Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz
Psychische Beeinträchtigung durch Stalking
Tätlicher Angriff
Vielzahl einzelner für sich abgeschlossene Sachverhalte
Tatbestand:
Die am ... 1978 geborene Klägerin beantragte am 23. Mai 2007 die Gewährung von Beschädigtenversorgung und machte geltend,
durch Stalking psychisch stark beeinträchtigt zu sein. Sie habe eine instabile Persönlichkeitsstörung, mittelschwere Depressionen,
Schlafstörungen, leide an Panikattacken, Unruhezuständen und Angst. Herr M., ihr ehemaliger Lebenspartner und Vater eines
ihrer Kinder, stelle ihr und den Kindern nach, belästige sie, spioniere sie und das soziale Umfeld aus, schreibe täglich Liebeserklärungen,
entwende gelegentlich Post aus dem Briefkasten, beobachte sie und versuche mit allen Tricks in die Familie einzudringen. Sie
habe gegen Herrn M. bereits Strafanzeigen gestellt.
Der Beklagte hat die betreffenden Strafakten beigezogen. Am 16. September 2003 ist ein Strafbefehl gegen Herrn M. wegen Körperverletzung
ergangen, weil er die Klägerin am 26. Juni 2003 in der gemeinsamen Wohnung mehrfach mit der Faust in das Gesicht geschlagen
und mit dem Knie gegen die linke Rippenseite getreten hatte. Dadurch hatte die Klägerin eine Prellung des rechten Schultergelenkes,
des rechten Oberarms, des Brustkorbs sowie des Schädels erlitten. Mit Beschluss des Amtsgerichts B. vom 26. Februar 2007 ist
gegen Herrn M. Ordnungshaft für die Dauer von zwei Monaten verhängt worden, weil er gegen das Verbot, der Klägerin nachzustellen,
bestimmte Orte aufzusuchen und mit Fernkommunikationsmitteln Kontakt aufzunehmen, verstoßen hatte. Er hatte in der Nacht vom
6. auf den 7. Februar 2007 die Wohnung der Klägerin aufgesucht und permanent die Türklingel betätigt. In der Zeit vom 14.
September bis 4. November 2006 hatte er 40 SMS-Nachrichten mit beleidigendem Inhalt sowie 2 MMS mit der Darstellung von Genitalien
beiderlei Geschlechts an sie gesandt. Am 4. November 2006 war er ihr beim Verlassen der Wohnung gefolgt. Außerdem hatte er
37 Briefe geschrieben und sich mehrfach vor dem Wohnhaus aufgehalten, obwohl er sich diesem in einem Umkreis von 500 Meter
nicht hätte nähern dürfen. In den strafrechtlichen Akten findet sich außerdem das Protokoll der Strafanzeige vom 24. November
2007. Danach habe Herr M. der Klägerin an diesem Tag ihr Handy im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung aus der Hand gerissen,
während sie die Polizei alarmiert habe. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht B. am 30. Juni 2008 hatte sie zu diesem
Vorfall ergänzend ausgeführt, dass Herr M. ihr dabei auch einige Haare ausgerissen habe. Herr M. war an diesem Tag wegen Nachstellung
und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt worden.
Nach einem Telefonvermerk des Beklagten über ein Gespräch mit der Mutter der Klägerin vom 29. Januar 2008 befinde sich die
Klägerin nicht in psychotherapeutischer Behandlung, da sie erst den Abschluss der Gerichtsverfahren habe abwarten wollen.
Der Beklagte holte schließlich den Entlassungsbericht der Klinik H. L. O. vom 10. März 2009 ein, wonach bei der Klägerin ein
psychophysischer Erschöpfungszustand, ein zerebrales Anfallsleiden, Asthma Bronchiale, Psoriasis und eine Adipositas per Magna
bestanden hätten. Trotz extensiver Bemühungen habe sich der Zustand aufgrund mangelnder Compliance nicht bessern können.
Mit Bescheid vom 16. Juli 2009 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem
OEG ab und führte zur Begründung aus: Die Handlungen des Herrn M. fielen zwar unter den Straftatbestand des Stalking. Da es bei
diesen Handlungen zu keinem tätlichen Übergriff gekommen sei, stelle dieses gewaltfreie Stalking aber keinen entschädigungspflichtigen
Tatbestand des
OEG dar. Es fehle an der für einen tätlichen Angriff erforderlichen Körperlichkeit. Auch die Drohung mit einer künftigen Gewalttat
genüge nicht.
Am 14. August 2009 legte die Klägerin ohne weitere Begründung Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2011
wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und führte ergänzend aus: Auf eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung
des Täters komme es grundsätzlich nicht an. Die Versorgungsbehörde prüfe selbständig, ob ein vorsätzlicher, rechtswidriger
tätlicher Angriff nachgewiesen sei. Nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung könne Stalking einen vorsätzlichen, rechtswidrigen
tätlichen Angriff lediglich dann darstellen, wenn es dabei zu direkten körperlichen Übergriffen komme, dem sog. "schweren
Stalking". Derartige Handlungen des ehemaligen Lebenspartners lägen nicht vor.
Dagegen hat die Klägerin am 14. Februar 2011 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben und zur Begründung ausgeführt:
Massive Nachstellungen eines Stalkers könnten nach der Rechtsprechung auch dann als tätlicher Angriff bewertet werden, wenn
es zwischen dem Stalker und seinem Opfer nur zu geringfügigen oder gar keinen körperlichen Berührungen gekommen sei (LSG Niedersachsen,
Urteil vom 18. März 2010, L 12 VG 2/06). Im Ergebnis seien die Handlungen so schwerwiegend, dass insgesamt von einem schweren Stalking auszugehen sei. Außerdem
sei es am 26. Juni 2003 zu einem körperlichen Angriff gekommen.
Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie E. hat
am 5. November 2010 den Verdacht auf eine prämenstruelle psychische Störung, eine rezidivierende depressive Störung und eine
emotional instabile Persönlichkeit diagnostiziert. Die Klägerin habe Sorgen um ihre Kinder, anhaltende soziale Sorgen und
erlebe daraus resultierende Kränkungen. Die psychologische Psychotherapeutin Dipl.-Psych. L. hat am 24. Februar 2012 über
die Behandlung der Klägerin zwischen März 2009 und Juli 2011 berichtet. Danach leide die Klägerin an einer Anpassungsstörung
und einer histrionischen Persönlichkeitsstörung (egozentrisches und theatralisches Verhalten). Die Befunde hätten sich seit
2010 verbessert. Bei Beginn der Therapie hätten ein Überforderungserleben, ein Energieverlust, eine eingeschränkte psychische
Belastbarkeit und Konfliktfähigkeit, starke Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen vorgelegen. Die Selbstwahrnehmung der
Klägerin sei eingeschränkt gewesen. Nach dem Befundbericht der Therapeutin für Psychotherapie Dipl.-Ing. S. vom 10. März 2012
behandele sie die Klägerin seit Sommer 2010. Der traumatische Reiz des Stalking mit dem Verlust der körperlichen Unversehrtheit
habe bei der Klägerin zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt. Herr M. habe die Trennung nicht akzeptieren wollen
und die Klägerin verfolgt. Er sei unberechtigt in die ehemals gemeinsame Wohnung eingedrungen, sodass sie keinerlei Gefühl
von Sicherheit habe aufbauen können und seitdem unter Angstzuständen und Panikattacken leide. Es liege bei ihr ein andauerndes
und umfassendes Gefühl von Anspannung und Besorgtheit vor. Damit einhergehend komme es zu Dramatisierungen ihrer Lebens- und
körperlichen Situation, Suggestibilität durch andere Personen/Umstände und dem Verlangen nach dem Ausdruck von Wertschätzung
durch andere. Ergänzend sehe sie eine Somatisierungsstörung zusammen mit depressiver Befindlichkeit, da auf psychisch belastende
Ereignisse meist sofort körperliche Beschwerden unterschiedlicher Art aufträten.
Schließlich hat das SG das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. B. vom 10. Juli 2012 nach ambulanter Untersuchung
der Klägerin eingeholt. Danach habe das Stalking bei ihr zu Schlafstörungen geführt. Sie habe Panikattacken und traue sich
abends im Dunkeln gar nicht mehr aus dem Haus. Das Stalking habe direkt nach der Trennung im September 2006 begonnen. Ihr
ehemaliger Lebensgefährte habe "Klingelterror" betrieben, Briefe geschrieben und Telefonterror durchgeführt. Überall wo sie
hingegangen sei, sei er aufgetaucht. Im November 2007 habe er ihr auf offener Straße das Handy aus der Hand geschlagen und
ihr dabei auch einige Haare herausgerissen. Körperlich habe es ansonsten keine Übergriffe gegeben, sondern nur Verbalattacken.
Das Stalking sei bis zu seiner Inhaftierung gegangen, sie wisse gar nicht mehr genau, wann die gewesen sei. Am 24. Februar
2010 sei er verstorben. Bis zum Schluss habe sie gehofft, dass er seine Alkoholabhängigkeit in den Griff bekomme und sich
gemeinsam um ihr Kind kümmern könne, wie sich das für Eltern gehöre. Sie habe gemerkt, dass ihr und auch ihren Kindern der
Tod des ehemaligen Lebensgefährten nicht gut getan habe. Depressionen habe sie das erste Mal nach der Geburt ihrer Tochter
im Mai 2000 gehabt. Danach sei bis zum Jahr 2006 die Krankheit nicht aufgetreten, dann habe sie an vier bis fünf depressiven
Episoden gelitten. Sie habe sich verändert und lebe viel zurückgezogener. 2011 sei sie wegen der Depressionen bei dem Nervenarzt
E. in Behandlung gewesen. Anfangs habe er Antidepressiva verordnet, die sie aber gar nicht vertragen habe. In nervenärztlicher
Behandlung befinde sie sich nicht mehr. Sie suche jetzt eine Psychotherapie in Wohnraumnähe. Der Sachverständige hat bei der
Klägerin Einschlafstörungen und Panikattacken, Ängste im Dunkeln und wenn jemand hinter ihr gehe sowie eine rezidive depressive
Störung (gegenwärtig remittiert) diagnostiziert. Keine dieser Störungen bzw. Veränderungen sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
durch Ereignisse nach dem
OEG allein verursacht oder wesentlich mit verursacht worden. Da durch Herrn M. nur ein "mildes Stalking" ausgeübt worden sei,
könnten diese gesundheitlichen Beschwerden nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden. Die Diagnose einer emotional instabilen
Persönlichkeitsstörung habe sich in der gutachtlichen Untersuchung nicht diagnostizieren lassen.
Die Klägerin hat sich gegen das Gutachten gewandt und vorgetragen: Die Gewichtung des Gutachtens zwischen den Ursachen für
ihren derzeitigen Zustand sei nicht nachvollziehbar. Zudem habe der Gutachter in unzulässiger Weise eine juristische Gesamteinschätzung
vorgenommen.
Mit Urteil vom 24. Oktober 2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob die von Herrn M. durchgeführten Stalking Handlungen
den Tatbestand eines vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs erfüllten. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Beschädigtenrente
und einen Anspruch auf Leistungen nach dem
OEG lägen nicht vor, da die bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin auf psychiatrischem Gebiet nicht mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit durch diese Ereignisse allein verursacht oder wesentlich mitverursacht worden seien. Der
Sachverständige habe dies in seinem Gutachten vom 10. Juli 2012 für die Kammer überzeugend dargelegt.
Gegen das ihr am 5. November 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am
4. Dezember 2012 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Über die
bei ihr durch das Stalking eingetretenen körperlichen und psychischen Veränderungen könne eine Zeugin Auskunft geben. Im Übrigen
sei die Sachaufklärung des SG unzureichend. Spätestens mit Einreichung der Befundberichte und des nervenärztlichen Gutachtens sei bekannt, dass sie bereits
vor dem Stalking durch Herrn M. Opfer mehrerer Straftaten gewesen geworden sei. Sie habe körperliche und seelische Gewalt
im Elternhaus und auch im Heim erlebt. Zudem sei sie im Heim Opfer sexuellen Missbrauchs durch einen älteren Jungen geworden.
Später habe sie erneut körperliche Gewalt durch ihren ehemaligen Lebensgefährten M. erlebt, der sie auch einmal vergewaltigt
habe. Auch sei sie Opfer einer Vergewaltigung geworden, als sie vor einem Angriff des Herrn M. in einen nahe gelegenen Park
geflüchtet sei. Das Gericht hätte prüfen müssen, ob diese Belastungen allgemein geeignet seien, ihre Krankheiten hervorzurufen.
Dazu hätte es eines Sachverständigen mit einer speziellen traumatologischen Ausbildung bzw. Erfahrung bedurft.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 24. Oktober 2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2009 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 2011 aufzuheben und der Klägerin eine Beschädigtenversorgung nach einem
Grad der Schädigung von mindestens 25 zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, die nunmehr dargelegten weiteren Straftaten seien nicht Gegenstand des Verfahrens und können daher unbeachtet
bzw. unberücksichtigt bleiben.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§
143,
144 Abs.
1 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) statthafte und auch in der von §
151 Abs.
1 SGG vorgeschriebenen Form und Frist eingelegte Berufung ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sowie das Urteil des SG
Dessau-Roßlau sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung von Schädigungsfolgen und Gewährung einer
Beschädigtenversorgung nach dem
OEG.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage
(§
54 Abs.
1 Satz 1, Abs.
4 SGG) geltend gemachten Anspruch ist §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG i.V.m. § 31 Abs.1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Danach erhält eine natürliche Person wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender
Anwendung der Vorschriften des BVG, u.a. auch Beschädigtenrente nach § 31 Abs. 1 BVG, wer im Geltungsbereich des
OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine
oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.
Bezüglich der hier streitentscheidenden Frage der Entschädigungspflicht des Staates nach §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG bei dem Phänomen des sog. "Stalking", das seit dem 31. März 2007 als Straftatbestand in das
Strafgesetzbuch (
StGB) aufgenommen ist (Nachstellen im Sinne des §
238 StGB), schließt sich der Senat der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes an (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, BSGE 108, 97-116, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rn. 70). Mit diesem Urteil hat das BSG das von der Klägerin zitierte Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen aufgehoben und zum unbestimmten Rechtsbegriff des vorsätzlichen,
rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG beim Stalking ausgeführt: Mit Rücksicht auf die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, dass durch die Verwendung des
Begriffs des tätlichen Angriffs im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG der allgemeine Gewaltbegriff im strafrechtlichen Sinn begrenzt und grundsätzlich eine Kraftentfaltung gegen eine Person erforderlich
sein soll, ist die Grenze der Wortlautinterpretation jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung
- ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht
unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt. Solange der Gesetzgeber den Tatbestand des §
238 StGB nicht gesondert in den Schutzbereich des §
1 OEG einbezogen hat, sind die erfolgten Stalking-Handlungen daraufhin zu prüfen, ob jeweils nach den insoweit maßgeblichen Kriterien
ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG vorliegt. Ein sich - wie auch hier - über einen längeren Zeitraum erstreckendes Stalking, das aus einer Vielzahl einzelner,
für sich abgeschlossener Sachverhalte besteht, kann nach dieser Rechtsprechung nicht als ein einheitlicher schädigender Vorgang
gewertet werden. Denn ein solcher umfasst nur den konkreten tätlichen Angriff und das diesem unmittelbar folgende gewaltgeprägte
Geschehen.
Gemessen an diesen Kriterien scheidet die Wertung der Handlungen des Herrn M. als tätlicher Angriff auf die Klägerin von vornherein
für alle Telefonate, MMS, SMS, Briefe, Karten, Geschenke und dergleichen aus. Denn insoweit fehlt es an einer unmittelbar
drohenden Gewaltanwendung, auch wenn mit den einzelnen Handlungen ernsthafte Drohungen verbunden waren. Die psychischen Auswirkungen
dieser Stalking Handlungen fallen nicht in den Schutzbereich des
OEG.
Nach dem auch vom Senat zugrunde gelegten Maßstab des BSG konnte es ausschließlich bei persönlichen Begegnungen des Herrn M. mit der Klägerin zu tätlichen Angriffen kommen. Insoweit
nimmt das Geschehen vom 24. November 2007 eine Sonderstellung ein. Herr M. hat an diesem Tag der Klägerin das Handy aus der
Hand geschlagen und ihr dabei auch einige Haare ausgerissen, als diese bei einer Auseinandersetzung die Polizei alarmierte.
Hierin liegt ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG. Daher ist nach der entschädigungsrechtlichen Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung die Frage eines wahrscheinlichen
Ursachenzusammenhangs zwischen dem schädigenden Vorgang am 24. November 2007 und der bei der Klägerin bestehenden psychischen
Erkrankung entscheidend. Unter Beiziehung des medizinischen Sachverstands von Dr. B. ist das SG zu dem Ergebnis gekommen, dass die bei der Klägerin bestehenden psychischen Beeinträchtigungen nicht auf den Übergriff vom
November 2007 zurückgeführt werden können. Diesem schlüssigen und überzeugenden Gutachten schließt sich auch der Senat an.
Einer speziellen traumatologischen Ausbildung hat es für diese Begutachtung nicht bedurft, da vom Sachverständigen lediglich
der Ursachenzusammenhang zwischen dem Wegnehmen des Telefons und dem Ausreißen einiger Haare und den bestehenden psychischen
Beschwerden zu beurteilen war. Für das Begutachtungsergebnis von Dr. B. spricht zunächst, dass dieses Ereignis nicht mit einem
schwerwiegenden körperlichen Eingriff verbunden war. Eine ärztliche Behandlung ist aufgrund dieses Ereignisses nicht erfolgt.
Auch in den ärztlichen Berichten über die Behandlungen der Klägerin wegen ihrer psychischen Beeinträchtigungen wird dieser
Vorfall nicht explizit erwähnt, sondern auf das Stalking insgesamt hingewiesen. Im Übrigen hat die Klägerin in dem seit 2007
anhängigen
OEG-Verfahren erstmals bei der Begutachtung gegenüber Dr. B. im Jahre 2012 das Ereignis vom November 2007 angegeben. Dies zeigt,
dass auch sie diesem Vorfall keine maßgebliche Bedeutung für ihren psychischen Gesundheitszustand beigemessen hat. Im Übrigen
hat die Klägerin erst im Jahr 2012 dieses Ereignis erwähnt, nachdem der Beklagte mehrfach auf den fehlenden körperlichen Angriff
hingewiesen hat. Auch der Prozessbevollmächtigte hat bislang nicht das Ereignis vom November 2007 explizit erwähnt, sodass
davon auszugehen ist, dass die Klägerin auch diesem gegenüber das Ereignis als untergeordnet betrachtet hat.
Vom Stalking unabhängig ist die körperliche Auseinandersetzung vom 26. Juni 2003 zu sehen. Dabei erscheint schon fraglich,
ob dieses Geschehen Verfahrensgegenstand ist, da die Klägerin ihren Antrag auf die Stalking Handlungen seit 2006 bezogen hat.
Die Tat im Jahr 2003 fand noch während der Beziehung der Klägerin mit Herrn M. in der gemeinsamen Wohnung der beiden statt.
Die endgültige Trennung der Klägerin von Herrn M. ist erst im September 2006 erfolgt. Unabhängig davon begründet dieses aber
keinen Anspruch auf Leistungen nach dem
OEG. Dieses Ereignis erfüllt zwar ebenfalls den Tatbestand eines vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs, da Herr M. die Klägerin
ausweislich des Strafbefehls verletzt hat. Allerdings liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin durch diese,
nunmehr 13 Jahre zurückliegende Tat, eine dauerhafte Schädigung erlitten hat. Es ist davon auszugehen, dass die dabei erlittenen
Prellungen ausgeheilt sind. Hinweise darauf, dass die Tat vom Juni 2003 zu einer psychischen Schädigung geführt hat, sind
nach Aktenlage nicht ersichtlich. Die Klägerin ist nach dem Bericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin M. vom 3. Januar 2008
im Januar 2007 erstmals wegen der Bedrohungssituation nach der im September 2006 erfolgten Trennung in Behandlung gekommen.
Schließlich hat die Klägerin den Antrag nach dem
OEG wegen "Stalking" und damit verbundener psychischer Beeinträchtigung seit dem "8. September 2006" gestellt. Das Ereignis vom
26. Juni 2003 hat sie nicht mitgeteilt. Auch gegenüber dem Sachverständigen Dr. B. hat sie das Ereignis vom 26. Juni 2003
nicht als körperlichen Übergriff erwähnt, sondern auf das nach ihren Angaben im September 2006 begonnene Stalking wegen ihrer
psychischen Beeinträchtigungen hingewiesen. Auch die Psychotherapeutin S. hat in ihrem Bericht vom 10. März 2012 den Bezug
zum Stalking als Ursache einer posttraumatischen Belastungsstörung gesehen, nicht aber den tatsächlich erlebten körperlichen
Angriff durch Herrn M. im Jahre 2003. Schließlich war die Klägerin zwischen 2000 und 2006 nach ihren eigenen Angaben nicht
psychisch erkrankt, sodass auch im Anschluss an das Ereignis keine psychischen Veränderungen dokumentiert sind, die als Brückensymptome
gewertet werden könnten.
Weitere Schädigungsvorgänge mit körperlicher Gewalt durch Herrn M. sind nicht aktenkundig. Die Klägerin hat in ihrem Antrag
lediglich auf das Stalking durch Herrn M. nach der Trennung verwiesen, sodass auch die Gesamtumstände davor nicht einbezogen
werden können. Soweit der Prozessbevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 14. Januar 2016 vorträgt, der Beklagte und das
SG hätten spätestens mit dem Einreichen der Befundberichte und dem Gutachten des Dr. B. Kenntnis über weitere Straftaten erlangen
und dem nachgehen müssen, kann der Senat dem nicht folgen. Wie der Beklagte zu Recht bemerkt hat, ist Gegenstand des Verfahrens
die Frage, ob die Klägerin aufgrund des Stalkings eine Entschädigung nach dem
OEG erlangen kann. Etwas anderes hat die Klägerin in ihrem Antrag vom 23. Mai 2007 auch nicht geltend gemacht und war bislang
auch nicht Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens. Eine Verwaltungsentscheidung des Beklagten zu weiteren Ereignissen als
entschädigungspflichtige Tatbestände nach dem
OEG liegt bislang nicht vor und kann daher auch nicht im gerichtlichen Verfahren überprüft werden. Völlig andere, vom Stalking
unabhängige Lebenssachverhalte, können hier nicht zulässigerweise einbezogen werden, sodass auch diesbezüglich keine weiteren
Ermittlungsansätze bestehen. Das betrifft insbesondere die nunmehr vorgetragenen Ereignisse aus der Kindheit und Jugendzeit
der Klägerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nach §
160 SGG nicht vor.