Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Kindergeld nach dem
Bundeskindergeldgesetz (
BKGG) für seine Kinder S. B. und Se. B. ab dem September 1994.
Der Kläger ist Vater mehrerer Kinder und bezog zuletzt von der Beklagten nach dem Bescheid vom 4. August 1993 Kindergeld für
seine Kinder Se. B. (geboren am 1988) und S. B. (geboren am 1990) in Höhe von insgesamt 480 DM monatlich unter Berücksichtigung
der weiteren drei Kinder des Klägers (Erhöhung aufgrund des sog. Zählkindvorteils). Mit der Mutter der Kinder S. und Se. war
der Kläger nicht verheiratet.
Mit Bescheid vom 18. August 1994 reagierte die Beklagte auf eine Änderung des § 3 Abs. 3 Satz 1
BKGG ab dem 1. Januar 1994 und hob die Bewilligung "nach dem Ablauf des Monats August 1994" ganz auf: Ab dem Januar 1994 seien
nur noch Ehegatten berechtigt, eine Bestimmung darüber zu treffen, wer von ihnen das Kindergeld für die gemeinsamen Kinder
erhalten solle. Demnach erhalte von den unverheirateten Eltern derjenige das Kindergeld, der die alleinige Personensorge innehabe
oder den überwiegenden Unterhalt erbringe. Diese Voraussetzungen seien beim Kläger nicht erfüllt, so dass die Bewilligung
aufzuheben sei.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 1994 zurück.
Am 27. Oktober 1994 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Magdeburg (SG) Klage gegen den Bescheid vom 18. August 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 1994 erhoben. Mit Beschluss
vom 31. Mai 1995 hat das SG das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Wege der konkreten Normenkontrolle die Frage zur
Entscheidung vorgelegt, ob die ab dem Jahr 1994 gültige Fassung des § 3 Abs. 3 Satz 1
BKGG mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art.
3 Abs.
1 des Grundgesetzes (
GG) vereinbar ist.
Am 25. Januar 1996 hat der Kläger erneut Kindergeld für alle seine Kinder beantragt, das ihm ab dem Januar 1996 für sein Kind
C. gewährt wurde.
Das BVerfG hat am 29. Oktober 2002 entschieden (1 BvL 16/95 u.a.), dass § 3 Abs. 3 Satz 1
BKGG in der Fassung vom 21. Dezember 1993 mit Artikel
3 Abs.
1 GG unvereinbar ist. Der gesetzliche Ausschluss des Zählkindvorteils nur für unverheiratete bzw. getrennt lebende Eltern stelle
diese im Vergleich zu verheirateten zusammenlebenden Eltern ohne sachliche Rechtfertigung schlechter. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber
aufgegeben, bis zum 1. Januar 1994 eine verfassungsgemäße Regelung zu verabschieden. Andernfalls sei auf noch nicht abgeschlossene
Verfahren das bis zum 31. Dezember 1993 geltende Recht anzuwenden.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 28. April 2004 mitgeteilt, der Klage wie folgt entsprechen wollen: Der Kläger habe Anspruch
auf Berücksichtigung der Zählkinder, so dass die zwischenzeitlich an die Mutter der Kinder ergangene Kindergeldbewilligung
zurückzunehmen wäre. Zur Vermeidung des Verwaltungsaufwands habe sie daher dem Kläger den Zählkindvorteil für den Zeitraum
vom September 1994 bis Dezember 1995 in Höhe von 2.259,91 Euro ausgezahlt. Für den Zeitraum ab Januar 1996 richte sich die
Bewilligung von Kindergeld für den Kläger nach den Regelungen des Einkommensteuergesetzes.
Nach Aufnahme des Verfahrens hat der Kläger das Anerkenntnis der Beklagten nicht angenommen und erklärt, dass er das Verfahren
nicht für erledigt erklären möchte, weil auch die Zeiträume ab dem Jahr 1996 zu klären seien.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 2. Dezember 2004 ausgeführt, ihr Anerkenntnis und die Nachzahlung des Zählkindvorteils
seien rechtswidrig, weil auch nach der neuen Rechtslage die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nicht erfüllt
seien. Das Kindergeld werde demjenigen Berechtigten gezahlt, der das Kind in den Haushalt aufgenommen habe. Lebe das Kind
in einem gemeinsamen Haushalt mit mehreren Kindergeldberechtigten, bestimmten diese untereinander den Empfänger. Der Kläger
lebe mit den Kindern Se. und S. aber nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Aus der rechtswidrigen Nachzahlung des Zählkindvorteils
folge kein Kindergeldanspruch.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27. März 2008 abgewiesen: Die Entscheidung der Beklagten über die Aufhebung der Bewilligung
des Kindergeldes durch Bescheid vom 18. August 1994 sei rechtmäßig. Sie gründe auf einer wesentlichen Änderung der rechtlichen
Umstände für die Kindergeldberechtigung, nach der der Kläger nicht mehr berechtigt war, Kindergeld für die Kinder Se. und
S. zu beziehen. Die ursprüngliche Regelung, nach der der Kindergeldanspruch entfallen wäre, sei zwar vom BVerfG für nichtig
erklärt worden. Nach der aufgrund der Entscheidung des BVerfG geschaffenen Neuregelung bestehe aber kein Anspruch, weil die
Kinder nicht in den Haushalt des Klägers aufgenommen waren.
Der Kläger hat gegen das ihm am 31. März 2008 zugestellte Urteil am 25. April 2008 Berufung erhoben: Das Gesetz berücksichtige
nicht die grundsätzliche Gleichrangigkeit des Unterhalts in Form von Betreuung bzw. finanziellen Zuwendungen und habe auch
nicht jeden Zählkindvorteil beseitigen wollen. Deshalb liege mit der Neuregelung eine verfassungswidrige Norm vor. In der
Folge sei das Recht anzuwenden, das bis zum 31. Dezember 1993 gegolten hat.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. März 2008 abzuändern und die Bescheide der Beklagten vom 18. August 1994 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 1994 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend und macht sich dessen Ausführungen zu eigen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und
der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg.
Die Berufung des Klägers ist fristgerecht im Sinne des §
151 Abs.
1 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) eingelegt. Sie ist im Übrigen zulässig und nicht nach §
144 Abs.
1 SGG ausgeschlossen.
Die Berufung gegen das Urteil des SG vom 27. März 2008 ist hingegen nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Gegenstand der Klage ist der Verwaltungsakt der Beklagten vom 18. August 1994 über die
Aufhebung der Bewilligung des Kindergeldes ab dem September 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 1994.
Der angefochtene Verwaltungsakt ist formell nicht zu beanstanden. Wie das SG zutreffend ausführt, ist die fehlerhaft nicht durchgeführte Anhörung des Klägers durch die Beklagte mit der Durchführung
des Widerspruchsverfahrens geheilt worden. Vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in die Rechte des Klägers eingreift, war
ihm durch die Behörde gemäß § 24 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) die Gelegenheit zur Äußerung zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen einzuräumen. Dass dies nicht geschehen ist,
führt aber nicht zur Rechtswidrigkeit bzw. Aufhebung der Entscheidung, weil dieser formale Mangel geheilt ist. Eine Heilung
von Anhörungsmängeln ist gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X möglich, wenn die Anhörung nachgeholt wird. Als ein Fall der nachträglichen Durchführung der Anhörung ist anzusehen, dass
der Betroffene aus der Begründung des Verwaltungsakts die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen entnehmen kann, so dass
er sich hierzu noch im Widerspruchsverfahren äußern kann. So liegt es hier, weil der Kläger die für die Aufhebung maßgebliche
Rechtsänderung im Begründungsteil des Verwaltungsaktes erläutert erhielt, so dass er tatsächlich die Möglichkeit hatte, sich
noch vor der abschließenden Verwaltungsentscheidung zu äußern.
Die rechtliche Grundlage für den Verwaltungsakt vom 18. August 1994 ergibt sich aus § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X und der aufgrund des Beschlusses des BVerfG vom 31. Mai 2002 rückwirkend eingeführten Rechtsänderung zum 1. Januar 1994.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,
die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt vor, wenn ein neuer Verwaltungsakt aufgrund der zwischenzeitlichen tatsächlichen
oder rechtlichen Veränderungen nicht mehr mit gleicher Rechtsfolge wie der ursprüngliche Verwaltungsakt ergehen dürfte.
Eine Kindergeldbewilligung durfte dem Kläger ab dem Januar 1994 nicht mehr wie ursprünglich erteilt werden.
Maßgeblich hierfür ist die Fassung des
BKGG, wie sie am 2. Januar 2002 verkündet (Neukanntmachung vom 2. Januar 2002, BGBl. I S. 6 ff.) und nachfolgend unter anderem mit dem "Gesetz zur Umsetzung familienrechtlicher Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts"
vom 13. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2547) geändert ist. In § 20
BKGG ist nach Art. 4 des Gesetzes vom 13. Dezember 2003 folgende Fassung des dritten Absatzes eingefügt worden: "In Fällen, in denen die Entscheidung
über die Höhe des Kindergeldanspruchs für Monate in dem Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1994 und dem 31. Dezember 1995 noch
nicht bestandskräftig geworden ist, ist statt des § 3 Abs. 3 Satz 1 dieses Gesetzes in der Fassung des Ersten Gesetzes zur
Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2353) § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 dieses Gesetzes in der am 31. Dezember 2003 geltenden Fassung anzuwenden."
Mithin ist § 3 Abs. 3 Satz 1
BKGG in der für die Jahre 1994 und 1995 gültigen Fassung für die nicht bestandskräftig gewordenen Fälle mit dem folgenden Wortlaut
nicht anwendbar: "Erfüllen für ein Kind Ehegatten, die nicht dauernd getrennt leben, die Anspruchsvoraussetzungen, so wird
das Kindergeld demjenigen gewährt, den sie zum Berechtigten bestimmen. Solange eine Bestimmung nicht vorliegt, wird das Kindergeld
demjenigen gewährt, der das Kind überwiegend unterhält; es wird jedoch dem Elternteil gewährt, dem die Sorge für die Person
des Kindes oder das elterliche Erziehungsrecht für das Kind allein zusteht.
Stattdessen gelten für diese Fälle § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2
BKGG in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung, welche seit der Neubekanntmachung des
BKGG unverändert wie folgt lauten: "Erfüllen für ein Kind mehrere Personen die Anspruchsvoraussetzungen, so wird das Kindergeld
derjenigen Person gewährt, die das Kind in ihren Haushalt aufgenommen hat. Ist ein Kind in den gemeinsamen Haushalt von Eltern,
einem Elternteil und dessen Ehegatten, Pflegeeltern oder Großeltern aufgenommen worden, bestimmen diese untereinander den
Berechtigten."
Der Kläger unterfällt dem Anwendungsbereich der Regelung des § 20 Abs. 3
BKGG. Die Entscheidung über die Höhe des Kindergeldanspruchs in Gestalt des Bescheides vom 18. August 1994 für die Monate nach
dem August 1994 fällt in den Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1994 und dem 31. Dezember 1995 und ist aufgrund des hiesigen
Verfahrens noch nicht bestandskräftig.
Allerdings profitiert der Kläger nicht von der Neufassung der § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2
BKGG, weil er die Kinder S. und Se. nicht in seinen Hauhalt aufgenommen hat. Ein Haushalt wird nur mit einem Kind geführt, wenn
die Kinder in einer Wohnung mit dem Elternteil leben und das Kind auch dort unterhalten und erzogen wird. Wie sich aus den
Verwaltungsakten ergibt, lebten die Kinder aber bei ihrer Mutter und wurden dort versorgt, d.h. sie lebten in deren Haushalt.
Ein Zusammenzug der Mutter mit dem Kläger fand nicht statt, weil die Mutter im Jahr 1994 ihren späteren Ehemann kennenlernte.
Die Neufassung von § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2
BKGG kommt nach der Überzeugung des Senats auch dem Auftrag des BVerfG aus dem Beschluss vom 29. Oktober 2002 zu einer verfassungsgemäßen
Neuregelung nach, so dass das bis zum Dezember 1993 geltende Recht im hier zu entscheidenden Fall nicht anwendbar ist. Das
BVerfG erkannte in der oben ausgeführten Regelung des § 3 Abs. 3 Satz 1
BKGG eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von zusammenlebenden Ehegatten (und ihren Familien) und anderen Eltern bei der
Gewährung des sog. Zählkindvorteils. Dieser Zählkindvorteil wurde nach altem Rechtszustand durch den proportionalen Anstieg
des Kindergeldes gemäß der Zahl der Kinder des Berechtigten gewährt. Dabei zählten auch solche Kinder mit, die nicht im Haushalt
des Berechtigten lebten, so dass es finanziell am günstigsten war, denjenigen Elternteil zum Berechtigten zu erklären, der
am meisten (Zähl-)Kinder hatte. Die einseitige Beseitigung dieses Zählkindvorteils nur für nicht verheiratete Eltern war nach
Auffassung des BVerfG nicht gerechtfertigt. Den Ansatz des Gesetzgebers, den Zählkindervorteil zu begrenzen, hat das BVerfG
aber gerade nicht verworfen. Es führt aus, dass der Gesetzgeber nicht gehalten ist, den Zählkindervorteil zu erhalten. Lässt
er das Kindergeld mit höherer Kinderzahl ansteigen, könne er diese Wirkung auf die Fälle begrenzen, in denen die älteren Kinder
tatsächlich überwiegend unterhalten werden, im Haushalt des Berechtigten leben oder der Berechtigte die Personensorge hat.
Mit diesen Grundsätzen steht das hier anzuwendende Recht in Form des § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2
BKGG in Einklang. Statt nach Familienformen zu unterscheiden bzw. an den Status der Ehe anzuknüpfen, steht bei mehreren Berechtigten
nach der neuen Fassung demjenigen das Kindergeld zu, der in Haushaltsgemeinschaft mit den Kindern lebt. Dass sich dann ein
"Zählkindvorteil" nicht (nochmals) bei demjenigen auswirken kann, der zwar Berechtigter ist, aber mangels gemeinsamen Haushalts
keinen Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes hat, liegt in der Natur der Sache bzw. gründet auf der auch nicht grundsätzlich
vom BVerfG verworfenen Möglichkeit, nur einem Berechtigten das Kindergeld auszuzahlen, der die Kinderbetreuung auch tatsächlich
ausübt.
Inwieweit der Kläger in späteren Zeiträumen Anspruch auf Kindergeld hat, ist vorliegend nicht zu entscheiden, weil mit der
Klage lediglich die Aufhebung des Verwaltungsakts vom 18. August 1994 begehrt ist und der Kläger für nachfolgende Zeiträume
gesonderte Anträge auf Kindergeld gestellt hat, über die auch entschieden wurde.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 Abs.
1 und 4
SGG. Bei der anteiligen Kostenquote berücksichtigt der Senat, dass die Beklagte dem Kläger auf dessen Klage hin höhere Leistungen
ausgezahlt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 SGG liegen nicht vor.