöst hat; der zu ersetzende Schaden
ist der Struktur nach einem Mangelfolgeschaden nach bürgerlichem Recht vergleichbar (zu alledem BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 mwN).
Gesetzliche Grundlage für die Prüfung von Arzneimittelverordnungen im Einzelfall ist §
106 Abs
2 S 4
SGB V (idF des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266)). Danach können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen
gemeinsam und einheitlich mit den KÄVen über die in §
106 Abs
2 S 1
SGB V vorgesehenen Auffälligkeits- und Zufälligkeitsprüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Hiervon haben
die genannten Vertragspartner in Niedersachsen mit der PrüfV 2008 Gebrauch gemacht. Nach deren § 33 S 1 prüft die Prüfungsstelle
auf Antrag einer Krankenkasse oder eines Vertragspartners in begründeten Fällen, ob der Vertragsarzt unwirtschaftliche Arzneimittelanwendungen
veranlasst hat.
2. Entgegen der Auffassung des SG waren die Prüfungsstelle Niedersachsen und der Beklagte nach den vorgenannten Normen auch dafür zuständig, über die Verordnungsfähigkeit
des Arzneimittels Octagam in den hier streitbefangenen Fällen zu entscheiden. Das ergibt sich aus §
106 Abs
4 S 1 iVm Abs
2 S 4
SGB V, wonach diese Prüfgremien Prüfungen für die Krankenkassen und die KÄV durchführen, welche gemäß §
106 Abs
1 SGB V die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen überwachen (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 20 und Nr 57). Die hier umstrittenen Verordnungen gehören zur vertragsärztlichen Versorgung; dass die Versicherten im
Rahmen des von der Beigeladenen zu 2. und dem G. abgeschlossenen "Vertrags zu Integrierten Versorgungsformen gemäß §
140a SGB V über die Versorgung von Patienten mit entzündlichen/degenerativen Erkrankungen des Zentralen Nervensystems (ZNS), onkologischen
Erkrankungen und AIDS" vom 3. Januar 2005 (im Folgenden: K. -Vertrag) behandelt worden sind, ändert hieran nichts.
a) Zutreffend ist allerdings, dass die Zuständigkeit der Prüfgremien nach §
106 SGB V fraglich wäre, wenn es sich bei dem 2005 bis 2011 geltenden K. -Vertrag um einen Vertrag der integrierten Versorgung nach
§§ 140a ff
SGB V (idF des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I 2190)) handeln würde. Denn wie sich schon aus der
Eingangsformulierung des §
140a Abs
1 S 1
SGB V ("abweichend von den übrigen Regelungen dieses Kapitels ") ergibt, ist die integrierte Versorgung nicht als Sonderform der
vertragsärztlichen Versorgung (kollektivvertraglich geregelt und aus der Gesamtvergütung finanziert), sondern als Alternative
hierzu (vgl BSG SozR 4-2500 § 140d Nr 1: Prinzip der Substitution) konzipiert (und dabei einzelvertraglich geregelt und finanziert). Hiervon ist auch der Gesetzgeber
ausgegangen, wenn zur Begründung der Änderungen von §
106 SGB V durch das AMNOG vom 22. Dezember 2010 (BGBl I 2262) ausgeführt ist, dass aufgrund von Verträgen zur ambulanten Versorgung
erbrachte oder verordnete Leistungen außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung stehen und nicht Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfungen
sind (vgl die Entwurfsbegründung der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. in: BT-Drs 17/2413, S 28). Vor diesem Hintergrund
ist mit Wirkung vom 1. Januar 2011 die Regelung eingeführt worden, dass die Vertragspartner der Prüfvereinbarungen die Prüfungsstelle
mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen können und hierfür
die Kosten tragen (§
106 Abs
2 S 12 und 15
SGB V (idF des AMNOG)). Eine entsprechende Regelung enthält §
106 Abs
1 S 3
SGB V in der aktuellen Fassung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG, vom 6. Mai 2019 (BGBl I 646)). Daraus folgt, dass
ansonsten die Regelungen über die Wirtschaftlichkeitsprüfung durch Prüfungsstellen und Beschwerdeausschüsse im Rahmen der
integrierten Versorgung nicht gelten, ohne dass es insoweit einer ausdrücklichen vertraglichen Abbedingung bedarf (Baumann
in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 2. Aufl 2012, §
140c Rn 27; aA Adolf aaO, 3. Aufl 2016, § 140a Rn 104 und Quaas in: Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 4. Aufl 2018, §
11 Rn 73: von §
106 ff
SGB V kann abgewichen werden). Das Wirtschaftlichkeitsgebot der Leistungen der GKV gilt zwar auch für Verträge der integrierten
Versorgung, weil es bereits in §
12 Abs
1 SGB V und damit außerhalb des vierten Kapitels des
SGB V geregelt ist. Die Prüfung der Wirtschaftlichkeit erfolgt aber auf der Grundlage eigenständiger vertraglich vereinbarter Regeln
(für die ab 11. Mai 2019 geltende Rechtslage vgl §
140a Abs
2 S 4
SGB V (idF des TSVG aaO)) oder ggf auf Leistungsklage der Kostenträger.
b) Der K. -Vertrag ist jedoch entgegen seiner Bezeichnung kein Vertrag über die integrierte Versorgung, sondern regelt nur
besondere Zusatzleistungen und -bedingungen innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung. Nach ständiger BSG-Rechtsprechung (vgl etwa SozR 4-2500 § 140d Nr 1 und Nr 3) sind die Gerichte nicht an die Vertragsbezeichnung oder die Regelungsabsicht der Vertragspartner gebunden,
sondern haben eine eigene überschlägige Prüfung vorzunehmen, ob die Grundvoraussetzungen eines Vertrags über die integrierte
Versorgung vorliegen. Diese Prüfung hat nicht nur in Streitigkeiten über teilweise Einbehalte von Gesamtvergütungen und Krankenhausrechnungen
(vgl hierzu BSG SozR 4-2500 §
140d Nr 2) zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung (§
140d Abs
1 SGB V) zu erfolgen, sondern auch in Fällen der vorliegenden Art. Denn es liegt angesichts der Gesetzesbindung aller Beteiligter
auf der Hand, dass die gesetzlich vorgegebene Zuständigkeit der Prüfgremien nicht schon dadurch beseitigt werden kann, dass
ein Vertrag abgeschlossen wird, der die Bezeichnung "integrierte Versorgung" erhält. Erst wenn der Vertrag auch in der Sache
ein Versorgungskonzept begründet, das gemäß §
140a Abs
1 S 1
SGB V eine Alternative zur vertragsärztlichen Versorgung im Sinne der §§
72 ff
SGB V ist, kann die vertragsärztliche Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §
106 SGB V ausgeschlossen sein.
Nach dem höchstrichterlich (vgl BSG aaO) entwickelten Prüfprogramm muss der Vertrag zunächst von einer oder mehreren Krankenkassen und weiteren Beteiligten iSd
§
140b Abs
1 SGB V (in der bis zum 22. Juli 2015 geltenden Fassung) abgeschlossen worden sein (im Folgenden: (1)), die dort geregelte Versorgung
muss sektorenübergreifend oder interdisziplinär-fachübergreifend sein (BSG SozR 4-2500 § 140a Nr 2; SozR 4-2500 § 140d Nr 1 und Nr 3) - (2) - und die Behandlungsleistungen, die im Rahmen der integrierten Versorgung erbracht werden, müssen solche
der Regelversorgung zumindest überwiegend ersetzen (BSG aaO) - (3) -. Diese Voraussetzungen werden durch den K. -Vertrag vom 3. Januar 2005 aber nicht vollständig erfüllt.
(1) Der Verein G. ist allerdings tauglicher Vertragspartner der Krankenkassen nach §
140b Abs
1 SGB V aF. Hierzu zählen gemäß §
140b Abs
1 Nr
1 SGB V einzelne, nach dem vierten Kapitel des
SGB V zur Versorgung der Versicherten berechtigte Leistungserbringer. Der L. dessen Vereinszweck nach §
2 Abs 1 seiner Satzung die Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege und des Wohlfahrtswesens in der häuslichen Krankenpflege
ist, betreibt eine Einrichtung der häuslichen Krankenpflege (ua) nach §
37 SGB V (vgl die Website des G., https:// M ...de, dort unter "Angebot").
Darüber hinaus ist der Verein auch nach §
140b Abs
1 Nr
4 SGB V am vorliegend maßgeblichen Vertrag beteiligt, nämlich als Träger einer Einrichtung, die eine integrierte Versorgung nach
§
140a SGB V durch zur Versorgung der Versicherten nach dem vierten Kapitel berechtigte Leistungserbringer anbietet. Hiermit sind sogenannte
Managementgesellschaften gemeint, die ihrerseits Verträge mit anderen Leistungserbringern abschließen, welche damit in ein
Vertragsangebot zur integrierten Versorgung einbezogen werden (vgl hierzu Adolf aaO, Rn 81). Ausweislich des Vertrags vom
3. Januar 2005 tritt der Verein G. nicht nur als Träger eines Pflegeunternehmens, sondern auch als "Managementgesellschaft"
auf. Denn § 1 Abs 2 S 2 K. -Vertrag bestimmt, dass K. in einem ersten Schritt "mit den an der Vereinbarung beteiligten Ärzten"
eine Kooperation in der Betreuung der erkrankten Patienten eingeht. § 4 Abs 1 S 1 des Vertrages regelt außerdem, dass sich
jeder in der Vertragsregion wohnende Versicherte mit einer Erkrankung, die Vertragsgegenstand ist (ICD-10: G35, B20 bis B24
und G40), zur "Teilnahme an der integrierten Versorgung gegenüber der Managementgesellschaft und Leistungserbringern, die
im Rahmen vertraglicher Beziehungen Leistungen für die Managementgesellschaft erbringen", einschreiben kann. Dadurch, dass
der Verein als "Managementgesellschaft" eine Kooperation mit Vertragsärzten eingeht, werden diese in die Durchführung des
Vertrags einbezogen. Die Einbindung der Ärzte in die vereinbarte Versorgungsstruktur (zu deren Relevanz: BSG SozR 4-2500 § 140d Nr 2 Rn 27 f) folgt aus Kooperationsvereinbarungen zwischen K. und den nach § 5 Abs 2 des Vertrags teilnahmeberechtigten
Ärzten (niedergelassene Vertragsärzte der Gebiete Neurologie, Psychiatrie, Nervenheilkunde, Innere Medizin mit Teilgebietsbezeichnung
Hämatologie und internistische Onkologie und HIV-Schwerpunktbehandler aus der Region F.) und die Verpflichtung der Ärzte (ua)
zu Dokumentations- und Informationsleistungen sowie zur Festlegung eines integrierten Behandlungsplans (§ 7 Abs 1 K. -Vertrag),
zur Teilnahme an wöchentlichen Fallkonferenzen und an einem Case-Management (§ 8 Abs 1 und 2) und am Qualitätsmanagement gemäß
§ 11 Abs 1 des K. -Vertrags.
(2) Nach den im K. -Vertrag getroffenen Vereinbarungen kann auch von einer leistungssektorenübergreifenden Versorgung ausgegangen
werden. Übergreifend ist eine Versorgung, die Leistungsprozesse, die in der traditionellen Versorgung inhaltlich und institutionell
getrennt sind, nunmehr verknüpft bzw miteinander verzahnt (BSG SozR 4-2500 § 140a Nr 2 und 3; SozR 4-2500 § 140d Nr 1 und 3;). Nicht ausreichend ist insoweit allerdings, wenn die Kommunikation bzw die Kooperation zwischen unterschiedlichen
Leistungserbringern, die innerhalb der Regelversorgung ohnehin vorgesehen ist, lediglich intensiviert wird (BSG SozR 4-2500 § 140d Nr 3; Senatsurteil vom 12. Dezember 2018 - L 3 KA 64/14).
Die im Vertrag vom 3. Januar 2005 geregelte Kooperation zwischen dem Verein G. als Träger im Leistungssektor häusliche Krankenpflege
und den teilnehmenden Ärzten geht aber über eine derartige bloße Intensivierung hinaus. Im Mittelpunkt der Betreuung der Patienten
steht nach § 13 Abs 1 K. -Vertrag die ambulante Versorgung durch dreijährig ausgebildete examinierte Krankenschwestern oder
-pfleger von K ... Daneben sieht der Vertrag aber auch ärztliche Leistungen in erheblichem Umfang vor, die das Ziel einer
Verbesserung der ambulanten Betreuung verfolgen, um - so eines der Hauptziele laut Vertragspräambel - möglichst Klinikbehandlungen
zu vermeiden. Hierzu gehören Maßnahmen der "Patientensteuerung" nach § 7 des Vertrages, wozu eine eingehende Dokumentation
der krankheitsbedingten Beeinträchtigungen und des daraus folgenden Hilfebedarfs des Patienten, Informationen des Patienten
über seine Krankheitssituation und die Festlegung eines integrierten Behandlungsplans gehört. Die behandelnden Ärzte und der
G. nehmen gemäß § 8 K. -Vertrag außerdem an gemeinsamen wöchentlichen Fallkonferenzen teil (Abs 1) und sollen am Aufbau eines
Case-Managements beteiligt werden (Abs 2). Außerdem verpflichten sich die eingebundenen Leistungserbringer nach § 11 Abs 1
SIDA-Vertrag zu einer aktiven Teilnahme am Qualitätsmanagement und gemäß § 1 Abs 3 erstreckt sich die Kooperation auch auf
die Sicherstellung eines ärztlichen Bereitschaftsdienstes für die ambulante Versorgung der Patienten. Hinzu kommen flankierende
Maßnahmen wie die Einrichtung eines Arzneimittelbringdienstes nach § 12 Abs 3 K. -Vertrag und Krankenbeförderungen ohne vorherige
Genehmigung seitens der Beigeladenen zu 2. (§ 14 Abs 1 des Vertrags).
(3) Die ärztlichen Leistungen, die im Rahmen des K. -Vertrags von den teilnehmenden Ärzten erbracht werden, ersetzen aber
keine Leistungen, die bislang Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind. Dass Leistungen der integrierten Versorgung
solche der Regelversorgung ersetzen müssen, um von einem Vertrag iSd §
140a SGB V aF ausgehen zu können, hat das BSG mit überzeugender Begründung aus der Entwicklung der integrierten Versorgung zu einer zweiten Säule der Regelversorgung abgeleitet
(hierzu und zum Folgenden: BSG SozR 4-2500 § 140d Nr 1). Danach soll an die Stelle einer vom Vertragsarzt auf der Grundlage des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche
Leistungen (EBM) gegenüber der KÄV abzurechnenden ambulanten Behandlung ein einheitliches Versorgungsangebot treten können,
das insgesamt auf der Grundlage des §
140c Abs
1 SGB V nach vertraglichen Vereinbarungen vergütet wird und deshalb begrifflich wie systematisch auf dem Prinzip der Substitution
beruht. Vertragsärztliche Leistungen, die in der Regelversorgung aus der Gesamtvergütung iSd §
85 Abs
1 SGB V zu honorieren sind, werden durch Leistungen von Vertragsärzten im Rahmen eines vertraglich gesteuerten Versorgungsmanagements
ersetzt und nicht mehr aus der Gesamtvergütung, sondern ausschließlich einzelvertraglich honoriert. Ein derartiger Wettbewerb
um Versorgungsmodelle bedingt, dass Leistungen der traditionellen Versorgung durch solche der integrierten Versorgung ersetzt
werden. In Übereinstimmung damit hat §
140a Abs
1 S 2
SGB V idF des GMG vom 14. November 2003 die Regelung eingeführt, dass der Sicherstellungsauftrag nach §
75 Abs
1 SGB V eingeschränkt wird, soweit die Versorgung der Versicherten nach diesen Verträgen durchgeführt wird.
Der K. -Vertrag enthält jedoch keine Regelungen, durch die ein ärztliches Behandlungskonzept eingeführt wird, das die vertragsärztlichen
Vorgaben der §§
72 ff
SGB V ersetzt. Vielmehr regelt §
5 Abs
1 K. -Vertrag ausdrücklich: "Die Verantwortung der KVN für die Sicherstellung und Gewährleistung der vertragsärztlichen Versorgung
nach §§
73,
75 SGB V für eingeschriebene Patienten wird durch diese Vereinbarung für die integrierte Versorgung nicht berührt". Damit wird klargestellt,
dass die ärztlichen Leistungen der an der Vertragsdurchführung beteiligten Ärzte nicht nach vertragseigenen Regeln, sondern
dem Inhalt und dem Umfang nach gemäß den Regelungen der vertragsärztlichen Versorgung iSv §
73 SGB V erbracht werden sollen. Die oa zusätzlichen Aufgaben der Ärzte in Kooperation mit dem G. sind lediglich vertraglich vereinbarte
Zusatzleistungen zur Qualitätsverbesserung der Versorgung, die am vertragsärztlichen Kern der Leistungen nichts ändern. Dies
wird nachhaltig durch § 15 Abs 3 des K. -Vertrags bestätigt, wonach die Abrechnung der vertragsärztlichen Leistungen "über
EBM innerhalb des bestehenden Gesamtvertrages zwischen der AOKN und der KVN" erfolgt. Eine gesonderte Vergütung für zusätzliche
ärztliche Tätigkeiten ist im Rahmen des K. -Vertrags nicht vorgesehen (so ausdrücklich § 15 Abs 4 des Vertrags); hiervon abweichende
Vereinbarungen können gemäß § 15 Abs 5 des Vertrags allenfalls innerhalb der vertraglichen Beziehungen zwischen dem Verein
G. und den beteiligten Ärzten getroffen werden. Durch die Bezugnahme auf den EBM wird verdeutlicht, dass die dort definierten
ärztlichen Leistungen nach den im EBM enthaltenen Bewertungsvorgaben honoriert werden, und zwar aus der von der Beigeladenen
zu 2. gezahlten Gesamtvergütung (vgl die Bezugnahme auf den Gesamtvertrag in §
15 Abs
3 K. -Vertrag). §
140a Abs
1 S 2
SGB V, wonach der Sicherstellungsauftrag nach §
75 Abs
1 eingeschränkt wird, "soweit die Versicherten nach diesen Verträgen durchgeführt wird", greift mithin von vornherein nicht
ein, weil die ärztliche Versorgung der Versicherten nicht nach vertraglichen Bestimmungen, sondern nach den normativen Vorgaben
des kollektiv-vertragsarztrechtlichen Systems durchgeführt wird.
Für die hier problematische Verordnung von Arzneimitteln gilt nichts anderes. Wenn §
5 Abs
1 des Vertrags auf §
73 SGB V verweist, wird hierdurch auch die in §
73 Abs
2 Nr
7 SGB V geregelte Verordnung von Arzneimitteln als vertragsärztliche Leistung erfasst. Vorschriften, nach denen von vertragsarztrechtlichen
Regeln für die Versorgung von Arzneimitteln abgewichen werden kann, enthält der K. -Vertrag nicht. Vielmehr ergibt sich aus
dessen § 12 Abs 2, dass die Verabreichung von Arzneimitteln zwar (im Rahmen der Pflegeleistungen) durch K. erfolgt, für deren
Verordnung aber die Ärzte verantwortlich bleiben. Dabei dürfen "Arzneimittel, die entsprechend der Arzneimittel-Richtlinien
und anderer gesetzlicher Regelungen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnungsfähig sind", durch K.
nicht eingesetzt werden und bei Arzneimitteln, "die - entsprechend der Arzneimittelrichtlinien - nur bedingt verordnungsfähig
sind", erfolgt eine pharmakologische Beratung der verordnenden Ärzte durch Apotheker der Beigeladenen zu 2. (§ 12 Abs 2 S
3 und 4 K. -Vertrag). Sonderregelungen gelten gemäß § 12a des Vertrags nur für den Bezug notwendiger Medikamente, die in der
"Medikamentenaufstellung" in Anl 6 des Vertrags enthalten sind. Hierzu gehören zur Behandlung der MS zB Interferone, Glukokortikoide
und Zytostatika, nicht aber die hier umstrittenen IVIG. Nicht in der Anl 6 enthaltene Medikamente sind gemäß § 12a Abs 1 S
2 des K. -Vertrags "unter Nutzung des Musters 16" zu verordnen, dh mit dem vertragsärztlichen Rezeptformular gemäß Anl 2 zum
BMV-Ä.
Darauf, dass mithilfe des K. -Vertrags stationäre Behandlungen der MS-erkrankten Versicherten vermieden oder "ersetzt" werden,
kommt es nach den eindeutigen Darlegungen der BSG-Rechtsprechung aaO nicht an. Deren Anknüpfungspunkt ist allein das Konkurrenzverhältnis zwischen gesetzlich geregelter vertragsärztlicher
(dh: ambulanter) Versorgung und vertraglich geregelter Alternativversorgung, weil geklärt werden muss, ob die gesetzlichen
Regeln - zB über die Zahlung von Gesamtvergütungen; hier: über die Wirtschaftlichkeitsprüfung - durch Vertrag abgelöst werden
können. Die mit den K. -Verträgen 2002 und 2005 verbundene Zielsetzung, stationäre Behandlungen zu vermeiden oder zu ersetzen
und Krankenhauskosten zu reduzieren, kann deshalb als wahr unterstellt werden; den diesbezüglich gestellten Beweisanträgen
der Kläger war nicht nachzugehen.
(4) Nach alledem handelt es sich bei dem K. -Vertrag entgegen seiner Bezeichnung nicht um eine Vereinbarung der integrierten
Versorgung, sondern um eine Zusatz- (bzw Add-on-)Vereinbarung innerhalb des vertragsarztrechtlichen Leistungssystems.
3. Der folglich zuständige Beschwerdeausschuss konnte die vorliegende Einzelfallprüfung entgegen der Auffassung der Beigeladenen
zu 1. auch durchführen, ohne vorher das Einverständnis der betroffenen Versicherten über die Verwertung ihrer Gesundheitsdaten
einholen zu müssen. Die von der Beigeladenen zu 1. insoweit herangezogene Vorschrift des §
140a Abs
5 SGB V kann schon deshalb nicht einschlägig sein, weil sie erst mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) vom 16. Juli 2015
(BGBl I 1211) in Kraft getreten ist. Außerdem betrifft sie nur die Datenverarbeitung durch Vertragspartner, nicht aber durch
die (hier zuständigen) Prüfgremien. Diese sind zur Auswertung von versichertenbezogenen Daten berechtigt, die ihnen auf der
Grundlage des §
298 SGB V übermittelt worden sind (Senatsentscheidung vom 8. November 2017 - L 3 KA 80/14 - juris).
4. Die Verordnungsregresse sind auch inhaltlich zu Recht ergangen. Die Kläger durften das Präparat Octagam nicht zur Behandlung
ihrer an MS erkrankten Patienten verordnen, weil diese keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem Arzneimittel als Sachleistungen
der GKV hatten.
a) Die in der GKV versicherten Patienten haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln (§
31 Abs
1 S 1
SGB V), die sich bei ihrem Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem
im Allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (vgl §§
2 Abs
1 S 3, 12 Abs
1 SGB V). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich für Fertigarzneimittel grundsätzlich danach, ob sie nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts
(vgl §§ 21 ff Arzneimittelgesetz (AMG)) zugelassen sind (BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 17; SozR 3-2500 § 31 Nr 3 und Nr 5). Ein Arzneimittel kann aber auch dann, wenn es zum Verkehr zugelassen ist, grundsätzlich nicht zulasten der
GKV in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (BSG SozR 3-2500 § 31 Nr 8). Dies spricht zunächst gegen die Verordnungsfähigkeit des hier maßgeblichen Präparats zur Behandlung von MS. Denn Octagam
war im hier fraglichen Zeitraum nur zur Substitutionstherapie bei primären Immunmangelsyndromen, multiplem Myelom oder chronisch-lymphatischer
Leukämie bzw bei Kindern mit angeborenem AIDS und rezidivierenden schweren bakteriellen Infektionen sowie zur Immunmodulation
bei idiopathischer thrombozytopenischer Purpura, beim Guillain-Barré- und beim Kawasaki-Syndrom sowie bei allogenen Knochenmarktransplantationen
zugelassen. Dies ergibt sich aus den in der Verwaltungsakte enthaltenen und vom Beklagten zugrunde gelegten Auszügen der "Lauer-Taxe"
und der Auflistung in der von den Klägern vorgelegten Bewertung der Expertengruppe Off-Label zur Anwendung von IVIG im Anwendungsgebiet
MS vom 21. Juni 2010.
b) In Ausnahmefällen ist darüber hinaus auch die Verordnung von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten
(Off-Label-Use) möglich. Hierzu sieht die vom G-BA beschlossene Arzneimittel-Richtlinie (in der seit Mai 2009 geltenden Fassung)
unter § 30 vor, dass die Verordnung von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten zulässig ist,
wenn die Expertengruppen nach §
35b Abs
3 S 1
SGB V mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über
die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben
haben und der G-BA die Empfehlung in Anl VI Teil A der Arzneimittel-Richtlinie übernommen hat. Dies ist für den Einsatz von
IVIG zur Behandlung der MS jedoch nicht der Fall.
c) Auch nach ständiger BSG-Rechtsprechung (grundlegend die Entscheidung vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R - SozR 3-2500 § 31 Nr. 8; ferner zB SozR 4-2500 § 13 Nr 6; SozR 4-2500 § 31 Nr 19 und Nr 22; aus der Rechtsprechung des für
das Vertragsarztrecht zuständigen 6. Senats des BSG: SozR 4-2500 § 106 Nr 27, Nr 40 und Nr 48; auf diese Rechtsprechung wird in der Fußnote 2 vor § 30 Arzneimittel-Richtlinie ergänzend hingewiesen)
können Arzneimittel ausnahmsweise bei weiteren Indikationen zulasten der GKV verordnet werden, auf die sich die arzneimittelrechtliche
Zulassung nicht erstreckt. Hierfür ist vorauszusetzen, dass es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen
oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist und
aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden
kann (BSG SozR 3-2500 § 31 Nr 8).
Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht vollständig erfüllt.
aa) Dabei bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei den von den Klägern behandelten Versicherten mit schubförmiger bzw
vorherrschend schubförmiger MS um Patienten gehandelt hat, die an einer schwerwiegenden, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig
beeinträchtigenden Krankheit leiden. Zugunsten der Kläger kann auch davon ausgegangen werden, dass bei den betroffenen Patienten
keine andere Therapie verfügbar war, weil die bei MS allgemein übliche Behandlung mit Arzneimitteln wie Cortison, Interferonen
oder Natalizumab (Tysabri) nach eigenen Angaben der Kläger wegen unerwünschter Nebenwirkungen oder des Kinderwunsches einer
Patientin kontraindiziert gewesen ist.
bb) Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass aufgrund der Datenlage, die im Zeitpunkt der streitbefangenen Behandlungen
gegeben war (zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts vgl BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 3 und Nr 19), die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestand. Hiervon kann nur ausgegangen werden, wenn entweder
die Erweiterung der Zulassung im Verordnungszeitpunkt bereits beantragt war und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen
Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw einen
klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse
veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich
nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen
in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG SozR 3-2500 § 31 Nr 8). Dabei ist mittlerweile in der Rechtsprechung geklärt, dass auch die Erkenntnisse, die außerhalb eines arzneimittelrechtlichen
Zulassungsverfahrens gewonnen worden sind, denjenigen einer Phase III-Studie gleichstehen müssen (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 5 und Nr 19; SozR 4-2500 § 106 Nr 40 und Nr 47).
Solche Erkenntnisse haben aber in den Jahren 2008 und 2009 im Hinblick auf die Wirksamkeit von Octagam bei MS-Patienten nicht
vorgelegen. So ergibt sich aus der von den Klägern vorgelegten Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts ("Therapie der schubförmigen
Multiplen Sklerose mit intravenösen Immunglobulinen") aus dem Jahr 2005 (aktualisiert im Oktober 2011), dass bisher durchgeführte
Studien zu widersprüchlichen Daten geführt haben und dass daraus keine klare Aussage zur Wirksamkeit der IVIG bei der Behandlung
der schubförmigen MS abgeleitet werden kann. Eine kontrollierte, adäquat durchgeführte Phase III-Studie als Voraussetzung
für die Zulassung in der Indikation "schubförmige MS" liegt demnach - so das Resümee des Paul-Ehrlich-Instituts - weiterhin
nicht vor. Die auf der Grundlage von §
35c Abs
1 SGB V eingerichtete Expertengruppe Off-Label im Bereich Neurologie/Psychiatrie hat in seiner Stellungnahme vom 21. Juni 2010 -
ebenfalls von den Klägern im Berufungsverfahren eingeführt und veröffentlicht auf der Website des Bundesinstituts für Arzneimittel
und Medizinprodukte (BfArM) - die zum damaligen Zeitpunkt vorliegende Studienlage zum Einsatz von IVIG im Anwendungsbereich
MS ausgewertet. Danach sind große randomisierte kontrollierte Studien der Phase III (im Jahr 2010) nicht verfügbar gewesen.
Es gab lediglich zwei methodisch bewertbare Studien (von Fazekas ua und Achiron ua), die für eine Wirksamkeit von IVIG bei
schubförmiger MS gesprochen haben. Die im Jahr 2006 abgeschlossene und im Jahr 2008 veröffentliche PRIVIG-Studie war zwar
methodisch hochwertig, ergab für den Einsatz von IVIG aber keinen Vorteil gegenüber Placebo. Damit konnten keine positiven
Wirkungen von IVIG auf die verschiedenen Messparameter ermittelt werden (Stellungnahme vom 21. Juni 2010, S 36 bis 38).
Nach alledem haben in den hier entscheidenden Quartalen II/2008 bis IV/2009 keine Erkenntnisse vorgelegen, die es im Ergebnis
rechtfertigen, von der Rechtsprechung des BSG zur Verordnung von IVIG bei MS-Erkrankungen abzuweichen. Das BSG hat wiederholt (SozR 3-2500 § 31 Nr 8; SozR 4-2500 § 13 Nr 16; Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R und Urteil vom 5. Mai 2010 - B 6 KA 24/09 R, jeweils juris) dargelegt, dass die Verordnung von IVIG zur Behandlung der MS nicht die Voraussetzungen eines zulässigen
Off-Label-Use erfüllt. Angesichts der angeführten aktuellen Erkenntnislage hat die sozialgerichtliche Rechtsprechung auch
in der Folgezeit hieran festgehalten (rechtskräftiges Senatsurteil vom 13. Dezember 2017 - L 3 KA 15/15; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. November 2014 - L 11 KR 3826/14 ER-B - und Bayerisches LSG, Beschluss vom 10. September 2012 - L 5 KR 201/11, beide juris).
Hieran ändert nichts, dass die Kläger eine Reihe von Unterlagen vorgelegt haben, die die Anwendung von IVIG bei MS unter bestimmten
Voraussetzungen für sinnvoll halten (zB: Leitlinie Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose, herausgegeben von der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie, Stand 2008; Gutachten des Neurologen Dr. Kaupisch zu einem an MS erkrankten Patienten, der ebenfalls
mit einem IVIG-Präparat behandelt worden ist (ohne Datum)). Wie das BSG (SozR 4-2500 § 106 Nr 27) klargestellt hat, reicht es als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der GKV nicht aus, dass positive
Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können,
dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben
und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt
zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten.
d) Octagam war auch nicht ausnahmsweise aufgrund einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts der GKV verordnungsfähig.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG verpflichten die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art
2 Abs
2 S 1
Grundgesetz (
GG) die Gerichte in besonders gelagerten Fällen zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des
Krankenversicherungsrechts. Danach darf eine in der GKV versicherte Person, die an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig
tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, nicht von der Leistung einer bestimmten
Behandlungsmethode durch die Krankenkasse ausgeschlossen werden, wenn die Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte,
nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
verspricht (Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Eine Anwendung dieser Grundsätze kommt nach der Rechtsprechung des BSG auch bei solchen Erkrankungen in Betracht, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig
vergleichbar sind. Das kann anzunehmen sein, wenn ein nicht kompensierbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer
herausgehobenen Körperfunktion droht (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8; SozR 4-2500 § 27 Nr 16 mwN). Erforderlich ist aber stets eine notstandsähnliche Situation iS einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck
kommenden Problematik. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich
tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen
wird (BVerfG aaO). Ähnliches kann für den ggf gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen
Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten (BSG, Urteil vom 27. März 2007 aaO).
Eine solche Notlage lag aber bei den hier in Streit stehenden Versicherten, für die die Kläger Octagam verordnet haben, im
Verordnungszeitpunkt nicht vor. Das BSG hat bereits in seiner Entscheidung vom 27. März 2007 (B 1 KR 17/06 R - juris) näher dargelegt, dass die MS unstreitig zwar eine schwere Krankheit ist, aber nicht in kurzer Zeit zum Tode führt
und deshalb keine Notstandssituation iS der angeführten BVerfG-Rechtsprechung begründet. Vielmehr ist die MS durch eine chronische,
zum Teil schubartig verlaufende Progredienz gekennzeichnet, wobei es eine gezielt kausale Therapie nicht gibt, sondern nur
versucht werden kann, die Schubrate bzw die Schwere der Schübe zu vermindern bzw die Progression der Behinderung zu hemmen.
Diese Entscheidung ist vom BVerfG in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht beanstandet worden (vgl Nichtannahmebeschluss vom
30. Juni 2008 - 1 BvR 1665/07 - juris). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung - die vom BSG mit Entscheidung vom 28. Februar 2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16) bestätigt worden ist - angeschlossen (Urteile vom 24. August 2016 - L 3 KA 59/12 - und vom 13. Dezember 2017 - L 3 KA 15/15).
Besondere Umstände, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass die hier behandelten Patienten im Verordnungszeitpunkt naher
Todesgefahr ausgesetzt gewesen sind oder bei ihnen in Kürze der Verlust von Körperfunktionen gedroht haben könnte, sind nicht
geltend gemacht worden. Denn nach den Angaben der Kläger ist Octagam nicht verordnet worden, um unmittelbar drohenden schwersten
funktionellen Einwirkungen entgegenzuwirken, sondern weil der zur Schubreduktion in erster Linie indizierte Einsatz von Arzneimitteln,
die zur Behandlung der MS zugelassen sind, aus besonderen Gründen des Einzelfalls (Spritzenphobie, depressive Erkrankung,
Kinderwunsch) nicht möglich gewesen ist und deshalb die intravenöse Infusion des Immunglobulinpräparats als Reservetherapie
gewählt worden ist.
Ohne Erfolg berufen sich die Kläger schließlich auf den Beschluss des 4. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen vom 7. März 2011
(L 4 KR 48/11 B ER - juris). Wenn in dieser Eilentscheidung ausgeführt ist, dass sich die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts
der GKV nach der Rechtsprechung des BVerfG auch auf Fälle erstreckt, in denen die körperliche Unversehrtheit eines Versicherten
gefährdet ist, vermag der Senat dem nicht beizutreten. Denn dies widerspricht der oa angeführten Rechtsprechung des BVerfG
und des BSG. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass das BVerfG in einem aktuelleren Beschluss vom 10. November 2015 (1 BvR 2056/12 - SozR 4-2500 § 92 Nr 18) klargestellt hat, dass es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, die Grundsätze des Beschlusses
vom 6. Dezember 2005 auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenen
Erkrankungen vergleichbar sind, weil eine derartig großzügige Auslegung der Verfassung die sozialstaatliche Gestaltungsbefugnis
des Gesetzgebers außer Acht lassen würde. Damit trifft auch die seinerzeitige Annahme des 4. Senats nicht zu, die grundrechtsorientierte
Auslegung des GKV-Leistungsrechts sei - noch weiter gehend - auf alle Fälle auszudehnen, in denen die körperliche Unversehrtheit
des Versicherten betroffen ist.
e) Eine großzügigere Bewertung der medizinischen Erkenntnislage im Hinblick auf den therapeutischen Nutzen der Verordnung
von IVIG bei MS-Erkrankungen kommt auch nicht auf der Grundlage der BSG-Rechtsprechung zu den sogenannten Seltenheitsfällen (vgl hierzu SozR 4-2500 § 27 Nr 1) in Betracht. Die Erkrankung, zu deren Behandlung die Kläger Octagam verordnet haben, ist nicht so selten, dass sie
sich einer systematischen Erforschung und Behandlung entzöge. Dies hat das BSG in Hinblick auf die weit verbreitete MS bereits entschieden (Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R - juris).
f) Ein Anspruch auf Versorgung mit IVIG stand den Patienten der Kläger schließlich auch nicht aus §
2 Abs
1a S 1
SGB V zu, wonach Versicherten mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig
vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur
Verfügung steht, weitergehende Leistungen beanspruchen können, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung
oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Diese Vorschrift ist erst mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz
(GKVVstG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl I 2983) eingeführt worden und kann rückwirkend die vorliegende Rechtslage nicht beeinflussen.
5. Die angefochtenen Bescheide sind schließlich auch nicht nach § 42 S 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufzuheben, weil die gemäß § 24 SGB X erforderliche Anhörung der Kläger unterblieben wäre. Zu Unrecht meinen die Kläger, der Beklagte habe zunächst über seine
sachliche Zuständigkeit befinden und sodann den in den Widerspruchsbegründungen gestellten Vertagungsanträgen stattgeben müssen,
weil die Kläger aus datenschutzrechtlichen Gründen erst nach Klärung der Zuständigkeit befugt gewesen seien, patientenbezogene
Krankheitsdaten zur Begründung der Verordnungsfähigkeit von Octagam vorzutragen. Hierauf können sich die Kläger schon deshalb
nicht berufen, weil sie ausweislich der Gründe der angefochtenen Bescheide in der Sitzung vor dem Beschwerdeausschuss am 31.
Oktober 2012 an ihren Vertagungsanträgen nicht festgehalten, sondern sich auf ihren schriftlichen Vortrag bezogen haben, wozu
auch Darlegungen zum Gesundheitszustand der streitbefangenen sechs Patienten gehört haben (Schreiben an die Prüfungsstelle
Niedersachsen vom 31. August 2010 und 31. März 2011). Aus den Gründen der angefochtenen Bescheide ergibt sich ferner, dass
die Kläger bereits in der Sitzung vor dem Beschwerdeausschuss Ausführungen zum sogenannten "Nikolaus-Beschluss" des BVerfG
und der Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen sowie der zur Verordnung von IVIG bei MS bestehenden Studienlage gemacht
haben. Warum angesichts dessen der Beklagte die Entscheidung hätte vertagen müssen und welche weitergehenden Erwägungen die
Kläger in diesem Fall vorgetragen hätten, ergibt sich weder aus dem Vorbringen der Kläger noch aus sonstigen Umständen des
vorliegenden Falls. Insbesondere kann der im Berufungsverfahren vorgelegten Behandlungsdokumentation nichts entnommen werden,
was über die bisherigen Darlegungen zur Indikation von Octagam in den vorliegenden Einzelfällen hinausgeht.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs
2 SGG), sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegt keine besondere Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) vor, weil die hier maßgeblichen Fragen höchstrichterlich geklärt sind.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus der Anwendung von §
197a Abs
1 S 1 Halbs 1
SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 3 S 1 Gerichtskostengesetz (GKG).-