Aufhebung einer Rechtswegverweisung
Unterlassung einer bereits erfolgten europaweiten Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags
Sachliche Zuständigkeit der Vergabekammer des Bundes
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) begehrte im erstinstanzlichen Verfahren, die Antragsgegnerin
und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
eine europaweite Ausschreibung über Hilfsmittel zur Stomaversorgung der Produktgruppe 29 des Hilfsmittelverzeichnisses (HVM)
der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und den gegebenenfalls in diesem Zusammenhang erforderlichen Hilfsmitteln zur Inkontinenz
der Produktgruppe 15 des HVM nach §
127 Abs.
1 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) zu unterlassen.
Die Antragsgegnerin machte am 3. November 2007, berichtigt durch Bekanntmachung vom 9. November 2017, eine Ausschreibung zur
Versorgung der nach §
33 SGB V i.V.m. §
127 Abs.
1 SGB V anspruchsberechtigten Versicherten der Auftraggeberin (hier: Antragsgegnerin) für die Zeit ab dem 1. April 2018 zur Versorgung
mit Stomaartikeln der Produktgruppe 29 und den gegebenenfalls in diesem Zusammenhang notwendigen Inkontinenzhilfen der Produktgruppe
15 im Rahmen eines Vergabeverfahrens europaweit im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (2017/S 213-442130) bekannt.
Beginnend mit dem 1. April 2018 ist eine Laufzeit der Rahmenvereinbarungen von 24 Monaten mit der Möglichkeit einer zweimaligen,
jeweils einjährigen Verlängerung vorgesehen. Wie sich aus der Leistungsbeschreibung der Antragsgegnerin ergibt, sind Leistungsgegenstand
dieser Ausschreibung neben der Versorgung ihrer Versicherten mit Stomaartikeln und ergänzend mit Inkontinenzhilfen einschließlich
Zubehör samt notwendiger Reparaturen und Ersatzteilen sowie notwendiger Wartungen und sicherheitstechnischer Kontrollen auch
die in diesem Zusammenhang zu erbringenden Dienst- und Serviceleistungen. Bezüglich der Einzelheiten wird auf Anlage 4 zum
Schriftsatz der Antragstellerin vom 28. November 2017 (Sonderband Gerichtsakte) Bezug genommen. Die Antragstellerin versorgt
derzeit als präqualifizierte Leistungserbringerin nach eigenen Angaben 47 Versicherte der Antragsgegnerin mit Stomaartikeln
mit einem Umsatz von 170.100,00 EUR jährlich. Mit ihrem am 28. November 2017 beim Sozialgericht Gotha (SG) eingegangenen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat die Antragstellerin im Wesentlichen vorgetragen, die ausgeschriebene
Versorgung mit Stomaartikeln weise neben der Sachversorgung einen besonders hohen Dienstleistungsanteil auf, sodass eine Ausschreibung
nach §
127 Abs.
1 Satz 1 und Satz 6
SGB V nicht zweckmäßig und daher rechtswidrig sei. Bereits aus den Ausschreibungsunterlagen ergebe sich, dass auch der Antragsgegnerin
der gerade im Vergleich zu anderen Hilfsmittelversorgungen besonders hohe Dienstleistungsanteil bekannt und bewusst sei. Trotzdem
habe sie das Ausschreibungsverfahren eingeleitet und somit ein ihr nicht zustehendes Ermessen ausgeübt. Sie habe sich im laufenden
Ausschreibungsverfahren im Rahmen der Bieterfragen dahingehend eingelassen, dass sie die Ausschreibung für zweckmäßig erachte
und sie keinen hohen Dienstleistungsanteil sehe. Es handle sich vorliegend um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Streitentscheidend
seien hier ausschließlich die öffentlich-rechtlichen Normen des
SGB V, insbesondere §
127 SGB V. Die Begründetheit des vorliegenden Antrages beurteile sich ausschließlich danach, ob die Ausschreibung der Antragsgegnerin
im Sinne des §
127 Abs.
1 Satz 6
SGB V als zweckmäßig anzusehen sei. Der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Antrag
sich gegen eine Ausschreibung richte. Streitigkeiten in Verfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) seien nach §
69 SGB V von der Zuständigkeit der Sozialgerichte ausgenommen. Zwar gehe es vorliegend dem Grunde nach um eine Ausschreibung, die
auch den vergaberechtlichen Vorschriften des GWB unterliege, Streitgegenstand seien aber gerade nicht die vergaberechtlichen Vorschriften des Vierten Teils des GWB, sondern ausschließlich eine Vorfrage, nämlich die Frage, ob die Ausschreibung der Antragsgegnerin nach §
127 Abs.
1 Satz 1 und Satz 6
SGB V zweckmäßig sei. §
127 SGB V bleibe im vergaberechtlichen Verfahren nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes (OLG) Düsseldorf (Beschluss vom 21.
Dezember 2016 - Az.: VII-Verg 26/16) unangewendet bzw. sei nach dem Beschluss der Vergabekammer des Bundes vom 21. Juni 2016 (Az.: VK 2 - 45/16) dem Vergabeverfahren
vorgelagert und nicht in diesem zu prüfen. Die Frage, ob möglicherweise sozialrechtliche Gründe der Ausschreibung entgegenstünden,
unterliege der Rechtsprechung der Sozialgerichte. Erst wenn eine Krankenkasse die Entscheidung getroffen habe, einen bestimmten
Beschaffungsvorgang im Wege der Ausschreibung zu vergeben, gälten vergaberechtliche Grundsätze. Zu berücksichtigen sei ebenso,
dass der nationale Gesetzgeber gerade mit den Änderungen des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) vom 4. April
2017 (BGBl I 2017, Seite 778) es für geboten gehalten habe, weiterhin an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten für Hilfsmittelausschreibungen festzuhalten. Bei
richtiger Anwendung des §
127 Abs.
2 und Abs.
2a SGB V handle es sich um ein unionsrechtskonformes Alternativverfahren, sodass bei Einhalten dessen Voraussetzungen von Ausschreibungen
abgesehen werden könne. Eine Krankenkasse verhalte sich also bei Feststellung der Unzweckmäßigkeit nicht nur im Rahmen des
SGB V, sondern auch unionsrechtlich rechtmäßig und könne somit entsprechend dem Willen des Gesetzgebers von Ausschreibungen absehen.
Ein effektiver Rechtsschutz werde ihr durch das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren gerade nicht gewährt.
Die Antragsgegnerin hat erwidert, die Antragstellerin versuche mit ihrem Antrag einen vergaberechtlichen Streit vor den Sozialgerichten
auszutragen. Dies geschehe erkennbar in der Hoffnung, einen Sachverhalt, den das zuständige OLG Düsseldorf bereits entgegen
der Rechtsauffassung der Antragstellerin entschieden habe, von dem erkennenden Gericht zu ihren Gunsten beurteilen zu lassen.
Fragen der Ausschreibung auch von Stoma- und Inkontinenzversorgungen fielen allein in den Zuständigkeitsbereich der Nachprüfungsinstanzen.
Insgesamt sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig zu verwerfen. Eine Verweisung an die erstinstanzlich
zuständige Vergabekammer komme aus rechtlichen Gründen - eine Vergabekammer sei Verwaltungsbehörde, nicht Gericht - nicht
in Betracht. Der Antragstellerin fehle es auch an der Antragsbefugnis, weil die von ihr zur Begründung einer Rechtsposition
herangezogene Norm des §
127 Abs.
1 SGB V keinerlei Drittschutz zu ihren Gunsten entfalte. Sie solle vielmehr als allgemeines Ziel die Qualität der Versorgung und
damit die Versicherten schützen. Die GKV handle beim Abschluss von Verträgen mit Hilfsmittelerbringern als öffentlicher Auftraggeber
im Sinne des Vergaberechts (§ 99 GWB). Liege nach §
69 Abs.
3 SGB V bei dem zu schließenden Vertrag ein öffentlicher Auftrag vor, bestehe die Verpflichtung, den Vertrag in vergaberechtskonformer
Weise europaweit auszuschreiben. Diese Vorgehensweise nutzten Krankenkassen, um Verträge mit einem oder einer begrenzten Anzahl
von Teilnehmern exklusiv abzuschließen (Exklusivausschreibung). Rechtsschutz gegen derartige Exklusivausschreibungen gewährten
in Deutschland Vergabekammern und Oberlandesgerichte in einem System des Primärrechtsschutzes. Meine ein (potentieller) Bieter
in dem europaweit bekannt gemachten Ausschreibungsverfahren einen Rechtsverstoß festzustellen, könne er diesen nach § 160 GWB zunächst beim Auftraggeber rügen. Helfe dieser dem Rügebegehren nicht ab, müsse der betroffene Bieter bei der zuständigen
Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag einreichen. Gegen Entscheidungen der Vergabekammer stehe den Beteiligten die sofortige
Beschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht nach § 171 GWB zu. Die Antragstellerin habe insgesamt acht Verfahren zum Erlass einer einstweiligen Anordnung bei Sozialgerichten anhängig
gemacht. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei bereits mangels Zuständigkeit und fehlender Möglichkeit zur
Verweisung als unzulässig zu verwerfen. Hilfsweise werde die Verweisung an das OLG Düsseldorf beantragt.
Darüber hinaus fehle es vorliegend an einem Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund. Es handle sich im Ergebnis ausschließlich
um eine vergaberechtliche Streitigkeit, die nach §§ 155, 159 GWB in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Vergabekammern falle. Das OLG Düsseldorf habe sich in der zitierten Entscheidung
gerade mit der Frage der "Zweckmäßigkeit der Ausschreibung" und dem Verhältnis der Norm zum Europäischen Vergaberecht ausdrücklich
beschäftigt. Auch im Sinne einer Rechtsklarheit wäre es nicht im Sinne einer einheitlichen Rechtsordnung, diese Frage nun
nochmals von der Sozialgerichtsbarkeit klären zu lassen. Das OLG Düsseldorf sei letzte vergaberechtliche Instanz. Bei §
127 Abs.
1 SGB V handle es sich erkennbar um eine Norm mit ausschließlich vergaberechtlichem Inhalt. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen,
dass den Vergabekammern nach § 156 Abs. 2 GWB ebenfalls die Entscheidungskompetenz hinsichtlich "sonstiger Ansprüche" zukomme. Schutzzweck dieser Regelung sei es insofern
gerade, eine Rechtswegzersplitterung zu vermeiden, weshalb neben den originär vergaberechtlichen Ansprüchen alle sonstigen
Ansprüche mit der Zielrichtung gegen den öffentlichen Auftraggeber innerhalb eines Vergabeverfahrens in die Vorschrift aufgenommen
wurden. Auch das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen habe in seinem Beschluss vom 16. Januar 2017 (Az.: L 16 KR 954/16 B ER) die Unzuständigkeit der Sozialgerichte für vergaberechtliche Angelegenheiten bestätigt, in dem es festgestellt habe,
dass lediglich hinsichtlich der Open-House-Verfahren, die nicht dem Vergaberecht unterfielen, ein Rechtsweg zu den Sozialgerichten
gegeben ist. Zwischenzeitlich habe die Antragstellerin mit dem vergaberechtlichen Rügeschreiben vom 23. November 2017 ebenfalls
die Zweckmäßigkeit der Ausschreibung nach §
127 Abs.
1 SGB V beanstandet.
Mit Beschluss vom 18. Dezember 2017, zugestellt am 19. Dezember 2017, hat das SG den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit nach §
98 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) i.V.m. §
17a Abs.
2 des
Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG) an den Vergabesenat des OLG Düsseldorf verwiesen. Der Beschluss sei unanfechtbar. Das SG hat die Akten an das OLG Düsseldorf abgegeben, das mit richterlicher Verfügung vom 29. März 2008 die Akten zurückgesandt
hat, weil die Rechtsmittelbelehrung unzutreffend sei.
Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2018 hat sich die Antragstellerin erneut an das SG gewandt. Die Vorsitzende der 9. Kammer des SG hat darauf hingewiesen, sie lege den Schriftsatz als Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss aus, weil inhaltliche Einwendungen
gegen die Verweisung geltend gemacht würden. Mit Schriftsatz vom 30. Mai 2018 hat die Antragstellerin mitgeteilt, der Schriftsatz
sei auch als Beschwerde zu werten.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit seien zuständig. Sowohl der Verweis in §
127 Abs.
1 SGB V, als auch in §
51 Abs.
3 SGG setze voraus, dass ein öffentlicher Auftrag vorliege. Bei einer unzweckmäßigen Ausschreibung, von der hier auszugehen sei,
fehle es jedoch an einem öffentlichen Auftrag. Eindeutige Rechtsfolge der Unzweckmäßigkeit sei, dass die Antragsgegnerin an
einer Ausschreibung gehindert sei; sie müsse dann Verträge nach §
127 Abs.
2, Abs.
2a SGB V schließen, die jedoch keine öffentlichen Aufträge im Sinne des GWB darstellten. Sie verweist auf den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 3. August 2018 (Az.: VII-Verg 30/18) und vertritt die Ansicht, hieraus ergebe sich, dass eine Streitigkeit über die sozialrechtliche Vorfrage der Zweckmäßigkeit
gerade keine vergaberechtliche Streitigkeiten sei.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 18. Dezember 2017 aufzuheben und den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
für zulässig zu erklären. Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, der Beschluss des SG sei im Ergebnis rechtmäßig. Die vorliegend streitgegenständlichen Rechtsfragen seien nach der einschlägigen Entscheidungspraxis
des Bundesgerichtshofs ((BGH) vgl. Beschluss vom 18. Juni 2012 - Az.: X ZB 9/11) voll umfänglich einer rechtlichen Überprüfung durch den Vergabesenat beim OLG Düsseldorf zugänglich. Dieser könne gegebenenfalls
selbst eine Verweisung an die zuständige erstinstanzliche Vergabekammer aussprechen. Zwischenzeitlich hätten das LSG für das
Saarland (Beschluss vom 3. April 2018 - Az.: L 2 KR 2/18 B ER), das Bayerische LSG (Beschluss vom 21. März 2018 - Az.: L 5 KR 81/18 B ER, nach juris), das Hessische LSG (Beschluss vom 3. Mai 2018 - Az.: L 8 KR 217/18 ER B) sowie das LSG Baden-Württemberg (Beschlüsse vom 9. Mai 2018 - Az.: L 4 KR 172/18 ER B und L 5 KR 217/18 ER B) bestätigt, dass die Entscheidungskompetenz des Vergabesenats auch die Klärung der Frage einschließe, ob eine nach den
vergaberechtlichen Vorschriften gebotene Ausschreibung gegebenenfalls durch außerhalb des Vergaberechts liegende (sozialrechtliche)
Vorschriften (hier: §
127 Abs.
1 Satz 6
SGB V) gesetzlich ausgeschlossen sei. Dies werde bestätigt durch den Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 29. Mai 2018 (Az.:
L 4 KR 173/18 ER). Entscheidend sei, dass sich die Ansprüche gegen den öffentlichen Auftraggeber richteten, auf die Vornahme oder das Unterlassen
einer Handlung abzielten und deren Geltendmachung innerhalb eines laufenden Vergabeverfahrens erfolge. Das OLG Düsseldorf
habe sich in dem zitierten Beschluss vom 27. Juni 2018 (Az.: VII-Verg 59/17) nicht für die Frage der Zweckmäßigkeit für unzuständig erklärt. Zu unterscheiden sei zwischen der Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen
und der Zulässigkeit eines potenziell eingelegten Nachprüfungsantrags.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beschwerdeakte sowie der beigezogenen Gerichtsakten
des Sozialgerichts Gotha und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung gewesen
ist.
II.
Nach §
172 SGG findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser
Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Nach §
173 Satz 1
SGG ist die Beschwerde binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift
des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach §
66 Abs.
1 SGG beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf,
die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich
oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs
nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist
infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf
nicht gegeben sei (Absatz 2 Satz 1).
Der Beschluss des Sozialgerichts vom 18. Dezember 2017 enthält entgegen §
172 SGG keine Rechtsmittelbelehrung, er führt vielmehr aus, der Beschluss sei unanfechtbar. Der unter dem 15. Mai 2018 eingegangene
Schriftsatz der Antragstellerin, der vom SG als Beschwerde ausgelegt wurde, ist innerhalb der Jahresfrist des §
66 Abs.
2 Satz 1
SGG eingegangen und daher zulässig.
Die Beschwerde ist insoweit begründet, als eine Verweisung des Rechtsstreits an das OLG Düsseldorf rechtswidrig ist; eine
Verweisung ist nach §
17a Abs.
2 GVG nicht möglich. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für die Anträge der Antragstellerin jedoch nicht
eröffnet.
Der Senat schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des Bayerischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 21. März
2018 a.a.O.) an, denen er folgt.
Nach §
51 Abs.
1 Nr.
2 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen
Krankenversicherung. Nach §
51 Abs.
3 SGG sind von der Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach den Absätzen 1 und 2 ausgenommen Streitigkeiten in
Verfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die Rechtsbeziehungen nach §
69 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen.
Nach §
69 Abs.
1 Satz 1
SGB V werden vom Anwendungsbereich dieser Norm abschließend u.a. die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und sonstiger Leistungserbringer,
zu denen die Antragstellerin gehört, umfasst. In diesem Zusammenhang bestimmt §
69 Abs.
3 SGB V, dass auf öffentliche Aufträge nach dem
SGB V die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB, §§ 97 - 184) anzuwenden sind. Die Antragstellerin wendet sich gegen die von der Antragsgegnerin nach §
127 Abs.
1 SGB V veranlasste europaweite Ausschreibung von Rahmenverträgen über die Versorgung der Versicherten mit Stomaartikeln sowie ergänzenden
Inkontinenzhilfen. Die Antragsgegnerin ist öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB (vgl. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 11. Juni 2009 - Az.: C-300/07, Rs. Oymanns, nach juris). Sie möchte mittels eines öffentlichen Auftrags nach § 103 GWB für ihre Versicherten diese Hilfsmittel beschaffen und die Versorgung sicherstellen. Der Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB von 209.000 EUR wird vorliegend überschritten. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Ein Ausnahmefall nach §
107 GWB liegt nicht vor. Insoweit gilt die Sonderzuweisung nach §
69 Abs.
3 SGB V. Dies stellt der Gesetzgeber für die Hilfsmittelbeschaffung durch die gesetzlichen Krankenkassen durch den mit dem HHVG eingefügten
§
127 Abs.
1 S. 7
SGB V klar.
An dieser ausdrücklichen Sonderzuweisung des Rechtsstreits an die Vergabekammern bzw. die als Beschwerdeinstanz zuständigen
Oberlandesgerichte ändert sich auch nichts dadurch, dass die Antragstellerin ihr Begehren auf vorläufige Unterlassung der
Ausschreibung auch auf eine Vorschrift - hier §
127 Abs.
1 Satz 1 und Satz 6
SGB V - des Sozialrechts stützen möchte. Maßgebender Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Rechtsweges ist
die wahre Natur des im Sachvortrag des Antragstellers behaupteten Rechtsverhältnisses, aus dem der Anspruch hergeleitet wird.
Diese ist auf Grundlage des Antragsbegehrens und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu ermitteln. Abzustellen
ist mithin auf den Streitgegenstand, d.h. den prozessualen Anspruch, der durch den zur Begründung vorgetragenen tatsächlichen
Lebenssachverhalt (Klagegrund) näher bestimmt wird (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Dezember 2015 - Az.: B 12 SF 1/14 R m.w.N., nach juris). Entscheidend ist, ob der zur Klagebegründung - hier zur Antragsbegründung - vorgetragene Sachverhalt
für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des Zivil- oder des Sozialrechts geprägt wird, die in dieser Weise
vorzunehmende Abgrenzung weist das Streitverhältnis in diejenige Verfahrensordnung, die ihm nach der gesetzgeberischen Wertung
in der Sache am besten entspricht, und bewirkt zugleich, dass regelmäßig diejenigen Gerichte anzurufen sind, die durch ihre
Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den infrage stehenden Anspruch besonders geeignet sind (vgl. BSG, Beschluss vom 25. Oktober 2017 - Az.: B 7 SF 1/16 R m.w.N., Rn. 6, nach juris). In Fällen, in denen der Klageanspruch bei identischem Streitgegenstand auf mehrere, verschiedenen
Rechtswegen zugeordnete (auch tatsächlich und rechtlich selbstständige) Anspruchsgrundlagen gestützt ist, ist das angerufene
Gericht nach §
17 Abs.
2 Satz 1
GVG zur Entscheidung über sämtliche Gründe verpflichtet, sofern nur der Rechtsweg für einen von ihnen gegeben ist. Damit nimmt
der Gesetzgeber durchaus gewisse Zufälligkeiten hin, die sich aus dem Vortrag der Beteiligten und weiteren Besonderheiten
des Einzelfalls ergeben (vgl. BSG, Beschluss vom 25. Oktober 2017 a.a.O., Rn. 8). So ist es auch hier.
Die Antragstellerin begehrt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vor dem SG die Unterlassung einer bereits erfolgten europaweiten Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags nach § 106 GWB. Das Vergabeverfahren läuft also bereits. Im Nachprüfungsverfahren nach § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB wird einem am Auftrag interessierten Unternehmen Primärrechtsschutz zu dem alleinigen Zweck gewährt, den öffentlichen Auftraggeber
zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen in einem bestimmten Beschaffungsvorgang zu zwingen (vgl. Summa in Heiermann/Zeiss/Summa
jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 156, Rn. 9, nach juris).
Die Antragstellerin hat mit ihrer Rüge vom 23. November 2017 den vergaberechtlichen Rechtsschutz eingeleitet (vgl. § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB). Dort hat sie ebenfalls geltend gemacht, die Ausschreibung sei nach §
127 SGB V nicht zweckmäßig und begehrt daher auch in dem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren als Maximalforderung die Aufhebung
des Verfahrens. Als ultima ratio kann auch im Vergabeverfahren die Anordnung ausgesprochen werden, das Vergabeverfahren aufzuheben,
wenn eine Fehlerkorrektur im laufenden Verfahren schlechterdings ausgeschlossen ist (vgl. Summa in Heiermann/Zeiss/Summa jurisPK-Vergaberecht,
§ 168, Rn. 24, nach juris). Unabhängig davon, ob sie den ihr nach dem Vergaberecht eingeräumten Rechtsschutz auch auf eine
sozialrechtliche Anspruchsgrundlage stützt, ist für die Überprüfung des Auftrages eines öffentlichen Auftraggebers die Vergabekammer
des Bundes (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 GWB) bzw. das OLG Düsseldorf als Beschwerdeinstanz (§ 171 Abs. 3 GWB) sachlich zuständig. Nach § 156 Abs. 2 GWB können Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB sowie sonstige Ansprüche gegen Auftraggeber, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren
gerichtet sind, nur vor den Vergabekammern und dem Beschwerdegericht geltend gemacht werden. Hier kann als sonstiger Anspruch
die Verletzung von Vorschriften, die sich auf die Vergabe auswirken, geltend gemacht werden (vgl. hierzu: OLG München Vergabesenat,
Beschluss vom 9. März 2018 - Az.: Verg 10/17, Rn. 41). Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 6. August 2018 (a.a.O.). Das OLG Düsseldorf
hat in dem dortigen Verfahren eine Prüfung des §
127 Abs.
1 Satz 1 und Satz 6
SGB V vorgenommen, hat diesem jedoch keine vergaberechtliche Relevanz zugemessen bzw. ausgeführt, selbst wenn eine vergaberechtliche
Vorschrift angenommen würde, sich hieraus keine subjektiven Rechte der dortigen Antragstellerin i.S.v. § 96 Abs. 6 GWB ableiten ließen. Zum einen schütze §
127 Abs.
1 Satz 1 und Satz 6
SGB V keine Bieterunternehmen; zum anderen diene der Verzicht auf einer Ausschreibung im Falle ihrer Unzweckmäßigkeit allein dem
Interesse der Allgemeinheit und der Versicherten, dass die in §
127 Abs.
1 Satz 1
SGB V genannten Sozialleistungsträger keine unwirtschaftlichen und einer qualitätsvollen Versorgung der Versicherten abträglichen
Vergabeverfahren durchführen. Den Schutz der Unternehmen bezwecke §
127 Abs.
1 Satz 1 und Satz 6
SGB V nicht.
Eine Verweisung des Verfahrens an das OLG Düsseldorf ist dennoch nicht möglich (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss
vom 21. März 2018, a.a.O).
Die Antragstellerin hat das Nachprüfungsverfahren vor der zuständigen Vergabekammer zu beschreiten. Bei der Vergabekammer
handelt es sich nicht um ein Gericht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - Az.: X ZB 5/10; BSG, Beschluss vom 22. April 2008 - Az.: B 1 S F 1/08 R, nach juris), sodass eine Verweisung des vorliegenden Verfahrens an die zuständige Vergabekammer nach §
98 SGG i.V.m. §
17a Abs.
2 GVG aus rechtlichen Gründen nicht erfolgen konnte. Eine Verweisung an den Vergabesenat des zuständigen OLG Düsseldorf - wie hier
erfolgt - ist ebenfalls ausgeschlossen; eine Umgehung der Vergabekammern ist weder sachgerecht noch mit den Vergaberegeln
vereinbar (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss v. 9. Februar 2016 - Az.: 5 B 315/15 m.w.N., Rn. 19 ff, nach juris).
Das SG wird über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung noch zu entscheiden haben.
Die - im Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde grundsätzlich erforderliche - Kostenentscheidung (vgl. BSG, Beschluss vom 25. Oktober 2017 - Az.: B 7 SF 1/16 R, Rn. 11, nach juris) - beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
197a Abs.
1 SGG i.V.m. §
155 Abs.
1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus §
197a Abs.
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 GKG, § 52 Abs. 1 GKG und § 47 Abs. 1 GKG. Der Senat greift insoweit auf den Rechtsgedanken des § 50 Abs. 2 GKG zurück, als im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung auf 5 v.H. der Auftragssumme abgestellt wird (vgl. Bayerisches Landessozialgericht,
Beschluss vom 21. März 2018, a.a.O., Rn. 37).
Zu berücksichtigen sind bei der Streitwertfestsetzung dann, dass die Ausschreibung eine 24-monatige Vertragsdauer sowie eine
mögliche Verlängerung um weitere 24 Monate vorsieht, die mit einem Abschlag von 50 v.H. einzubeziehen ist (vgl. OLG Düsseldorf,
Beschluss vom 21. Dezember 2016 - Az.: VII-Verg 26/16 m.w.N, nach juris). Zudem ist die Umsatzsteuer hinzuzusetzen. Dies ergibt folgende Berechnung: 170.100,00 EUR netto x 2 Jahre
= 340.200 EUR zuzüglich 1 x 170.100,00 EUR netto (mögliche Vertragsverlängerung) = 510.200 EUR netto + Umsatzsteuer 96.938
EUR = 607.188, davon 5 v.H. = 30.356,90 EUR. Weiter zu berücksichtigen ist, dass es sich hier um eine Rechtswegbeschwerde
handelt. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 6. September 2007 - Az.:B 3 SF 1/07, nach juris) an, wonach für das Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde
in der Regel von 1/5 des Hauptsachewerts (hier: 20 v.H. von 30.356,90 EUR) auszugehen ist. Gründe, im vorliegenden Verfahren
von dieser Regel abzuweichen, sind nicht ersichtlich, so dass der Streitwert auf 6.071,38 EUR festzusetzen ist.
Der Senat misst der Frage, ob der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit hier gegeben ist, grundsätzliche Bedeutung bei und lässt
die weitere Beschwerde nach §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
17a Abs.
4 Satz 5
GVG an das Bundessozialgericht zu.