Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin in der Zeit vom 03.11.2010 bis zum 03.09.2012 bei der Beklagten im Rahmen der Familienversicherung
krankenversichert war.
Der Ehemann der Klägerin J B ist Mitglied der Beklagten. Die Klägerin war seit 01.09.1995 im Rahmen der Familienversicherung
bei der Beklagten krankenversichert; ob hierüber Feststellungsbescheide der Beklagten ergangen sind, ist nicht ersichtlich.
Die Klägerin übt nach ihren Angaben im Verwaltungsverfahren seit 1998 eine freiberufliche selbstständige Erwerbstätigkeit
mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 18 Stunden aus; sie beschäftigt keine Arbeitnehmer. Aus dieser Tätigkeit
erzielte sie nach den Einkommensteuerbescheiden (EStB) des Finanzamtes B Einkünfte wie folgt:
-EStB für 2008 vom 24.02.2010: 3.369,00 €,
-EStB für 2009 vom 28.10.2010: 6.556.00 €,
geänderter EStB für 2009 vom 12.04.2011: 7.506,00 €,
-EStB für 2010 vom 20.08.2012: 2.191,00 €,
-EStB für 2011 vom 28.06.2013: 3.757,00 €,
-EStB für 2012 vom 28.03.2014: 2.724,00 €;
sonstige positive Einkünfte der Klägerin weisen die vorgenannten Bescheide nicht aus.
Im Rahmen einer 2010 eingeleiteten Überprüfung der Voraussetzungen der Familienversicherung gab der Ehemann der Klägerin in
einem Fragebogen unter dem 16.10.2010 an, die Klägerin erziele aus der selbstständigen Tätigkeit durchschnittliche Bruttoeinkünfte
in Höhe von monatlich 250,00 €; Einkommensteuerbescheide würden nachgereicht. Die Beklagte erinnerte in der Folge mehrfach
an die Vorlage von Einkommensteuerbescheiden für 2008 und 2009, zuletzt mit Schreiben vom 13.09.2011. Spätestens im Dezember
2011 reichte die Klägerin die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2008 bis 2009 ein. Ausgehend vom EStB für 2009 vom 28.10.2010,
dessen Zugang die Beklagte mit dem 02.11.2010 zu Grunde legte, stellte die Beklagte mit formlosem Bescheid vom 11.01.2012
das Ende der (beitragsfreien) Familienversicherung rückwirkend zum 02.11.2010 fest; ab 02.11.2010 veranlagte sie die Klägerin
ausgehend von der Mindestbemessungsgrenze zu Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von monatlich 149,63 € (Bescheid
vom 27.01.2012). Gegen die Beendigung der Familienversicherung erhob die Klägerin im November 2012 Widerspruch, den die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 01.08.2013 zurückwies. Sie führte zur Begründung aus, in den Verhältnissen bei Annahme der Familienversicherung
sei infolge der im EStB für 2009 vom 28.10.2010 ausgewiesenen Einkünfte der Klägerin aus selbstständiger Tätigkeit ab 03.11.2010
eine wesentliche Änderung eingetreten. Nach dem Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 27.09.2007
sei bei der Feststellung des Gesamteinkommens von selbstständig Tätigen im Bereich der Familienversicherung eine Übernahme
der Grundsätze zur Heranziehung des Arbeitseinkommens Selbstständiger geboten, wie sie im Bereich der Beitragseinstufung von
freiwillig krankenversicherten hauptberuflich Selbstständigen praktiziert werde. Dies bedeute, dass zur Bestimmung der Höhe
des Arbeitseinkommens aus der selbstständigen Tätigkeit grundsätzlich auf den letzten aktuellen Einkommensteuerbescheid zurückzugreifen
sei. Da der Versicherte entgegen seiner Verpflichtung aus §
206 Abs.
1 Nr.
2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) seinen Auskunfts- und Mitteilungspflichten erst verspätet im Dezember 2011 durch Vorlage des maßgeblichen Einkommensteuerbescheides
nachgekommen sei, obwohl regelmäßig sowohl im Antrag als auch in der Bestätigung der Durchführung der Familienversicherung
darauf hingewiesen worden sei, dass der Kasse alle Änderungen, die Auswirkungen auf die Familienversicherung haben könnten
- u.a. Änderungen in den Einkommensverhältnissen - mitzuteilen seien, habe die Familienversicherung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse beendet werden können.
Aufgrund der im EStB für 2010 vom 30.08.2012 festgestellten (niedrigeren) Einkünfte stellte die Beklagte ab 04.09.2012 die
Familienversicherung der Klägerin erneut fest.
Mit ihrer am 28.08.2013 zum Sozialgericht Mainz (SG) erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 11.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2013 hat die Klägerin
geltend gemacht, die EStB für 2009 vom 8.10.2010 bzw. 12.04.2011 wiesen fehlerhaft zu hohe Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit
aus. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22.04.1986 (12 RK 53/84, SozR 2200 § 180 Nr. 30) könne der Steuerpflichtige aber eine unrichtige steuerliche Behandlung bestimmter Einnahmen, die er hingenommen habe,
weil sie steuerlich ohne Nachteile für ihn sind, im Sozialgerichtsverfahren nochmals überprüfen lassen. Das Finanzamt habe
zu Unrecht zahlreiche Ausgaben zur Ausübung ihres Berufs als Sprachlehrerin, etwa die Anschaffung einer Stereoanlage, nicht
berücksichtigt. Im Übrigen habe die Beklagte sie nicht darüber belehrt, dass die Steuerbescheide zeitnah vorgelegt werden
müssten. Die Beklagte hat demgegenüber auf verschiedene im Verwaltungsverfahren ergangene Belehrungen verwiesen, wonach u.a.
Änderungen in den Einkommensverhältnissen der familienversicherten Angehörigen mitzuteilen seien.
Die Beteiligten sowie die Pflegekasse der Beklagten haben sich im Hinblick auf die Familienversicherung in der sozialen Pflegeversicherung
am 13.01.2014/ 10.02.2014 dem Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits unterworfen.
Durch Urteil vom 28.09.2015 hat das SG den Bescheid vom 11.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2013 aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin
in der Zeit vom 03.11.2010 bis zum 03.09.2012 bei der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert
war. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe im streitgegenständlichen Zeitraum sämtliche Voraussetzungen der
Familienversicherung nach §
10 Abs.
1 Satz 1
SGB V erfüllt. Sie habe ihren Wohnsitz im Inland gehabt, sei nicht nach §
5 Abs.
1 Nr.
1,
2,
3 bis 8, 11 oder 12
SGB V pflichtversichert und nicht versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit gewesen. Sie sei auch nicht hauptberuflich
selbstständig erwerbstätig gewesen. Hauptberuflich sei eine selbstständige Erwerbstätigkeit, wenn sie von der wirtschaftlichen
Bedeutung und dem zeitlichen Umfang her jedenfalls die übrigen Erwerbstätigkeiten deutlich übersteige (Hinweis auf BSG 29.04.1997 - 10/4 RK 3/96, Rn 18). Anhand der gegenüber der Beklagten gemachten Angaben der Klägerin zu Umfang und wirtschaftlicher Bedeutung ihrer
selbstständigen Tätigkeit (unter 18 Stunden im Monat, Einnahmen unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze) und anhand der in den
Einkommensteuerbescheiden berücksichtigten Einnahmen lasse sich ohne Weiteres nachvollziehen, dass die Klägerin ihre selbstständige
Tätigkeit nicht hauptberuflich ausgeübt habe. Dies habe auch die Beklagte nicht in Zweifel gezogen. Streiterheblich sei daher
nur die Frage, ob die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ein regelmäßiges Einkommen von mehr als einem Siebtel der
jeweils maßgeblichen monatlichen Bezugsgröße nach §
18 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) erzielt habe (§
10 Abs.
1 Satz 1 Nr.
5 SGB V). Dieser Betrag habe in den Jahren 2010 und 2011 bei 365,00 € im Jahr 2012 bei 375,00 € gelegen. Ausgehend von den Festsetzungen
im EStB 2010 (Einkünfte aus selbstständiger Arbeit: 2.191,00 €) errechne sich ein monatliches Einkommen in Höhe von 182,58
€. Für das Jahr 2011 ergebe sich aus dem EStB für dieses Jahr (Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit: 3.757,00 €) ein monatliches
Einkommen in Höhe von 313,08 €. Für das Jahr 2012 ergebe sich aus dem EStB für dieses Jahr (Einkünfte aus selbstständiger
Arbeit: 2.724,00 €) ein monatliches Einkommen in Höhe von 227,00 €. Weitere Einkünfte habe die Klägerin nicht gehabt. Sie
habe somit im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum nicht über ein regelmäßiges monatliches Einkommen oberhalb der maßgeblichen
Grenzen von 365,00 bzw. 375,00 € verfügt. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei für die Bestimmung des maßgeblichen monatlichen
Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit nicht jeweils auf den letzten aktuellen Einkommensteuerbescheid abzustellen. Für
die Übertragung dieser Maßgabe aus den "Beitragsverfahrensgrundsätzen für Selbstzahler" gebe es keine Rechtsgrundlage. Diese
Regelungen basierten auf §
240 SGB V und beträfen ausschließlich die Bemessungsgrundlage für die zu leistenden Krankenversicherungsbeiträge. Zur Frage, wann eine
Familienversicherung bestehe, sagten sie nichts aus. Für eine solche Bestimmung fehle es auch an einer Ermächtigungsgrundlage.
Bereits aus dem Wortlaut des §
10 Abs.
1 Satz 1 Nr.
5 SGB V ergebe sich zudem, dass bei den Familienangehörigen auf deren aktuelles Einkommen abzustellen sei, wenn davon die Rede sei,
dass diese kein Gesamteinkommen "haben". Darüber hinaus werde auf die jeweils aktuell geltende Bezugsgröße abgestellt, was
widersinnig wäre, wenn hiermit ein Einkommen aus einer bereits vergangenen Zeit in Beziehung gesetzt würde. Abzustellen sei
daher stets auf das aktuelle Einkommen. Dies könne dazu führen, dass die Einschätzung, ob eine Familienversicherung bestanden
habe, gelegentlich auch erst nachträglich getroffen werden könne oder später korrigiert werden müsse, weil sich bei selbstständig
Tätigen der Gewinn zuverlässig erst nach Abschluss des Geschäftsjahres feststellen lasse (zur Möglichkeit nachträglicher Änderungen
Hinweis auf LSG Baden-Württemberg 14.10.2013 - L 11 KR 1983/12, [...] Rn 22 ff.).
Gegen das ihr mit Anschreiben vom 01.02.2016 übersandte, am 04.02.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03.03.2016 Berufung
eingelegt. Sie macht geltend, entgegen der Auffassung des SG seien die Grundsätze zur Heranziehung des Arbeitseinkommens Selbstständiger bei der Beitragsfestsetzung entsprechend auch
für die Beurteilung der Familienversicherung zu übernehmen. Die Krankenkasse könne daher grundsätzlich nur auf den letzten
aktuellen Einkommensteuerbescheid abstellen. Vorliegend wäre daher bei rechtzeitiger Einreichung des EStB für 2009 die Familienversicherung
zu beenden gewesen. Eine nachschauende Betrachtungsweise im Hinblick auf die mittlerweile bekannten weiteren Einkommensteuerbescheide
könne der Klägerin nicht zum Vorteil gereichen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 28.09.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Akteninhalt
war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin war in der Zeit vom 03.11.2010 bis zum 03.09.2012 im Rahmen einer Familienversicherung
(beitragsfrei) krankenversichert.
Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Bei der Feststellung des Bestehens einer Familienversicherung
handelt es sich um eine Statusentscheidung im Versicherungsrecht, bei der grundsätzlich eine vorausschauende Betrachtungsweise
angezeigt ist (BSG 07.12.2000 - B 10 KR 3/99 R, [...] Rn 29 f). Erforderlich ist eine Prognose unter Einbeziehung der mit hinreichender Sicherheit zu erwartenden Veränderungen.
Das hierbei gewonnene Ergebnis bleibt dann auch verbindlich, wenn die Entwicklung später anders verläuft als angenommen. Die
Änderung kann jedoch Anlass für eine neue Prüfung und - wiederum vorausschauende - Beurteilung sein (BSG a.a.O.). Demgemäß können zwar Feststellungen zur Höhe der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit aus einem vergangene Zeiträume
betreffenden Veranlagungsjahr Indizwirkung auch für die Prognose der Höhe der künftig aus dieser Tätigkeit zu erwartenden
Einkünfte haben. Dem Versicherten muss aber die Möglichkeit eröffnet werden, Nachweise über eine abweichend hiervon niedrigere
Höhe der zu erwartenden Einkünfte zu führen (vgl. BSG 17.08.1982 - 3 RK 68/80, [...] Rn 2). Demgemäß hat vorliegend die Klägerin, vertreten durch ihren Ehemann, auf Anfrage der Beklagten bereits im Jahr
2010 ihre durchschnittlichen Bruttoeinnahmen aus selbstständiger Tätigkeit mit monatlich 250,00 € beziffert, was unter Berücksichtigung
der tatsächlichen Feststellung im EStB für 2010 (Einkünfte aus selbstständiger Arbeit: 2.191,00 €) jedenfalls nicht fehlerhaft
zu niedrig gewesen ist. Unschädlich ist, dass die Klägerin über die zu erwartenden Einnahmen des Jahres 2010 keinerlei Nachweise
beigebracht hat, da von der Beklagten immer nur die letztmaßgeblichen Einkommensteuerbescheide angefordert worden sind. Mithin
ist davon auszugehen, dass im Rahmen der anzustellenden vorausschauenden Betrachtungsweise auch rückblickend für die Zeit
vom 03.11.2010 bis zum 03.09.2012 die Klägerin nicht über ein Gesamteinkommen oberhalb des maßgeblichen Grenzwertes verfügt
hat. Der Rechtsauffassung der Beklagten, dass allein die Höhe der Einkünfte im letzten aktuellen Einkommensteuerbescheid für
die Beurteilung der Voraussetzungen der Familienversicherung maßgeblich sei, ist das SG zu Recht entgegengetreten. Eine gesetzliche Grundlage für diese Auffassung hat die Beklagte auch mit ihrer Berufung nicht
aufzuzeigen vermocht. Zudem wird selbst bei der Beitragsfestsetzung für freiwillig versicherte Selbstständige nach Maßgabe
der "Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer
Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze
Selbstzahler)" vom 27.10.2008, zuletzt geändert am 10.12.2014, des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen unter bestimmten
Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt, den voraussichtlichen Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit abweichend vom
letzten aktuellen Einkommensteuerbescheid nachzuweisen, wenn die Beitragsbemessung aus dem Arbeitseinkommen auf der Grundlage
des aktuellen Einkommensteuerbescheids eine unverhältnismäßige Belastung darstellt (vgl. § 6 Abs. 3a Beitragsverfahrensgrundsätze
Selbstzahler). Eine ausnahmslos zwingende Anknüpfung an die im letzten aktuellen Einkommensteuerbescheid ausgewiesene Höhe
der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit, wie sie die Beklagte für die Feststellung der Voraussetzungen der Familienversicherung
von Angehörigen für richtig hält, findet mithin auch im Beitragsrecht nicht statt.
Der Berufung der Beklagten bleibt nach alledem der Erfolg versagt.