Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
Abgrenzung von Einkommen und Vermögen
Zuflussprinzip
Anrechnung einer Einkommenssteuererstattung
Tatbestand:
Die Klägerin erstrebt die Verpflichtung des Beklagten, ihr für den Zeitraum vom 1. Februar 2013 bis zum 31. Juli 2013 Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu bewilligen.
Die am 1984 geborene Klägerin hielt sich von Februar 2008 bis März 2010 in Australien auf und ging dort Erwerbstätigkeiten
("work and travel") nach. Zuletzt arbeitete sie vom 14. Dezember 2012 an in der Schweiz. Ihr Arbeitsverhältnis wurde zum 31.
Januar 2013 gekündigt.
Am 12. Februar 2013 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II ab dem 1. Februar 2013. Am 14. Februar 2013 wurde dem Girokonto der Klägerin ein Betrag in Höhe von 4.592,27 EUR gutgeschrieben.
Dabei handelte es sich um die Rückerstattung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ("tax rebate"), die die Klägerin
während ihres Aufenthaltes in Australien abgeführt hatte. Am 28. Februar 2013 erwarb die Klägerin ein gebrauchtes Kraftfahrzeug
zu einem Preis von 1.600,00 EUR.
Mit Bescheid vom 2. Mai 2000 lehnte der Beklagte den Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab. Die im Februar angefallene
einmalige Einnahme in Höhe von 4.592,27 EUR sei auf sechs Monate aufzuteilen, so dass je Monat 765,38 EUR als sonstiges Einkommen
anzurechnen seien. In diesem Zeitraum bestehe daher kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Dem beigefügten Berechnungsbogen zufolge lag der monatliche Bedarf der Klägerin bei 542,00 EUR (= Regelbedarf 382,00 EUR
+ Miete mit Nebenkosten und Heizung 160,00 EUR). Von dem monatlichen Teilbetrag aus der Steuererstattung in Höhe von 765,38
EUR wurde die Versicherungspauschale von 30,00 EUR in Abzug gebracht, so dass ein bereinigtes Einkommen in Höhe von 735,38
EUR verblieb, das den Bedarf um 193,38 EUR überstieg.
Den Widerspruch vom 16. Mai 2013 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. August 2013 zurück. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 SGB II seien einmalige Einnahmen in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie zuflössen. Entfalle durch die Berücksichtigung in dem
Monat der Leistungsanspruch, sei die einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich
mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II). Die Rückerstattung von Steuern und Beiträgen sei eine Einnahme in Geld im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II und daher entsprechend zu berücksichtigen, weil sie zeitlich nach Beantragung der Grundsicherungsleistungen zugeflossen sei.
Entsprechend sei die Steuererstattung auf sechs Monate zu verteilen gewesen. Dass damit der Leistungsanspruch in allen sechs
Monaten entfalle, stehe dem nicht entgegen.
Die Klage vom 29. August 2013 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 8. September 2016 abgewiesen. Bei der nach Antragstellung
im Bedarfszeitraum zugeflossenen Rückerstattung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern handele es sich nicht um Vermögen
im Sinne von § 12 SGB II, sondern um berücksichtigungsfähiges Einkommen nach § 11 Abs. 1 SGB II. Zutreffend habe der Beklagte die Rückerstattung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II beginnend ab dem Monat des Zuflusses in Höhe von monatlich 765,38 EUR verteilt. Dass damit in allen sechs Monaten der Leistungsanspruch
entfallen sei, stehe dem nicht entgegen. Der Erwerb eines Kraftfahrzeuges am 28. Februar 2013 zum Preis von 1.600,00 EUR wirke
sich auf die Anrechnung des gesamten Betrages der Rückerstattung als Einkommen nicht aus. Das Kraftfahrzeug sei als zur Sicherung
des Lebensunterhaltes "bereites Mittel" bedarfsdeckend zu berücksichtigen. Üblicherweise seien Gebrauchtfahrzeuge kurzfristig,
gegebenenfalls unter Inkaufnahme von Mindererlösen, verwertbar und damit zur Sicherung des Lebensunterhaltes einzusetzen.
Soweit die Klägerin angegeben habe, an der Verwertung des Fahrzeugs gehindert gewesen zu sein, weil sie dieses zur Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit benötigt habe, sei die Kammer davon nicht überzeugt. Die Anbahnung eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses
von einiger Dauer habe nicht in Aussicht gestanden. Die Klägerin habe lediglich ausgeführt, einzelne gelegentliche Arbeitseinsätze
als Pauschalkraft im März, Juli und August 2013 gehabt zu haben. Nach Anrechnung des Einkommens sei die Klägerin im gesamten
Bewilligungszeitraum nicht hilfebedürftig gewesen. Das monatlich anzurechnende Einkommen habe den von der Klägerin geltend
gemachten Bedarf in Höhe von 542,00 EUR überstiegen. Ob bei der Klägerin tatsächlich Kosten der Unterkunft und Heizung in
Höhe von 160,00 EUR angefallen seien oder sie bei ihren Eltern mietfrei gewohnt habe, bedürfe angesichts dessen keiner Klärung.
Mit ihrer gegen das ihr am 13. Oktober 2016 zugestellte Urteil gerichteten Berufung vom 3. November 2016 macht die Klägerin
geltend, bei dem zugeflossenen Betrag in Höhe von 4.592,27 EUR habe es sich nicht um Einkommen, sondern um Vermögen gehandelt.
Sie habe, da sie sich nicht dauerhaft in Australien habe aufhalten wollen, von vornherein einen Anspruch auf Auszahlung der
von ihr gezahlten Beiträge erworben. Auch habe der Klägerin das Geld nicht mehr als bereites Mittel zur Verfügung gestanden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 8. September 2016 sowie den Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2013 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, für den Zeitraum Februar 2013
bis Juli 2013 Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen.
Der Beklagte hat sich zur Sache nicht geäußert und einen Antrag nicht gestellt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten
beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten verhandeln und entscheiden, weil sie hierauf in der Ladung hingewiesen
worden sind (vgl. §
153 Abs.
1 i. V. m. §
110 Abs.
1 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
II. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2013 und der Widerspruchsbescheid vom 1. August 2013 sind rechtmäßig und verletzen die
Klägerin nicht in ihren Rechten. Ihr steht der geltend gemachte Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem SGB II im Zeitraum vom 1. Februar 2013 bis zum 31. Juli 2013 nicht zu. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage der Klägerin abgewiesen.
Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist, vorbehaltlich der folgenden Ausführungen
zum Berufungsverfahren, auf die Ausführungen in der Begründung des erstinstanzlichen Urteils (vgl. §
153 Abs.
2 SGG).
Der der Klägerin am 4. Februar 2013 zugeflossene Betrag in Höhe von 4.592,27 EUR ist nicht Vermögen sondern Einkommen. In
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist geklärt, dass Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich alles das ist, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung
bereits hatte (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 2008 - B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 ff. =SozR 4-4200 § 11 Nr. 15 = juris, jeweils Rdnr. 18; BSG, Urteil vom 6. Oktober 2011 - B 14 AS 94/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 46 = juris, jeweils Rdnr. 18, m. w. N.). Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn,
rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgebend bestimmt. Nicht entscheidend ist das Schicksal der Forderung. Von der Regelung
des tatsächlichen Zuflusses als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen ist im Falle der Einkommenssteuererstattung
daher auch nicht deswegen abzuweichen, weil es sich um einen Geldfluss handelt, dessen zugrunde liegende Forderung zu einem
früheren Zeitpunkt fällig geworden wäre, wenn der Erstattungsberechtigte eine andere steuerliche Disposition getroffen hätte.
Die Steuererstattung gehört nicht zu den bereits erlangten Einkünften, mit denen Vermögen angespart wurde (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 2008, a. a. O.; BSG, Urteil vom 22. August 2013 - B 14 AS 78/12 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 63 = juris, jeweils Rdnr. 27, m. w. N.). Ohne Bedeutung ist, dass die der Klägerin zugute gekommene
Erstattung sich aus im Ausland gezahlten Steuern und Abgaben zusammensetzt. Weder aus dem Gesetz noch aus der zitierten Rechtsprechung
ergibt sich ein Anhalt dafür, dass Erstattungen von Steuern und Sozialabgaben aus dem Ausland rechtlich anders zu behandeln
wären als inländische Erstattungsvorgänge.
Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht etwa deshalb, weil sie am 28. Februar 2013 ein Kraftfahrzeug zum Preis von
1.600,00 EUR erworben hat. Zwar gilt der Grundsatz der tatsächlichen Bedarfsdeckung. Nicht mehr vorhandene Mittel, etwa bei
vorzeitigem Verbrauch - auch infolge unwirtschaftlichen Verhaltens - können einem Anspruch nicht mehr entgegengehalten werden
(vgl. BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 - B 4 AS 41/15 R - SozR 4-4200 § 9 Nr. 14 = juris Rdnr. 26, m. w. N.). Vorliegend ist aber nicht erkennbar, dass der Erwerb des Kraftfahrzeugs
dazu führte, dass eine aktuelle Bedarfslage ungedeckt blieb. Mit dem Sozialgericht ist davon auszugehen, dass der Klägerin
möglich und auch zumutbar war, ein innerhalb des Verteilzeitraums liegendes unangemessenes Ausgabeverhalten (Erwerb eines
nicht zwingend erforderlichen Kraftfahrzeugs unter Inkaufnahme dadurch eintretender Hilfebedürftigkeit) rückabzuwickeln, um
den für den Erwerb des Gegenstandes aufgewendeten Geldbetrag für die Deckung des Bedarfs erneut nutzbar zu machen. Ohnehin
ist aber schon nicht erkennbar, warum der Erwerb des Kraftfahrzeugs gerade den Betrag der hier im Streit stehenden Erstattung
von im Ausland gezahlten Steuern und Abgaben betreffen und diesen mindern sollte. Auf dem Girokonto der Klägerin befanden
sich nämlich weitere Mittel, die der Höhe nach geeignet waren, ihr den Erwerb des Kraftfahrzeugs zu ermöglichen. So hatte
die Klägerin am 11. Februar 2013, also wenige Tage vor dem Eingang der Steuer- und Abgabenerstattung, eine Bareinzahlung in
Höhe von 1.400,00 EUR vorgenommen. Ihren Angaben zufolge hatte sie noch eine Lohnzahlung in bar erhalten und daraus die Bareinzahlung
vorgenommen. Im Anschluss an den Eingang der Erstattung wurden dem Konto bis zum 7. März 2013 insgesamt 3.061,87 EUR entnommen,
darunter wohl auch die für den Erwerb des Kraftfahrzeugs aufgewendeten 1.600,00 EUR. Dennoch stand am 7. März 2013 noch ein
Betrag in Höhe von 3.428,62 EUR zur Verfügung, auf den gesamten Verteilzeitraum von 6 Monaten gerechnet also 571,44 EUR monatlich
und auf den Restzeitraum von 5 Monaten und 24 Tagen bezogen 591,14 EUR monatlich. Auch diese Beträge liegen über dem von der
Klägerin geltend gemachten monatlichen Bedarf in Höhe von 542,00 EUR.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe dafür (vgl. §
160 Abs.
2 SGG) nicht vorliegen.