Stationäre Liposuktionsbehandlung
Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative
Zweckmäßigkeit der Therapie
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein der Klägerin eine stationäre Liposuktionsbehandlung zusprechendes Urteil.
Mit ihrer Anschlussberufung begehrt die Klägerin Kostenerstattung für den Teil der stationären Liposuktionsbehandlung, den
sie sich auf eigene Kosten beschafft hat.
Die am 25. Juli 1967 geborene Klägerin leidet seit Beginn der 90er Jahre an geschwollenen Beinen. Neben Übergewicht und einer
mehrfach operierten Hüftdysplasie leidet sie an den Beinen an einer deutlichen disproportionierten Fettverteilungsstörung
mit Betonung der ventralen Oberschenkel und der medialen Knieregion. Es liegen Lipödeme an den Oberschenkeln und unterhalb
des Knies vor. Sie leidet an Schmerzen, an einem andauernden Druckgefühl und gehäuft spontan auftretenden Blutergüssen. Ihre
Beweglichkeit beim Gehen ist eingeschränkt.
Nachdem die Klägerin Lymphdrainagetherapien ohne Befundverbesserung in Anspruch genommen hatte und zwischenzeitlich medizinische
Kompressionsstrümpfe bzw eine Kompressionsstrumpfhose getragen hatte, stellte sie sich in der J. vor.
Am 7. Juni 2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage einer Stellungnahme von Prof. Dr. K. der L. vom 16.
Dezember 2008 die Kostenübernahme für eine Liposuktionsbehandlung der Oberschenkel und der Knie beidseits. Prof. K. führte
hierbei aus, dass neben einer durch Diäten und Sport zu behandelnden Adipositas ein initiales Lipödem der Beine auf dem Boden
einer Lipohypertrophie bestehe, wobei die Fettreduktion bezüglich dieser Fettzellen durch Kalorienreduktion nicht zu erreichen
sei. Bezüglich der krankhaften Fettvermehrung ließen sich durch konservative Maßnahmen keine Verbesserungen erzielen, weshalb
entsprechend der aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie für das Lipödem eine Liposuktion sinnvoll
sei.
In einem von der Beklagten veranlassten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) führte die Ärztin
Dr. M. am 27. Juli 2009 aus, dass nicht lediglich eine klassische disproportionierte verteilte Lipohypertrophie, sondern auch
eine Adipositas bestehe. Eine Liposuktion käme als ultima ratio bei praktisch therapieresistentem Lipödem in Einzelfällen
in Frage. Sie sei vorliegend jedoch nicht ausreichend medizinisch indiziert. Konservative Behandlungsmaßnahmen seien zu intensivieren
mit vor allem einer Gewichtsreduktion.
Mit Bescheid vom 18. August 2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie aus, dass konservative
Behandlungsmaßnahmen nicht ausgeschöpft seien. Es solle eine Gewichtsreduktion auf einen Body-Maß-Index (BMI) zumindest unter
30 kg/m² erfolgen. Darüber hinaus handele es sich bei der L. nicht um ein zugelassenes Vertragskrankenhaus, sondern um eine
Privatklinik.
Die Klägerin erhob am 16. September 2009 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass alle möglichen konservativen Behandlungsmaßnahmen
ausgeschöpft seien. Diverse Diäten auf ernährungsbewusster Grundlage sowie diverse kranken- und bewegungstherapeutischer Maßnahmen
hätten keinen Erfolg gezeigt. Vielmehr sei es zu weiteren Gewichtszunahmen gekommen trotz Einhaltung der Ernährungsumstellung.
Eine Liposuktion sei dringend erforderlich. Zur weiteren Begründung legte sie eine Stellungnahme von Prof. Dr. N. (Chefarzt
der orthopädischen Klinik O.) vor, in der dieser ausführte, dass Lymphdrainagen ohne Erfolg durchgeführt worden seien, sodass
eine operative Maßnahme der Liposuktion zur Entlastung der Gelenke erforderlich sei. Insbesondere für das linke Hüftgelenk
sei eine Gewichtsreduktion dringend erforderlich, da sich auch hier eine entsprechende Arthrose zeige. Gleiches gelte für
die Kniegelenke und für den Lendenwirbelsäulenbereich.
In einem weiteren Gutachten führte der MDK durch Dr. M. am 19. März 2010 aus, dass die angestrebte Liposuktion für eine nennenswerte
Verminderung des Körpergewichts nicht sachdienlich sei. Es erhärte sich der Verdacht, dass ein verfehltes Verfahren zur Gewichtsreduktion
gesucht würde. Dies sei durch eine Veränderung der Nahrungsaufnahme-/Verbrennungsbilanz vorzunehmen. Klassische Beschwerden
eines veritablen Lipödems würden vorliegend nicht geklagt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass
der MDK zu dem Ergebnis gelangt sei, dass eine Liposuktion noch nicht ausreichend indiziert sei. Ambulante konservative Behandlungsmethoden
seien zu intensivieren und eine Gewichtsreduktion auf einen BMI von mindestens unter 30 anzustreben. Es empfehle sich eine
konsequente längerfristige Ernährungsberatung und die Aufnahme eines konservativen Bewegungstrainings.
Am 16. September 2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sich insbesondere aus der Stellungnahme
von Prof. Dr. P. ergebe, dass die Erforderlichkeit einer kurzfristigen stationären Behandlung mit Liposuktion gegeben sei.
Krankengymnastische Übungsbehandlung, Massage und Lymphdrainagen seien rezeptiert worden. Sie hätten jedoch nicht zu einer
gesundheitsverbessernden Situation geführt und würden dies zukünftig auch nicht. Einzig die Abtragung des Lipödems durch eine
Operation im Wege der stationären Behandlung sei die ausreichende, zweckmäßige und notwendige Behandlung des im Übrigen therapieresistenten
Lipödems. Es sei unzutreffend, dass das Lipödem mit einer Gewichtsreduktion durch Ernährungsumstellung und vermehrte körperliche
Aktivität therapiert werden könne. Die Maßnahme der Ernährungsumstellung sei von der Klägerin hinreichend angewandt worden,
habe jedoch nicht zu dem medizinisch gewünschten Ergebnis geführt. Körperliche Bewegung werde von der Klägerin im Rahmen der
ihr aufgrund der enormen orthopädischen Probleme verbleibenden, geringen Möglichkeiten kontinuierlich praktiziert, ohne dass
sich jedoch ein Erfolg bezüglich des Lipödems abzeichne. Das durch das SG eingeholte Sachverständigengutachten vom 25. August 2011 bestätige die Auffassung der Klägerin, wonach die operative Methode
der Liposuktion nachweislich die einzige Behandlungsmethode zur Erzielung einer anhaltenden Befundverbesserung sei. Insbesondere
wirkten Kompressionen und manuelle, entstauende Maßnahmen lediglich symptomatisch, allerdings nicht heilend. Die seit vier
Jahren durch die Klägerin getragenen Kompressionsstrümpfe bzw. Kompressionsstrumpfhose hätten allein eine geringgradige Besserung
im Bereich der Symptomatik mit sich gebracht. Ausweislich der Ausführungen der Sachverständigen und aufgrund des ausgeprägten
Befundes sei auch die Notwendigkeit für eine stationäre Behandlung im Krankenhaus gegeben.
Die Beklagte hat im Verfahren vor dem SG geltend gemacht, dass die Sachverständige zwar zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die Rückbildung der Lipödeme durch Kompressionen
oder Lymphdrainagen nicht möglich sei und eine operative Liposuktion als einzige Behandlungsmethode anzusehen sei. Allerdings
bedürfe die Liposuktion keiner Krankenhausbehandlung. Sie sei grundsätzlich ambulant durchführbar. Der überweisende behandelnde
Arzt der Klägerin habe keine stationäre Krankenhausbehandlung verordnet, weshalb davon auszugehen sei, dass sie nicht medizinisch
notwendig sei. Eine ambulant durchgeführte Liposuktion sei nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Dezember 2008 zum Az.: B 1 KR 11/08 nicht vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst. Darüber
hinaus handele es sich bei der L. um kein Vertragskrankenhaus i.S.d. §
108 SGB V, weshalb eine Leistungsmöglichkeit nicht gegeben sei. Darüber hinaus sei auf Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg
hinzuweisen, wonach die Methode einer Liposuktion eine noch nicht evidenzbasierte Therapieoption zur Behandlung eines Lipödems
sei.
Mit Urteil vom 24. September 2013 hat das SG nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens bei Frau PD Dr. Q. (Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten)
vom 25. August 2011 die Beklagte verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 18. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 17. August 2010 die Kosten einer stationären Liposuktionsbehandlung an den Oberschenkeln und den Knien der Klägerin in
einem zugelassenen Krankenhaus zu übernehmen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass bei der Klägerin eine Krankheit i.S.d.
§
27 Abs
1 S 1
SGB V durch das Lipödem auf dem Boden einer Hypertrophie vorliege. Auch der MDK gehe hiervon aus. Ein operativer Eingriff sei nach
den überzeugenden Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. Q. medizinisch erforderlich. Nachvollziehbar habe
sie ausgeführt, dass alle milderen Mittel ausgeschöpft seien. Die komplexe physikalische Entstauung habe keine Besserung bewirkt.
Das Tragen von Kompressionsstrümpfen über einen erheblichen Zeitraum habe nicht zu positiven Veränderungen geführt. Auch liege
die Erforderlichkeit für eine stationäre Krankenhausbehandlung vor. Dies ergebe sich aus den Ausführungen der medizinischen
Sachverständigen. In ihren Stellungnahmen vom 27. Juli 2012 und 27. Dezember 2012 sei sie zum Ergebnis gelangt, dass aufgrund
der großen Flüssigkeitsmengen, die im Verlauf der Operation ausgetauscht würden, erhebliche Kreislaufprobleme auftreten könnten
und insbesondere die postoperative Überwachung von der Menge des abgesaugten Fettes abhänge. Soweit es sich bei der Liposuktion
zur Behandlung des Lipödems um eine noch nicht etablierte Untersuchungs- und Behandlungsmethode handele, stehe dies einem
Leistungsanspruch der Klägerin nicht entgegen. Im Falle stationärer Behandlung bedürfe es - im Gegensatz zur ambulanten Behandlung
- gem. §
137c SGB V keiner positiven Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA).
Mit ihrer am 28. Oktober 2013 gegen das am 7. Oktober 2013 zugestellte Urteil eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend,
dass weder im Vorverfahren noch im Klageverfahren durch die Klägerin belegt worden sei, dass die Bewilligungsvoraussetzungen
für die streitige Leistung vorlägen. Sofern das SG davon ausginge, dass für eine stationäre Liposuktion eine positive Empfehlung des GBA entbehrlich sei, werde dieser Auffassung
nicht gefolgt. Die Behandlung des Lipödems durch Liposuktion entspräche bereits ganz grundlegend nicht den erforderlichen
Qualitätsanforderungen, die an eine zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchzuführende Behandlungsmethode zu stellen
sei. Es sei auch durch das gerichtliche Sachverständigengutachten nicht ausreichend belegt, dass konservative Behandlungsmöglichkeiten
ausgeschöpft seien. Aus dem bisherigen Vorbringen der Klägerin ergebe sich nicht, dass in Bezug auf das Lipödem eine konsequente
fachärztliche ambulante Behandlung durchgeführt worden sei. Die im Januar 2011 zu Gericht eingereichte Therapeutenliste weise
(nur) eine ambulante Behandlung der Klägerin durch den Hausarzt Dr. R. auf. Die Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung
werde durch das gerichtliche Gutachten ebenfalls nicht bestätigt. Ganz allgemein sei zum Aussagewert eines Gutachtens zu bemerken,
dass es nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben dürfe, wenn sich ein Gutachter zur Notwendigkeit einer (stationären) Behandlung
wegen eines Lipödems äußere, der an der Durchführung der Liposuktion - und insbesondere an der Verpflichtung der gesetzlichen
Krankenkassen zur Übernahme der hierbei anfallenden Kosten - ggfs. ein nicht unerhebliches wirtschaftliches Interesse habe,
weil er bzw. seine jeweilige Klinik diese Leistung erbringe. Die Antworten der medizinischen Sachverständigen seien nicht
mit einer ausreichenden medizinisch wissenschaftlichen Begründung versehen. Auch würden die anamnestisch beschriebenen Schmerzen
der Klägerin erwähnt, ohne im Einzelnen eine genaue Lokalisation anzugeben. Darüber hinaus könne die medizinische Sachverständige
die Frage, ob ambulante Behandlungsmöglichkeiten tatsächlich ausgeschöpft seien, nicht verlässlich beurteilen, ohne Einsicht
in die den Heilmittelverordnungen zugrundeliegenden Therapieberichte zu nehmen.
Die Klägerin sich hat am 7. November 2014 die begehrte Liposuktionsbehandlung teilweise (an den Oberschenkeln vorne) in der
S. GmbH, T., U. selbst beschafft. Die Klinik hat der Klägerin gegenüber bezüglich der Operation eine Rechnung in Höhe von
2.720,00 Euro gestellt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. September 2013 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 18. August 2009
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2010 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 18. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2010 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, die Kosten der stationären Liposuktionsbehandlung an den Oberschenkeln und den Knien der Klägerin in einem zugelassenen
Krankenhaus zu übernehmen und die bereits angefallenen Kosten der S. GmbH in Höhe von 2.720,00 Euro (Rechnung vom 07.11.2014
zur Rechnungsnummer R 037074) an die Klägerin zu zahlen.
Sowohl die vom SG bestellte Sachverständige Dr. Q. als auch der von der Beklagten beauftragte MDK hätten die Diagnose eines Lipödems auf dem
Boden einer Lipohypertrophie gestellt. Hieraus sei eine Behandlungsbedürftigkeit abzuleiten, die nur in Form eines operativen
Eingriffs erfolgversprechend bestehe. Konservative Behandlungsmöglichkeiten bestünden nicht. Die Klägerin habe vier Jahre
eine KPE erhalten und regelmäßig Kompressionsstrümpfe bzw. Kompressionsstrumpfhosen getragen, wobei die Behandlung ohne Erfolg
geblieben sei. Einzige konservative Maßnahme, die noch nicht durchgeführt worden sei, sei ein Aufenthalt in einer lymphologischen
Fachklinik. Ein solcher Aufenthalt sei allerdings aufgrund der Erkrankung des Lipödems ohne manifestes sekundäres Lymphödem
nicht zielführend. Die medizinische Sachverständige habe überzeugend ausgeführt, dass eine stationäre Krankhausbehandlung
erforderlich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte
der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht erhoben und damit zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet (dazu unter
1.). Der Antrag der Klägerin ist, soweit er sich auf die Kostenerstattung bezüglich der selbst beschafften Operation bezieht,
als Anschlussberufung auszulegen. Diese ist gemäß §
202 SGG in Verbindung mit §
524 Zivilprozessordnung (
ZPO) zulässig, jedoch nicht begründet (dazu unter 2.).
1. Die Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. September 2013 ist rechtmäßig. Zu Recht hat
das SG die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2010
verurteilt, der Klägerin eine Liposuktionsbehandlung in stationärer Krankenhausbehandlung in einem zugelassenen Krankenhaus
zu verschaffen.
Das SG hat die richtigen Rechtsgrundlagen herangezogen und ist zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen. Der Senat nimmt gem. §
153 Abs.
2 SGG Bezug auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils des SG Hannover.
Sofern die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung vom 14. Februar 2014 moniert, dass im Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen
anamnestisch Schmerzen der Klägerin beschrieben worden seien, ohne hierzu jeweils im Einzelnen eine genaue Lokalisation anzugeben,
und damit andeutet, dass dem Lipödem im vorliegenden Fall der Charakter einer behandlungsbedürftigen Krankheit fehlt, folgt
der Senat dieser Kritik nicht. Frau M. vom MDK ging bereits in ihrer Stellungnahme vom 27. Juli 2009 (Bl. 18 VA) davon aus,
dass es sich um ein behandlungsbedürftiges Lipödem handelt. Auch folgt der Senat der Kritik der Beklagten am Gutachten von
Frau Dr. Q. nicht, dass diese das Ausschöpfen konservativer Therapiemöglichkeiten ohne Einsicht in Therapieberichte zu Verordnungen
von Heilmitteln nicht einschätzen könne (Bl 115 GA). Die gerichtliche Sachverständige Dr. Q. hat die Klägerin ausführlich
untersucht und kommt für den Senat überzeugend zur Auffassung, dass konservative Therapiemöglichkeiten durch Kompression oder
Lymphdrainage nicht möglich ist.
Ferner teilt der Senat die Auffassung der Beklagten, dass eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit nicht vorliege, nicht.
Zwar trifft es zu, dass die gerichtliche Sachverständige auf die Frage, ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen
Gründen erforderlich sei, zunächst allein ausgeführt hatte, dass dies zu empfehlen sei. Auf Nachfrage des SG hat sie jedoch schließlich mit ergänzender Stellungnahme vom 30. April 2013 (Bl. 77 GA) ausgeführt, dass im Fall der Klägerin
die postoperative stationäre Überwachung für mindestens eine Nacht medizinisch notwendig sei. Erklärend hat sie dieser Einschätzung
vorangestellt, dass aufgrund der großen Flüssigkeitsverschiebungen nach Liposuktion regelmäßige medizinische Kontrollen der
Vitalfunktionen erforderlich seien und dass dies nur unter stationären Bedingungen gewährleistet sei. Dies überzeugt den Senat
vollständig.
Auch die allgemeine sinngemäße Kritik der Beklagten, dass der Aussagewert des Gutachtens der gerichtlichen Sachverständigen
begrenzt sei, weil diese als Krankenhausärztin bezüglich der Frage der medizinischen Notwendigkeit stationärer Krankenhausbehandlung
voreingenommen sei (Bl. 115 GA), überzeugt den Senat nicht. Zum einen war hierin kein gegen die konkrete medizinische Sachverständige
gerichteter Befangenheitsantrag zu erblicken. Zum anderen sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Sachverständige
voreingenommene Bewertungen abgegeben hat. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine medizinische Sachverständige sich über
Behandlungen äußert, die sie grundsätzlich auch selbst durchführt. Dies schmälert die Aussagekraft eines Sachverständigengutachtens
nicht. Vielmehr stärkt es die Überzeugungskraft eines Sachverständigengutachtens, wenn die Sachverständige über eigene Erfahrung
auf dem zu begutachtenden medizinischen Gebiet verfügt.
Der Anspruch der Klägerin auf Durchführung einer Liposuktionsbehandlung in stationärer Krankenhausbehandlung scheitert auch
nicht daran, dass es sich um eine noch nicht etablierte Behandlungsmethode handelt, bezüglich derer noch Forschungsbedarf
besteht.
Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht uneingeschränkt und unkontrolliert
zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen sind. Jedoch ist hierbei zwischen neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung einerseits (§
135 SGB V) und neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus andererseits (§
137c SGB V) zu unterscheiden. Während das Gesetz für die vertragsärztliche Versorgung ein generelles Verbot mit Erlaubnisvorbehalt festlegt,
ergibt sich für die Krankenhausbehandlung gem. §
137c SGB V eine generelle Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. So überprüft der GBA gem. §
137c Abs.
1 S. 1
SGB V auf Antrag des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft oder eines Bundesverbandes
der Krankenhausträger Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen einer
Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen, daraufhin, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige
und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen
Erkenntnisse erforderlich sind. Gem. §
137c Abs.
1 S. 2
SGB V erlässt der GBA eine Richtlinie, wonach die Methode im Rahmen einer Krankenhausbehandlung nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen
erbracht werden darf, wenn die Überprüfung ergibt, dass der Nutzen einer Methode nicht hinreichend belegt ist und sie nicht
das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, insbesondere weil sie schädlich oder unwirksam ist.
Hieraus ergibt sich zwar nicht, dass jedwede Behandlung ohne Erfolgsaussicht und ohne qualitative Prüfung im Krankenhaus zu
Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden darf, solange, wie im vorliegenden Fall, bezüglich der begehrten
Behandlungsmethode kein Negativvotum des GBA vorliegt. Allerdings ergibt sich der Anspruch der Klägerin aus §
137c Abs.
3 SGB V i.d.F. des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz -
GKV-VSG) vom 16. Juli 2015 (BGBl I, S. 1211 f). Danach dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Entscheidung nach Abs. 1 getroffen
hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative
bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig
ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Abs. 1 S. 1 gestellt wurde, als auch für Methoden, deren
Bewertung nach Abs. 1 noch nicht abgeschlossen ist.
Der GBA hat in seiner Sitzung vom 22. Mai 2014 den Beschluss über die Einleitung des Beratungsverfahrens der Bewertung der
Liposuktion bei Lipödem gem. §§
135 Abs.
1 und
137c SGB V gefasst. Das Verfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Nach Auffassung des Senats hat die Liposuktion bei Lipödem das
Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative. Das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative mag noch
nicht erreicht sein, wenn, wie im Falle von §
2 Abs.
1a S. 1
SGB V, nur eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
besteht. Allerdings ist nach Auffassung des Senates auch nicht erforderlich, dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute
(Ärzte, Wissenschaftlicher) die Behandlungsmethode befürwortet, und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen
abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht (so BSG, Urteil vom 21. März 2013, B 3 KR 2/12 R, Rn. 12, zitiert nach juris zur vor dem 23. Juli 2015 geltenden Fassung des §
137c SGB V vor Einfügung des hier angewandten Abs.
3). Denn das Gesetz setzt in §
137c Abs.
3 SGB V mit dem Begriff "Potential" die Anforderungen an die geforderte Evidenz im Rahmen des Qualitätsgebots im Sinne des §
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V herab (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. November 2015, L 11 KR 1116/12, Rn. 62, zitiert nach juris).
Aus Sicht des Senates ist ausreichend, dass die Liposuktion als Behandlungsmethode für das Lipödem als Therapiemaßnahmevorschlag
Eingang in die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie e.V. erstellte S1-Leitlinie zum Lipödem gefunden
hat. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die S1-Leitlinie im dreistufigen Prozess (von S1 bis S3) der Entwicklung von Leitlinien
die geringste medizinwissenschaftliche Aussagekraft hat. Gleichwohl handelt es sich bei einer S1-Leitlinie um eine Empfehlung,
die vom Vorstand der Fachgesellschaft verabschiedet wird, die von einer repräsentativ zusammengesetzten Expertengruppe der
Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaft im informellen Konsens erarbeitet worden ist (http://www.awmf.org/fileadmin/user
upload/Leitlinien/Werkzeuge/Publikationen/methoden.pdf, aufgerufen am 24. März 2016). Sie geht damit in ihrer Überzeugungskraft
über eine bloße persönliche Überzeugung eines einzelnen Behandlers hinaus und rechtfertigt die Annahme, dass die vorgeschlagene
Behandlung das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ohne dass hierüber Gewissheit besteht. Letzteres
ist nicht erforderlich.
Bei dieser Entscheidung musste sich der Senat nicht mit der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung des Landessozialgerichts
Baden-Württemberg oder der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Sachsen vom 16. Januar 2014, L 1 KR 229/10, der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Hessen vom 29. Januar 2015, L 8 KR 339/11 oder der Rechtsprechung des BSG, a.a.O. auseinandersetzen. Diese Entscheidungen, in denen ein höherer Grad an Belastbarkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse
der Methode gefordert worden ist, ergingen sämtlich vor Inkrafttreten des hier angewandten § 137c Abs. 3 i.d.F. vom 23. Juli
2015. Der Senat sieht sich hier durch den Willen des Gesetzgebers bestärkt, der in seiner Gesetzesbegründung explizit ausgeführt
hat, dass die Regelung des § 137c Abs. 3 den Umfang der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt konkretisiere und damit die Teilhabe
der Versicherten am medizinischen Fortschritt gewährleiste (BT-Dr. 18/5123, S. 135). Der Gesetzgeber hat ferner in der Gesetzesbegründung
ausgeführt, dass der bestehende Wertungswiderspruch in der Gesetzesauslegung in der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung
(unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 21. März 2013, B 3 KR 2/12 R), wonach jede einzelne Krankenkasse einem Versicherten die Kostenübernahme für eine Methode mit Potential als erforderliche
Behandlungsalternative verwehren könne, während der GBA die gleiche Methode nicht unmittelbar nach § 137c Abs. 1 aus der Versorgung
ausschließen dürfe, aufgehoben werde (BT-Dr. a.a.O.). Der Gesetzgeber wollte §
137c SGB V nach Auffassung des Senates durch seine Gesetzesänderung dahingehend klarstellen, dass bei Behandlung im Krankenhaus unter
Anwendung von §
137 c SGB V ein deutlich großzügigerer Maßstab -wie noch vom BSG in der Entscheidung vom 19. Februar 2003 zum Az.: B 1 KR 1/02 R vertreten- gelten solle, als in der vertragsärztlichen Versorgung unter Berücksichtigung von §
135 SGB V.
2. Die Anschlussberufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die selbst beschaffte
(teilweise) Liposuktionsbehandlung durch die Beklagte. Anspruchsgrundlage für die Kostenerstattung ist grundsätzlich §
13 Abs.
3 Satz 1 Alt. 2
SGB V. Hat die Krankenkasse danach eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung
Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu
den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl.
BSG, Urteil vom 12. September 2015, B 1 KR 15/14 R, Rn. 8). Die Krankenkassen dürfen gemäß §
108 SGB V Krankenhausbehandlung nur durch folgende Krankenhäuser (zugelassene Krankenhäuser) erbringen lassen: 1. Krankenhäuser, die
nach den landesrechtlichen Vorschriften als Hochschulklinik anerkannt sind, 2. Krankenhäuser, die in den Krankenhausplan eines
Landes aufgenommen sind (Plankrankenhäuser), oder
3. Krankenhäuser, die einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen
abgeschlossen haben. Die von der Klägerin gewählte S. GmbH in V. unterfällt keiner dieser Kategorien. Die Klägerin hat deshalb
keinen Anspruch auf Erbringung der Liposuktionsoperation in diesem Krankenhaus. Dementsprechend hat sie im Einklang mit der
oben zitierten Rechtsprechung, die sich der Senat zu eigen macht, keinen Anspruch auf Erstattung der verauslagten Kosten.
3. Die Kostenentscheidung ergeht gem. §
193 Abs.
1 SGG. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrer Anschlussberufung zwar unterlegen ist, der größere Teil
der begehrten Operation jedoch noch aussteht (in einem zugelassenen Krankenhaus).
4. Die Revision wird zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).