Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung höherer Leistungen nach dem
AsylbLG.
Der 1997 geborene Antragsteller ist liberianischer Staatsangehöriger. Er reiste am 5.11.2017 nach Deutschland ein und stellte
hier einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 25.1.2018 ablehnte. Er wurde
Anfang Februar 2018 dem Antragsgegner zugewiesen und in einer Gemeinschaftsunterkunft in C. untergebracht. Am 22.5.2018 wurde
er als Notfall in stationäre Behandlung in das D. n Diakonieklinikum in E., Klinikum für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
aufgenommen. Er wurde am 19.6.2018 mit der Hauptdiagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aus der Klinik entlassen.
Der Antragsgegner beabsichtigte, den Antragsteller am 19.7.2018 nach Italien zu überstellen. Nach Feststellung des Außendienstes
der Ausländerbehörde des Antragsgegners hielt der Antragsteller sich am 20.6.2018 nicht mehr in der Gemeinschaftsunterkunft
auf; sein Zimmer (Schrank/Bett) sah verlassen aus. Am 28.6.2018 teilte ein Vertreter der Kirchengemeinde F. dem Antragsgegner
- Ausländerbehörde - mit, der Antragsteller sei dort schon vor einigen Tagen in das "Kirchenasyl" aufgenommen worden. Er mache
nach der Entlassung aus der Psychiatrie einen schlechten Eindruck, wirke verlangsamt, fast sediert, und nehme mehrere Medikamente.
Es erscheine nicht verantwortbar, ihn in seiner jetzigen Verfassung nach Italien abzuschieben. Unter dem 26.7.2018 teilte
das BAMF dem Antragsgegner mit, die Frist zur Überstellung nach Italien sei am 25.7.2018 abgelaufen, der Bescheid vom 25.1.2018
werde deshalb aufgehoben und eine Entscheidung ergehe jetzt im nationalen Verfahren. Das Kirchenasyl des Antragstellers endete
am 1.8.2018, er erhielt eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens.
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 10.8.2018 für 8/2018 und 9/2018 sowie mit Änderungsbescheid
vom 25.10.2018 für 1/2019 und mit weiterem Änderungsbescheid vom 25.1.2019 für 1/2019 und 2/2019 jeweils Leistungen nach §
3 AsylbLG. Der Antragsteller erhob mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten am 19.2.2019 Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.1.2019.
Die bewilligten Leistungen seien zu niedrig, weil nicht die vollen Beträge aus §
3 Abs.
2 Satz 2 Nr.
1 und 6
AsylbLG bewilligt worden seien und die nach §
3 Abs.
4 AsylbLG erforderliche jährliche Anpassung an die Teuerung unterlassen worden sei. Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid
vom 21.3.2019, auf den wegen der Begründung verwiesen wird, zurück.
Daraufhin hat der Antragsteller am 26.3.2019 bei dem Sozialgericht (SG) Stade Klage - S 19 AY 8/19 - erhoben und zugleich im vorliegenden Verfahren um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
Zur Begründung hat er sich im Wesentlichen darauf berufen, das SG habe bereits mehrfach entschieden, dass nach §
3 Abs.
4 Satz 1 und
2 AsylbLG die fortgeschriebenen Leistungsbeträge bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen seien, sodass ihm im Wege der einstweiligen
Anordnung ab dem 22.3.2019 vorläufig weitere 18,00 EUR monatliche Leistungen nach §
3 AsylbLG zuzusprechen seien. Der Antragsgegner hat erwidert, er sei nicht legitimiert, aus eigener Kompetenz heraus die geforderte
Fortschreibung der Leistungssätze vorzunehmen. Erforderlich für eine wirksame Fortschreibung der Grundleistungssätze sei eine
Bekanntgabe der aktuellen Leistungssätze durch das BMAS. Da der Antragsteller durch die Inanspruchnahme des Kirchenasyls die
Dauer seines Aufenthalts in Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst habe, habe er keinen Anspruch auf Analogleistungen
nach §
2 AsylbLG.
Das SG hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 17.4.2019 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig
Leistungen gemäß §
2 AsylbLG entsprechend dem SGB XII für die Zeit vom 5.4.2019 bis 30.4.2020 zu gewähren, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache.
Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Der Antragsteller habe seit dem 5.4.2019 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen
Anspruch auf Analogleistungen nach §
2 AsylbLG, weil er sich seither 15 Monate in Deutschland aufhalte und die Dauer seines Aufenthalts nicht selbst rechtmissbräuchlich
beeinflusst habe. Verzichte der Staat zeitweise auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht, handele der Ausländer nicht rechtsmissbräuchlich.
Der Antragsteller sei während der Zeit seines Kirchenasyls nur deswegen nicht abgeschoben worden, weil die Ausländerbehörde
das Kirchenasyl tatsächlich beachtet und den Antragsteller währenddessen geduldet habe. Da die Behörde das Institut des Kirchenasyls
anerkenne und nicht mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen einschreite, könne in der Nutzung dieses Instituts kein Rechtsmissbrauch
gesehen werden. Die Inanspruchnahme des Kirchenasyls sei auch nicht sittenwidrig, weil das Kirchenasyl gesellschaftlich weitgehend
anerkannt sei und von den Behörden respektiert werde. Da die Leistungen nach §
2 AsylbLG deutlich höher seien als die dem Antragsteller gewährten Leistungen nach §
3 AsylbLG, bestehe insoweit auch ein Anordnungsgrund. Nicht glaubhaft gemacht sei hingegen ein Anspruch auf höhere Leistungen nach
§
3 AsylbLG für den davor liegenden Zeitraum vom Eingang des Eilantrages am 26.3.2019 bis zum 4.4.2019, weil es dabei lediglich um 6,00
EUR für 10 Tage gehe.
Der Antragsgegner hat am 17.5.2019 Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt, soweit er dadurch verpflichtet worden ist. Der
Antragsteller habe sich rechtsmissbräuchlich im Sinne von §
2 Abs.
1 AsylbLG verhalten, indem er sich in das Kirchenasyl begeben und damit seine für den 19.7.2019 geplante Abschiebung verhindert habe.
Der subjektive Tatbestand sei ebenfalls erfüllt, weil der Ausländer in Fällen des Kirchenasyls wisse, dass er während des
Kirchenasyls faktisch nicht abgeschoben werde. Auch wenn die Ausländerbehörde bei einem Kirchenasyl zeitweise von der Durchführung
aufenthaltsbeendender Maßnahmen absehe, sei weiterhin von einem durch ihn zu vertretenen Umstand auszugehen, den er selbst
beeinflusst habe. Denn durch die Inanspruchnahme von Kirchenasyl entziehe er sich der die staatliche Rechtsordnung gewährleistenden
staatlichen Gewalt. Das Bayerische Landessozialgericht (Beschluss vom 11.11.2016 - L 8 AY 29/16 ER -) habe entschieden, dass
das Kirchenasyl in der deutschen Rechtsordnung nicht anerkannt und es kein neben dem Rechtsstaat anerkanntes Institut sei.
Auch das SG Lüneburg habe die Inanspruchnahme von Kirchenasyl als rechtsmissbräuchlich bewertet.
Der Antragsteller verteidigt den angegriffenen Beschluss und verweist auf den weiteren Beschluss des SG Stade vom 17.3.2016
(- S 19 AY 1/16 ER - juris) sowie auf das Urteil des BSG vom 17.6.2008 (- B 8 AY 1/07 R - juris).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der beigezogenen Akten des Antragsgegners verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Das SG hat den Antragsgegner zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragssteller vorläufig Analogleistungen
nach §
2 AsylbLG zu gewähren. Es hat diese Verpflichtung zwar zu Unrecht erst ab dem 5.4.2019 (und nicht bereits ab dem Eingang des Eilantrags
am 26.3.2019) vorgenommen, weil der am 5.11.2018 nach Deutschland eingereiste Antragsteller sich bereits seit dem 5.2.2019
die nach §
2 AsylbLG in der bis zum 20.8.2019 geltenden Fassung erforderlichen 15 Monate im Bundesgebiet aufhält. Die Ablehnung des Eilantrags
für den Zeitraum vor dem 5.4.2019 ist jedoch nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, weil der Antragsteller nicht Beschwerde
eingelegt hat. Das SG war nicht durch den lediglich auf höhere Leistungen nach §
3 AsylbLG gerichteten Antrag des Antragstellers gehindert, dem Antragsteller Leistungen nach §
2 AsylbLG vorläufig zuzusprechen. Denn es handelt sich nicht um unterschiedliche, nach Voraussetzungen, Inhalt und Umfang selbständige
Ansprüche, sodass unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes im gerichtlichen Verfahren auch geltend gemachte
Ansprüche auf höhere Leistungen, die als Grundleistungen verlangt werden, daraufhin zu überprüfen sind, ob Ansprüche auf (höhere)
Analogleistungen bestehen (vgl. Krauß in Siefert;
Asylbewerberleistungsgesetz, 1. Aufl. 2018, §
2 Rn. 59 m.w.N.).
Einstweilige Anordnungen sind nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass
ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass
der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit
eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO).
Das Klageverfahren bezieht sich auf den Zeitraum von Januar bis März 2019 (Bescheid vom 25.1.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 21.3.2019), wobei die konkludente Leistungsbewilligung für März 2019 durch Auszahlung der Leistungen nach §
3 AsylbLG Anfang des Monats in analoger Anwendung von §
86 SGG Gegenstand des mit dem Widerspruchsbescheid vom 21.3.2019 abgeschlossenen Vorverfahrens geworden ist (vgl. BSG, Urteil vom 28.8.2018 - B 8 SO 31/16 R - juris Rn. 14). In dem noch den Zeitraum ab 5.4.2019 betreffenden Eilverfahren besteht
das erforderliche streitige Rechtsverhältnis dadurch, dass der Antragsgegner bisher noch keine (abschließende) Entscheidung
über die Leistungsansprüche getroffen hat, sondern dem Antragsteller ausdrücklich lediglich in Ausführung des Beschlusses
des SG "vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung Analogleistungen (nach) §
2 AsylbLG ab 5.4.2019" bewilligt hat (vgl. Bescheid vom 23.4.2019).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf lebensunterhaltssichernde Leistungen nach §
2 Abs.
1 AsylbLG i.V.m. §§ 27 ff. SGB XII glaubhaft gemacht.
Nach §
2 Abs.
1 AsylbLG in der vom 1.3.2015 bis zum 20.8.2019 geltenden Fassung (Gesetz zur Änderung des
Asylbewerberleistungsgesetzes und des
Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014 - BGBl. I 2014, 2187) ist das SGB XII abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung
im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Vorschrift
ist zum 21.8.2019 (seitdem Satz 1) dahin geändert worden, dass nunmehr ein Aufenthalt im Bundesgebiet ohne wesentliche Unterbrechung
von 18 Monaten erforderlich ist (Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.8.2019 - BGBl. I 2019,
1294), wobei hier nach §
15 AsylbLG die bisherige Fassung weiter anzuwenden ist.
Abgesehen von der Frage, ob der Antragsteller die Dauer seines Aufenthalts in Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst
hat, ist davon auszugehen, dass die sonstigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf lebensunterhaltssichernde Analog-Leistungen
vorliegen. Der Antragsteller gehört zu den Leistungsberechtigten nach §
1 AsylbLG. Er verfügt seit dem 9.8.2018 über eine Aufenthaltsgestattung (§
1 Abs.
1 Nr.
1 AsylbLG) und hält sich seit dem 5.4.2019 auch ohne wesentliche Unterbrechung seit mehr als 15 Monaten in Deutschland auf. Anhaltspunkte,
dass er seinen notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus seinem Einkommen und Vermögen,
bestreiten kann (§ 19 Abs. 1, § 27 Abs. 1, 2 Satz 1, §§ 82 ff., § 90 SGB XII), liegen nicht vor.
Dem Antragsteller kann nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht vorgeworfen werden, dass er die Dauer seines
Aufenthalts rechtsmissbräuchlich im Sinne von §
2 Abs.
1 AsylbLG selbst beeinflusst hat.
Nach der Rechtsprechung des BSG (grundlegend: Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 32 ff.) setzt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in diesem
Sinne in objektiver Hinsicht ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus, das in subjektiver Hinsicht
vorsätzlich im Bewusstsein der objektiv möglichen Aufenthaltsbeeinflussung getragen ist. Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters
des §
2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen so schwer, dass
auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss. Daher kann
nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der
Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des
AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analog-Leistungen führen. Eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer
liegt regelmäßig schon dann vor, wenn bei generell-abstrakter Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typischerweise
die Aufenthaltsdauer verlängern kann. Eine Ausnahme hiervon ist zu machen, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen
Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden
können (BSG, a.a.O., Rn. 44).
Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller sich nicht objektiv rechtsmissbräuchlich verhalten hat. Für ein
unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten spricht zwar, dass er vollziehbar ausreisepflichtig war und sich
seiner für den 19.7.2018 vorgesehenen Überstellung nach Italien dadurch entzogen hat, dass er sich (nachdem er sich offenbar
bereits seit dem 20.6.2018 nicht mehr in der Unterkunft aufgehalten hatte) einige Tage vor dem 28.6.2018 in das Kirchenasyl
der Kirchengemeinde F. begab und dort über den Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO
am 25.7.2018 hinaus bis zum 1.8.2018 verblieb. Der Staat ist durch das Kirchenasyl zwar weder rechtlich noch tatsächlich daran
gehindert, die Überstellung durchzuführen. Er verzichtet vielmehr freiwillig darauf, sie durchzusetzen (vgl. OVG Schleswig-Holstein,
Beschluss vom 23.3.2018 - 1 LA 7/18 - juris Rn. 18; OVG Lüneburg, Beschluss vom 25.7.2019 - 10 LA 155/19 - juris Rn. 14 m.w.N.; VG Hamburg, Beschluss vom 23.5.2019 - 9 AE 1846/19 - juris Rn. 10 m.w.N.). Die Behörden reagieren
allerdings aus Respekt vor den kirchlichen Einrichtungen sehr zurückhaltend, eine zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht
während des Kirchenasyls erfolgt generell nicht (vgl. nur Cantzler,
Asylbewerberleistungsgesetz, 1. Aufl. 2019, §
2 Rn. 41). Der Antragsteller hat sich daher durch die Inanspruchnahme des Kirchenasyls faktisch dem staatlichen Zugriff entzogen.
Dies führte zum Verstreichen der Überstellungsfrist nach § 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO und damit dazu, das Italien als
ursprünglich für das Asylverfahren des Antragstellers zuständiger Mitgliedsstaat nicht mehr zu seiner Aufnahme oder Wiederaufnahme
verpflichtet war, die Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland überging, der Bescheid des BAMF vom 25.1.2018 aufgehoben
wurde und dem Antragsteller zur Durchführung des hiesigen nationalen Asylverfahrens eine Aufenthaltsgestattung erteilt wurde.
Er hat damit den Nichtvollzug seiner Überstellung nach Italien wesentlich mitverursacht und die Dauer seines Aufenthalts in
Deutschland objektiv selbst beeinflusst. Entgegen der Auffassung des SG ist ein Rechtsmissbrauch des Antragstellers nicht allein deshalb zu verneinen, weil der Antragsgegner - Ausländerbehörde
- das Kirchenasyl respektiert und währenddessen keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vollzogen hat. Denn der freiwillige
Verzicht auf den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen aus Respekt vor dem Kirchenasyl ist zwar die eine Ursache für die
Beeinflussung der Aufenthaltsdauer, die wesentliche andere Ursache ist aber, dass der Antragsteller das Kirchenasyl in Anspruch
genommen und sich den staatlichen Respekt vor dem Kirchenasyl zunutze gemacht hat. Dies genügt, eine Monokausalität ist anders
als bei der Prüfung im Rahmen von §
1a Abs.
3 AsylbLG, ob aus "selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können", nicht erforderlich.
Das SG hat unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 17.6.2008 (- B 8/9b AY 1/07 R - juris) unzutreffend die objektive Rechtsmissbräuchlichkeit durch die Inanspruchnahme
von Kirchenasyl mit dem Argument verneint, der Staat verzichte ähnlich wie bei einer Duldung auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht.
Denn im Unterschied zur Aussetzung der Abschiebung durch eine Duldung - ein begünstigender Verwaltungsakt, auf den bei Erfüllung
der gesetzlichen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch besteht und der dem Ausländer eine geschützte Rechtsposition vermittelt
- liegt bei der Inanspruchnahme von Kirchenasyl keine mit der Rechtsordnung in Einklang stehende Einzelfallentscheidung der
Behörde vor, sondern lediglich die bloße Hinnahme nichtstaatlichen Handelns (vgl. Krauß a.a.O. Rn. 51). Bei der Duldung besteht
auch, obwohl sie die Ausreisepflicht gesetzlich unberührt lässt (§ 60a Abs. 3 AufenthG) - anders als im vorliegenden Fall des Kirchenasyls - keine Ausreisepflicht im eigentlichen Sinne, weil es widersprüchlich
wäre, den Aufenthalt des Ausländers zu dulden und ihm gleichzeitig den Aufenthalt als rechtsmissbräuchlich vorzuwerfen, obwohl
der Staat selbst zeitweise darauf verzichtet, die Ausreisepflicht durchzusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 17.6.2008, a.a.O., Rn. 35). Eine solche Widersprüchlichkeit besteht bei dem Kirchenasyl nicht, weil es keine
im Widerspruch zur Ausreispflicht stehende geschützte Rechtsposition begründet. Letztlich ist der Aufenthaltsstatus (Duldung)
für die Beantwortung der Frage, ob der Ausländer seinen Aufenthalt rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, ohnehin unerheblich.
Entscheidend sind die Gründe, die dazu geführt haben, dass er nicht ausgereist bzw. abgeschoben worden ist (BSG, Urteil vom 17.6.2008, a.a.O. Rn. 35). Diese liegen hier - wie ausgeführt - in der Sphäre des Antragstellers.
Soweit das SG eine Sittenwidrigkeit (gemeint: Sozialwidrigkeit) der Inanspruchnahme des Kirchenasyls mit der Begründung verneint hat, die
Gewährung von Kirchenasyl für Ausländer bei deren drohender Abschiebung sei mit den Werten der Gesellschaft vereinbar und
werde von den Behörden respektiert, hat es nur unzureichend berücksichtigt, dass es sich bei dem Kirchenasyl - auch mit Rücksicht
auf seinen Ursprung und seine gesellschaftliche Akzeptanz - rechtlich um eine unzulässige Widerstandshandlung gegen einen
ordnungsgemäßen Vollzug des Aufenthaltsrechts handelt, die ggf. strafbar sein kann (vgl. Gärdiz in Maunz/Dürig,
GG, Stand: Oktober 2019, Art.
16a GG Rn. 180 m.w.N.; Will in Sachs,
GG, 8. Aufl. 2018, Art.
16a GG Rn. 1e m.w.N.; vgl. zur aktuellen Kontroverse auch Larsen, ZAR 2017, 121 ff.). Dem hochrangigen öffentlichen Interesse an einem geordneten Vollzug des Aufenthaltsrechts kommt gerade nach den Eigenheiten
des
AsylbLG ein großes Gewicht zu. Der Ausländer soll von Analogleistungen ausgeschlossen sein, wenn die von §
2 AsylbLG vorgesehene Vergünstigung andernfalls auf gesetzwidrige oder sittenwidrige Weise erworben wäre. Er darf sich also nicht auf
einen Umstand (hier: 15 Monate Aufenthalt im Bundesgebiet ohne wesentliche Unterbrechung) berufen, den er selbst treuwidrig
herbeigeführt hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.6.2008, a.a.O. Rn. 33). Der Antragsteller würde die Analogleistungen - wie ausgeführt - in gesetzwidriger
Weise beziehen, weil er vollziehbar ausreisepflichtig war und sich seiner geplanten Abschiebung entzogen hat.
Gegen die Bewertung des Verhaltens des Antragstellers als rechtsmissbräuchlich spricht allerdings, dass der Staat das Kirchenasyl
aus Respekt davor nicht nur tatenlos hinnimmt, sondern mit den Kirchengemeinden, die mit dem Kirchenasyl das Ziel verfolgen,
in Härtefällen eine Abschiebung des Ausländers zu verhindern, kooperiert. Am 24.2.2015 wurde als Resultat eines Dialogs zwischen
dem Bundesamt und hochrangigen Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche zu Kirchenasylfällen eine Vereinbarung
getroffen, dass in begründeten Ausnahmefällen zur Vermeidung von besonderen humanitären Härten eine zwischen den zentralen
Ansprechpartnern beider Seiten gesteuerte, lösungsorientierte Einzelfallprüfung im Rahmen des rechtlich Möglichen stattfindet.
Das Bundesamt erklärte sich bereit, an Hand eines von den zentralen Ansprechpartnern der Kirchen vorgelegten, aussagekräftigen
und so früh wie möglich vor dem Ende der Überstellungsfrist eingereichten Dossiers eine erneute Überprüfung der Fälle vorzunehmen.
Das Dossier sollte dabei möglichst schon vor dem Eintritt in ein Kirchenasyl und damit zu dessen Vermeidung eingereicht werden.
Die direkte und ungesteuerte Eingabe von Einzelfällen an das Bundesamt durch einzelne Kirchengemeinden sollte vermieden werden
(vgl. BAMF, Merkblatt Kirchenasyl im Kontext von Dublin-Verfahren, Stand: Oktober 2018 und Bearbeitungshinweise des BAMF,
Referat 412 - Qualitätssicherung Asyl, zu Kirchenasylfälle vom 2.7.2015). Die Zusammenarbeit und die Ergebnisse wurden am
Ende der Pilotphase Ende November 2015 von allen Seiten positiv bewertet. Es gab keine Pflicht zur Vorlage der Dossiers und
keine Verpflichtung zum Abbruch des Kirchenasyls bei "Dossierablehnung". Aus Sicht der Kirchen verschlechterte sich die Zusammenarbeit
mit dem BAMF ab Sommer 2016 (Memorandum von Kirchenvertretern "Inhalt, Umsetzung und Intention der Vereinbarung zwischen den
Kirchen und dem BAMF/BMI vom Februar 2015", www.frnrw.de/Media/Themena-z/Asylverfahren). Nachdem eine Evaluierung der Kirchenasylfälle
aus Sicht des BAMF eine Änderung der Praxis notwendig machte, wurden im August 2018 die Verfahrensregelungen zum Kirchenasyl
durch einen Beschluss der Innenministerkonferenz erheblich verschärft (vgl. zu den Einzelheiten wiederum das "Merkblatt Kirchenasyl
im Kontext von Dublin-Verfahren" des BAMF, Stand: Oktober 2018 sowie zur Bewertung durch die Kirchen die Abhandlungen "Hinweise
zu verschärften Verfahrensregeln beim Kirchenasyl" vom 13.8.2018 und "Weitere Verschärfungen beim Kirchenasyl und neue obergerichtliche
Entscheidungen" vom 14.10.2019 auf der Internetseite des Informationsverbundes Asyl & Migration, www.asyl.net). Der Senat
lässt im vorliegenden Eilverfahren offen, ob die Vereinbarungen zwischen BAMF und den Kirchen derart das Kirchenasyl faktisch
legitimierende Wirkung haben, dass sie der Bewertung der Inanspruchnahme von Kirchenasyl als rechtsmissbräuchlich grundsätzlich
entgegenstehen.
Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass das Gewicht des zu missbilligenden Verhaltens des Antragstellers nicht so schwer wiegt,
dass die Rechtsfolge des Ausschlusses von Analogleistungen als verhältnismäßig zu bewerten ist. Bei der Beurteilung, ob das
konkret zu missbilligende Verhalten sozialwidrig ist, kommt auch der Situation des Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland
eine besondere Bedeutung zu. Das vorstehend beschriebene zu missbilligende Verhalten des Antragstellers hat an sich erhebliches
Gewicht. Die Inanspruchnahme des Kirchenasyls ist hinsichtlich ihres Zwecks und ihrer Folgen, die konkret bevorstehende Überstellung/Abschiebung
zu verhindern, mit dem in aller Regel klaren Fall der rechtsmissbräuchlichen Aufenthaltsverlängerung durch "Untertauchen"
(zu einem Ausnahmefall nicht sozialwidrigen "Untertauchens" vgl. Senatsbeschluss vom 1.2.2018 - L 8 AY 16/17 B ER - juris
Rn. 26) vergleichbar. Als der Bewertung des Verhaltens des Antragstellers als unentschuldbar entgegenstehende besondere Umstände
des Einzelfalls sind hier jedoch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller sich nach seiner Aufnahme als Notfall vom 22.5.
bis 19.6.2018 in stationärer psychiatrischer Behandlung befand, nach der Stellungnahme des behandelnden Oberarztes vom 13.6.2018
unter einer schweren PTBS mit starken Ängsten, Flashbackerleben, akustischen Halluzinationen (Stimmenhören) und Alpträumen
litt, und nach der Mitteilung des Pastors der Kirchengemeinde F. vom 28.6.2018 auch nach seiner Entlassung aus der Klinik
noch einen schlechten Eindruck machte, verlangsamt, fast sediert, wirkte und verschiedene Medikamente nahm. Ob die Schwere
der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Bewertung des Verhaltens des Antragstellers als rechtsmissbräuchlich im Sinne
von §
2 Abs.
1 AsylbLG entgegensteht, wird ggf. in der Hauptsache näher zu klären sein.
Zudem bestehen nach summarischer Prüfung ggf. im Hauptsacheverfahren zu klärende Zweifel, ob der Antragsteller mit dem erforderlichen
Vorsatz gehandelt hat. Dies geht zu Lasten des auch insoweit die materielle Beweislast für das rechtsmissbräuchliche Verhalten
tragenden Antragsgegners (vgl. Oppermann/Filges in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, §
2 AsylbLG Rn. 141). Da das Kirchenasyl in der Öffentlichkeit als zumindest staatlich akzeptiertes Recht der Kirche dargestellt wird,
muss bezweifelt werden, ob der Leistungsberechtigte das für den Vorsatz erforderliche Bewusstsein hat, durch die Inanspruchnahme
von Kirchenasyl gegen die Rechtsordnung zu verstoßen (Krauß, a.a.O. §
2 Rn. 51; Oppermann/Filges, a.a.O. §
2 AsylbLG Rn. 94; a.A.: Deibel in Hohm, GK-
AsylbLG, Stand: Oktober 2018, §
2 Rn. 108). Die insoweit begründeten Zweifel werden im Falle des Antragstellers noch durch Anhaltspunkte für ein eingeschränktes
Urteilsvermögen des Antragstellers durch seine vorstehend bereits beschriebene PTBS verstärkt.
Der erforderliche Anordnungsgrund, die besondere Eilbedürftigkeit der Sache, ist gegeben, weil bei einem Streit um laufende
existenzsichernde Leistungen - wie hier nach §
2 AsylbLG - regelmäßig für die Zeit ab Eingang des Eilantrages eine besondere Eilbedürftigkeit anzunehmen ist. Besondere Umstände,
die hier eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §
177 SGG.