Gründe
I.
Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen der Folgen eines (anerkannten) Arbeitsunfalls vom 16.4.1985.
Dem 1956 geborenen und als Müllader beschäftigten Kläger schlug am 16.4.1985 nach einem Entleerungsvorgang eine aus der Schüttung
fallende leere Mülltonne (Unfallanzeige vom 24.4.1985) gegen die linke Körperseite. Bei bestehendem Druckschmerz über den
unteren Rippen links hinten und leichtem Atem- und Bewegungsschmerz sowie nach Röntgenuntersuchung fehlendem Anhalt für eine
frische Knochenverletzung stellte Dr. M die Diagnose "Thoraxprellung" (Durchgangsarztbericht vom 16.4.1985). Dr. C bescheinigte
Arbeitsunfähigkeit seit dem 16.4.1985 (Attest vom 29.4.1985).
Im November 2004 wandte sich der Kläger mit der Bitte um Sachstandsmitteilung an die Beklagte, da er bisher - auch hinsichtlich
4 weiterer Arbeitsunfälle vom 6.7.1981, 22.4.1982, 20.8.1982 und 21.7.1983 - keinen Verwaltungsakt erhalten habe.
Die Beklagte zog weitere ärztlicher Unterlagen betreffend die Zeit ab Oktober 1982 bei. Nervenfacharzt Dr. I ging im Rahmen
eines Gutachtens für das Versorgungsamt 1982 von einer geistigen Behinderung (Einzel-MdE 80 %) und unter Berücksichtigung
der Angaben des Klägers, er habe ab und zu Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in das linke Bein - von beginnenden Verschleißerscheinungen
im Bereich der Wirbelsäule (Einzel-MdE 10 %) aus. Dr. P erwähnte in einem Gutachten (13.11.1987) zur Vorgeschichte, bei dem
Kläger beständen seit mehreren Jahren Nacken-Rückenschmerzen. "1986" sei ihm eine Mülltonne in den Rücken geschlagen, dadurch
sei es zu einer Rückenprellung gekommen. Dr. Q berichtete (1.3.1993), der Kläger lokalisiere chronische Beschwerden in die
Lendenwirbelsäule "nach einem Trauma 1987", wo er im Streit eine kleine leere Eisentonne in den Rücken geworfen bekommen habe.
In dem Entlassungsbericht über eine 1993 durchgeführte Reha-Maßnahme wird ausgeführt, bei dem Kläger bestehe ein generalisiertes
Schmerzsyndrom mit ausgeprägter Somatisierungtendenz. Durchweg sei eine diffuse Druck- und Bewegungsschmerzhaftigkeit sämtlicher
Körperpartien festgestellt worden. Es habe sich eine allgemeine Muskelverspannung sowie eine aggravierende Beschwerdeschilderung
mit regelmäßigem Hinweis auf einen "stattgehabten Unfall (Rückenprellung 1985)" gefunden. Dr. P gab in einem weiteren Gutachten
(28.10.1998) zur Vorgeschichte an, bei einem "Arbeitsunfall 1989 sei eine Mülltonne in den Rücken gefallen". Ein für das Sozialgericht
(SG) Düsseldorf von Dr. W erstattetes Gutachten (5.7.1999) enthält zur Anamnese die Angabe, der Kläger habe "durch einen Arbeitsunfall
einen Bandscheibenvorfall erlitten". Anlässlich einer Begutachtung für das Versorgungsamt durch Dr. C1 (16.11.2001) führte
der Kläger "seine gesamte Beschwerdesymptomatik auf einen Unfall zurück, den er offenbar 1989 erlitten" habe.
Auf Nachfrage der Beklagten erklärte der Kläger (23.11.2004), bei den Unfällen vom 22.4.1982, 21.7.1983 und 16.4.1985 sei
es zu Verletzungen des Brustkorbes, des Schädels, des rechten Knies, der Ellbogen links und rechts, der rechten Hand und zu
Hüftgelenkbeschwerden gekommen. Nach Eingang von Auskünften der AOK Rheinland (3.1.2005) und der W BKK (21.2.2005) und dem
erfolglosen Versuch, sonstige Auskünfte zu einem möglichen Unfall zu erhalten (Schreiben vom 6.6.2005), veranlasste die Beklagte
hinsichtlich der 5 Arbeitsunfälle eine Begutachtung durch den Arzt für Chirurgie Dr. L (Anschreiben vom 1.3.2006). Hinsichtlich
des hier streitigen Arbeitsunfalls gab der Kläger dort an, am 16.4.1985 habe ein Vorarbeiter mit Absicht die leere Mülltonne
gegen seinen Brustkorb geschleudert. Er habe ständig Schmerzen im linken Arm und der linken Schulter. Der Arm kribbele und
werde taub. Das ganze Kreuz und beide Hüften täten ihm weh. Er habe Schwierigkeiten beim Laufen und Gleichgewichtsstörungen.
Beide Knie schmerzten. Diese Beschwerden seien durch den Unfall vom 16.4.1985 hervorgerufen. Zusammenfassend führte Dr. L
aus, eine objektive Untersuchung sei nicht möglich und die beklagten Beschwerden seien kaum zu objektivieren gewesen. Hinweise
auf objektivierbare Folgen der angeschuldigten Arbeitsunfälle seien in den in der Akte vorliegenden Befunden nicht beschrieben,
wohl aber schon weit zurückliegend beschriebene degenerative Veränderungen. Seine Untersuchung habe keinen Anhalt für einen
Zusammenhang des geklagten Beschwerdebildes mit früheren Arbeitsunfällen ergeben (Gutachten vom 21.4.2006). Zusammenfassend
ergänzte der Gutachter (15.5.2006), seine Untersuchung habe zweifelsfrei ergeben, dass die Arbeitsunfälle ohne objektiv nachweisbare
Unfallfolgen geblieben seien. Das vom Kläger angegebene Beschwerdebild beruhe auf unfallunabhängigen Erkrankungen.
Die Beklagte erkannte den Unfall vom 16.4.1985 als Arbeitsunfall sowie als dessen Folgen "folgenlos ausgeheilte Prellung im
Bereich des Brustkorbes links" an und lehnte die Gewährung einer Rente sowie die Anerkennung weiterer Folgen des Arbeitsunfalls
ab (Bescheid vom 21.6.2006).
Den hiergegen eingelegten und auf das Ergebnis einer Begutachtung durch Dr. T vom 14.1.2004 in einem Verfahren vor dem Landessozialgericht
(LSG) NRW in einer Schwerbehindertenangelegenheit (L 10 SB 82/03) gestützten Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 14.2.2007, laut Zustellungsurkunde zugestellt
am 16.2.2007 durch Einlegung in den Briefkasten der Wohnung).
Mit der am 8.6.2007 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er habe die Klagefrist nicht einhalten können, da er bis zum
16.5.2007 in Düsseldorf in Haft gewesen sei. Tatsächlich sei ihm der Widerspruchsbescheid erst mit dem Tag der Entlassung
aus der Strafhaft zugegangen. Deshalb seien die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegeben.
Nach Auskunft seines Orthopäden Dr. L1 seien die Unfallfolgen noch nicht ausgeheilt. Er leide nach wie vor darunter. Er sei
austherapiert ohne Heilungserfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat nach Einholung einer Auskunft der Justizvollzugsanstalt E (14.4.2009) die Klage abgewiesen (Urteil vom 27.10.2009, zugestellt
am 23.11.2009). Die Klage sei unzulässig, denn sie sei verspätet eingelegt worden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
komme nicht in Betracht.
Mit der am 21.12.2009 eingelegten Berufung vertritt der Kläger weiter die Auffassung, ihm sei unter Berücksichtigung zivilrechtlicher
Rechtsprechung und nicht ordnungsgemäßer Zustellung des Widerspruchsbescheides Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,
da es ihm infolge seiner Strafhaft unmöglich gewesen sei, die Klagefrist einzuhalten. Er sei Analphabet und nicht in der Lage,
selbstständig Einspruch einzulegen. Die Schriftstücke in der Gerichtsakte seien von dem Lebensgefährten seiner Schwester geschrieben
worden. Zudem habe er die Klagefrist nicht versäumt. Gegenüber dem im Verwaltungsverfahren tätig gewordenen Gutachter Dr.
L sei er nicht in der Lage gewesen, "ein subjektives Beschwerdebild über die streitgegenständlichen Verletzungen und deren
Folgen zu zeichnen". Deshalb habe eine vollständige, widerspruchsfreie objektive Beurteilung seines Gesundheitszustandes nach
den Unfällen bislang nicht erfolgen können. Insoweit seien weitere Ermittlungen notwendig. Das Gutachten des Dr. L enthalte
unvollständige Feststellungen, sei anfechtbar und einer gerichtlichen Prüfung zu unterziehen. Wegen der Einzelheiten seines
Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 18.12.2009, 22.1.2010, 21.6.2010 und 20.8.2010 verwiesen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des SG Düsseldorf vom 27.10.2009 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 21.6.2006
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.2.2007 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 16.4.1985
Rente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich der Auffassung des Klägers insoweit an, als eine wirksame Zustellung des Widerspruchsbescheides nicht erfolgt
und somit die Klage rechtzeitig erhoben worden sei. Dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), auf das sich das SG gestützt habe, habe ein anderer Sachverhalt zu Grunde gelegen. Jedoch sei der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf
Verletztenrente nicht gegeben. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. In dieser Auffassung sieht sie sich durch das
im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten bestätigt.
Das Gericht hat eine Auskunft der Stadt Remscheid - Meldebehörde - (14.1.2010) eingeholt, dem Bevollmächtigten des Klägers
Akteneinsicht gewährt und dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt (Beschluss vom 13.9.2010).
Für das Gericht hat der Arzt für Orthopädie Dr. W ein Gutachten erstattet (19.2.2011). Der Kläger gab dort an, er habe damals
ein schweres Eisenteil in den Rücken bekommen und habe seitdem dort und im ganzen Körperbereich Schmerzen. Der Unfall 1985
sei der erste von insgesamt 5 Unfällen gewesen. 1984 habe ihn ein Vorarbeiter gegen einen Zaun geschmissen, nachdem dieser
ihm eine Mülltonne ins Kreuz geschmissen habe. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt, es seien zu keinem Zeitpunkt
für eine Verletzung spezifische Befunde dokumentiert worden. Die im Durchgangsarztbericht gestellte Diagnose einer Thoraxprellung
gründe sich nicht auf verletzungsspezifische Befunde, sondern auf Angaben des Klägers. Eine derartige Verletzung heile nach
allgemeiner unfallmedizinischer Erfahrung innerhalb weniger Wochen aus. Der zeitnahe Verlauf nach dem Ereignis sei nicht weiter
dokumentiert. Beschwerden von seiten der Rumpfwirbelsäule seien bereits vor dem infrage stehenden Ereignis ärztlich dokumentiert
gewesen. Auch bei seiner körperlichen Untersuchung seien für eine Verletzung typische oder gar spezifische Befunde nicht feststellbar
gewesen. Bei dem Kläger ließen sich keine Gesundheitsstörungen feststellen, die mit Wahrscheinlichkeit ursächlich im Sinne
der Entstehung oder Verschlimmerung auf den Arbeitsunfall vom 16.4.1985 zurückzuführen seien. Die Bezeichnung der Unfallfolgen
in dem Bescheid vom 21.6.2006 seien zutreffend und vollständig.
Die Beteiligten sind zu einer vorgesehenen Entscheidung durch Beschluss gemäß §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gehört worden (Schreiben vom 15.4.2011, zugestellt am 28.4.2011) und haben sich mit einer Entscheidung durch Beschluss einverstanden
erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akten
der Beklagten und des SG Düsseldorf (S 36 SB 462/01) Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung des Senats gewesen ist.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Allerdings hat das SG die Klage zu Unrecht als unzulässig angesehen, weil diese verspätet eingelegt worden sei. Vielmehr ist die Klage rechtzeitig
erhoben worden. Denn es fehlt an einer wirksamen Zustellung des Widerspruchsbescheides, da der Kläger vom 17.01. bis 16.5.2007
inhaftiert war und deshalb in diesem Zeitraum am Ort der Zustellung keine "Wohnung" hatte (vergleiche VG Düsseldorf, Beschluss
vom 7.4.2008 - 13 L 302/08.A; OLG München, Beschluss vom 19.10.1989 - 15 W 2867/89; BGH, Urteil vom 24.11.1977 - III ZR 1/76).
Der Kläger hat jedoch - nach den gemäß §
214 Abs.
3 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) anwendbaren Vorschriften des
SGB VII - keinen Anspruch auf Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 16.4.1985. Dies hat die Beklagte in dem angefochtenen
Bescheid vom 21.6.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.2.2007 gestützt auf das Ergebnis der Begutachtung
durch Dr. L, dem umfangreiche ärztliche Unterlagen aus den Jahren ab 1982 vorgelegen haben - bereits zutreffend begründet
dargelegt. Insoweit nimmt der Senat gemäß §§
153 Abs.
1,
136 Abs.
3 SGG auf die Begründung in den angefochtenen Bescheiden Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe
ab.
Ergänzend weist der Senat lediglich darauf hin, dass sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im gerichtlichen
Verfahren und des Ergebnisses der Ermittlungen im Berufungsverfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass über die anerkannten
Folgen des Arbeitsunfalls hinaus weitere Folgen vorliegen oder ein Anspruch auf Rente besteht. Die Angaben des Klägers selbst
zum Zeitpunkt und zu dem Hergang des Arbeitsunfalls sind im Verlauf des Verfahrens sehr wechselhaft gewesen. Undifferenziert
hat er vielfältige Beschwerden auch an - nach den zeitnahen Angaben - nicht von dem Ereignis betroffenen Körperteilen kausal
auf den Arbeitsunfall zurückgeführt. Für den Senat überzeugend hat demgegenüber Dr. W nach eingehender Untersuchung des Klägers
unter Abwägung der für und gegen einen Unfallzusammenhang sprechenden Gesichtspunkte und im Wesentlichen in Übereinstimmung
mit der Beurteilung von Dr. L begründet dargelegt, dass bei dem Kläger nach regelhaft innerhalb eines Zeitraumes von wenigen
Wochen folgenlos ausgeheilter nicht-struktureller Verletzung des Brustkorbes keine Gesundheitsstörungen festzustellen sind,
die mit Wahrscheinlichkeit ursächlich im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung auf den Arbeitsunfall vom 16.4.1985 zurückzuführen
wären. Davon abweichende ärztliche Beurteilungen sind den Akten im Übrigen nicht zu entnehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Von der Auferlegung von Kosten gemäß §
192 SGG hat der Senat in Ausübung seines Ermessens abgesehen.
Anlass, die Revision nach §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, besteht nicht.