Rechtmäßigkeit einer einstweiligen Anordnung im sozialgerichtlichen Verfahren zur vorläufigen Erbringung ungekürzter Leistungen
nach § 3 AsylbLG an einen staatenlosen Palästinenser
Keine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG
Anforderungen an die Mitwirkungspflichten gemäß § 48 Abs. 3 AufenthG
Gründe:
I. Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner ungekürzte Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG). Der 1978 in Beirut geborene Antragsteller ist ein staatenloser Palästinenser, der im Libanon aufgewachsen ist. Seine Familie
wurde durch die "United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA)" registriert (Bescheinigung
vom 17. Januar 2019). Er reiste am 11. Dezember 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 16. Dezember 2015 einen Asylantrag.
Dabei teilte er zunächst mit, syrischer Staatsbürger aus Z ... zu sein. Diese Angaben berichtigte er am 8. März 2016 dahin,
aus dem Libanon zu stammen. Identitätspapiere besitze er nicht. Seine Identitätskarte und sein Reisedokument seien während
der Überfahrt über das Mittelmeer verloren gegangen (Erklärung des Antragstellers während der Anhörung vor dem Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge [BAMF] vom 4. Oktober 2016). Mit Bescheid vom 7. Januar 2016 wies die Landesdirektion Sachsen -
Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) - den Antragsteller dem Antragsgegner zur Durchführung des Asylverfahrens zu. Dieser verpflichtete
den Antragsteller dazu, seinen Wohnsitz in einem V ... Wohnheim zu nehmen (Wohnsitzauflage vom 7. Januar 2016). Der Antragsteller
erhielt eine Aufenthaltsgestattung bis zum 14. März 2017. Das BAMF lehnte den Asylantrag des Antragstellers ab. Die Flüchtlingseigenschaft
wurde ebenso wenig zuerkannt wie der subsidiäre Schutzstatus. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) bestünden nicht. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen zu verlassen.
Sollte er die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er in den Libanon abgeschoben (Bescheid vom 28. Oktober 2016). Dieser Bescheid
wurde am 15. November 2016 bestandskräftig. Die Abschiebungsandrohung ist seit dem 1. Dezember 2016 vollziehbar. Die Abschiebung
ist seither ausgesetzt, da sie aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht vollzogen werden kann. Der Antragsgegner stellt
seit dem 14. März 2017 Duldungsbescheinigungen für den Antragsteller aus. Die Aufenthaltsgestattung erlosch mit der Unanfechtbarkeit
des Ablehnungsbescheides (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Asylgesetz [AsylG]). Mit Schreiben vom 13. September 2017 informierte die ZAB den Antragsgegner darüber, dass sie bezogen auf den Antragsteller
Maßnahmen zur Passbeschaffung einleite. Sie teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom selben Tag mit, dass die ZAB dafür
zu sorgen habe, dass der Antragsteller das Bundesgebiet verlasse. Zur Rückreise in sein Heimatland benötige er Identitätspapiere,
über die er nach eigenen Angaben bei der Stellung des Asylantrages nicht verfüge. Deshalb forderte die ZAB den Antragsteller
auf, sich über den Besitz eines gültigen, auf seine Person lautenden Identitätspapiers (insbesondere Pass, Passersatz oder
Travel Document) zu erklären und dieses - falls vorhanden - abzugeben. Ansonsten kündigte die ZAB an, den Antragsteller gegebenenfalls
mit Zwangsmitteln zur Mitwirkung an der möglicherweise notwendigen Beschaffung eines gültigen Identitätspapiers oder zur Herausgabe
desselben zu veranlassen. Sie fügte den Vordruck einer Erklärung des Antragstellers zu Personalien und zum Besitz eines Identitätspapiers
bei, welches dieser bis zum 8. Oktober 2017 ausgefüllt zurückreichen sollte. Den vorgelegten Verwaltungsakten ist nicht zu
entnehmen, dass der Antragsteller darauf reagiert hätte. Am 14. Februar 2018 informierte der Antragsgegner die ZAB und das
BAMF darüber, dass der Antragsteller am 31. Januar 2018 unbekannt verzogen sei. Am 20. September 2018 wurde er von niederländischen
Behörden nach illegalem Aufenthalt in Belgien nach Deutschland zurückgeführt. Am 30. Oktober 2018 benachrichtigte der Antragsgegner
die ZAB und das BAMF darüber, dass sich der Antragsteller wieder im V ... Wohnheim aufhalte. Mit Schreiben vom 29. Januar
2019 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, bis zum 28. Februar 2019 einen gültigen Pass, Passersatz oder ein Rückreisedokument
vorzulegen. Dazu habe er an der Ausstellung oder Verlängerung mitzuwirken und die Behandlung eines Antrages durch die Behörden
des Herkunftsstaates nach dem Recht des Herkunftsstaates zu dulden und die für diese Maßnahmen allgemein festgelegten Gebühren
zu zahlen. Der Antragsteller habe seine Bemühungen nachzuweisen. Am 5. März 2019 legte der Antragsteller dem Antragsgegner
ein von der "Republique Libanese" ausgestelltes "Document de Voyage pour les Réfugiés Palestiniens" - DDV - vor (Dokumenten-Nr.:
), das am 15. Juni 2014 abgelaufen ist. Ausweislich der Aktennotiz des Antragsgegners wurde dem Antragsteller das Dokument
zurückgereicht, damit er es verlängern möge. Zugleich stellte der Antragsgegner fest, dass der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht
vorerst genügt habe. Der Antragsteller teilte mit, sich bereits deshalb an die Libanesische Botschaft gewandt zu haben; dort
sei die Verlängerung des Reiseausweises mündlich verweigert worden. Der Antragsgegner forderte den Antragsteller auf, sich
nochmals zur Libanesischen Botschaft zu begeben, um gegebenenfalls eine schriftliche Ablehnung zu erwirken. Mit Schreiben
vom 30. April 2019 forderte der Antragsgegner den Antragsteller erneut zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung auf unter Fristsetzung
zum 29. Mai 2019. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2019 übersandte der Antragsgegner der ZAB das erwähnte DDV sowie ein weiteres
Dokument dieser Art (versehen mit der Nr. ), das am 23. September 2014 in Beirut ausgestellt worden war und bis zum 22. September
2019 gültig gewesen ist. Diese Dokumente wurden dem Antragsgegner am 27. September 2019 durch das Polizeirevier V ... übergeben.
Der Antragsgegner gewährt dem Antragsteller seit Januar 2016 Grundleistungen nach §
3 AsylbLG. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2017 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zur Leistungseinschränkung nach §
1a AsylbLG an. Der Antragsteller sei vollziehbar ausreisepflichtig, komme seiner Verpflichtung unter Hinweis auf fehlende Identitätspapiere
jedoch nicht nach. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen hätten deshalb nicht vollzogen werden können. Es sei beabsichtigt, dem Antragsteller
nur noch eingeschränkte Leistungen zu erbringen. Nachdem der Antragsteller darauf nicht reagierte, bewilligte der Antragsgegner
für die Monate Dezember 2017 bis März 2018 eingeschränkte Leistungen nach §
1a Abs.
3 AsylbLG in Höhe von jeweils 151,11 Euro (Bescheid vom 15. November 2017). Mit Schreiben vom 30. Oktober 2018 hörte der Antragsgegner
den Antragsteller erneut zur Gewährung eingeschränkter Leistungen an. Im November 2018 erhielt der Antragsteller 91,11 Euro
ausgezahlt, von Dezember 2018 bis Mai 2019 wiederum jeweils 151,11 Euro (Bescheid vom 28. Dezember 2018). Im Anschluss an
die weitere Anhörung vom 2. April 2019 erging der Bescheid vom 13. Mai 2019, mit welchem der Antragsgegner eingeschränkte
Leistungen auch für die Monate Juni 2019 bis November 2019 bewilligte. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2019 hat der Antragsgegner
den Antragsteller zur weiterhin beabsichtigten Leistungseinschränkung angehört. Nachdem der Antragsteller auch darauf nicht
reagierte, ist der Bescheid vom 26. November 2019 ergangen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller damit eingeschränkte Leistungen
für die Monate Dezember 2019 bis Mai 2020 bewilligt (Dezember 2019: 164 Euro, für die weiteren Monate jeweils 167 Euro.).
Dagegen hat der Antragsteller am 14. Dezember 2019 Widerspruch eingelegt. Er erwähnte im Schreiben vom 29. Dezember 2019,
am 19. Dezember 2019 nochmals in der Libanesischen Botschaft vorgesprochen zu haben. Er habe kein Rückreisedokument erhalten,
da die Botschaft von ihm zunächst verlangt habe, einen deutschen Aufenthaltstitel vorzulegen oder eine Bescheinigung, dass
ein solcher erteilt werden könne. Die Identität des Antragstellers sei durch die Vorlage der - wenn auch abgelaufenen - Reiseausweise
geklärt. Die Voraussetzungen einer Leistungseinschränkung nach §
1a AsylbLG lägen daher nicht vor. Da sich der Antragsteller bereits seit 18 Monaten in Deutschland aufhalte, habe er darüber hinaus
Anspruch auf sogenannte "Analogleistungen" nach §
2 AsylbLG. Die Landesdirektion Sachsen hat noch keinen Widerspruchsbescheid erlassen. Sodann hat sich der Antragsteller an das Sozialgericht
Dresden gewandt und am 19. Februar 2020 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Der Antragsgegner sei zu verpflichten,
zunächst Grundleistungen nach §
3 AsylbLG zu gewähren und ab dem 21. März 2020 Analogleistungen nach §
2 AsylbLG. Beim Besuch der Libanesischen Botschaft habe er sich auf Anraten seines Prozessbevollmächtigten konkret nach Rückreisepapieren
erkundigt und seinen abgelaufenen Reiseausweis vorgelegt. Ein Mitarbeiter der Botschaft habe ihn daraufhin sogleich nach einem
deutschen Aufenthaltstitel gefragt. Nachdem der Antragsteller dies verneint habe, sei das Gespräch nach fünf Minuten beendet
gewesen mit der Auskunft, dass Rückreisepapiere nicht ausgestellt würden. Der Antragsteller sei dringend auf uneingeschränkte
Leistungen angewiesen, da er sich derzeit kaum ernähren könne. Zudem leide er unter epileptischen Anfällen, wobei der Antragsgegner
keine Kosten für die notwendige medizinische Behandlung übernehme. Schließlich erziele der Antragsteller kein Einkommen und
verfüge nicht über Vermögen. Der Antragsgegner hat daraufhin erwidert, dass der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten
nach § 48 Abs. 3 AufenthG nicht nachgekommen sei, weshalb er zutreffend nur eingeschränkte Leistungen nach §
1a AsylbLG erhalten habe (Bezug auf den Beschluss des Senats vom 13. Dezember 2019 - B 8 AY 14/19 B ER). Der Antragsteller habe nicht
vorgetragen, krank und behandlungsbedürftig zu sein. Nachdem er bereits seit Dezember 2017 mit eingeschränkten Leistungen
lebe, könne ihm angesonnen werden, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner
dazu verpflichtet, dem Antragsteller in der Zeit vom 19. Februar 2020 bis zum 31. Mai 2020 Grundleistungen nach §
3 AsylbLG zu gewähren unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen, längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache.
Den weitergehenden Antrag auf Analogleistungen nach §
2 AsylbLG hat das Sozialgericht abgelehnt. Der Antragsteller habe einstweilen Anspruch auf uneingeschränkte Grundleistungen, da die
Voraussetzungen des §
1a Abs.
3 AsylbLG nicht vorlägen. Dessen Identität sei geklärt, nachdem dem Antragsgegner die abgelaufenen Reiseausweise zumindest vor Erlass
des hier relevanten Bewilligungsbescheides vom 26. November 2019 vorgelegen hätten. Der Antragsteller habe zudem weisungsgemäß
in der Libanesischen Botschaft vorgesprochen und eidesstattlich versichert, sich nach Rückreisepapieren erkundigt zu haben.
Weitere Maßnahmen habe der Antragsteller nach der Ansicht des Sozialgerichts nicht treffen können, da bereits den Hinweisen
der Libanesischen Botschaft im Internet zu entnehmen sei, dass jedes denkbar mögliche Vorgehen nicht zur Ausstellung eines
Rückreisedokuments führen würde. Deshalb habe der Antragsteller - bezogen auf den hier relevanten Leistungszeitraum - die
Vollziehung der Ausreisepflicht nicht verhindert. Einen Anspruch auf Analogleistungen nach §
2 AsylbLG habe der Antragsteller hingegen nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr habe er seine Abschiebung dadurch behindert, dass er seinen
bis zum 22. September 2019 gültigen Reiseausweis bis dahin nicht vorgelegt habe, weshalb von einer rechtsmissbräuchlichen
Beeinflussung der Dauer seines Aufenthalts auszugehen sei. Gegen den ihm am 20. März 2020 zugestellten Beschluss richtet sich
die am 9. April 2020 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners. Er meint nach wie vor,
der Antragsteller habe die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten nicht erfüllt, wie sie der Senat in seinem Beschluss vom 13.
Dezember 2019 (Az.: L 8 AY 14/19 B ER) dargestellt habe. Da der dort zugrunde liegende Sachverhalt dem Fall des Antragstellers
entspreche, müsse auch hier der Anordnungsanspruch verneint werden. Darüber hinaus sei es dem Antragsgegner bekannt, dass
die Libanesische Botschaft fortlaufend Reisedokumente für vollziehbar ausreisepflichtige Palästinenser ausstelle. Auch ein
Anordnungsgrund liege nicht vor. Der Antragsteller habe nie mitgeteilt, ärztlicher Behandlung zu bedürfen. Zudem impliziere
der Umstand, dass er bereits seit zwei Jahren mit eingeschränkten Leistungen lebe, dass ihm dies bis zur Entscheidung in der
Hauptsache abverlangt werden könne. Der Antragsgegner beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 17. März 2020
aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde
zurückzuweisen. Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind. II.
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§
172,
173 SGG) erweist sich als unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung dazu
verpflichtet, vorläufig ungekürzte Leistungen nach §
3 AsylbLG für die Zeit vom 19. Februar 2020 bis zum 31. Mai 2020 unter Anrechnung erbrachter Leistungen zu erbringen, da die Voraussetzungen
einer Anspruchseinschränkung nach §
1a Abs.
3 AsylbLG im Falle des Antragstellers nicht vorliegen.
Gemäß §
86b Abs.
2 Satz 1
SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht,
dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustandes
vorbeugen. Sie dient einer Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden. Einstweilige Anordnungen
sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die
Leistung, zu der der Antragsgegner verpflichtet werden soll sowie einen Anordnungsgrund, nämlich die Dringlichkeit des Rechtsschutzes.
Gemäß §
86b Abs.
2 Satz 1
SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht,
dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte (so genannte Sicherungsanordnung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustands
vorbeugen. Sie dient der Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden. Einstweilige Anordnungen
sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG; sogenannte Regelungsanordnung).
Das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind erforderlich. Der Anordnungsanspruch
bezieht sich auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Die erforderliche
Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen,
sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Diese allgemeinen Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (Bundesverfassungsgericht [BVerfG]), Beschluss
vom 25.10.1999 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69).
Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes liegen in der Sicherung der Entscheidungsfähigkeit und der prozessualen Lage,
um eine endgültige Rechtsverwirklichung im Hauptsacheprozess zu ermöglichen. Es will nichts anderes als allein wegen der Zeitdimension
der Rechtserkenntnis und der Rechtsdurchsetzung im Hauptsacheverfahren eine zukünftige oder gegenwärtige prozessuale Rechtsstellung
vor zeitüberholenden Entwicklungen sichern und irreparable Folgen ausschließen und der Schaffung vollendeter Tatsachen vorbeugen,
die auch dann nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich die angefochtene Verwaltungsentscheidung im Nachhinein
als rechtswidrig erweist. Hingegen dient das vorläufige Rechtsschutzverfahren nicht dazu, gleichsam unter Umgehung des für
die Hauptsache zuständigen Gerichts und unter Abkürzung dieses Verfahrens, geltend gemachte materielle Rechtspositionen vorab
zu realisieren.
Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung
der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Die Gewährleistung
effektiven Rechtsschutzes nach Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche
hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden
kann (vgl. BVerfG Beschluss vom 25.10.1999 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69, 74; Beschluss vom 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1, 14). Dies gilt sowohl für die Anfechtungs- als auch für Vornahmesachen. Hierbei dürfen die Entscheidungen der Gerichte grundsätzlich
sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.
Jedoch stellt Art.
19 Abs.
4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere
und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr
zu beseitigen wären. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes
verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition
zurückgestellt werden. Art.
19 Abs.
4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders
nicht anwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in
der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1999 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69, 74; Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1516/93 - 94, 166, 216). Die Gerichte, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern
an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art.
19 Abs.
4 Satz 1
GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehenden Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Dies
bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn
dazu Anlass besteht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25.07.1996 - 1 BvR 638/96 - NVwZ 1997, 479). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer
Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung
einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders,
wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie
nur möglich oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009 - 1 BvR 120/09 - NZS 2009, 674, 675 Rdnr. 11).
Gemessen daran kann sich der Antragsteller sowohl auf einen Anordnungsanspruch als auch auf einen Anordnungsgrund berufen.
Der Antragsteller ist leistungsberechtigt nach dem
AsylbLG gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4, da er eine Duldung nach § 60a AufenthG besitzt. Daneben ergibt sich die Leistungsberechtigung aus §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG, weil der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig ist (auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr
vollziehbar ist). Leistungsberechtigte nach §
1 AsylbLG erhalten gemäß §
3 Abs.
1 AsylbLG Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheit, Pflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern
des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen
Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf). Leistungen nach §
2 AsylbLG in der ab dem 21. August 2019 gültigen Fassung sind zu gewähren, sofern sich der Betroffene bereits seit 18 Monaten tatsächlich
im Bundesgebiet aufhält, ohne die Dauer seines Aufenthalts selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst zu haben.
Unzutreffend geht der Antragsgegner davon aus, dass der Anspruch des Antragstellers auf Leistungen nach dem
AsylbLG während des tenorierten Zeitraums im angefochtenen Beschluss einzuschränken (gewesen) ist nach §
1a Abs.
1, Abs.
3 Satz 1
AsylbLG. Der hier zu beurteilende Fall des Antragstellers unterscheidet sich von dem Sachverhalt, welcher dem Senatsbeschluss vom
13. Dezember 2019 (Az.: L 8 AY 14/19 B ER) zugrunde gelegen hat. Bei dem seinerzeit maßgeblichen Antragsteller handelte es
sich um einen libanesischen Staatsangehörigen, der sich darauf beschränkt hatte, bei der Libanesischen Botschaft einen libanesischen
Nationalpass zu beantragen, ohne nachweislich auf den Zweck der Rückreise hinzuweisen. Der Antragsteller im hier zur Entscheidung
stehenden Fall ist staatenloser Palästinenser und hat dies nach eigenem Bekunden - aus der Sicht des Senats glaubhaft - getan
(siehe unten).
Leistungsberechtigte nach §
1 Abs.
1 Nr.
4 und
5 AsylbLG - zu denen der Antragsteller zählt - erhalten ab dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit
einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag nur noch Leistungen nach §
1a Abs.
1 AsylbLG, sofern aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden können (§
1 Abs.
3 Satz 1
AsylbLG). Ihnen werden dem gemäß bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres
Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt (vgl. §
1a Abs.
1 Satz 2
AsylbLG). Weil §
1a AsylbLG als Sanktionsnorm zu verstehen ist, ist sie auch mit Blick auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
aus Art.
1 GG in Verbindung mit Art.
20 Abs.
3 GG restriktiv auszulegen (Cantzler,
AsylbLG, 2019, §
1a Rn. 9; Siefert,
AsylbLG, 2018, §
1a Rn. 4). Die Sanktionsnorm des §
1a Abs.
3 AsylbLG knüpft an die Verletzung asyl- bzw. ausländerrechtlicher Pflichten durch den Leistungsberechtigten an. Mittelbare Folge dieses
pflichtwidrigen Verhaltens ist die verlängerte Inanspruchnahme von Leistungen zur Existenzsicherung nach dem
AsylbLG. Die leistungsrechtliche Sanktionierung seines Verhaltens soll den Leistungsberechtigten mittelbar dazu veranlassen, seiner
Ausreisepflicht nachzukommen (Cantzler,
AsylbLG, 2019, §
1a Rn. 4).
Die Voraussetzungen des §
1a Abs.
3 AsylbLG liegen im Falle des - geduldeten - Antragstellers nach summarischer Prüfung nicht vor. Dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen
nicht vollzogen werden konnten, da dieser nicht daran mitgewirkt habe, einen Pass, Passersatz oder ein sonstiges Rückreisedokument
zu beschaffen, ist bezogen auf den hier relevanten Leistungszeitraum nicht ersichtlich. Ansonsten hätte er die Vollziehung
der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung (§ 58 AufenthG) verhindert. Darin läge ein Verstoß gegen § 48 Abs. 3 AufenthG. Danach ist der Ausländer dazu verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Diese fehlende Mitwirkung
stellt ein typisches rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne des §
1a Abs.
3 Satz 1
AsylbLG dar (BSG, Urteil vom 12.05.2017 - B 7 AY 1/16 R - juris Rn. 15). Nach § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer dazu verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken, sofern er keinen gültigen Pass
oder Passersatz besitzt, sowie alle Urkunden, sonstigen Unterlagen und Datenträger, die für die Feststellung und Geltendmachung
einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung
des AufenthG betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Der Mitwirkungspflicht wird unter anderem dadurch
entsprochen, dass eine Mitwirkung an der Feststellung und Sicherung der Identität erfolgt oder die für die Beschaffung von
Heimreisedokumenten nötigen Erklärungen abgegeben werden (§ 49 Abs. 2 AufenthG). Identitätspapiere sind auch sämtliche für die Rückreise benötigten Papiere. Der Pflicht wird zunächst durch Beantragung
genügt (§ 56 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsverordnung [AufenthV]).
Erfasst sind aber auch alle weiteren Handlungen, die für die Ausstellung des Papiers erforderlich sind und nur von dem Ausländer
persönlich vorgenommen werden können. Dazu gehört die Vorlage eines Fotos, die persönliche Vorsprache bei der Auslandsvertretung
des Heimatstaates bei Antragstellung bzw. Abholung des Dokuments, wenn dies gefordert wird (OVG Münster, Beschluss vom 9.
Februar 2004 - 18 B 811/03 - NVwZ-RR 2004, 689 f), sich eventuell der Mithilfe geeigneter Dritter, z.B. Angehöriger, zu bedienen (BayObLG, Beschluss vom 7. November 2000
- 3Z BR 335/00 - InfAuslR 2001, 176 f), die Abgabe benötigter Fingerabdrücke (OVG Münster, Beschluss vom 12. Oktober 2005, 18 B 1526/05, 18 E 1150/05 - InfAuslR 2006, 136) sowie alle Urkunden und sonstigen Unterlagen, die relevant sein können, der zuständigen Stelle vorzulegen, auszuhändigen,
zu überlassen bzw. zu beantragen. Dass Erklärungen des Ausländers im Rahmen der Beschaffung von Heimreisedokumenten mit dem
deutschen Recht in Einklang stehen müssen, ergibt sich aus § 49 Abs. 2 AufenthG. Darauf hat auch das Sozialgericht zutreffend hingewiesen.
Dabei besteht grundsätzlich ein erhebliches öffentliches Interesse an einer baldigen Aufenthaltsbeendigung der von öffentlichen
Mitteln lebenden vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern (OVG Münster, Beschluss vom 12. Oktober 2005 - 18 B 1526/05, 18 E 1150/05 - InfAuslR 2006, 136). Der BayVGH geht ferner davon aus, dass es dem betroffenen Ausländer neben seiner Mitwirkungspflicht nicht freisteht, "ansonsten
völlig untätig und passiv zu bleiben und nur darauf zu warten, welche weiteren Handlungen die Behörde noch von ihm verlangt".
Der betroffene Ausländer kann sich demnach nicht allein auf die Erfüllung derjenigen Pflichten stützen, die ihm konkret von
der Ausländerbehörde vorgegeben werden. Er ist vielmehr daneben dazu gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen und
die erforderlichen Schritte einzuleiten, um das bestehende Ausreisehindernis zu beseitigen (sog. "Initiativpflicht"). Die
Erfüllung der dem Ausländer obliegenden Pflichten - seiner Mitwirkungspflicht, aber auch der Initiativpflicht - hat dieser
zu belegen und nachzuweisen. Gelingt ihm dies nicht, spricht vieles für die Annahme, er habe das Ausreisehindernis verschuldet
oder zumutbare Anforderungen jedenfalls nicht erfüllt (Beschluss vom 27. Juli 2010 - 10 ZB 10.276 - juris Rn. 12).
§ 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verlangt daher von dem Ausländer, es nicht bei der Einreichung der erforderlichen Unterlagen und bei der Vorsprache bei der
Auslandsvertretung seines Heimatstaates zu belassen, sondern darüber hinaus weitere Angaben zu machen, die seine Identifikation
ermöglichen (VG Würzburg, Urteil vom 8. Dezember 2014 - W 7 K 14.26). Kommt der Ausländer seiner Pflicht zur Beschaffung von
Heimreisedokumenten nicht nach, so hat er das Abschiebungshindernis zu vertreten (vgl. Weichert/Stoppa in: Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 48 Rn. 18a).
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Mitwirkungspflicht nach § 48 Abs. 3 AufenthG obliegt es allein dem Ausländer, sich zur Auslandsvertretung seines Herkunftslandes zu begeben, um dort einen Reisepass,
Passersatzpapiere oder einen Antrag auf Nachregistrierung zu stellen, dabei wahrheitsgemäße Angaben zu machen und sich die
entsprechenden Vorsprachen bescheinigen zu lassen. Bei der Mitwirkungspflicht aus § 48 Abs. 3 AufenthG handelt es sich um eine Obliegenheit, die den Antragsteller selbst trifft, und zwar ungeachtet aller Möglichkeiten, die den
deutschen Ausländerbehörden zur Verfügung stehen könnten. Sofern der Antragsteller Geld für seine Anreise zu den Auslandsvertretungen
benötigen sollte, wäre er dazu verpflichtet, den Antragsgegner darüber zu informieren. Keinesfalls darf er sich untätig darauf
zurückziehen, nicht über die erforderlichen Mittel zu verfügen und deshalb die geforderten Anstrengungen zur Erfüllung der
Mitwirkungspflicht aus § 48 Abs. 3 AufenthG unterlassen. Von dem Ausländer kann ferner verlangt werden, es nicht bei der Einreichung der erforderlichen Unterlagen und
einer Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaates zu belassen, sondern darüber hinaus, falls ihm das Identitätspapier
nicht in angemessener Zeit ausgestellt wird, regelmäßig nachzufragen, sich nach den Gründen für die Bearbeitungsdauer zu erkundigen
und beharrlich um die Ausstellung des Papiers nachzusuchen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Oktober 2018 - OVG 3 B 4.18 - juris Rn. 22).
Allerdings dürfen dem Ausländer keine Handlungen abverlangt werden, die von vornherein ohne Einfluss auf die Möglichkeit der
Ausreise oder erkennbar aussichtslos sind. Unterhalb dieser Schwelle besteht hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen der Verletzung
von Mitwirkungspflichten und der Erfolglosigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen, der immer nur hypothetisch beurteilt werden
kann, eine tatsächliche widerlegbare Vermutung zu Lasten des Ausländers (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 26.
Oktober 2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 20; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Februar 2017 - OVG 3 B 9.16 - juris Rn. 24). Verlangt die zuständige Behörde des Heimatstaats zum Zwecke der Ausstellung eines Reisedokuments von dem
vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer die Erklärung, dass er bereit sei, freiwillig auszureisen, so ist ihm die Abgabe
dieser Erklärung grundsätzlich zuzumuten (BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 - 1 C 19/08 - juris Rn. 14). Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass sie vollziehbar ausreisepflichtig sind. Die gesetzliche Pflicht zur
Ausreise bedeutet, dass sie freiwillig ausreisen oder sich zwangsweise abschieben lassen müssen. Das Aufenthaltsrecht erlegt
dem Ausländer primär auf, dass er seiner Ausreisepflicht freiwillig - und unverzüglich - nachkommt (§ 50 Abs. 2 AufenthG). Eine zwangsweise Abschiebung kommt erst in Betracht, wenn der Ausländer seine Ausreisepflicht nicht freiwillig erfüllt
bzw. die Überwachung der Ausreise erforderlich ist (§ 58 Abs. 1, Abs. 3 AufenthG). Ein ausreisepflichtiger Ausländer ist daher aufenthaltsrechtlich gehalten, das Land freiwillig zu verlassen. Die Rechtsordnung
mutet dem Ausländer zu, seiner Ausreisepflicht von sich aus nachzukommen. Die gesetzliche Ausreisepflicht schließt die Obliegenheit
für den Ausländer ein, sich auf die Ausreise einzustellen, zur Ausreise bereit zu sein und einen dahingehenden Willen zu bilden.
In diesem Rahmen ist es für einen ausreisepflichtigen Ausländer grundsätzlich rechtlich nicht unzumutbar, zur Ausreise nicht
nur willens und bereit zu sein, sondern diese Bereitschaft auch zu bekunden und eine Erklärung dahin abzugeben, freiwillig
in das Herkunftsland ausreisen zu wollen. Ein entgegenstehender innerer Wille des Ausländers, der die Erklärung mangels Bildung
eines entsprechenden Willens als unwahr empfindet, ist aufenthaltsrechtlich regelmäßig unbeachtlich. Der Ausländer ist nicht
dazu gezwungen, die "Freiwilligkeitserklärung" als unwahre Bekundung bzw. als "Lüge" abzugeben. Die Freiwilligkeit kann in
dem Sinne erklärt werden, dass der betroffene Ausländer ausreisepflichtig sei und er dieser Pflicht nachzukommen gedenke,
um der zwangsweisen Abschiebung zuvor zu kommen (BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 - 1 C 19/08 - juris Rn. 14, 16; SächsOVG, Urteil vom 3. Juli 2014 - 3 A 28/13 - juris Rn. 21).
Das BSG hat im Urteil vom 30. Oktober 2013 (Az.: B 7 AY 7/12 R) die gegenteilige Ansicht vertreten und ausgeführt, dass die Verpflichtung
zur Abgabe einer solchen "Ehrenerklärung" die Intimsphäre des betroffenen Ausländers als unantastbarem Kernbereich des Persönlichkeitsrechts
des Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit Art.
1 Abs.
1 GG berühre. Näher dargelegt wird diese Auffassung allerdings nicht. Berlit hat dazu angemerkt, dass das BSG im erwähnten Urteil die differenzierte Auseinandersetzung mit der genauen Reichweite des so evozierten "unantastbaren" Kernbereichs
ersetzt habe durch den eingängigen Hinweis, dass niemand zum Lügen gezwungen werden dürfe und die Verpflichtung zur Erklärung
eines nicht vorhandenen Willens einem totalitären Staatsverständnis entspreche (Anmerkung vom 30. Oktober 2014 zum Urteil
des BSG vom 30. Oktober 2013 - B 7 AY 7/12 R - juris). Auch Cantzler bezweifelt, dass die Abgabe einer "Ehrenerklärung" unzumutbar
sei (in:
AsylbLG, 2019, §
1a Rn. 73; a.A.: Siefert,
AsylbLG, 2018, § 1a Rn. 37 unter Bezugnahme auf die abstrakten Rechtssätze des Urteils des BSG vom 30. Oktober 2013 - B 7 AY 7/12 R). Die Auseinandersetzung mit den zitierten abstrakten Rechtssätzen des Urteils des BVerwG
vom 10. November 2009 (Az.: 1 C 19/08) erschien nach der Ansicht des BSG als nicht erforderlich, da ein anderer "Kontext" bestanden habe.
So bleibt die Frage offen, weshalb durch die Abgabe einer "Ehrenerklärung" die Intimsphäre betroffen sein soll und ob gegebenenfalls
Argumente für eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung sprechen. Das
Grundgesetz gewährt dem Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen
ist. Das verfassungskräftige Gebot, diesen Kernbereich, die Intimsphäre des Einzelnen, zu achten, hat seine Grundlage in dem
durch Art.
2 Abs.
1 GG verbürgten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite des Grundrechts aus
Art.
2 Abs.
1 GG muss berücksichtigt werden, dass nach der Grundnorm des Art.
1 Abs.
1 GG die Würde des Menschen unantastbar ist und gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht. Selbst überwiegende
Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht
rechtfertigen; eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet nicht statt (BVerfG, Beschluss vom 31.
Januar 1973 - 2 BvR 454/71 - juris Rn. 30).
Jedoch steht nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens unter dem absoluten Schutz des Grundrechts aus Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit Art.
1 Abs.
1 GG. Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger muss vielmehr jedermann staatliche Maßnahmen hinnehmen, die
im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes getroffen werden,
soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen (BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 1973
- 2 BvR 454/71 - juris Rn. 31; Beschluss vom 23. Mai 1980 - 2 BvR 854/79 - juris Rn. 8; Beschluss vom 14. Dezember 2000 - 2 BvR 1741/99 u.a. - juris Rn. 50, 51).
Das BVerwG hatte in seinem Urteil vom 10. November 2009 (Az.: 1 C 19/08 - juris Rn. 17) unter Bezugnahme auf das Urteil des OLG Nürnberg vom 16. Januar 2007 (Az.: 2 St OLG Ss 242/06 - juris Rn. 59) bereits erwähnt, dass an die unterbliebene Freiwilligkeitserklärung keine strafrechtlichen Konsequenzen geknüpft
werden dürften und deren Abgabe weder rechtlich erzwungen noch gegen den Willen des Ausländers durchgesetzt werden dürfe.
Die Weigerung, eine solche Erklärung abzugeben, werde vom Aufenthaltsrecht allerdings nicht honoriert (etwa durch die Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG). Mit dem OVG Berlin-Brandenburg ist deshalb anzunehmen, dass der unantastbare Kernbereich der Persönlichkeit durch die Abgabe
einer Freiwilligkeitserklärung jedenfalls so lange nicht betroffen ist, wie dem Ausländer nicht über die Pflicht hinaus, sich
rechtstreu zu verhalten, die Bildung eines entsprechenden inneren Willens im Sinne eines Heimreisewunsches abverlangt wird
(Urteil vom 15. Februar 2017 - OVG 3 B 9.16 - juris Rn. 30). Der Senat geht daher - wie bereits der 7. Senat des SächsLSG im Beschluss vom 30. Juni 2011 (Az.: L 7 AY
8/10 B ER - juris Rn. 39) davon aus, dass dem ausreisepflichtigen Ausländer die Abgabe der Freiwilligkeitserklärung zuzumuten
ist, wie sie das BVerwG im Urteil vom 10. November 2009 (Az.: 1 C 19/08 - juris Rn. 16) ausgedeutet hat.
Die Mitwirkungspflichten nach § 48 Abs. 3 AufenthG sind somit - anders als das Sozialgericht meint - in der dargestellten Weise umfassend zu verstehen. Sie sind auch mit Blick
auf §
1a Abs.
3 AsylbLG weder auf "eindeutige" noch auf "nachhaltige" Verstöße - was immer damit gemeint sein mag - begrenzt. Die Mitwirkungspflicht
nach § 48 Abs. 3 AufenthG zielt darauf ab, dass der Ausländer die Passpflicht erfüllt. Nur mit einem gültigen Rückreisedokument ist es möglich, die
Ausreisepflicht gegebenenfalls auch durchzusetzen in Kooperation mit den Behörden des Herkunftsstaates. Der Gesetzgeber hat
mit dem "Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" vom 15. August 2019 (BGBl. I, S. 1294) seinen politischen Willen betont, die Abschiebung ausreisepflichtiger Drittstaatsangehöriger möglichst effektiv und schnellstmöglich
durchzusetzen. Dieser Wille darf nicht dadurch vereitelt werden, dass die Reichweite der Mitwirkungspflicht aus § 48 Abs. 3 AufenthG unzulässig beschränkt wird. Davon abzugrenzen ist der oben erwähnte Maßstab für die Auslegung des §
1a Abs.
3 AsylbLG, der insbesondere bei der Prüfung zum Tragen kommt, ob der Ausländer den Nichtvollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen selbst
zu vertreten hat (siehe dazu unten).
Nach § 3 Abs. 1 AufenthG besteht Passpflicht, also die Pflicht zum Besitz eines gültigen und anerkannten Passes. Die Erfüllung der Passpflicht dient
nicht allein der Feststellung der Identität des Passinhabers. Vielmehr gewährleistet ein gültiger Pass oder Passersatz auch
die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Inhabers durch den Ausstellerstaat (BVerwG, Beschluss vom 17. Juni 2013 - 10 B 1/13 - juris Rn. 4). Identität und Staatsangehörigkeit sind daher im Regelfall durch die Vorlage eines gültigen Passes nachzuweisen
(§ 3 AufenthG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Die Passpflicht erstreckt sich einerseits auf die Einreise (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und andererseits auf die Erteilung und Verlängerung eines Aufenthaltstitels. Die Passpflicht sowie die Pflicht zum Besitz
eines Aufenthaltstitels bestehen unabhängig voneinander (VG München, Beschluss vom 3. April 2013 - M 25 S 13.963 - juris Rn.
21). Zwar kann die Identität auch durch die Vorlage der Kopie eines abgelaufenen Passes nachgewiesen werden. Aber nur ein
gültiger Pass oder Passersatz nach Art. 28 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) oder nach Art. 28 des Übereinkommens über die Rechtstellung der Staatenlosen (StlÜb) gewährleisten im Rahmen der Geltungsdauer auch die Verpflichtung
zur Wiederaufnahme des Betroffenen durch den Ausstellerstaat (BVerwG, Beschluss vom 17. Juni 2013 - 10 B 1/13 - juris Rn. 4).
Die Passpflicht besteht unabhängig von der Pflicht zur Mitführung des Passes oder Passersatzes beim Grenzübertritt (§ 13 Abs. 1 AufenthG) und den ausweisrechtlichen Pflichten nach § 48 AufenthG in Verbindung mit §§ 56, 57 AufenthV. Durch den Besitz eines gültigen Passes wird den Behörden die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit (§ 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG) sowie die Rückkehrberechtigung seines Inhabers ohne Weiteres ermöglicht. Ein gültiger Pass, den ein Staat an seine Angehörigen
ausstellt, beinhaltet die völkerrechtlich verbindliche Erklärung des ausstellenden Staates, dass der Inhaber sein Staatsangehöriger
ist. Diesen Staat trifft nach allgemeinem Völkerrecht gegenüber dem Aufenthaltsstaat eine Verpflichtung zur Rücknahme des
Passinhabers (Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Aufl.2020, § 2 Rn. 77).
Eine Belehrung der nach dem
AsylbLG zuständigen Behörden an den Leistungsberechtigten über das geforderte pflichtmäßige Verhalten nach § 48 Abs. 3 AufenthG und die etwaigen Folgen nach §
1a Abs.
3 AsylbLG ist - anders als in §
66 Abs.
3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I), der nur die Mitwirkung im Leistungsverhältnis betrifft, nicht vorgesehen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8. November
2018 - L 7 AY 4468/16 - juris Rn. 46). Sie ist auch nicht erforderlich (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15. April 2009
- 1 L 229/04 - juris Rn. 28; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. August 2005 - L 7 AY 3115/05 ER-B - juris Rn. 7; a.A. SG München,
Beschluss vom 31. Januar 2017 - S 51 AY 122/16 ER - juris Rn. 40; Bayerisches LSG, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - L 8 AY
31/16 B ER - juris Rn. 59). Denn primär geht es bei §
1a Abs.
3 AsylbLG nicht um die Nichterfüllung von Pflichten aus dem Leistungsverhältnis, sondern aus dem ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahren
und deren mittelbaren Auswirkungen auf den Leistungsbezug. Erlangt der Leistungsberechtigte im ausländerrechtlichen Verfahren
keine Kenntnis von seiner Mitwirkungspflicht bei der Aufenthaltsbeendigung, so ist kein leistungsrechtlich relevanter Verstoß
denkbar (Cantzler,
AsylbLG, 2019, §
1a Rn. 74). Mit dem Sozialgericht ist davon auszugehen, dass der Antragsteller über seine Mitwirkungspflichten hinreichend konkret
informiert worden ist. Bezogen auf Maßnahmen nach § 48 Abs. 3
AsylbLG genügt im Hinblick auf mögliche Leistungseinschränkungen nach §
1a Abs.
3 AsylbLG die einmalige Information. Diese muss, anders als das Sozialgericht meint, nicht laufend aktualisiert werden. Das Schreiben
der ZAB an den Antragsteller vom 13. September 2017 hat diesbezüglich sämtliche Anforderungen erfüllt.
Davon zu unterscheiden ist die Notwendigkeit einer Anhörung im konkreten Fall. Beabsichtigt die Ausländerbehörde, den Leistungsanspruch
nach §
1a Abs.
3 AsylbLG einzuschränken, ist stets die vorherige Anhörung (§
1 des Gesetzes zur Regelung des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungszustellungsrechts für den Freistaat Sachsen [SächsVwVfZG]
in Verbindung mit § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG]) erforderlich. Gerade im hier relevanten Bereich existenzsichernder Leistungen sind die tatsächlichen Voraussetzungen
beabsichtigter Einschränkungen sorgfältig und unter Wahrung rechtlichen Gehörs zu ermitteln. Im Rahmen der Anhörung ist die
von der leistungsberechtigten Person verlangte konkrete Mitwirkungshandlung hinreichend bestimmt zu bezeichnen, damit die
Person weiß, welche Obliegenheit sie zur Abwendung der Leistungsreduzierung zu erfüllen hat (Bayerisches LSG, Beschluss vom
13. September 2016 - L 8 AY 21/16 B ER - juris Rn. 59). Dazu ist ihr eine angemessene Frist einzuräumen (Hohm,
AsylbLG, Stand: Januar 2020, §
1a Rn. 278). Das vom Sozialgericht erwähnte Schreiben des Antragsgegners vom 9. Oktober 2019 ist - bezogen auf den hier streitgegenständlichen
Leistungszeitraum - als eine solche Anhörung zu bewerten. Damit ist dem Antragsteller mit Blick auf die Folgen aufgrund des
§
1a Abs.
3 AsylbLG hinreichend deutlich vor Augen geführt worden, dass im Falle unterbleibender Mitwirkungshandlungen nach § 48 Abs. 3 AufenthG die Leistungseinschränkung droht.
Der Antragsteller hat das Fehlen eines Passes, Passersatzes oder Rückreisedokuments bzw. die fehlende Nachregistrierung als
den Grund, der seine Ausreise hindert, jedoch nicht selbst zu vertreten. Erforderlich, aber auch ausreichend hierfür ist,
dass die den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen hindernden Gründe in den Verantwortungsbereich des Leistungsberechtigten
fallen. Insoweit ist zumindest ein persönliches (eigenes) Fehlverhalten des Leistungsberechtigten zu verlangen, wie dies dem
§
1a Abs.
3 Satz 1
AsylbLG ausdrücklich zu entnehmen ist. Einerseits muss also ein dem Ausländer vorwerfbares Verhalten und andererseits die Ursächlichkeit
zwischen dem vorwerfbaren Verhalten und der Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen vorliegen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 7 AY 7/12 R - BSGE 114, 302 ff Rn. 25). Die Ursächlichkeit zwischen dem vorwerfbaren Verhalten - das umfassend festzustellen ist (siehe oben) - und der
Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist streng zu prüfen, um dem Ausnahmecharakter des §
1a AsylbLG als Sanktionsnorm Rechnung zu tragen. Der demnach erforderliche ursächliche Zusammenhang besteht nur, wenn allein die unterbliebene
Mitwirkung des Ausländers nach § 48 Abs. 3 AufenthG dazu geführt hat, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht erfolgen konnten. Ist die Ausweisung oder Abschiebung aus anderen
als in der Person des Ausländers liegenden Gründen nicht möglich, z.B. wegen Reiseunfähigkeit oder weil sich Botschaften weigern,
politisch unliebsamen Antragstellern Reisedokumente auszustellen, oder die Behörde aus sonstigen Gründen aufenthaltsbeendende
Maßnahmen nicht vollzieht, ist keine Einschränkung des Leistungsanspruchs zu rechtfertigen (Siefert,
AsylbLG, 2018, §
1a Rn. 36).
Wie oben dargestellt, liegt in Bezug auf den hier maßgeblichen Leistungszeitraum bereits kein vorwerfbares Verhalten des Antragstellers
vor. Weil dem Antragsgegner beide Reiseausweise (DDV) sowie die Registrierkarte der UNWRA vorgelegen haben, war die Identität
des Antragstellers geklärt. Da die Reiseausweise ungültig geworden sind durch Zeitablauf, besteht jedenfalls die oben genannte
völkerrechtlich verbindliche Rückkehrberechtigung des Antragstellers in den Libanon nicht mehr. Allerdings dürfte es nach
der Ansicht des Senats durchaus zweifelhaft sein, dass sich der Libanon durch ein DDV in jedem Fall dazu verpflichtet sieht,
dessen Inhaber ungehindert einreisen zu lassen.
Das BVerwG hat es im Urteil vom 16. Oktober 1990 (Az.: 1 C 51/88 - juris Rn. 31, 33) offen gelassen, ob der Libanon zur Rückübernahme eines "bei ihm ansässigen Palästinensers" verpflichtet
sei. Für den in jenem Fall Betroffenen sei es "nicht aussichtslos" gewesen, ein libanesisches DDV zu erhalten, wenn er sich
"nachhaltig darum bemüht" hätte. Der VGH Baden-Württemberg vertrat im Urteil vom 3. Dezember 2008 (Az.: 13 S 2483/07 - juris Rn. 30) die Ansicht, dass die Botschaft des Libanon Einzelanträge geduldeter staatenloser Palästinenser nicht bearbeite,
sofern sie von einem "Abschiebungshintergrund" ausgehe und keine behördlichen Zusagen auf Aufenthaltserlaubnis vorlägen. Das
OVG Berlin-Brandenburg ging im Beschluss vom 27. Januar 2014 (Az.: OVG 7 M 74.13 - juris Rn. 4) davon aus, dass ein Betroffener
mit dem DDV der Passpflicht nicht genüge. Gleichwohl berechtigte ihn dieses Dokument dazu, in den Libanon zurückzukehren.
Unter Bezugnahme auf die Urteile vom 14 September 2010 (OVG 3 B 2.08 - juris Rn. 35 ff) und vom 25. November 2014 (OVG 3 B 4.12 - juris Rn. 30 ff) bestätigte das OVG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 15. Februar 2017 (Az.: OVG 3 B 9.16 - juris Rn. 25) seine Ansicht, wonach es für ausreisepflichtige staatenlose Palästinensern "nicht von vornherein erkennbar
aussichtslos" sei, in der Botschaft des Libanon in Berlin ein Ausreisedokument für die Heimreise nach persönlicher Vorsprache
in der entsprechenden Abteilung zu erhalten.
Diese Ansicht hat das OVG Berlin-Brandenburg aufrechterhalten in dem Fall eines in Berlin geborenen palästinensischen Volkszugehörigen
ungeklärter Staatsangehörigkeit (Urteil vom 16. Oktober 2018 - OVG 3 B 4.18 - juris Rn. 23, 24). Zwar setze die Ausstellung eines Laissez-Passer nach dem Internetauftritt der Libanesischen Botschaft
einen gültigen Aufenthaltstitel bzw. eine Bescheinigung über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Vorlage eines gültigen
Laissez-Passer voraus. Nach den Erkenntnissen des OVG-Berlin-Brandenburg im zitierten Urteil existiere jedoch in der Libanesischen
Botschaft eine gesonderte Stelle, die für die Ausstellung eines Personaldokuments für Personen ohne einen deutschen Aufenthaltstitel
zuständig sei. Dort werde ein besonderes Antragsformular mit der Bezeichnung "Beantragung eines Rückreisedokuments für eine
sich illegal in Deutschland aufhaltende Person" vorgehalten, in welchem nicht nach einem deutschen Aufenthaltstitel gefragt
werde. Da das Auswärtige Amt in seinem Schreiben vom 8. Oktober 2018 an das Sächsische Oberverwaltungsgericht keine weitergehenden
Informationen mitgeteilt habe, die sich nicht schon aus dem Internetauftritt der Botschaft selbst ergäben, sei dieses nicht
dazu geeignet, die insoweit spezielleren Erkenntnisse des OVG Berlin-Brandenburg in Frage zu stellen.
Auch der Senat stellt diese Erkenntnisse nicht in Frage. Offen bleibt dabei aber, ob diese Stelle in der Libanesischen Botschaft
nach wie vor eingerichtet ist und ob diese nach rechtstaatlichen Maßstäben die erforderlichen Rückreisedokumente ausstellt.
Die zitierten Entscheidungen seit 1990 erweisen zumindest, dass es staatenlosen Palästinensern Probleme bereitet, in Deutschland
Rückreisedokumente für den Libanon zu erlangen. Die erwähnten Urteile legen nahe, dass zumindest phasenweise eine nicht gänzlich
vorhersehbare und durchschaubare Verwaltungspraxis der Libanesischen Botschaft bestehen könnte. Vor diesem Hintergrund wäre
es womöglich sinnvoll, würde sich der Antragsgegner über die höheren Stellen an das Auswärtige Amt wenden mit dem Ziel, mit
der Libanesischen Botschaft nachvollziehbare Bedingungen abzustimmen, unter denen ein ausreisepflichtiger staatenloser Palästinenser
regelmäßig ein Rückreisedokument erlangen kann, ohne dass dies vom Vorliegen oder der absehbaren Erteilung eines Aufenthaltstitels
abhängig gemacht wird. Bestärkt werden diese Erwägungen durch den Beschluss des Kammergerichts vom 4. Januar 2018 (Az.: 1 W 190/17 und 1 W 191/17 - juris Rn. 10). Demnach erkennt das Bundesministerium des Innern auch das neue, seit 2016 maschinenlesbare Modell des DDV
für palästinensische Flüchtlinge nicht als Passersatz an, da keine gesicherten Erkenntnisse hinsichtlich der Rückübernahme
von Dokumenteninhabern durch den Libanon vorlägen.
Der Antragsteller hat jedenfalls nach den Grundsätzen, die im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes maßgeblich sind, seine
Mitwirkungspflichten erfüllt. So hat er sich nach anwaltlicher Beratung durch seinen Prozessbevollmächtigten am 12. Dezember
2019 in die Libanesische Botschaft begeben (was dort bestätigt worden ist), um sich gezielt nach einem Rückreisedokument zu
erkundigen. Dies hat er selbst eidesstattlich versichert. Der Prozessbevollmächtigte hat seine diesbezügliche Beratung und
sein aktives Hinwirken darauf in den Schriftsätzen vom 25. Februar 2020 und vom 17. März 2020 dargestellt. Der Senat hat keinen
Anlass, dem Prozessbevollmächtigten als Organ der Rechtspflege zu misstrauen (§ 1 Bundesrechtsanwaltsordnung [BRAO]). Für die Wahrnehmung und Durchsetzung von Rechten ist es im Rechtsstaat aus Gründen der Chancen- und Waffengleichheit
von maßgeblicher Bedeutung, dass sich der Einzelne der Unterstützung durch Rechtsanwälte versichern kann (BVerfG, Beschluss
vom 12. Dezember 2006 - 1 BvR 2576/04 - juris Rn. 100). Der Anwalt ist verpflichtet, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben (§ 43 BRAO) und darf keine Unwahrheiten verbreiten (§ 43a BRAO). Aus der Verpflichtung des Anwalts auf eine rechtstaatliche Rechtspflege folgt seine Verpflichtung auf die Wahrheit. Sie
bedeutet nicht, dass er alles, was der Aufklärung des wahren Sachverhalts dient, also auch eventuell Nachteiliges für seinen
Mandanten vortragen müsste, wohl aber, dass er nicht bewusst unwahr vortragen darf. Denn vor einem Gericht, das von einer
solchen Wahrhaftigkeit des anwaltlichen Vortrags nicht mehr ausgehen kann, hat das Wort des Anwalts nicht mehr das zur Wahrung
der Chancen- und Waffengleichheit notwendige Gewicht (Busse in: Henssler/Prüttning, BRAO, 5. Aufl. 2019, Einl. BRAO Rn. 79). Nach alldem spricht nach dem Vortrag des Antragstellers mehr dafür als dagegen, dass er sich bei dem Besuch der
Libanesischen Botschaft im Dezember 2019 umfassend darum bemüht hat, die erforderlichen Dokumente für seine Rückreise zu beantragen.
Die glaubhaft gemachte Tatsache genügt im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die
Behörde die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchseinschränkenden Tatsachen nach §
1a AsylbLG trägt (Oppermann in: jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, §
1a AsylbLG Rn. 111; Hohm,
AsylbLG, Stand: Januar 2020, §
1a Rn. 305). Demgegenüber hat der Antragsgegner nicht glaubhaft gemacht, dass die Libanesische Botschaft staatenlosen Palästinensern
stets kooperativ Rückreisedokumente ausstellt.
Daher kann es auch dahinstehen, ob die Internetpräsenz der Libanesischen Botschaft geeignete Möglichkeiten für staatenlose
Palästinenser aufzeigt, Rückreisedokumente zu erlangen. Ebenfalls offen bleiben kann, ob im Freistaat Sachsen absehbar Abschiebungen
unterbleiben aufgrund der "Corona-Pandemie". Nachdem daher die Voraussetzungen einer Anspruchseinschränkung nicht vorliegen,
hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Ergebnis zutreffend dazu verpflichtet, einstweilen Grundleistungen nach §
3 AsylbLG zu gewähren. Da sich der Antragsteller selbst nicht gegen den angefochtenen Beschluss gewandt hat, sieht der Senat davon
ab, zu den erstinstanzlich begehrten "Analogleistungen" nach §
2 AsylbLG auszuführen.
Schließlich besteht auch ein Anordnungsgrund. Die Sache ist eilbedürftig, da dem Antragsteller die Mittel fehlen, um seinen
Lebensunterhalt zu sichern. Selbst wenn sich ein Mensch tatsächlich daran gewöhnen sollte, über Jahre geringere Leistungen
als das verfassungsrechtlich Gebotene zu erhalten, darf dies kein Maßstab sein für die hier allein maßgebliche juristische
Beurteilung. Danach ist das menschenwürdige Existenzminimums zu sichern; zumal im Falle des Antragstellers - wie aufgezeigt
- die ausnahmsweise Einschränkung des Leistungsanspruchs nach §
1a Abs.
3 AsylbLG zur Durchsetzung ausländerrechtlicher Mitwirkungspflichten nicht in Betracht kommt. Das BSG geht davon aus, dass allenfalls monatliche Euro-Beträge im einstelligen Bereich und für einen nur kurzen Zeitraum von längstens
sechs Monaten eine allenfalls durchschnittliche Bedeutung für einen Bezieher von Grundsicherungsleistungen haben (Urteil vom
1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R - SozR 4-1935 §
14 Nr. 2). Diese Erwägungen sind auf Leistungen nach dem
AsylbLG zu übertragen; zumal diese vom Gesetzgeber zielgerichtet niedriger ausgestaltet worden sind.
Nach der Ansicht des BVerfG ist dies nur hinzunehmen, so lange wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts des Betroffenen konkrete
Minderbedarfe gegenüber Hilfsempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können
(Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - juris Rn. 74).
Soweit der Antragsteller ausgeführt hat, er leide unter Epilepsie und der Antragsgegner habe ihm Leistungen zur Inanspruchnahme
ärztlicher Hilfe vorenthalten, ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller weder die Gesundheitsstörung noch eine ablehnende
Entscheidung des Antragsgegners glaubhaft gemacht hat. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des
§
193 Abs.
1 SGG. Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).