Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Berücksichtigung eines Pflichtteilsanspruchs aus einem Berliner Testament
als Vermögen
Gründe:
I
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)
für die Monate Oktober und November 2005.
Der Kläger ist im November 1974 geboren. Sein Vater, der im mittleren Dienst bei der Bezirksregierung tätig war, verstarb
am 22.12.2004. Am 26.4.1995 hatten die Eltern des Klägers ein handschriftliches, so genanntes Berliner Testament verfasst.
Darin setzten sie sich gegenseitig zu "Alleinerben (Vollerben)" ein. Erben des Längstlebenden sollten die beiden gemeinsamen
Kinder der Eheleute sein. Sollte eines der Kinder vom Nachlass des Erstverstorbenen seinen Pflichtteil fordern, so sollte
es auch vom Nachlass des Überlebenden den Pflichtteil erhalten. Sein Erbteil sollte dann dem anderen Kind zuwachsen. Die Mutter
des Klägers erhielt Hinterbliebenenrenten nach ihrem verstorbenen Ehemann in Höhe von 603,32 (BfA) und 301,14 (VBL) Euro.
Der Kläger beantragte, nachdem er sechs Monate lang Arbeitslosengeld (Alg) nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) bezogen hatte, am 5.9.2005 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Zu diesem Zeitpunkt verfügte er über Guthaben in
zwei Depots in Höhe von insgesamt 1287,31 Euro sowie über 900 Euro in bar, die nach seinen Angaben aus einer Schmerzensgeldzahlung
stammten. Er bewohnte eine Wohnung von 41 qm Wohnfläche. Die Grundmiete betrug 205,46 Euro, die Betriebskostenvorauszahlung
45 Euro, die Kosten für Kaltwasser und Entwässerung 13 Euro und die Heizkostenvorauszahlung 41 Euro. Seit dem 1.2.2006 steht
der Kläger wieder in einem Beschäftigungsverhältnis.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12.9.2005 die Gewährung von Leistungen ab. Der Kläger habe angegeben, mit dem Tod seines
Vaters sei ein Haus mit Grundstück einem Testament zufolge seiner Mutter vererbt worden. Nach §
2303 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) habe der Kläger jedoch einen Anspruch auf seinen Pflichtteil an dem Erbe. Dieser Anspruch stelle einen Vermögenswert dar
und sei zur Sicherstellung des Lebensunterhalts einzusetzen. Zur Begründung seines Widerspruchs hiergegen trug der Kläger
vor, die Verwertung des Pflichtteilsanspruchs sei jedenfalls offensichtlich unwirtschaftlich bzw würde für ihn eine besondere
Härte darstellen. Die Geltendmachung des Pflichtteils habe seine Enterbung hinsichtlich des Nachlasses des überlebenden Elternteils
zur Folge. Im Übrigen wäre seine Mutter uU gezwungen, das mit seinem Vater gemeinsam erworbene Haus zu veräußern. Dann sei
nicht ausgeschlossen, dass sie sozialhilfebedürftig werde. Die Geltendmachung eines Pflichtteils sei ihm daher nicht zuzumuten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6.12.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei dem Pflichtteilsanspruch handele es sich
um einen verwertbaren Vermögenswert. Die Verwertung sei auch nicht unwirtschaftlich. Es sei nicht gesichert, dass beim Tod
der Mutter noch entsprechende Werte vorhanden seien. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Mutter könnten keine besondere
Härte beim Kläger begründen.
Das Sozialgericht (SG) Münster hat die Beklagte mit Urteil vom 14.11.2007 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger für
die Zeit vom 8.9.2005 bis 31.1.2006 Leistungen nach dem SGB II zu zahlen. Der Pflichtteilsanspruch des Klägers sei zwar grundsätzlich
Vermögen. Die Verwertung würde für ihn jedoch eine besondere Härte bedeuten. Der elterliche Wille bei der Errichtung des Testaments
sei dahin gegangen, dem überlebenden Elternteil die Sicherheit zu verschaffen, auch nach dem Tod des Anderen uneingeschränkt
über das Haus verfügen zu können. Die Mutter habe angesichts ihres Lebensalters von 58 Jahren damit rechnen können, noch lange
Zeit über die Sicherheit des Hausgrundstücks zu verfügen. Der Kläger habe seinerseits nicht damit rechnen müssen, über einen
längeren Zeitraum hilfebedürftig zu sein. Tatsächlich sei er auch nur ein knappes Jahr arbeitslos gewesen. Es erscheine unzumutbar,
von ihm zu verlangen, das Erbe seiner Mutter dauerhaft einzuschränken, um seine voraussichtlich übergangsweise bestehende
Hilfebedürftigkeit zu beseitigen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen unter Berücksichtigung eines in der mündlichen
Verhandlung vom 24.11.2008 geschlossenen Teilvergleichs das Urteil des SG neu gefasst und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Monate Oktober
und November 2006 (gemeint: 2005) in Höhe von 649 Euro zu erbringen. Im Übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Es könne dahinstehen, ob die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs bereits als offensichtlich unwirtschaftlich anzusehen
sei. Eine Geltendmachung würde für den Kläger jedenfalls eine besondere Härte iS von § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II bedeuten.
Der Nachlass des Vaters habe im Wesentlichen aus dessen Miteigentumsanteil an dem Hausgrundstück bestanden. Erwerb und Abzahlung
der Immobilie habe der Sicherung eines nicht kostenintensiven Wohnbedarfs und der wirtschaftlichen Absicherung der Eheleute
für das Alter gedient. Hiermit korrespondiere die Gestaltung des so genannten Berliner Testaments der Eltern des Klägers.
Im Rahmen eines funktionierenden Familienzusammenhangs sei regelmäßig nicht davon auszugehen, dass nach dem Versterben eines
Elternteils ein Kind nach §
2303 Abs
1 BGB vom längstlebenden Elternteil den Pflichtteil einfordere. Der Kläger hätte seinen Pflichtteil nur im Wege einer Verletzung
selbstverständlicher familiärer Rücksichten gegenüber seiner Mutter geltend machen können. Jedenfalls in Fällen wie dem des
Klägers, in denen die wirtschaftliche Lebensleistung der Eltern zu einer die unmittelbaren Wohnbedürfnisse des längstlebenden
Ehegatten und damit das Alter wirtschaftlich sichernden Erbschaft führten und in denen zugleich eine Belastung der Allgemeinheit
durch Leistungen des SGB II prognostisch nur für einen kürzeren Zeitraum zu erwarten sei, würde die Verwertung eines Pflichtteilsanspruchs
eine besondere Härte bedeuten.
Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie trägt im Wesentlichen vor, eine besondere Härte könne nicht angenommen
werden. Es gebe keine moralische Pflicht, in einer intakten Familie auf den Rechtsanspruch nach §
2303 BGB zu verzichten. Darauf, dass der Kläger nach kurzer Zeit wieder Arbeit gefunden habe, dürfe nicht abgestellt werden, weil
sich dies erst aus einer Ex-Post-Betrachtung ergebe.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Münster vom 14.11.2007 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24.11.2008 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet
(§
170 Abs
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der Senat kann auf Grund der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden, ob und ggf in welcher Höhe dem
Kläger im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem SGB II zustanden.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 12.9.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 6.12.2005, mit dem die Beklagte die begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II abgelehnt
hat. Den streitigen Zeitraum hat der Kläger begrenzt auf die Monate Oktober und November 2005.
2. Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II (hier idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht
vollendet haben (Nr 1), die erwerbsfähig (Nr 2) und hilfebedürftig (Nr 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland haben (Nr 4). Auf Grundlage der Feststellungen des LSG kann das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit nicht abschließend
beurteilt werden.
Hilfebedürftig iS von § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 iVm § 9 Abs 1 SGB II ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit
und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen
Kräften und Mitteln, ua aus dem zu berücksichtigenden Vermögen sichern kann, und die erforderliche Hilfe nicht von anderen,
insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Der monatliche Bedarf des Klägers bestand im
streitigen Zeitraum aus der für ihn nach § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) maßgebenden Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 345 Euro
sowie seinem Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II, der nach Abzug der in der Regelleistung
enthaltenen Pauschale für Warmwasser in Höhe von 6,22 Euro (vgl BSG, Urteil vom 27.2.2008 - B 14/11b AS 15/07 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 5 RdNr 25) insgesamt 298,24 Euro betrug. Gerundet nach § 41 Abs 2 SGB II ergibt sich somit ein Bedarf
in Höhe von 643 Euro. Ob dieser Bedarf durch Vermögen iS des § 12 SGB II gedeckt war, kann der Senat anhand der Feststellungen
des LSG nicht abschließend entscheiden.
3. Nach §
12 SGB II (idF des Vierten Gesetzes zur Änderung des
SGB III und anderer Gesetze vom 19.11.2004 - BGBl I 2902) sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen;
dazu können bewegliche Sachen ebenso gehören wie Immobilien und Forderungen. Nach § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II sind als Vermögen
allerdings nicht zu berücksichtigen Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für
den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Zum Vermögen des Klägers zählt der Pflichtteilsanspruch aus §
2303 Abs
1 BGB. Danach kann ein Abkömmling des Erblassers, der durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen ist, von
dem Erben den Pflichtteil verlangen. Der Pflichtteil besteht nach §
2303 Abs
1 Satz 2
BGB in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Durch das gemeinschaftliche Testament der Eltern nach §
2269 Abs
1 BGB (sog "Berliner Testament") haben sich die Ehegatten hier gegenseitig zu Alleinerben und ihre Kinder zu Schlusserben nach
dem Letztverstorbenen bestimmt. Die Folge davon ist der Ausschluss der Abkömmlinge von der Erbfolge nach dem Erstverstorbenen
und seine Pflichtteilsberechtigung. Die Einsetzung als Schlusserbe steht infolge der Pflichtteilsstrafklausel unter der auflösenden
Bedingung der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs (vgl BGH, Urteil vom 12.7.2006 - IV ZR 298/03 - NJW 2006, 3064). Der Pflichtteilsanspruch selbst ist nach §
2317 Abs
1 BGB bereits mit dem Erbfall als Vollrecht begründet (BGHZ 123, 183, 187).
Das LSG wird zunächst Feststellungen zum Wert des Anspruchs nach §
2303 Abs
1 Satz 2 iVm §§
2311 - 2313
BGB zu treffen haben. Auch soweit der Nachlass des Vaters ausschließlich aus dem Hausgrundstück bestand, wozu eigene tatsächliche
Feststellungen des LSG fehlen, enthält das Berufungsurteil keine eindeutigen Aussagen, die eine Beurteilung des Anspruchs
der Höhe nach ermöglichen würden. Dem Urteil des LSG ist zu entnehmen, dass das Hausgrundstück im Oktober 2006 in einem Gutachten
der Städtischen Bewertungsstelle mit 150 000 Euro bewertet wurde. Das LSG hat sich allerdings mit diesem Gutachten nicht auseinandergesetzt
und es bleibt offen, ob der genannte Wert als zutreffend anzusehen ist. Der Pflichtteilsanspruch betrüge danach 18 750 Euro,
wenn der Vater des Klägers, wie im Gutachten ausgeführt, Alleineigentümer des Grundstücks war. Auch insoweit fehlt es allerdings
an Feststellungen, das LSG geht in den Entscheidungsgründen vielmehr davon aus, dass der Nachlass des Vaters "im Wesentlichen
aus dessen Miteigentumsanteil an dem Hausgrundstück" bestand.
a) Anhand der Feststellungen des LSG kann auch nicht entschieden werden, ob dieser Vermögensgegenstand verwertbar ist. Als
Verwertungsmöglichkeiten kommen hier die Geltendmachung der Forderung gegenüber der Mutter als Erbin nach §
2303 Abs
1 BGB, Abtretung und Verkauf oder die Verpfändung der Forderung in Betracht. Nach §
2317 Abs
2 BGB ist der Pflichtteilsanspruch vererblich und übertragbar. Er kann damit grundsätzlich veräußert und nach den allgemeinen Regeln
der §§
398 ff
BGB übertragen werden (vgl Birkenheier in jurisPK-
BGB, 4. Aufl 2009, §
2317 RdNr 23 ff). Auch die Verpfändung des Anspruchs nach §§
1273 ff
BGB ist möglich (vgl Edenhofer in Palandt,
BGB, 69. Aufl 2010, §
2317 RdNr 2). Das LSG hat zu keiner denkbaren Verwertungsvariante des Pflichtteilsanspruchs Feststellungen getroffen.
Vermögen ist verwertbar, wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen und belastet werden können. Ist der Inhaber dagegen
in der Verfügung über den Gegenstand beschränkt und kann er die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen, ist von der Unverwertbarkeit
des Vermögens auszugehen. Mithin hat der Begriff der Verwertbarkeit in § 12 Abs 1 SGB II den Bedeutungsgehalt, den das BSG
bereits in einer früheren Entscheidung zum Recht der Arbeitslosenhilfe (Alhi) mit dem Begriff der Möglichkeit des "Versilberns"
von Vermögen umschrieben hat (Urteil des Senats vom 27.1.2009 - B 14 AS 42/07 R - BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 12 = SGb 2010, 53 mit Anmerkung Deinert; BSGE 99, 248, 252 = SozR 4-4200 § 12 Nr 6 RdNr 11).
Darüber hinaus enthält der Begriff der Verwertbarkeit aber auch eine tatsächliche Komponente (vgl Mecke in Eicher/Spellbrink,
SGB II, 2. Aufl 2008, § 12 RdNr 32). Die Verwertung muss für den Betroffenen einen Ertrag bringen, durch den er, wenn auch
nur kurzzeitig, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Tatsächlich nicht verwertbar sind Vermögensgegenstände, für die in
absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, etwa weil Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder weil
sie, wie Grundstücke infolge sinkender Immobilienpreise, über den Marktwert hinaus belastet sind. Eine generelle Unverwertbarkeit
iS des § 12 Abs 1 SGB II liegt vor, wenn völlig ungewiss ist, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintritt
(BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 6 RdNr 15).
Maßgebend für die Prognose, dass ein rechtliches oder tatsächliches Verwertungshindernis wegfällt, ist im Regelfall der Zeitraum,
für den die Leistungen bewilligt werden, also regelmäßig der sechsmonatige Bewilligungszeitraum des § 41 Abs 1 Satz 4 SGB
II (vgl BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 12 RdNr 23; bereits angedeutet in BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 6 RdNr 15 mit zustimmender Anmerkung
Radüge jurisPR-SozR 14/2008 Anm 1; aA LSG NiedersachsenBremen Beschluss vom 15.1.2008 - L 13 AS 207/07 ER - juris RdNr 27; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand April 2010, K § 12 RdNr 111a). Für diesen Bewilligungszeitraum
muss im Vorhinein eine Prognose getroffen werden, ob und welche Verwertungsmöglichkeiten bestehen, die geeignet sind, Hilfebedürftigkeit
abzuwenden. Eine Festlegung für darüber hinaus gehende Zeiträume ist demgegenüber nicht erforderlich und wegen der Unsicherheiten,
die mit einer langfristigen Prognose verbunden sind, auch nicht geboten.
Der Nachrang von Leistungen nach dem SGB II wird im Übrigen in den Fällen, in denen der Hilfebedürftige seine vorrangigen
Ansprüche gegenüber einem Dritten trotz entsprechender Bemühungen nicht rechtzeitig durchsetzen kann, durch den Übergang der
Ansprüche des Hilfebedürftigen gegen Dritte nach § 33 Abs 1 SGB II (nunmehr idF des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen
Instrumente - Neuausrichtungsgesetz - vom 21.12.2008 [BGBl I 2917]) verwirklicht. Die Frage, ob auch der hier in Rede stehende
erbrechtliche Pflichtteilsanspruch durch eine (nach dem bis zum 31.7.2006 geltenden Recht erforderliche) Anzeige gegenüber
der Erbin hätte übergeleitet werden können bzw nach Inkrafttreten der Neufassung übergegangen war (zur Anwendbarkeit der Neuregelung
auf Ansprüche, die vor Inkrafttreten fällig geworden sind vgl Fügemann in Hauck/Noftz, SGB II, Stand April 2010, K § 33 RdNr
131), ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens und braucht nicht entschieden zu werden (zum Übergang des Pflichtteilsanspruchs
nach § 90 BSHG: BGH FamRZ 2005, 448 und BGH FamRZ 2006, 194).
Das LSG wird daher noch zu ermitteln haben, ob und ggf welche Verwertungsmöglichkeit tatsächlich bestanden hat. Dazu gehört
die Feststellung, ob eine Verwertung perspektivisch innerhalb von 6 Monaten ab Antragstellung hätte realisiert werden können.
Selbst wenn - als möglicherweise einfachste Verwertungsvariante - die Mutter als Erbin zu einer entsprechenden Vereinbarung
bereit gewesen wäre, aber etwa die Aufnahme eines Bankkredits erforderlich gewesen wäre, dürfte dies angesichts der vom Kläger
vorgetragenen finanziellen Verhältnisse der Mutter zweifelhaft sein. Dass der Kläger den Pflichtteilsanspruch wegen familienhafter
Rücksichtnahme gegenüber der Mutter nicht geltend machen wollte, führt nicht zu seiner Unverwertbarkeit. Dies kann nur im
Rahmen der Prüfung der besonderen Härte iS des § 12 Abs 3 Nr 6 SGB II eine Rolle spielen (vgl BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 12 RdNr
34).
b) Eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Verwertung für den Kläger offensichtlich unwirtschaftlich iS des § 12 Abs
3 Satz 1 Nr 6 1. Alt SGB II gewesen wäre, kann der Senat ebenfalls nicht treffen. Offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der
Verwertung liegt nach der Rechtsprechung des Senats dann vor, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis
zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht (vgl BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 12 RdNr 37; BSG SozR 4-4200
§ 12 Nr 5 RdNr 22 unter Hinweis auf die entsprechende Rechtsprechung zur Alhi). Umgekehrt ist eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit
der Vermögensverwertung nicht gegeben, wenn das Ergebnis der Verwertung vom wirklichen Wert nur geringfügig abweicht (vgl
zur Alhi: BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 7). Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Verwertung ist auf das ökonomische Kalkül eines
rational handelnden Marktteilnehmers abzustellen (BSG jeweils aaO unter Hinweis auf Spellbrink, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts,
2003, § 13 RdNr 208 zum Recht der Alhi). Es ist mithin zu ermitteln, welchen Verkehrswert der Vermögensgegenstand gegenwärtig
auf dem Markt hat. Dieser gegenwärtige Verkaufspreis ist dem Substanzwert gegenüberzustellen (vgl Mecke in Eicher/Spellbrink,
SGB II, 2. Aufl 2008, § 12 RdNr 84). Künftige Gewinnaussichten bleiben dabei außer Betracht (Hengelhaupt, aaO, K § 12 RdNr
253).
Eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit wäre nicht gegeben, soweit der Kläger den Anspruch gegenüber der Mutter hätte realisieren
können, weil dann ein Wertverlust nicht eingetreten wäre. Sie resultiert nicht daraus, dass der Kläger als Folge der Geltendmachung
des Pflichtteilsanspruchs nach dem gemeinschaftlichen Testament der Eltern auch im Fall des Todes der Mutter von der gesetzlichen
Erbfolge ausgeschlossen wird und nur den Pflichtteil erhält. Der Pflichtteilsanspruch nach dem Vater und die Erbschaft nach
der Mutter sind zwei getrennte Erbfälle (vgl Edenhofer, aaO, § 2269 RdNr 10). Der Schlusserbe erbt erst beim zweiten Erbfall
und erhält dann das zu diesem Zeitpunkt noch vorhandene Vermögen. Nach dem Tod des zuerst verstorbenen Ehegatten erwirbt er
zwar eine Rechtsstellung, die sich aus der Bindung des überlebenden Ehegatten an die im gemeinschaftlichen Testament zugunsten
des Schlusserben getroffenen wechselseitigen Verfügungen ergibt. Selbst wenn man aber insofern eine Anwartschaft oder eine
rechtlich begründete Aussicht annimmt (ausdrücklich offen gelassen in den Urteilen des BGH vom 8.10.1997 - IV ZR 236/96 -, NJW 1998, 543 und von BGHZ 37, 319, 322 f), wäre diese lediglich auf einen möglichen zukünftigen Vermögenszuwachs in nicht bestimmbarer Höhe gerichtet. Vor
dem Eintritt des Erbfalls ist ein realer (Substanz) Wert nicht objektivierbar. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass
sowohl der Zeitpunkt des Erbfalls als auch der Umfang der dann noch vorhandenen Erbmasse gänzlich ungewiss sind.
Welcher Betrag durch einen Verkauf oder eine Verpfändung des Anspruchs hätte erzielt werden können, ist bislang ebenso wenig
festgestellt wie die Höhe des Pflichtteilsanspruchs, so dass Aussagen zum Verhältnis von Substanz- und Verkehrswert insoweit
nicht getroffen werden können.
c) Der Senat kann schließlich auch nicht entscheiden, ob die Verwertung des Pflichtteilsanspruchs für den Kläger eine besondere
Härte gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alt SGB II wäre. Bei dem Begriff der besonderen Härte handelt es sich um einen unbestimmten
Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl BSG Urteil vom 8.2.2007 - B 7a AL 34/06 R - SozR 4-5765
§ 9 Nr 1 RdNr 13 mwN). Ob von einer besonderen Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alt SGB II auszugehen ist, richtet sich
nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles (so die ständige Rechtsprechung des BSG, vgl BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr 4 sowie die Urteile des erkennenden Senats vom 15.4.2008, B 14/7b AS 68/06 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 8; B 14 AS 27/07 R und B 14/7b AS 56/06 R). Maßgebend sind dabei nur außergewöhnliche Umstände, die nicht durch die ausdrücklichen gesetzlichen Freistellungen über
das Schonvermögen (§ 12 Abs 3 Satz 1 SGB II, § 4 Abs 1 Arbeitslosengeld II/SozialgeldVerordnung idF vom 20.10.2004, BGBl I
2622 [Alg II-V]) und die Absetzungsbeträge nach § 12 Abs 2 SGB II erfasst werden. § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alt SGB II setzt
daher solche Umstände voraus, die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst
recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte (Beispiele etwa bei Brühl in LPK-SGB II, 2. Aufl 2007,
§ 12 RdNr 55 ff).
Eine besondere Härte resultiert hier nicht bereits daraus, dass der Kläger nur kurze Zeit Leistungen nach dem SGB II in Anspruch
genommen hat. Angesichts des Erfordernisses der außergewöhnlichen Umstände kann eine kurze Leistungs- bzw Anspruchsdauer allenfalls
dann eine besondere Härte begründen, wenn bereits bei Antragstellung die konkret begründete Aussicht bestand, dass Leistungen
nur für einen kurzen Zeitraum in Anspruch genommen würden (vgl BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 5 RdNr 24). Ob dies der Fall war, wird
das LSG ggf noch festzustellen haben.
Die Verwertung des Pflichtteilsanspruchs kann hier dann eine besondere Härte darstellen, wenn dies notwendig zu einer Veräußerung
des Hausgrundstücks oder einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung der Mutter des Klägers führen würde. Eine besondere
Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alt SGB II kann sich nicht nur aus den wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Lebenssituation
des Hilfebedürftigen, sondern auch aus den besonderen persönlichen Umständen ergeben, die mit der Vermögensverwertung verbunden
sind. Zwar wird in den Gesetzesmaterialien für das Vorliegen eines Härtefalles iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alt SGB II
als Beispielsfall lediglich angeführt, dass eine solche Härte dann vorliege, wenn ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kurz
vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge einsetzen müsse, obwohl seine Rentenversicherung Lücken wegen
selbständiger Tätigkeit aufweise (BT-Drucks 15/1749 S 32). Das schließt aber nicht aus, bei der Verwertung eines Pflichtteilsanspruchs
auch andere als rein wirtschaftliche Aspekte wie eine schwerwiegende familiäre Konfliktsituation zu berücksichtigen.
Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass das Vermögen aus einem Pflichtteilsanspruch besteht, der aus
einem Berliner Testament iS des §
2269 Abs
1 BGB folgt. Sinn dieses Testamentes ist es, dem Überlebenden das gemeinsame Vermögen zunächst ungeteilt zu belassen. Die Abkömmlinge
werden enterbt und die unerwünschte Pflichtteilsforderung durch eine Verwirkungsklausel sanktioniert. Die gemeinsame Verfügung
der Ehepartner wird getragen von der Erwartung, dass die Kinder nicht durch die Einforderung ihres Pflichtteils das Vermögen
des überlebenden Partners schmälern. Dass die Rechtsordnung die familiäre Verbundenheit von Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem
in besonderem Maße berücksichtigt, zeigt §
852 Abs
1 ZPO. Das Vollstreckungsrecht überlässt dem Pflichtteilsberechtigten die Entscheidung, ob der Anspruch gegen den Erben durchgesetzt
werden soll (vgl BGHZ 123, 183, 186; BGH, Urteil vom 8.12.2004 - IV ZR 223/03 - NJW-RR 2005, 369).
Das rechtfertigt es aber nicht, stets eine besondere Härte anzunehmen, wenn der Pflichtteilsanspruch aus einem Berliner Testament
resultiert. Insbesondere dann, wenn etwa ausreichend Barvermögen zur Auszahlung des Pflichtteilsanspruchs zur Verfügung steht,
scheidet die Annahme einer besonderen Härte regelmäßig aus. Soweit das LSG auf die gebotene familiäre Rücksichtnahme abstellt,
ist nicht nachvollziehbar, warum die Geltendmachung eines Anspruchs bei tatsächlich bestehender Hilfebedürftigkeit des Pflichtteilsberechtigten
innerhalb eines intakten Familienverbandes stets als "Affront" empfunden werden sollte. Anders kann die Situation aber zu
beurteilen sein, wenn besondere Umstände hinzutreten.
Familiäre Belange können auch im SGB II unter Härtegesichtspunkten zu einer Vermögensfreistellung führen. Das setzt aber in
Konstellationen wie dieser voraus, dass die Geltendmachung der Forderung sich aufgrund außergewöhnlicher Umstände in besonderer
Weise belastend auf den Familienverband auswirkt. Eine solche Belastung kann sich auch aus persönlichen Umständen oder den
wirtschaftlichen Verhältnissen des Erben ergeben. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat besondere Umstände, die die Überleitung
eines Pflichtteilsanspruchs nach § 90 BSHG unzumutbar erscheinen lassen, z.B. darin gesehen, dass der Drittschuldner einen pflegebedürftigen Familienangehörigen vor
dem Eintreten der Sozialhilfe weit über das Maß der ihn treffenden Verpflichtung hinaus gepflegt und den Sozialhilfeträger
dadurch erheblich entlastet hat (Beschluss vom 10.3.1995 - 5 B 37/95 - Buchholz 436.0 § 90 BSHG Nr 23). Weiter hat das BVerwG den Fall genannt, dass eine nachhaltige Störung des Familienfriedens zu befürchten wäre oder
der Grundsatz der familiengerechten Hilfe aus § 7 BSHG verletzt würde.
Als Orientierungspunkt für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer wirtschaftlichen Belastung des Erben, die hier in Frage
steht, können die in § 1 Abs 2 und § 4 Abs 2 Alg II-V festgelegten Grenzen für die Leistungsfähigkeit von Angehörigen im Rahmen
des § 9 Abs 5 SGB II herangezogen werden. Der Gesetzgeber hat dort einen Rahmen vorgegeben, in dem Leistungen von Verwandten
aus ihrem Einkommen oder Vermögen an Hilfebedürftige erwartet werden kann. Eine weitergehende Einschränkung der finanziellen
Bewegungsfreiheit des überlebenden Elternteils wird regelmäßig nicht zumutbar sein, ihre Einforderung für den Berechtigten
eine besondere Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alt SGB II bedeuten.
Es fehlt hier bereits an konkreten Feststellungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Mutter des Klägers. Weder
zum genauen Umfang des Nachlasses noch zum eigenen Einkommen und Vermögen der Mutter hat das LSG selbst Feststellungen getroffen.
Selbst wenn die Hinterbliebenenversorgung ihr einziges Einkommen war, was das LSG nicht ermittelt hat, folgt hieraus noch
nicht, dass der Anspruch des Klägers nur im Fall eines Verkaufs der selbst bewohnten Immobilie oder unter sonstigen unzumutbaren
wirtschaftlichen Opfern befriedigt werden konnte. Insofern wäre zunächst nach dem Bestehen weiterer Verbindlichkeiten, sodann
nach der Höhe einer etwaigen Belastung durch eine Kreditaufnahme zu fragen.
Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass von dem noch zu ermittelnden Pflichtteilsanspruch
die Freibeträge nach § 12 Abs 2 Nr 1 und 4 SGB II abzuziehen sind. Das LSG wird ggf zur Bestimmung des verbleibenden Freibetrages
noch festzustellen haben, ob dem Barvermögen des Klägers in Höhe von insgesamt 1287,31 Euro der weitere Betrag von 900 Euro
hinzurechnen ist oder tatsächlich als Schmerzensgeldzahlung unberücksichtigt bleibt (vgl BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b
AS 6/07 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 9). Bei einem vom Vermögen abzusetzenden Grundfreibetrag in Höhe von 4500 Euro gemäß § 12 Abs 2 Satz
1 Nr 1 SGB II und einem Freibetrag in Höhe von 750 Euro gemäß § 12 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II verbleibt, ausgehend von einem
Vermögen in Höhe von 1287,31 Euro, ein Freibetrag in Höhe von 3962,69 Euro, der ggf vom Pflichtteilsanspruch abzuziehen wäre.
Ob und zu welchen Konditionen in dieser Situation die Geltendmachung zumindest des zu berücksichtigenden Teiles des Pflichtteilsanspruchs
zumutbar war, wird das LSG ggf noch festzustellen haben.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.