Zur Einbehaltung des vollen Beitrags zur sozialen Pflegeversicherung von der Rentenzahlung seit 1. April 2004
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Beklagte berechtigt ist, den Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung von der
Rentenzahlung an die Klägerin in voller Höhe einzubehalten.
Die am ... 1952 geborene Klägerin bezieht seit dem 01. Dezember 2000 - eine zunächst befristete - Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Mit Bescheid vom 08. März 2004 stellte die Beklagte fest, dass ab 01. April 2004 Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von
1,70 % von der Rente einzubehalten und allein von der Versicherten zu tragen sind. Dagegen legte die Klägerin am 15. April
2004 Widerspruch ein. Mit Folgebescheiden vom 03. Juni 2005, 08. August 2005, 18. Juni 2008 und 04. Mai 2009 stellte die Beklagte
zum Ablauf der Befristung die Rente jeweils neu fest, und zwar immer unter Einbehaltung des vollen Pflegeversicherungsbeitrages.
Auch gegen diese Bescheide legte die Klägerin Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2009 wies die Beklagte
den Widerspruch gegen den Bescheid vom 08. März 2004 zurück. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides ist ausgeführt:
"Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe bei dem für Sie zuständigen Sozialgericht schriftlich
Klage erheben". Mit Bescheid vom 07. Juli 2009 regelte die Beklagte die Höhe der Rente der Klägerin für die Zeit vom 01. Juni
2005 bis zum 31. August 2011 neu. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 22. Juli 2009 Widerspruch ein.
Am 05. August 2009 hat die Klägerin gegen den Bescheid vom 08. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.
Juni 2009 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 09. Februar 2010 abgewiesen und ausgeführt, die Klage sei unzulässig, da diese nach
Ablauf der Monatsfrist am 05. August 2009 verspätet erhoben worden sei. Die Klage sei aber auch unbegründet, denn die Klägerin
sei nach §
59 SGB des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (
SGB XI) zur Tragung des vollen Pflegeversicherungsbeitrages verpflichtet.
Gegen den am 29. März 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14. April 2010 beim SG Berufung eingelegt, das das Verfahren dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt vorgelegt hat.
Mit Bescheid vom 21. März 2011 hat die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit gewährt.
- Auf Hinweis des Senats hat die Beklagte hinsichtlich der Folgebescheide das Widerspruchsverfahren nachgeholt und mit Widerspruchsbescheid
vom 15. Juni 2011 die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom 03. Juni 2005, 08. August 2005, 18. Juni 2008 und
04. Mai 2009 zurückgewiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 09. Februar 2010 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 08. März
2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2009, die Bescheide vom 03. Juni 2005, 08. August 2005, 18. Juni
2008 und 04. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 15. Juni 2011 sowie die Bescheide vom 07. Juli 2009 und
21. März 2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, nicht den vollen Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung von der
Rentenzahlung einzubehalten; hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 09. Februar 2010 zurückzuweisen.
Sie hält ihre Bescheide und den angefochtenen Gerichtsbescheid des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und es Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der
Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die vorgenannten Bescheide der Beklagten
und der bestätigende Gerichtsbescheid des SG sind im Ergebnis nicht zu beanstanden, so dass die Klägerin nicht im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG beschwert ist.
Die Klage ist nicht deshalb unzulässig, weil es an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Widerspruchverfahrens mangelt. Denn
bezüglich der Bescheide vom 03. Juni 2005, 08. August 2005, 18. Juni 2008 und 04. Mai 2009, die nach §
96 Abs.
1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sind, hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2011 das Vorverfahren nachgeholt
und damit diesen Mangel geheilt. Dass der Bescheid vom 07. Juli 2009 in dem Widerspruchsbescheid nicht genannt wird, ist unschädlich,
da sich der Regelungsgehalt des Widerspruchsbescheides ausschließlich auf den vollen Beitragssatz für die Soziale Pflegeversicherung
bezieht. Aus prozessökonomischen Gründen kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ((BSG) Urteil vom 24. Oktober
1978 - 12 RK 53/76 -, SozR 2200 § 313a Nr. 6) unbeschadet der Einbeziehung in das Vorverfahren das Gericht über neue Verwaltungsakte mit entscheiden,
sofern die Beteiligten nicht widersprechen. Vorliegend sind im Einverständnis der Beteiligten sowohl der Bescheid vom 07.
Juli 2009 als auch der Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2011 im Klageantrag aufgenommen worden, da die Behandlung als Verfahrensgegenstand
im allseitigen Interesse lag. Der nach Rechtshängigkeit erlassene Bescheid vom 21. März 2011 über die Entfristung der Rente
ist gemäß §
96 Abs.
1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden.
Entgegen der Auffassung des SG ist die Klage ist fristgemäß erhoben worden. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2009 ist
unrichtig im Sinne von §
66 Abs.
2 Satz 1
SGG, weil in ihr das zuständige Sozialgericht nicht namentlich bezeichnet ist, so dass sich die Frist zur Erhebung der Klage
auf ein Jahr verlängerte. Diese Frist hat die Klägerin eingehalten.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Gemäß §
59 Abs.
1 Satz 1
SGB XI sind die Beiträge aus der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung von den versicherten Mitgliedern seit dem 01. April 2004
allein zu tragen. Die Verfahrensweise der Beklagten entspricht deshalb dem Gesetz. Der Senat ist auch nicht davon überzeugt,
dass diese Regelung verfassungswidrig ist, so dass eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
ausscheidet. Das BVerfG hat bereits entschieden, dass die genannte Vorschrift nicht verfassungswidrig ist (Beschluss vom 07.
Oktober 2008 - 1 BvR 2995/06, 1 BvR 740/07 - zitiert nach juris). Dem schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung an.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.