Zulässigkeit von Satzungsregelungen zum Beitragsausgleichsverfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Auferlegung eines Beitragszuschlages und begehrt stattdessen die Bewilligung eines Beitragsnachlasses
für das Umlagejahr 2003.
Sie ist Inhaberin eines Unternehmens, das Formschläuche markiert und schneidet und Mitglied der Beklagten ist. In der Satzung
der Beklagten ist ein Beitragsausgleichsverfahren vorgesehen, nach dem den Beitragspflichtigen nach Zahl und Schwere der im
vorhergehenden Jahr (Umlagejahr) eingetretenen anzuzeigenden Versicherungsfälle Beitragszuschläge oder -nachlässe auferlegt
bzw bewilligt werden. Die Schwere der Versicherungsfälle wird nach Messzahlen bewertet, die gestaffelt sind nach 0,01 Belastungseinheiten
(BE) für jeden zu berücksichtigenden Versicherungsfall (Falltyp 1), weiteren 0,99 BE je Fall, für den die Beklagte Zahlungen
(ohne Versichertenrente oder Gesamtvergütung) von mehr als 100 Euro geleistet hat (Falltyp 2), zuzüglich 20 BE je Fall, für
den die Beklagte Versichertenrente oder Gesamtvergütung gezahlt hat (Falltyp 3) und schließlich zuzüglich 30 BE je Fall, in
dessen Folge der Tod des Verletzten eingetreten ist (Falltyp 4). Ist ein Fall nach Falltyp Nr 1 oder 2 oder 3 berücksichtigt
worden, wird der Betrag von 100 Euro jedoch erst später überschritten oder die Versichertenrente oder Gesamtvergütung erst
später gezahlt oder tritt der Tod erst später ein, wird der Versicherungsfall danach nochmals berücksichtigt, wobei jedoch
nur die jeweils einschlägigen zuzüglichen Belastungseinheiten in die Berechnung einbezogen werden. Je nachdem, ob die auf
dieser Grundlage berechnete Belastung des Unternehmens (Eigenbelastung) die Durchschnittsbelastung aller Mitgliedsunternehmen
der Beklagten über- oder unterschreitet, wird der Normalbeitrag für das Umlagejahr ermäßigt oder erhöht, und zwar um höchstens
30 vH.
Unter Zugrundelegung dieser Regelungen legte die Beklagte der Klägerin im Rahmen der Beitragsfestsetzung für das Umlagejahr
2002 einen Zuschlag von 30 vH auf. Dabei berücksichtigte sie insgesamt acht Versicherungsfälle, darunter auch die Arbeitsunfälle
der Versicherten E., F., G. und H., die sich im Jahr 2002 ereignet, aber lediglich den Schweregrad des Falltyps 1 erreicht
hatten.
Mit dem - hier strittigen - Beitragsbescheid für 2003 vom 15. April 2004 erhöhte die Beklagte den diesbezüglichen Normalbeitrag
von 14.091,56 Euro erneut um einen Zuschlag von 30 vH (4.227,47 Euro). Auch hier waren die Unfälle der vorgenannten Versicherten
aus dem Jahr 2002 berücksichtigt, nunmehr mit einer BE von 0,99. Außerdem wurde erstmals die am 18. Dezember 2002 verunfallte
Versicherte I. mit einer BE von 1,00 und der im September 2003 verunfallte Versicherte J. - mit einer BE von 0,01 - berücksichtigt.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 26. April 2004 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie darauf hinwies, dass
sich fünf der für das Jahr 2003 in Rechnung gestellten Unfälle bereits im Jahr 2002 zugetragen hätten und deswegen auch im
Nachlass-Zuschlag-Verfahren für dieses Jahr hätten berücksichtigt werden müssen. Bei dieser Handhabung hätte der Klägerin
für 2003 aber ein Nachlass in Höhe von 30 vH gewährt werden müssen, der auch nicht durch einen höheren Zuschlag für 2002 ausgeglichen
würde, weil dies durch die Kappung auf einen Höchstbetrag von 30 vH verhindert würde.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2004 zurück. Die Satzungsregelung, wonach ein
bereits im Vorjahr berücksichtigter Arbeitsunfall erneut in Rechnung gestellt werden könne, wenn es zu einer "Verschlimmerung"
der Schwere des Falls (Wechsel des Falltyps) komme, sei sachgerecht. Insbesondere bei Versicherungsfällen, die erst im zweiten
Halbjahr eines Jahres einträten, reiche ein erheblicher Teil der Leistungserbringer seine Rechnungen erst im neuen Jahr ein,
so dass eine angemessene Beurteilung der Schwere des Falles nur möglich sei, wenn die zusätzlichen Kosten im folgenden Jahr
berücksichtigt werden könnten. Diese Regelung bewege sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (§
162 Abs
1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII)), wobei die Berufsgenossenschaften einen weiten Spielraums hinsichtlich der Gestaltung ihres Beitragsausgleichsverfahrens
hätten. Daneben könne sich der Versicherungsfall der Frau I. nicht mehr auswirken, der der Beklagten nur deshalb nicht mehr
im Jahr 2002 bekannt geworden sei, weil die Klägerin ihn nicht rechtzeitig gemeldet habe.
Am 1. Dezember 2004 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte den geänderten Beitragsbescheid für 2003 vom 1. März 2006
erlassen, nachdem sich ergeben hatte, dass die Klägerin Entgelte in zu geringer Höhe nachgewiesen hatte. Die Höhe des Gesamtbeitrages
ist hierdurch auf 21.442,21 Euro gestiegen, die des Zuschlags auf 4.244,30 Euro.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin im Wesentlichen ihre Auffassung dargestellt, die Satzung der Beklagten sei insoweit
mit höherrangigem Recht unvereinbar, als sie bestimme, dass ein Versicherungsfall nicht nur im Jahr seines Eintritts, sondern
danach nochmals bei der Durchführung des Beitragsausgleichsverfahrens in Rechnung gestellt werden könne. Eine derartige doppelte
Berücksichtigung verletze das Übermaßverbot. Die entsprechende Satzungsregelung widerspreche außerdem §
152 Abs
1 SGB VII und dem dort niedergelegten Grundsatz der Periodizität der Beitragsbemessung sowie den Verhältnissen in anderen Rechtsgebieten,
etwa im Einkommenssteuerrecht. Der Satzungsgeber hätte das Nachlass-Zuschlag-Verfahren so ausgestalten müssen, dass die Versicherungsfälle
allein in dem Umlagejahr berücksichtigt würden, in dem sie auch tatsächlich aufgetreten seien. Nur dies entspreche auch dem
mit dem Beitragsausgleichsverfahren verfolgten Präventionsgedanken. Weiterhin eröffne die vorliegende Satzungsgestaltung der
Beklagten auch die Möglichkeit, Rechnungen, die zwischen dem Jahresanfang und dem Erlasszeitpunkt des Beitragsbescheids eingereicht
worden seien, willkürlich entweder im vorangegangenen oder im aktuellen Jahr zu buchen. Richtigerweise dürften Arbeitsunfälle
innerhalb des Nachlass-Zuschlag-Verfahrens nur im ersten Kalenderjahr erfasst werden, wobei eine Prognose vorzunehmen wäre,
wie sich der Versicherungsfall voraussichtlich entwickeln werde. Schließlich habe sich der Arbeitsunfall der Versicherten
I. bereits am 18. Dezember 2002 ereignet und hätte deshalb im Berechnungsverfahren zum Jahr 2002 Berücksichtigung finden müssen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 20. Oktober 2008 (berichtigt mit Beschluss vom 14. November 2008) abgewiesen und entschieden,
dass Kosten nicht zu erstatten seien. Die von der Beklagten getroffene Satzungsregelung verstoße nicht gegen den vom Gesetzgeber
in §
162 SGB VII vorgesehenen Zweck, zumal auch eine mehrfache Berücksichtigung von Versicherungsfällen abgestaffelt nach deren Schwere erfolge.
Auch für einen Verstoß gegen das Übermaßverbot sei nichts ersichtlich. Der Umstand, dass die wiederholte Berücksichtigung
von Versicherungsfällen auch zu wiederholten Zuschlägen führe, habe nicht automatisch die Rechtswidrigkeit der Satzung zur
Folge. Denn die Beklagte habe auf die Verzögerung gemeldeter Versicherungsfälle oder vorgelegter Arztrechnungen und damit
auf nachvollziehbare und vernünftige Gründe für das durchgeführte Berechnungsverfahren verwiesen. Im Übrigen habe bereits
das Bundessozialgericht (BSG) am 16. November 2005 (Az: B 2 U 15/04 R) die für das Beitragsausgleichsverfahren in der Satzung der Beklagten getroffenen Regelungen umfassend beurteilt und insgesamt
für rechtmäßig gehalten.
Gegen das am 4. November 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28. November 2008 Berufung vor dem Landessozialgericht
(LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Sie weist auch im Berufungsverfahren darauf hin, dass die maßgebliche Vorschrift in
der Satzung der Beklagten gegen die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage des §
162 SGB VII und gegen das Übermaßverbot verstoße. Entgegen der Auffassung des SG habe das BSG auch die hier maßgeblichen Satzungsregelungen der Beklagten nicht abschließend beurteilt. Schließlich sei zu
bezweifeln, dass beispielsweise Leistungen für den Versicherungsfall G. erst im Jahr 2003 die Belastungsgrenze von 100,00
Euro überschritten hätten.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 20. Oktober 2008 aufzuheben,
2. den Bescheid der Beklagten vom 15. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2004 und des Änderungsbescheides
vom 1. März 2006 aufzuheben,
3. die Beklagte zu verurteilen, den Beitrag für das Jahr 2003 unter Berücksichtigung eines 30 %igen Nachlasses im Nachlass-Zuschlag-Verfahren
neu festzusetzen sowie die gezahlte Beitragsdifferenz in Höhe von 8.488,60 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin seien Versicherungsfälle nicht doppelt berücksichtigt worden, weil der für 2002 festgesetzte
Zuschlag nur auf den Arbeitsunfällen der Versicherten K. und L. beruhe. Nur durch die von der Klägerin angegriffene Satzungsregelung
werde gewährleistet, dass gleich schwere Versicherungsfälle im Nachlass-Zuschlag-Verfahren gleich behandelt würden. Auch das
BSG habe wiederholt Gestaltungen von Beitragsausgleichsverfahren akzeptiert, in denen Versicherungsfälle über Jahre hinweg
berücksichtigt worden seien. Die Regelung widerspreche auch nicht dem §
162 SGB VII zugrunde liegenden Zweck, die Unternehmer zu vermehrten Unfallverhütungsmaßnahmen zu motivieren; denn tatsächliche Anstrengungen
zur Unfallverhütung hätten einen längerfristigen Effekt, der über das Folgejahr hinaus gehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die der Senat gemäß §
124 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das SG Hildesheim die Klage abgewiesen.
Klagegegenstand (§
95 SGG) ist zunächst der einen Beitragszuschlag von 30 vH festsetzende Beitragsbescheid 2003 vom 15. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 10. November 2004 gewesen. Nachdem die Höhe des Beitragszuschlages im Klageverfahren durch den Bescheid vom 1. März 2006
geändert worden ist, ist auch dieser gemäß §
96 Abs
1 SGG Klagegegenstand geworden. Die hiergegen gerichtete Klage ist als Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs
1 S 1 und Abs
4 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet. Die Entscheidung der Beklagten, für das Beitragsjahr einen Beitragszuschlag in Höhe von (jetzt)
4.244,30 Euro festzusetzen, ist nicht zu beanstanden.
Formale Bedenken hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen nicht. Dies gilt auch, sofern die
Beklagte es unterlassen haben sollte, die Klägerin vor dem Erlass des neuen Bescheids vom 1. März 2006 zu der leichten Erhöhung
des Beitrags gemäß § 24 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) anzuhören. Denn dies wäre dadurch geheilt, dass die Klägerin die Möglichkeit hatte, sich hierzu im Klage- oder Berufungsverfahren
zu äußern, weil die Anhörung gemäß § 41 Abs 2 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann.
Materiellrechtliche Grundlage für die getroffene Entscheidung ist § 30 der Satzung der Beklagten vom 21. November 1997 (hier
anwendbar in der Fassung des 2. Nachtrags vom 23. November 2001). Danach werden jedem Beitragspflichtigen nach Maßgabe des
Anhangs zu dieser Vorschrift für die einzelnen Unternehmen unter Berücksichtigung der Zahl, der Schwere oder der Kosten der
anzuzeigenden Versicherungsfälle Zuschläge zum Beitrag auferlegt oder Nachlässe auf den Beitrag bewilligt. Nach Ziffer 1 des
Anhangs ist Grundlage hierfür die Zahl und die Schwere der im Umlagejahr eingetretenen anzuzeigenden Versicherungsfälle. Zur
Bemessung der Schwere werden gemäß Nr. 5 des Anhangs für jeden zu berücksichtigenden Versicherungsfall festgesetzt: - je zu
berücksichtigendem Versicherungsfall 0,01 BE (Falltyp 1), - je Fall, für den die Berufsgenossenschaft Zahlungen (ohne Versichertenrente
oder Gesamtvergütung) von mehr als 100,00 Euro geleistet hat, zzgl 0,99 BE (Falltyp 2), - je Fall, für den die Berufsgenossenschaft
Versichertenrente oder Gesamtvergütung gezahlt hat, zzgl 20 BE (Falltyp 3) und - je Fall, in dessen Folge der Tod des Verletzten
eingetreten ist, zzgl 30 BE (Falltyp 4). Ziffer 5 regelt aE weiterhin: "Ist ein Fall nach Falltyp Nr. 1 oder 2 oder 3 berücksichtigt
worden, wird jedoch der Betrag von 100,00 Euro erst später überschritten oder die Versichertenrente oder Gesamtvergütung erst
später gezahlt oder tritt der Tod erst später ein, wird der Versicherungsfall nochmals berücksichtigt, wobei jedoch nur die
jeweils einschlägigen zuzüglichen Belastungseinheiten in die Berechung einbezogen werden". In Nr 6 des Anhangs ist schließlich
der Rechenweg geregelt, der zur Bestimmung der Abweichung der Eigenbelastung des jeweiligen Unternehmens von der Durchschnittsbelastung
aller Mitgliedsunternehmen der Beklagten einzuhalten ist. Je nach Grad der Abweichung führt diese zur Ermäßigung bzw zur Erhöhung
in Höhe von 5 vH (Abweichung 10 bis 20 vH) bis 30 vH (Abweichung mehr als 75 vH).
In Übereinstimmung mit diesen Vorschriften hat die Beklagte zunächst den im Umlagejahr 2003 eingetretenen Arbeitsunfall des
Versicherten J. mit 0,01 BE in die Berechnung eingestellt, weil es sich hierbei um einen Bagatellfall (Falltyp 1) gehandelt
hat. Sodann sind auch die Versicherungsfälle der Beschäftigten G., H., F. und E. aus den Monaten Februar, Juli bzw September
2002 berücksichtigt worden. Für deren Eintritt waren bereits im Umlagejahr 2002 jeweils 0,01 BE in Ansatz gebracht worden
(Falltyp 1). Die nochmalige Berücksichtigung der Versicherungsfälle folgt aus Nr 5 aE des Anhangs, weil der Zahlungsbetrag
von mehr als 100,00 Euro (laut Falltyp 2) erst im Umlagejahr 2003 überschritten worden ist. Dies hat die Beklagte im Verlauf
des Widerspruchsverfahrens unter Angabe des jeweils entscheidenden Rechnungsdatums aus dem Jahr 2003 eingehend dargelegt (vgl
zB für die Versicherte G. Rechnung des Arztes Dr. M. über 370,89 Euro vom 15. Januar 2003). Soweit die Klägerin entsprechende
Angaben im Berufungsverfahren unsubstantiiert bestreitet, äußert sie damit bloße Vermutungen, die rechtlich unerheblich sind.
Wenn die Beklagte den Unfall der Versicherten I. vom 18. Dezember 2002 im Umlagejahr 2003 mit 1,0 BE berechnet hat, hat sie
den Vorgaben ihrer Satzung allerdings nur zum Teil entsprochen. Richtigerweise hätte sie den Versicherungsfall als solchen
mit 0,01 BE schon für das Umlagejahr 2002 berücksichtigen müssen, sodass für 2003 nur 0,99 BE hätten angesetzt werden dürfen.
Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus Nr 4 des Anhangs zu § 30 ihrer Satzung. Danach werden im Umlagejahr eingetretene anzuzeigende
Arbeitsunfälle, die der Berufsgenossenschaft bis zur Durchführung des Beitragsausgleichsverfahrens nicht bekannt geworden
sind, erst bei der Beitragsumlage berücksichtigt, die nach Kenntniserlangung der Berufsgenossenschaft vom Unfall durchgeführt
wird. Der Versicherungsfall I. ist der Bezirksverwaltung Hamburg der Beklagten - laut Schreiben der Beklagten an die Prozessbevollmächtigten
der Klägerin vom 15. Juli 2004 - aber schon am 2. Januar 2003 und damit vor der Durchführung des Beitragsausgleichsverfahrens
2002 (im Frühjahr 2003) bekannt geworden und hätte deshalb beim Beitragsausgleichsverfahren für 2002 noch berücksichtigt werden
können. Die Klägerin ist hierdurch jedoch nicht beschwert, weil sich die Differenz von 0,01 BE - wie die Beklagte im Widerspruchsbescheid
dargelegt hat - rechnerisch nicht zu ihren Ungunsten auswirkt.
Die im Anhang zu § 30 ihrer Satzung von der Beklagten getroffenen Regelungen zum Beitragsausgleichsverfahren stehen mit höherrangigem
Recht in Übereinstimmung. Dies hat das BSG mit Urteil vom 16. November 2005 (B 2 U 15/04 R - juris) mit eingehender und überzeugender Begründung entschieden. Das BSG hat insbesondere ausgeführt, dass die in der Satzung
der Beklagten normierte Bildung von Falltypen und ihrer Abstufung nach der Schwere der Versicherungsfälle von §
162 Abs
1 SGB VII als Ermächtigungsgrundlage gedeckt wird. Nach §
162 Abs
1 S 3
SGB VII bestimmt die Satzung das Nähere über die Auferlegung von Zuschlägen oder die Bewilligung von Nachlässen. Nach § 162 Abs 1
S 4 SB VII richtet sich die Höhe der Zuschläge und Nachlässe nach der Zahl, der Schwere oder den Aufwendungen für die Versicherungsfälle
oder nach mehreren dieser Merkmale. In diesem Zusammenhang hat das BSG (aaO.) an seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl Urteil
vom 11. November 2003 - B 2 U 55/02 R - juris) festgehalten, wonach §
162 SGB VII den Berufsgenossenschaften einen weiten Spielraum zur Gestaltung ihrer Beitragsausgleichsverfahren lässt, der auch die Entscheidung
umfasst, auf welche Weise Zuschläge bzw Nachlässe im Einzelnen berechnet werden.
Das BSG hat aaO. auch keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass die Satzung der Beklagten gegen Art
3 Abs
1 des Grundgesetzes (
GG) verstößt oder das Übermaßverbot verletzt. Zu diesem Punkt hat das BSG betont, dass dem Übermaßverbot dadurch hinreichend
Rechnung getragen werde, dass die Höhe des Zuschlags auf 30 vH des jeweiligen Normalbeitrags beschränkt bleibt.
Die im vorliegenden Fall als problematisch angesehene Regelung in Ziffer 5 (aE) des Anhangs, wonach ein Versicherungsfall
nochmals berücksichtigt werden kann, wenn erst in einem späteren Jahr die Voraussetzungen für einen höheren Falltyp erfüllt
sind, ist vom BSG zwar nicht geprüft worden. Auch diese Regelung steht aber in Übereinstimmung mit höherrangigem Recht.
Sie entspricht insbesondere den rechtlichen Vorgaben des §
162 Abs
1 S 4
SGB VII - Orientierung der Zuschlagshöhe an Zahl, Schwere oder Aufwendungen für die Versicherungsfälle - und des §
152 Abs
1 SGB VII, wonach die Beiträge nach Ablauf jedes Kalenderjahres erhoben werden und dabei den Bedarf dieses Jahres decken müssen. Wie
das BSG (Urteil vom 16. November 2005 aaO.) bereits dargelegt hat, hat sich die Beklagte in ihrer Satzung für eine - von ihrem
Gestaltungsspielraum gedeckte - Kombination der Bemessungsfaktoren "Aufwendungen" und "Schwere" entschieden, wenn sie die
Falltypen 1 und 2 an das Erreichen eines Zahlungsaufwandes von 100,00 Euro, die Fälle 3 und 4 dagegen an Rentenansprüche bzw
Tod des Versicherten knüpft. Dabei bildet letztlich auch die "Schwere"-Kategorie der Falltypen 3 und 4 in stark pauschalierter
Form den mit dem Eintritt eines Versicherungsfalls einhergehenden finanziellen Aufwand der Berufsgenossenschaft ab. Ist der
finanzielle Aufwand für einen Versicherungsfall entscheidend für die Auferlegung von Zuschlägen, liegt es angesichts der Anknüpfung
an den jährlich abzugeltenden Bedarf aber nahe, auch den Aufwand zu berücksichtigen, den ein Versicherungsfall in mehreren
Jahren verursacht. Denn nur so werden der tatsächliche Aufwand und die wirkliche Schwere des Versicherungsfalls zutreffend
und nicht nur ausschnittsweise erfasst. Die Rechtmäßigkeit von Regelungen, die einen Versicherungsfall in Hinblick hierauf
wiederholt im Beitragsausgleichsverfahren ansetzen, ist demgemäß auch geklärt. Das BSG hat dies wiederholt nicht beanstandet
(SozR 2200 § 725 Nr 7 und Nr 10). Auch im Schrifttum ist anerkannt, dass die berücksichtigten Aufwendungen auf einen bestimmten
Zeitraum bezogen werden müssen und deshalb die wiederholte Inrechnungstellung eines Versicherungsfalles möglich ist (Platz
in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Unfallversicherung, § 58 Rn 75; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung,
Stand: Juli 2010, §
162 Anm 7.3; Burchardt in: Becker ua,
SGB VII - Komm, Stand: Januar 2010, §
162 Rn 46; Höller in: Hauck,
SGB VII, Stand: Mai 2010, §
162 Rn 15; Ricke in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: April 2010, § 162 Rn 18).
Allerdings halten alle oa Stimmen im Schrifttum (vgl jeweils aaO.) eine Beschränkung des zeitlichen Bewertungsmaßstabes auf
zwei Jahre für tunlich. Auch das BSG (Soz 2200 § 725 Nr 7) hat eine Beschränkung auf "zwei Jahre nach dem Unfalltag" für erwägenswert
gehalten. Sachliche Rechtfertigung hierfür ist der Zweck des Zuschlag-Nachlass-Verfahrens, mit Mitteln des Beitragsrechts
positive Anreize für eine verstärkte Unfallverhütung durch den Unternehmer in seinen Betrieben zu bewirken (BSG, Urteil vom
16. November 2005 - B 2 U 15/04 R - juris, mwN). Dieser Effekt wird aber nur eintreten, wenn sich eine verstärkte Prophylaxe auch in absehbarer Zeit positiv
für den Unternehmer auswirkt, während der beabsichtigte Anreiz leer laufen würde, wenn trotz verstärkter Bemühungen um eine
größere Arbeitssicherheit Versicherungsfälle aus der Vergangenheit zu erheblich später verhängten Beitragszuschlägen führen
würden. Dieser Gesichtspunkt, auf den auch die Klägerin hinweist, hat zur Konsequenz, dass Nr 5 aE des Anhangs zu §
30 in der Satzung der Beklagten insoweit von §
162 Abs
1 SGB VII nicht gedeckt ist, soweit die Vorschrift zB ermöglicht, dass mehrere Jahre nach einem Arbeitsunfall oder dem Auftreten einer
BK der als Spätfolge eintretende Tod des Versicherten noch zu einem Beitragszuschlag führt. Dies hat indes im vorliegenden
Fall nicht die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide zur Folge, weil ersichtlich Unfälle nur für zwei aufeinander folgende
Jahre in Rechnung gestellt worden sind.
Wenn die Klägerin daran festhält, dass ein Arbeitsunfall nur im Jahr des Unfallereignisses für die Berechnung von Zuschlägen
oder Nachlässen herangezogen werden dürfe, verkennt sie die Regelung des §
162 Abs
1 S 4
SGB VII und den hieran anknüpfenden Gestaltungsspielraum der Beklagten als Satzungsgeberin. Denn sie misst im Ergebnis dem Bewertungspunkt
"Zahl der Versicherungsfälle" eine vor allen anderen Punkten liegende Bedeutung zu, die ihm - wie dargelegt - nicht zukommt.
Im Übrigen haben bereits die Beklagte und das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass eine nur einmalige Berücksichtigung des Versicherungsfalles im Jahr des Eintritts dazu
führen würde, dass Aufwand bzw Schwere des Versicherungsfalles bei verspäteter Meldung bzw verzögert vorgelegten Rechnungen
nicht berücksichtigt werden könnten. Die von der Klägerin demgegenüber favorisierte Prognose-Entscheidung im Jahr des Versicherungsfalles
wäre dagegen mit dem Risiko erheblicher Fehleinschätzungen behaftet. In diesem Zusammenhang hat bereits das SG zu Recht ausgeführt, dass es nicht Aufgabe der Gerichte ist zu prüfen, ob es im Vergleich zur hier vorgenommenen Berechnungsweise
noch eine gerechtere Lösung zugunsten der Klägerin geben könnte.
Schließlich verletzt Ziffer 5 aE auch nicht das Übermaßverbot (etwa im Zusammenhang mit Art
12 oder 14
GG), welches verlangt, dass ein Eingriff in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung der jeweiligen Grundrechts
steht, in das eingegriffen wird (BSG, Urteil vom 16. November 2005 aaO. unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
BVerfGE 67, 157, 173). Zwar wäre es nur zu einem Beitragszuschlag im Jahr 2002 gekommen, wenn die Arbeitsunfälle der Versicherten G., H.,
F. und E. allein in diesem Umlagejahr berücksichtigt worden wären, während die Klägerin im Jahr 2003 von einem Beitragsnachlass
hätte profitieren können. Es ist jedoch nicht ersichtlich und wird auch nicht näher dargelegt, warum die Belegung mit Beitragszuschlägen
in zwei aufeinander folgenden Jahren mit unverhältnismäßigen Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit oder die Eigentumsrechte
der Klägerin verbunden sein sollten, die durch den Zweck der Regelung nicht gerechtfertigt wären. Dies gilt umso mehr, als
die Satzung die Höchstbelastung auf 30 vH des Normalbeitrags beschränkt hat. Hierzu hat das BSG (aaO.) ausgeführt, dass es
im Ermessen der Vertreterversammlung der Berufsgenossenschaft liegt, entsprechende Grenzen nach oben bzw nach unten zu regeln,
wobei sich diese nicht einheitlich fixieren ließen, weil sie wesentlich von den berufsgenossenschaftlichen Mitgliederstrukturen
bestimmt seien.
Ist die Festsetzung des Beitragszuschlags in den angefochtenen Bescheiden nach alledem rechtmäßig, kann die Klägerin auch
die beantragte Erstattung von 8.488,60 Euro nicht beanspruchen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm §
154 Abs
1 und
2 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Dabei war die Kostenentscheidung des erstinstanzlichen Urteils zu Lasten der Klägerin zu berichtigen, weil dort nur über
die Erstattung von Kosten, nicht aber über die Tragung von Gerichtskosten entschieden worden war. Das Verbot der Verböserung
gilt im Bereich der Kostengrundentscheidung nicht (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 6 mwN).
Gründe:
Die Bemessung des Streitwertes beruht auf §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm §§ 47 Abs 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG).