Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2112 BKV
Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität
Theorie der wesentlichen Bedingung
1. Die Feststellung einer BK setzt grundsätzlich voraus, dass die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind,
d.h. dass der Versicherte im Rahmen einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt
war, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken, und dass die Einwirkungen eine Krankheit im Sinne
der jeweiligen BK verursacht haben.
2. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkung und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises - also
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen.
3. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende
Wahrscheinlichkeit; diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden.
4. Die bloße Möglichkeit reicht nicht.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2112 (Gonarthrose durch eine Tätigkeit im
Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000
Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht) der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) und die Gewährung einer Verletztenrente streitig.
Der 1957 geborene Kläger erlernte den Beruf des Kfz-Mechanikers, in dem er auch von 1972 bis 1977 arbeitete. 1978 war er ca.
einen Monat in einem Rohrreinigungsunternehmen beschäftigt, von 1978 bis 1997 - unterbrochen durch mehrere kurze Arbeitsloszeiten
- dann in verschiedenen Firmen als Kraftfahrer/Baggerfahrer/Pflasterer. Von 1997 bis 2002 war er als Kraftfahrer selbständig
tätig. 2010 machte er geltend, dass seine Kniebeschwerden eine BK seien und entschädigt werden müssten. 2003 sei bei ihm eine
Gonarthrose festgestellt worden. In dem Fragebogen der Beklagten gab er an, bereits seit 1993 unter Kniebeschwerden zu leiden.
Er habe von 1967 bis 1977 zwei Stunden täglich Freizeitsport betrieben. Er sei 1,86 m groß und wiege 130 kg. In allen seinen
Beschäftigungsverhältnissen bis 1997 habe er kniebelastend gearbeitet.
Die Beklagte holte Befundberichte von dem prakt. Arzt Dr. T und dem Orthopäden Dr. S ein. Dr. T berichtete, die letzte Behandlung
des Klägers wegen einer Gonarthrose liege mehr als 10 Jahre zurück. Die letzte Behandlung sei 2001 wegen einer Adipositas
per magna und Wirbelsäulenbeschwerden erfolgt. Dokumente seien nicht mehr vorhanden (Bericht von Mai 2010). Dr. S führte aus,
er habe 1995 eine massive Adipositas per magna und 1995 eine initiale mediale Gonarthrose links festgestellt. Der Kläger sei
zuletzt 2002 in seiner Behandlung gewesen. Röntgenaufnahmen seien nicht mehr vorhanden (Bericht vom 01.06.2010). Die Beklagte
schaltete ihre Präventionsabteilung ein. Diese gelangte in der Stellungnahme vom 01.02.2012 zu dem Ergebnis, dass der Kläger
inklusive seiner Selbständigkeit an 7822 Stunden kniebelastend im Sinne der BK 2112 tätig gewesen sei. Diese Berechnung wurde
gestützt auf die Angaben des Klägers bei einem persönlichen Gespräch vom 24.01.2012, die aktenkundigen Unterlagen und die
Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Beobachtung von Vergleichsarbeitsplätzen. Das Protokoll über das Gespräch wurde dem Kläger
am 26.01.2012 mit der ausdrücklichen Möglichkeit, Ergänzungen oder Korrekturen vorzunehmen zugemailt und von diesem am 29.01.2012
ohne inhaltliche Änderungen/Ergänzungen mit dem Vermerk "Gelesen und einverstanden" unterschrieben und an die Beklagte zurückgesandt.
Mit Bescheid vom 19.04.2012 lehnte die Beklagte die Anerkennung der BK 2112 und die Gewährung von Leistungen mit der Begründung
ab, dass der Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfülle. Er sei keine 13 000 Stunden kniebelastend tätig
gewesen. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Er führte aus, es sei nicht ersichtlich, wie die Beklagte
auf 7822 Stunden gekommen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 22.08.2012 vor dem Sozialgericht Dortmund (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, das Verfahren laufe seit 2010. Ihm sei gesagt worden, dass alle Unternehmer
befragt worden seien. Er frage sich, wie das möglich sei, wenn schon mehrere Arbeitgeber verstorben seien.
Der Kläger, der trotz ordnungsgemäßer Ladung im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.04.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2012 zu verurteilen,
ihm unter Anerkennung der BK 2112 der Anlage zur
BKV Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden bezogen.
Mit Urteil vom 18.03.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger erfülle mit 7822 Stunden kniebelastender Tätigkeiten bei
Weitem nicht die für eine BK 2112 erforderlichen 13000 Stunden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des
Urteils verwiesen.
Gegen das ihm am 12.04.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.04.2014 Berufung eingelegt. Er vertritt weiterhin die
Auffassung, die vom Präventionsdienst ermittelte Stundenzahl von 7822 Stunden sei zu niedrig und legt eigene Berechnungen
vor, wonach er über 27000 Stunden kniebelastend tätig gewesen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berechnungen des Klägers
vom 11.04.2014 und 24.05.2014 verwiesen. Der Kläger legt einen Nachunternehmer-Vertrag ohne Datum zwischen der Fa. I Erdarbeiten
und der Fa. T GbR (Gewerk "Kanalbauarbeiten", Beginn der Arbeiten am 9.07.1997, Fertigstellungstermin nach 31 Tagen) vor.
Bei dem Gespräch mit dem Mitarbeiter des Präventiondienstes habe er vergessen mitzuteilen, dass er auch im Kanalbau gearbeitet
habe. Er sei von Mai 1997 bis Anfang Dezember 2002 sowohl im Kanalbau als auch als LKW-Fahrer zu knieenden Tätigkeiten verpflichtet
gewesen. Aufgrund seiner Neigung zu Depressionen könne das Verstehen von komplexen Zusammenhängen bei ihm stark eingeschränkt
sein. Dies habe der Mitarbeiter des Präventionsdienstes nicht berücksichtigt. Er sei bei der Leistung der Unterschrift unter
Druck gesetzt worden.
Der Kläger, der im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertreten war und auch nicht selbst
erschienen ist, beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18.03.2014 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.04.2012
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2012 zu verurteilen, bei ihm eine BK 2112 anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente
nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht, dass der Kläger nun seine eigenen Angaben korrigiere, obwohl
er sich auf den Termin mit dem Mitarbeiter des Präventionsdienstes habe vorbereiten können und ihm außerdem das Gesprächsprotokoll
zur Durchsicht und evtl. Korrektur überlassen worden sei, bevor er es unterschrieben hatte. Aus dem Nachunternehmer-Vertrag
ergäben sich auch keine neuen Erkenntnisse, da hieraus nicht zu entnehmen sei, dass und in welchem Umfang der Kläger in den
31 Tagen kniegelenksbelastend tätig gewesen sei. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen
Akten der Beklagten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Der Senat war an einer Entscheidung nicht gehindert, obwohl für den Kläger in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen
ist. Denn die Klägerbevollmächtigte wurde in der ihr am 09.08.2016 ordnungsgemäß zugestellten Ladung darauf hingewiesen, dass
auch in ihrer Abwesenheit bzw. der Abwesenheit des Klägers mündlich verhandelt, Beweis erhoben und entschieden werden kann
(§§
153 Abs.1 i.V. mit 126
SGG, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 11. Auflage, §
126 Rn. 4).
Ein Antrag auf Aufhebung des Termins wurde nicht gestellt. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert, da dieser nicht rechtswidrig
ist (§
54 Abs.
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz-
SGG-). Er hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Anerkennung der streitigen BK 2112, da diese bei ihm nicht vorliegt. Dementsprechend
hat er auch keinen Anspruch auf Leistungen. Nach §
7 Abs.1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) sind Versicherungsfälle in der gesetzlichen Unfallversicherung Arbeitsunfälle und BKen. BKen sind nach §
9 Abs.1 Satz 1
SGB VII Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die Versicherte
infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3,
6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach §
9 Abs.
1 Satz 2
SGB VII ist die Bundesregierung ermächtigt, Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft
durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad
als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Dies geschieht in der
BKV, der eine Liste der entschädigungspflichtigen BKen angefügt ist. Die Feststellung einer BK setzt grundsätzlich voraus, dass
die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d.h. dass der Versicherte im Rahmen einer grundsätzlich versicherten
Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt war, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden
zu bewirken, und dass die Einwirkungen eine Krankheit im Sinne der jeweiligen BK verursacht haben. Dabei müssen die versicherte
Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkung und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge
genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit; diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht
und ernste Zweifel ausscheiden. Die bloße Möglichkeit reicht nicht (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 07.04.2013, B 2 U 11/12 R, Rn. 12 m.w.N.). Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine BK 2112 (Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare
Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer
von insgesamt einer Stunde pro Schicht) liegen nicht vor. Es ist nicht nachgewiesen, dass der Kläger mindestens 13000 Stunden
kniebelastend tätig war. Die Berechnung des Präventionsdienstes vom 01.02.2012, wonach der Kläger nur 7822 Stunden kniebelastend
i.S. der Gonarthrose tätig gewesen ist, ist nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den eigenen Angaben des Klägers. Der Kläger
hat mit seiner Unterschrift am 29.01.2012 ausdrücklich bestätigt, dass die protokollierten Angaben zutreffend sind. Sein Vortrag
im Berufungsverfahren, er sei bei der Unterschrift unter Druck gesetzt worden, wertet der Senat als Schutzbehauptung. Denn
der Kläger hatte vor Leistung der Unterschrift objektiv genug Zeit, seine eigenen Angaben zu überprüfen. Dies ergibt sich
schon aus dem zeitlichen Verlauf. Das Gespräch war am 24.01.2012. Das Gesprächsprotokoll wurde ihm am 26.01.2012 zugemailt
und von ihm am 29.01.2012 ohne inhaltliche Änderungen/Ergänzungen mit dem Vermerk "Gelesen und einverstanden" eigenhändig
unterschrieben. Anhaltpunkte für depressiv bedingte Geistesstörungen in der Zeit vom 24.01.2012 bis zum 29.01.2012 sind überhaupt
nicht ersichtlich. Die im Berufungsverfahren vorgelegten Berechnungen des Klägers sind nicht geeignet, die Berechnung des
Präventionsdienstes in Frage zu stellen, geschweige denn zu widerlegen, da sie von dessen ursprünglichen Angaben erheblich
abweichen und durch nichts belegt sind. Im Übrigen sind die Berechnungen auch nicht aussagekräftig, da sich hieraus die Art
der kniebelastenden Tätigkeiten nicht ergibt. Bei den erforderlichen 13000 Stunden sind aber nicht alle, sondern nur Tätigkeiten
im Knien zu berücksichtigen, die geeignet sind, eine Gonarthrose zu verursachen (siehe Schönberger/Mehrtens/Valentin, 8. Auflage,
8.10.8.5.2, Seite 648 f.). Der vom Kläger vorgelegte Nachunternehmer-Vertrag führt ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis,
da diesem nicht zu entnehmen ist, ob, in welcher Art und in welchem Umfang der Kläger kniebelastend tätig war. Selbst wenn
zu Gunsten des Klägers unterstellt würde, dass er während der ganzen Vertragslaufzeit von 31 Tagen jeweils acht Stunden kniebelastende
Tätigkeiten ausgeübt hat, wäre er immer noch weit entfernt von den erforderlichen 13000 Stunden. Denn hieraus ergäben sich
nur 248 zusätzliche Stunden (31 Tage x 8 Stunden). Da schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, kommt
es auf das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen nicht an. Gleichwohl weist der Senat darauf hin, dass er hieran im
Hinblick auf die bei Beendigung der Tätigkeit 2002 nur linksseitig diagnostizierte Gonarthrose sowie die Konkurrenzursache
einer erheblichen Adipositas (siehe Begutachtungsempfehlungen für die BK 2112 vom 03.06.2014, B.1.4, Seite 17, Schönberger/Mehrtens/Valentin,
a.a.O., 8.10.8.5.4, Seite 649) erhebliche Zweifel hat. Da keine BK 2112 und damit kein Versicherungsfall vorliegt, hat der
Kläger auch keinen Anspruch auf Verletztenrente (56 Abs. 1
SGB VII).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.