Feststellung eines Grades der Behinderung
Bemessung des Gesamt-GdB
Mehrschrittige Prüfung
Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen
Tatbestand
Der am 00.00.1966 geborene Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50.
Die Beklagte hatte bei ihm zuletzt mit Bescheid vom 20.04.2007 ab dem 30.01.2007 einen GdB von 40 festgestellt. Dieser Feststellung
lag folgende Bewertung zu Grunde:
- Verschleiß der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Beinlängendifferenz: Einzel-GdB 30- Ohrgeräusche: Einzel-GdB 20- Funktionsstörung
der Ellenbogengelenke beidseits, Schultergelenksleiden rechts: Einzel-GdB 20- Hüft- und Kniegelenksverschleiß: Einzel-GdB
10- Stoffwechselstörungen: Einzel-GdB 10- psychovegetative Beschwerden: Einzel-GdB 10
Nachdem Änderungsanträge des Klägers vom 06.04.2009 und 16.03.2010 bestandskräftig abgelehnt worden waren, beantragte der
Kläger am 31.10.2012 erneut die Änderung des Bescheides vom 20.04.2007 und Feststellung eines höheren GdB. Nach Einholung
von Befundberichten von dem Augenarzt Dr. med. T und dem Allgemeinmediziner Herrn K lehnte die Beklagte den Änderungsantrag
mit Bescheid vom 12.12.2012 ab. Es sei zwar ein Lungen- und ein Augenleiden hinzugetreten und die Beeinträchtigungen durch
die psychovegetativen Beschweren und seelischen Leiden hätten sich verschlimmert. Diese Veränderungen seien jedoch nicht so
schwerwiegend, dass sie den bisher festgestellten Gesamt-GdB erhöhten. Das seelische Leiden bewertete die Beklagte mit einem
Einzel-GdB von nunmehr 20 und das Lungen- und Augenleiden mit einem Einzel-GdB von je 10.
Zur Begründung seines hiergegen am 02.01.2013 eingelegten Widerspruchs verwies der Kläger auf einen Bericht des Orthopäden
Dr. med. V vom 17.01.2013. In der gutachterlichen Stellungnahme vom 08.02.2013 verblieb der beratende Arzt bei seiner Einschätzung.
Er ging ferner von einer Überlagerung des Wirbelsäulenleidens mit den seelischen Leiden aus. Die Beklagte wies daraufhin den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2013 aus den Gründen des ablehnenden Bescheides zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 14.03.2013 Klage vor dem Sozialgericht Dortmund erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen
vorgetragen: Bereits unter Berücksichtigung der von der Beklagten zugrunde gelegten Einzel-GdB sei die Bildung eines Gesamt-GdB
von 50 gerechtfertigt. Darüber hinaus seien die Beeinträchtigungen und Schmerzen in zwei Abschnitten der Wirbelsäule sowie
die Bewegungseinschränkungen in beiden Schulter- und Ellenbogengelenken und die zusätzlich bestehenden Schmerzen im rechten
Schultergelenk und beiden Ellenbogengelenken sowie auch die Schmerzen im Bereich der rechten Hüfte nicht ausreichend berücksichtigt
worden. Durch die starken Beschwerden im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates leide er unter psychischen Problemen, die
mit einem Einzel-GdB von 20 nicht ausreichend berücksichtigt würden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2013 zu verurteilen,
bei ihm ab 31.10.2012 einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte, insbesondere von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie C, dem Arzt
für Orthopädie Dr. med. V, dem Hausarzt K, der HNO-Ärztin Dr. med. Q und von dem HNO-Arzt Dr. med. T beigezogen. Es hat ferner
Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem Arzt für Orthopädie, Rheumatologie und Sozialmedizin Dr. med. T1 als
Hauptsachverständiger sowie von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. L als Zusatzgutachter.
Die Sachverständigen haben in ihren Sachverständigengutachten vom 31.03.2014 und 26.09.2014 bei dem Kläger folgende Diagnosen
gestellt und Bewertungen vorgenommen:
- Halswirbelsäulensyndrom mit geringfügigen Bewegungseinschränkungen und altersgemäßen degenerativen Veränderungen, geringgradige
Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule: Einzel-GdB für Wirbelsäule, Rumpf von 30- Ohrgeräusche: Einzel-GdB für Ohren
von 20- Funktionseinschränkung beider Schultern, Bewegungseinschränkung der Ellenbogen: Einzel-GdB für obere Extremitäten
von 10- Dysthymie, somatoforme Schmerzstörung: Einzel-GdB für Psyche/seelische Leiden von 20- Funktionseinschränkungen der
Knie und Hüfte: Einzel-GdB für unterer Extremitäten von 10- Stoffwechselstörungen: Einzel-GdB von 10- Lungenleiden: Einzel-GdB
von 10- Glaukom mit Sehstörungen: Einzel-GdB von 10
Hierbei ging der Hauptsachverständige Dr. med. T1 davon aus, dass sich die Leiden der Wirbelsäule sowie die Dysthymie/somatoforme
Schmerzstörung überschnitten, und ist zu einem Gesamt-GdB von 40 gelangt. In Bezug auf die unteren Extremitäten hat der Sachverständige
Dr. med. T1 festgestellt, dass beim Kläger weiterhin unverändert geringgradige Verschleißerscheinungen im Bereich der Hüft-
und Kniegelenke bestünden, die unverändert mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten seien. Bei seiner Untersuchung seien die
Hüftgelenke nach allen Seiten hin annähernd frei beweglich und die Kniegelenke ebenfalls frei beweglich. Es habe sich keine
Ergussbildung im Bereich der Kniegelenke und keine einseitige Kniegelenksverdickung sowie keine Minderung der Muskulatur gezeigt.
Mit Urteil vom 21.05.2015 hat das Sozialgericht die Klage gestützt auf diese Begutachtungsergebnisse abgewiesen. Insbesondere
zu den unteren Extremitäten hat es ausgeführt, dass eine maßgebliche Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke bzw. der Kniegelenke
und anhaltenden Reizerscheinungen im Bereich der Kniegelenke nicht nachgewiesen seien. Daher komme nach Teil B Ziffer 18.14
Versorgungsmedizinische Grundsätze (VmG) ein höherer Einzel-GdB als 10 für den Bereich der unteren Extremitäten nicht in Betracht.
Gegen dieses, seinem Prozessbevollmächtigten am 11.06.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.07.2015 Berufung eingelegt.
Zur Begründung trägt er ergänzend vor, für die psychischen Leiden sei ein Einzel-GdB von 40, mindestens jedoch von 30 zuzuerkennen.
Es sei nicht nachzuvollziehen, wie unter Hinzutritt des ebenfalls mit 30 bewerteten Wirbelsäulenleiden ein Gesamt-GdB von
weniger als 50 gebildet werden könne.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 21.05.2015 und des Bescheides vom 12.12.2012
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2013 (Az.: xxx) verurteilt, im Falle des Klägers einen Grad der Behinderung
von wenigstens 50 zuzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Senat hat auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. med. T2 vom 13.02.2016 eingeholt. Dieser hat im Rahmen seiner Untersuchung am 20.01.2016
hinsichtlich der unteren Extremitäten eine eingeschränkte Hüftbeweglichkeit bei einer Innenrotation von 0° sowie einen Druckschmerz
im Bereich der Hüfte festgestellt. Dr. med. T2 hat keine Röntgen-, sondern stattdessen eine Ultraschalluntersuchung der Hüftgelenke
durchgeführt. Im Bereich der Hüftgelenke hat er eine beginnende Kapselansatzossifikation festgestellt und meint, dass beim
Kläger eine deutliche Coxarthrose mit Kontraktur der Hüftgelenkskapsel vorliege, was zu einer massiven Innenrotationsaufhebung
führe. Im Vergleich zu den von Dr. med. T1 festgestellten Bewegungsmaßen meint er, einen deutlichen Unterschied festzustellen.
Die Kniegelenke waren im Rahmen seiner Untersuchung in ihrer Beweglichkeit frei, bei Druck jedoch schmerzempfindlich. Es wurde
eine MR-Tomographie der Kniegelenke durchgeführt. Hierbei wurde ein leichter Reizerguss sowie degenerative Veränderungen des
Kreuzbandes festgestellt. An späterer Stelle führt er aus, dass die von ihm durchgeführte, bildgebende Diagnostik einen höhergradigen
Knorpelschaden mit einer Ergussbildung am rechten Kniegelenk zeige. Allein die Kniegelenke seien dementsprechend mit einem
GdB von 30 zu bewerten.
In Bezug auf die Feststellungen von Dr. med. L hat er ausgeführt, dass es sich bei der von dem Sachverständigen festgestellten
Somatisierungsstörung des Klägers um die Krankheit der Fibromyalgie handele, so sei diese Erkrankung früher genannt worden.
Er hat sodann über insgesamt zehn Seiten das Krankheitsbild und die sozialmedizinische Beurteilung der Fibromyalgie abstrakt
dargestellt und sodann ausgeführt, dass ein solches Fibromyalgiesyndrom beim Kläger nicht vorliege. Vielmehr bestehe eine
Somatisierungsstörung.
Der Sachverständige Dr. T3 hat folgende Diagnosen gestellt und diese wie folgt bewertet:
- Wirbelsäule/Rumpf: Einzel-GdB von 30- Ohrgeräusche: Einzel-GdB von 20- Oberextremitäten: Einzel-GdB von 10- Dysthymie, somatoforme
Schmerzstörung: Einzel-GdB von 20- Untere Extremitäten, Hüft- und Kniegelenksverschleiß mit höhergradigen Knorpelschäden und
rezidivierende Ergussbildung sowie starker Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke: Einzel-GdB von 30- Stoffwechselstörungen:
Einzel-GdB von 10- Lungenleiden: Einzel-GdB von 10- Augenleiden: Einzel-GdB von 10
Die einzelnen Funktionssysteme hat er in seinem Gutachten sodann wie folgt bewertet:
- Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche: Einzel-GdB 40- Funktionssystem Augen: Einzel-GdB 10- Funktionssystem Ohren:
Einzel-GdB 20- Funktionssystem Arme: Einzel-GdB 10- Funktionssystem Rumpf inkl. Wirbelsäule: Einzel-GdB 30- Funktionssystem
Beine: Einzel-GdB 30- Funktionssystem innere Sekretion und Stoffwechsel: Einzel-GdB 10- Funktionssystem Atmung: Einzel-GdB
10
Dr. med. T2 hat sich den Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. T1 und Dr. med. L prinzipiell für die Zeit bis zum Tag
der Begutachtung am 20.01.2016 angeschlossen. Seit Oktober 2012 sei - so meine auch Dr. med. T1 - eine wesentliche Änderung
der gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers eingetreten, insbesondere eine Verschlechterung seitens der Hüft- und Kniegelenke.
Diese müssten nach seiner Auffassung mit einem Einzel-GdB von 30 (anstatt von 10) bewertet werden. Seit seiner Begutachtung
am 20.01.2016 hält er einen Gesamt-GdB von 50 für angemessen.
Der Senat hat zu diesem Gutachten eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. med. T1 eingeholt. Dieser hat am
05.08.2016 ausgeführt, dass für den Bereich der unteren Extremitäten weiterhin nicht gerechtfertigt sei, einen GdB von 30
zu vergeben. Eine wissenschaftliche Begründung dafür, dass der Gesamt-GdB nunmehr 50 betrage, liefere Dr. med. T2 nicht. In
Ergänzung dieser Stellungnahme hat Dr. med. T1 am 12.05.2017 weiter ausgeführt, dass die von Dr. med. T2 festgestellte deutliche
Coxarthrose nicht nachvollzogen werden könne. Die unterschiedlichen Bewegungsausmaße seien nicht so erheblich, dass eine andere
Einschätzung des GdB für die unteren Extremitäten und damit auch für den Gesamt-GdB begründbar sei. Insbesondere habe Dr.
med. T2 versäumt, eine Röntgenaufnahme beider Hüftgelenke durchzuführen, und stattdessen eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt,
welche jedoch als geringwertiger bei der Begutachtung zu bewerten sei.
Der Kläger meint, dass dem gemäß §
109 SGG gehörten Gutachter zu folgen sei. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in dessen
Abwesenheit angeregt, von dem Gutachter Dr. med. T2 eine ergänzende Stellungnahme einzuholen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte auch ohne das persönliche Erscheinen des Klägers in der Sache entscheiden und hat dabei insbesondere nicht
den Grundsatz der Wahrung rechtlichen Gehörs verletzt. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens hat nicht die Funktion,
rechtliches Gehör der Beteiligten sicherzustellen (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt,
SGG-Kommentar, 12. Aufl. 2017, §
111 Rn. 2). Dieses war sichergestellt durch die Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Von der Auferlegung eines
Ordnungsgeldes hat der Senat abgesehen, weil die mündliche Verhandlung gezeigt hat, dass ein Erscheinen des Klägers zur weiteren
Aufklärung des Sachverhalts nicht erforderlich war.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache indes nicht begründet. Das SG hat seine zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§
54 Abs.
1 Satz 1, §
56 SGG) zu Recht als unbegründet abgewiesen.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte einen höheren GdB als 40 ab Antragstellung feststellt.
Nach §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden
abgestuft von den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden festgestellt, §
69 Abs.
1 Satz 1 und Satz 4
SGB IX. Die weitere Präzisierung ergibt sich aus der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV, BGBl. I S. 2412) sowie insbesondere den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VmG) gemäß der Anlage zu § 2 der VersMedV.
Die Bemessung des (Gesamt-)GdB ist in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (Bundessozialgericht
-BSG-, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris Rn. 5 m.w.N.). In einem ersten Schritt sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden
Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß §
2 Abs.
1 SGB IX und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in den
VmG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann, in der
Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB, in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen
Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der maßgebliche (Gesamt-)GdB zu bilden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R -, juris Rn. 18 m.w.N.). Außerdem sind nach VmG Teil A Nr. 3 b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu
vergleichen, für die in der Tabelle der VmG feste GdB-Werte angegeben sind (BSG, Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R -, juris Rn. 25). a) Zur Überzeugung des Senats steht nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen, insbesondere den
Sachverständigengutachten von Dr. med. T1 und Dr. med. L, fest, dass die folgenden Diagnosen bei dem Kläger zu stellen und
die Funktionssysteme wie folgt zu bewerten sind:
- Halswirbelsäulensyndrom mit geringfügigen Bewegungseinschränkungen und altersgemäßen degenerativen Veränderungen, geringgradige
Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule: Einzel-GdB für Funktionssystem Wirbelsäule/Rumpf von 30- Ohrgeräusche: Einzel-GdB
für Funktionssystem Ohren von 20- Funktionseinschränkung beider Schultern, Bewegungseinschränkung der Ellenbogen: Einzel-GdB
für Funktionssystem obere Extremitäten von 10- Dysthymie, somatoforme Schmerzstörung: Einzel-GdB für Funktionssystem Psyche/seelische
Störungen von 20- Stoffwechselstörungen: Einzel-GdB für Funktionssystem Stoffwechsel von 10- Lungenleiden: Einzel-GdB für
Funktionssystem Atmung von 10- Glaukom mit Sehstörungen: Einzel-GdB für Funktionssystem Augen von 10- Geringer Hüft- und Kniegelenksverschleiß:
Einzel-GdB für Funktionssystem untere Extremitäten von 10
Mit Ausnahme der Beurteilung des Funktionssystems der unteren Extremitäten und der Psyche werden die Diagnosen und Bewertungen
durch den auf Antrag des Klägers gemäß §
109 SGG gehörten Arzt Dr. med. T2 bestätigt. Diese Diagnosen und nachvollziehbaren Bewertungen werden vom Kläger auch nicht in Abrede
gestellt.
Etwas anderes gilt für die Beurteilung der Funktionssysteme der unteren Extremitäten und der Psyche. Die dortigen Auswirkungen
sind zur Überzeugung des Senats mit einem GdB von 10 sowie mit einem GdB von 20 zu bewerten.
Der Sachverständige Dr. med. T1 hat die festgestellten Funktionseinschränkungen der Knie und Hüfte mit einem Einzel-GdB für
die unteren Extremitäten von 10 bewertet. Der vom Kläger benannte Arzt Dr. T3 ist hiervon abgewichen und hat für die unteren
Extremitäten einen Einzel-GdB von 30 angesetzt. Das Funktionssystem Psyche hat Dr. med. L mit einem Einzel-GdB von 20, Dr.
med. T2 hingegen mit 40 bewertet. Den Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. T1 und Dr. L ist zur Überzeugung des Senats
zu folgen. Die anderslautenden Ausführungen des Dr. med. T2 überzeugen den Senat demgegenüber nicht, weil sie sowohl widersprüchlich
und damit nicht schlüssig sind als auch mit den Vorgaben der VmG nicht in Einklang stehen.
aa) In Bezug auf die unteren Extremitäten besteht nach den Feststellungen von Dr. med. T1 lediglich eine geringgradige Bewegungseinschränkung
des rechten Hüftgelenks bei der Innenrotation, was nach den VmG Teil B Ziffer 18.14 mit einem GdB von 10 bis 20 zu bewerten
ist. Ferner besteht ein lediglich geringer Verschleiß der Kniegelenke ohne Funktionseinschränkung, was nach den VmG Teil B
Ziffer 18.14 allenfalls mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten ist. Der Sachverständige hat bei der Funktionsprüfung der Hüftgelenke
bei der Drehung einwärts eine geringgradige Einschränkung auf 30 Grad, anstelle üblicherweise 40 bis 45 Grad festgestellt.
Im Übrigen war die Beweglichkeit regelrecht. Im Bereich der Kniegelenke hat der Sachverständige Dr. med. T1 sogar eine vollständige
und regelrechte Beweglichkeit (0 / - / 140 Grad) festgestellt. Diese Ergebnisse der Funktionsprüfung der unteren Extremitäten
gehen auch konform mit den Röntgenaufnahmen, die lediglich eine beginnende Coxarthrose der Hüftgelenke und eine beginnende
Gonarthrose der Knie beidseits zeigten.
In Bezug auf die Hüftgelenke hat Dr. med. T2 eine aufgehobene Drehung einwärts (Innenrotation) mit 0 Grad (anstelle normal
40 bis 50 Grad) und eine regelrechte Beweglichkeit bei Streckung und Beugung (0 / 0 / 120 Grad) beobachtet. Für den von ihm
angenommenen GdB von 30 wäre jedoch nach den VmG Teil B Nr. 18.14 für den Bereich der Hüftgelenke erforderlich, dass die Streckung
/ Beugung mindestens auf die Maße 0 / 10 / 90 Grad bei beiden Hüftgelenken bzw. sogar 0 / 30 / 90 Grad bei einem Hüftgelenk
reduziert wäre, was nach seiner eigenen Untersuchung nicht der Fall war. Soweit Dr. med. T2 meint, dass der Kläger an einer
deutlichen Coxarthrose leide, erscheint bereits die Diagnosestellung zweifelhaft. Denn schließlich hat Dr. med. T2 die erste
und wichtigste diagnostische Maßnahme für die Feststellung einer Coxarthrose, eine Röntgenaufnahme, nicht durchgeführt. Darüber
hinaus hat er auch die mit einer deutlichen Coxarthrose üblicherweise einhergehende Bewegungseinschränkung nicht festgestellt,
so dass die Diagnose zweifelhaft erscheint. Ungeachtet dessen rechtfertigen die mit bildgebenden Verfahren festgestellten
Veränderungen (z. B. degenerativer Art) allein noch nicht die Annahme eines GdB. Vielmehr kommt es auf die festgestellten
Funktionseinschränkungen an, die beim Kläger angesichts der Bewegungsmaße allenfalls als geringgradig anzusehen und damit
zu Recht mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet worden sind.
Dr. med. T2 hat mit Maßen bei der Streckung / Beugung der Kniegelenke von 0 / 10 / 135 Grad ebenfalls eine nahezu regelrechte
Beweglichkeit der Kniegelenke festgestellt. Soweit er meint, dass dennoch ein Einzel-GdB von 30 für die Kniegelenke anzusetzen
sei, weil der Kläger an einem höhergradigen Knorpelschaden mit einer Ergussbildung am rechten Kniegelenk leide, kann dem nicht
gefolgt werden. Nach den VmG Teil B Ziffer 18.14 ist eine - wie hier - geringe Bewegungseinschränkung der Kniegelenke mit
einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten. Zwar wäre ein einseitiger, ausgeprägter Knorpelschaden der Kniegelenke mit anhaltenden
Reizerscheinungen ohne Bewegungseinschränkung mit 10 bis 30 zu bewerten. Dr. med. T2 hat jedoch radiologisch lediglich eine
Chondromalacia (Knorpelschaden) Grad II festgestellt. Zum anderen teilt er keine Befunde mit, die die erforderlichen anhaltenden
Reizerscheinungen wie eine Kapselschwellung oder erhebliche und anhaltende Schmerzen des Klägers dokumentieren. So wurden
weder vom Kläger selbst erhebliche und anhaltende Schmerzen im Bereich der Knie berichtet, noch wurde eine Kapselschwellung
eindeutig nachgewiesen. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. med. T1 ergibt die MR-Tomographie des Kniegelenks
regelmäßig Nebenbefunde, die keine Auswirkungen haben. Ansatzverkalkungen seien keine Anzeichen für innere Knorpelschäden.
Vielmehr habe die Röntgenuntersuchung lediglich eine geringgradige Gonarthrose gezeigt. Insofern ist der Bewertung des Dr.
med. T2 nicht zu folgen und ein Einzel-GdB für die unteren Extremitäten von 10 angemessen.
Soweit Dr. med. T2 meint, dass auch Dr. med. T1 festgestellt habe, dass seit Oktober 2012 eine wesentliche Änderung der gesundheitlichen
Verhältnisse des Klägers eingetreten sei, ist dies nicht zutreffend. Vielmehr hat der Sachverständige Dr. med. T1 mitgeteilt,
dass sich gegenüber 2012 keine neuen Erkenntnisse gezeigt hätten.
bb) Die Ausführungen des Dr. med. T2 zu den für ihn als Orthopäden zudem fachfremden neurologisch-psychiatrischen Gesundheitsstörungen
überzeugen ebenfalls nicht.
Hierzu hat er angeführt, dass es sich bei der von dem Sachverständigen Dr. med. L festgestellten Somatisierungsstörung des
Klägers um die Krankheit der Fibromyalgie handele. So sei die Somatisierungsstörung früher genannt worden. Sodann hat er über
insgesamt zehn Seiten abstrakt und ohne Bezug auf den Kläger das Krankheitsbild und die sozialmedizinische Beurteilung der
Fibromyalgie dargestellt. Am Ende hat er dann aber selbst festgestellt, dass der Kläger an einem solchen Fibromyalgiesyndrom
nicht leide, sondern an einer Somatisierungsstörung. Diese Einschätzungen haben zum einen keine unmittelbare Relevanz für
die Beurteilung der Funktionseinschränkungen des Klägers und sind überdies nicht nachvollziehbar und in sich widersprüchlich.
Erneut widersprüchlich ist seine Bewertung der Auswirkungen im Funktionssystem Psyche. Während er noch bei der für ihn fachfremden
Diagnose der Dysthymie / somatoformen Schmerzstörung dem psychiatrischen Sachverständigen Dr. L folgt und ebenfalls einen
Einzel-GdB von 20 annimmt, stellt er bei der Bewertung des Funktionssystems Psyche sodann einen Einzel-GdB von 40 fest, ohne
eine weitere Gesundheitsstörung auf psychiatrischem Fachgebiet oder eine andere Begründung zu liefern. Seiner Bewertung überzeugt
daher auch in diesem Punkt nicht.
Soweit der Kläger meint, dass das Funktionssystem Psyche, insbesondere die Dysthymie und Somatisierungsstörung mit einem GdB
von 30 zu bewerten sei, stimmt der Senat dem nicht zu. Nach den VmG Teil B Nr. 3.7 sind stärker behindernde psychische Störungen
mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten. Bei den festgestellten
psychischen Störungen handelt es sich nach Dr. med. L hingegen um eine leichtgradige Erkrankung, die zu einer schwerwiegenden
Einschränkung der Erlebnis und Gestaltungsfähigkeit gerade nicht führt. Der Kläger übt seinen Beruf weiterhin vollschichtig
aus; eine wesentliche Einschränkung seiner Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ist nicht zu erkennen. Mithin erscheint die
Bewertung der Psyche mit einem Einzel-GdB von 20 als angemessen.
b) Der Gesamt-GdB-Bildung von 40 durch Dr. med. T1 ist ebenfalls zu folgen. Das Wirbelsäulenleiden, das von allen Ärzten als
Hauptleiden und mit einem GdB von 30 bewertet wurde, wird nicht durch den Einzel-GdB von 20 für die psychischen Leiden in
Form der Somatisierungsstörung und Dysthymie erhöht. Zum einen kommt dem Einzel-GdB von 20 in der Regel ohnehin nicht bzw.
nur ausnahmsweise bei einer Verstärkung der Auswirkungen eine erhöhende Wirkung zu. Zum anderen hat Dr. med. T1 vorliegend
nachvollziehbar sogar eine Überschneidung des Wirbelsäulenleidens und der psychischen Leiden festgestellt, so dass eine Erhöhung
schon aus diesem Grund ausscheidet.
c) Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Verhandlungstermin am 15.09.2017 die erneute Anhörung des auf seinen Antrag
gemäß §
109 SGG bereits gehörten Dr. med. T2 angeregt hat, sah der Senat hierzu keinen Anlass.
Es liegt insbesondere kein besonderer Umstand vor, der die wiederholte Anhörung desselben Gutachters Dr. med. T2 rechtfertigen
könnte. Ein solcher kann dann gegeben sein, wenn sich ein Gutachter zu bestimmten entscheidungserheblichen Fragen nicht oder
unvollständig geäußert hatte oder sich zusätzliche streiterhebliche Tatsachen ergeben haben, z. B. neue Gesundheitsstörungen
auf demselben medizinischen Fachgebiet entstanden sind oder andere Gutachten eingeholt wurden, zu denen er Stellung nehmen
soll (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG Kommentar, 12 Aufl. 2017, §
109 Rn. 10b m.w.N.). Dies war vorliegend nicht der Fall. Der Sachverständige konnte sich mit den zuvor von Amts wegen eingeholten
Gutachten befassen und auseinandersetzen. Auch sind weitere Gesundheitsstörungen nicht hinzu- oder sonstige streiterhebliche
Tatsachen eingetreten. Soweit die Frage im Raum steht, ob Dr. med. T2 bei der Bewertung des Funktionssystems Psyche mit einem
GdB von 40 lediglich ein Schreibfehler unterlaufen ist und er - wie nach seinen eigenen Feststellungen zuvor - die Psyche
mit einem GdB von 20 bewerten wollte, ist vorliegend unerheblich und bedarf nicht der Aufklärung. Denn selbst wenn der Senat
zu Gunsten des Klägers unterstellt, er habe das Funktionssystem Psyche mit 40 bewerten wollen, folgt der Senat dem aus den
unter 1.a) bb) dargestellten Gründen nicht. Auch Dr. med. T2 selbst hat in seinem Gutachten keine Auswirkungen von Funktionsstörungen
dokumentiert, die einen GdB von 40 für die "Psyche" ansatzweise rechtfertigen könnten.
Überdies war der Antrag auch gemäß §
109 Abs.
2 SGG abzulehnen. Das Gericht kann hiernach einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert
werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus
grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Verspätung aus grober Nachlässigkeit liegt vor, wenn jede zur sorgfältigen
Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen ist, d.h. wenn nicht getan wurde, was jedem einleuchten muss. Der
Beteiligte muss den Antrag spätestens dann innerhalb angemessener Frist stellen, wenn er erkennen muss, dass das Gericht keine
(weiteren) Erhebungen von Amts wegen durchführt. Dies ist bei sachkundigen oder sachkundig vertretenen Klägern anzunehmen,
wenn das Gericht mitgeteilt hat, es seien keine weiteren Ermittlungen vorgesehen bzw. der Rechtsstreit werde als entscheidungsreif
angesehen, oder den Rechtsstreit ohne weitere Mitteilung terminiert hat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG Kommentar, 12 Aufl. 2017, §
109 Rn. 11 m.w.N.). Vorliegend musste der anwaltlich vertretene Kläger spätestens mit Erhalt der Ladung zum Verhandlungstermin
am 11.08.2017 erkennen, dass der Senat keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchführt. Kann der Beteiligte dies erkennen,
muss er innerhalb angemessener Frist den Antrag gem. §
109 SGG stellen. In der Regel ist, wenn das Gericht keine Frist setzt, eine solche von einem Monat ausreichend (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG Kommentar, 12 Aufl. 2017, §
109 Rn. 11 m.w.N.). Den Antrag hat der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt des Klägers jedoch erst im Termin zur mündlichen Verhandlung
am 15.09.2017 und damit außerhalb einer angemessenen Frist gestellt.
Ungeachtet dessen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich mitgeteilt, dass ihm
daran gelegen sei, den Prozess weiter in die Länge zu ziehen, um dem Kläger einen seiner Ansicht nach fortbestehenden Kündigungsschutz
zu belassen, solange das sozialgerichtliche Verfahren auf Zuerkennung des begehrten GdB von 50 nicht rechtskräftig abgeschlossen
sei. Eine Verschleppungsabsicht ist mithin auch unter diesem Gesichtspunkt, auch wenn dies nicht tragend ist, anzunehmen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
3. Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), lagen nicht vor.