Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung wegen gröblicher Pflichtverletzung des Vertragsarztes; Berücksichtigung
bestandskräftiger Feststellungen anderer Behörden oder Gerichte
Gründe:
I
Streitig ist die Entziehung einer vertragsärztlichen Zulassung.
Gegen den Kläger, einen Radiologen, der seit 1993 in N. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen war, wurden Vorwürfe
erhoben, er habe Minderjährige, die sich für einen Ausbildungsplatz in seiner Praxis interessierten, - jeweils mit der Begründung,
sie wegen möglicher Strahlenbelastungen untersuchen zu müssen - dazu veranlasst, sich teilweise oder ganz auszuziehen, und
an ihnen Untersuchungen gynäkologischer Art durchgeführt. Die Vorwürfe betrafen vor allem Handlungen an der 17-jährigen M.B.,
die er mehrfach dementsprechend untersucht habe (28.11., 1.12. und 6.12.2003), aber auch an einer 14-Jährigen und an einer
weiteren namentlich nicht benannten ca 15- bis 17-Jährigen (jeweils im November 2003).
Diese Vorwürfe führten zunächst zu einem Verbot der Berufsausübung (Amtsgericht [AG] Memmingen vom 22.1.2004, dann Aufhebung
vom 30.1.2004, aber erneutes Verbot durch Landgericht [LG] Memmingen vom 27.2.2004). Darauf folgend wurde der Kläger auch
strafrechtlich schuldig gesprochen und verurteilt (AG Memmingen vom 28.4.2005: 2 Jahre 11 Monate; LG Memmingen vom 25.10.2006:
3 Jahre wegen Straftaten gegenüber M.B. am 28.11., 1.12. und 6.12.2003; Oberlandesgericht [OLG] München vom 14.2.2008: Freispruch
hinsichtlich des 28.11.2003, Schuldspruch betreffend Beleidigungen und Vergewaltigung wegen der Vorfälle am 1.12. und 6.12.2003,
Zurückverweisung für einen neuen Rechtsfolgenausspruch; Bundesverfassungsgericht [Kammer] vom 26.8.2008: Nichtannahme der
Verfassungsbeschwerde).
Der Kläger strengte ein Wiederaufnahmeverfahren an, das bisher erfolglos geblieben ist (LG Kempten vom 4.8.2008, Zurückverweisung
durch OLG München vom 23.12.2008, weiterer Fortgang vom Kläger nicht angegeben).
Sich mit dem Strafverfahren zeitlich noch teilweise überschneidend wurde ein Verfahren auf Entziehung der Kassenzulassung
eingeleitet und durchgeführt (Zulassungsausschuss vom 12.12.2007/13.2.2008; Berufungsausschuss vom 24.4./29.4.2008: Zulassungsentziehung
wegen rechtskräftig festgestellter Vergewaltigung, bezogen auf die vom OLG benannten Vorfälle vom 1.12. und 6.12.2003 mit
Anordnung sofortiger Vollziehung). Rechtsmittel gegen die vom Beklagten ausgesprochene Anordnung sofortiger Vollziehung sind
erfolglos geblieben (Bayerisches LSG, Beschluss vom 15.12.2008).
Das vom Kläger angerufene SG hat seine Klage gegen die Zulassungsentziehung abgewiesen (Urteil vom 17.10.2008: Globalbezugnahme auf die Ergebnisse des
Strafverfahrens). Die Berufung des Klägers zum LSG ist erfolglos geblieben (Urteil vom 22.4.2009). Dieses hat in seiner Urteilsbegründung
darauf abgestellt, dass es zulässig sei, eine Zulassungsentziehung auf bestandskräftige Entscheidungen im Strafverfahren und
deren Inhalt zu stützen. Ein Wiederaufnahmeverfahren ändere daran nichts, solange dem Wiederaufnahmeantrag nicht stattgegeben
worden sei. Das Berufungsgericht dürfe die Beweisergebnisse im Strafverfahren ohne eigene Ermittlungen zugrunde legen. Dementsprechend
ergäben sich aus den Vorfällen am 1.12. und 6.12.2003 gröbliche Verletzungen vertragsärztlicher Pflichten. Schon allein damit
erweise sich die Zulassungsentziehung als rechtmäßig.
Darüber hinaus lägen aber auch unabhängig davon, ob von einem strafrechtlich relevanten Verhalten auszugehen sei, Verstöße
gegen vertragsärztliche Pflichten vor. Die vaginale Untersuchung der B. am 28.11.2003 sei nicht vom Überweisungsauftrag erfasst
gewesen. Der Kläger hätte B. am 28.11. und 1.12.2003 jeweils darauf hinweisen müssen, dass sie solche Untersuchung auch von
dem eher dafür zuständigen Frauen- oder Hausarzt durchführen lassen könne. Mit seinem Einwand, dass am 6.12.2003 die Zeit
zwischen den beiden Untersuchungsfrequenzen in der Body-Array-Spule für die ihm vorgeworfenen Handlungen gar nicht habe ausreichen
können, habe sich bereits das LG auseinandergesetzt; dem schließe sich das LSG an. Der Kläger habe unter Vorspiegelung medizinischer
Notwendigkeit zwei überflüssige kernspintomografische Untersuchungen des Unterleibs der B. durchgeführt, und dies ohne Kontrastmittel,
sodass sie nicht einmal medizinisch aussagekräftig hätten sein können; allein die Vornahme dieser zwei Untersuchungen stelle
auch ohne jedwede sexuelle Handlung eine schwerwiegende Verletzung vertragsärztlicher Pflichten dar. Das Gericht sei allerdings
überzeugt, dass er sich von sexuellen Beweggründen habe leiten lassen, was schon allein, zumal die Betroffenen minderjährig
bzw potenzielle Auszubildende gewesen seien, ihn als ungeeignet zur Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit erweise. Dies begründe
die Gefahr, dass er auch anderen (jungen) weiblichen Versicherten oder Auszubildenden zu nahe treten würde. Ferner lägen nicht
hinnehmbare Grenzüberschreitungen auch darin, dass er von Bewerberinnen um eine Ausbildungsstelle habe Fragebögen ausfüllen
lassen mit Fragen danach, ob sie einen Freund hätten, ob sie die Pille zur Verhütung nähmen, wann sie ihre letzte Periode
und ihren letzten Geschlechtsverkehr gehabt hätten. Schließlich habe er auch bei einer 14-Jährigen deren Brüste abgetastet
und eine Untersuchung gynäkologischer Art durchgeführt. Dasselbe falle ihm bei einer namentlich nicht benannten 15- bis 17-Jährigen
zur Last. Schließlich ergebe sich ein weiterer schwerwiegender Grund für seine Ungeeignetheit als Vertragsarzt daraus, dass
er während des Berufsverbots weiterhin vertragsärztliche Leistungen erbracht und abgerechnet habe.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger Verfahrensmängel und in
mehrfacher Hinsicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II
Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Seine Rügen sind, soweit sie zulässig sind, jedenfalls unbegründet.
In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, dass die Annahme gröblicher Pflichtverletzungen sich auf die Tatsachenfeststellungen
in anderweitigen bestandskräftigen Entscheidungen und deren Inhalt stützen kann, insbesondere auf Strafurteile und Strafbefehle,
aber zB auch auf Disziplinarentscheidungen und Bußgeldbescheide wegen Qualitätsmängeln (vgl BSGE 61, 1, 4 = SozR 2200 § 368a Nr 16 S 60 und - die Rechtsprechung zusammenfassend - BSG, Beschluss vom 27.6.2007 - B 6 KA 20/07 B - in Juris dokumentiert - RdNr 12 mwN). Dabei ist zugleich anerkannt, dass es sich bei den Vorgängen, die gröbliche Pflichtverletzungen
darstellen können, nicht um Straftaten handeln muss, sondern dass insoweit auch zB berufsrechtliche oder wettbewerbliche Verstöße
herangezogen werden können (vgl zB BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, RdNr 10, 17; BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 12 RdNr 13). Es kann sich auch um Handlungen mit sexuellem
Einschlag handeln (vgl BSG, Beschluss vom 19.6.1996 - 6 BKa 52/95 - in Juris dokumentiert; BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 12 RdNr
13; BSG, Beschluss vom 27.6.2007 - B 6 KA 20/07 B - in Juris dokumentiert - RdNr 11; BSG, Beschluss vom 2.9.2009 - B 6 KA 14/09 B - in Juris dokumentiert - RdNr 18). Ein Vorgang, der als Pflichtverstoß gewertet wird, kann auch längere Zeit zurückliegen;
auf solche, die länger zurückliegen als fünf Jahre vor der Entscheidung des Berufungsausschusses, kann allerdings nur dann
zurückgegriffen werden, wenn sie besonders gravierend sind (BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 12 RdNr 14). Die Gerichte dürfen auch
solche Vorgange berücksichtigen und bei der Wertung als gröbliche Pflichtverletzung zugrunde legen, die von den Zulassungsgremien
nicht einbezogen wurden (BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 12 RdNr 14).
Vor dem Hintergrund dieser bereits erfolgten Klärungen ist weder ein weiterer Klärungsbedarf ersichtlich, noch greifen die
vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen durch.
Es ist nicht klärungsbedürftig, dass das LSG die Entziehung der Zulassung allein unter Hinweis auf die Tatsachenfeststellungen
bestätigen durfte, die im Strafverfahren bei der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers ua wegen Vergewaltigung einer Ausbildungsplatzbewerberin
in seiner Praxis zugrunde gelegt wurden (vgl die oben angeführte Rechtsprechung). Auf die Beanstandungen, die der Kläger im
Berufungsverfahren gegen die der Verurteilung zugrunde liegenden Feststellungen des LG erhoben hat, hat das LSG nicht näher
eingehen müssen. Ob diese Einwendungen substanziiert vorgetragen worden sind, kann dahingestellt bleiben. Der Grundsatz, dass
das Vorliegen einer Pflichtverletzung iS des §
95 Abs
6 SGB V aus bestandskräftigen Feststellungen anderer Behörden oder Gerichte abgeleitet werden kann - und dass im Falle eines Verbrechens
(§
177 Abs
1 iVm §
12 Strafgesetzbuch) im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit in aller Regel eine gröbliche Verletzung anzunehmen ist -, bedarf keiner Einschränkung.
Wer wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde, muss die dieser Verurteilung zugrunde liegenden Feststellungen
im Zulassungsentziehungsverfahren gegen sich gelten lassen. Ein Antrag auf Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen
Strafverfahrens (§
366 Strafprozessordnung [StPO]) ändert daran nichts, solange er nicht für begründet erklärt worden ist. Ob die Sozialgerichte bei Erfolg des Wiederaufnahmeantrags,
aber noch vor Durchführung der neuen Hauptverhandlung (vgl §
370 Abs
2 StPO) den Angriffen des Arztes gegen die der Verurteilung zugrunde liegenden Feststellungen nachzugehen hätten, bedarf hier keiner
Klärung. Vorliegend steht weder fest noch ist etwas dafür ersichtlich und wird auch vom Kläger nicht vorgetragen, dass sein
Wiederaufnahmegesuch für begründet erklärt worden wäre.
Erfolglos ist auch die weitere Rüge des Klägers, das LSG hätte den Beweisanträgen folgen müssen, die er in seinen Schriftsätzen
vom 8.12.2008 und vom 9.4.2009 gestellt habe. Denn diese Beweisanträge hat er nicht, wie erforderlich, erkennbar bis zum Schluss
der mündlichen Verhandlung des LSG aufrechterhalten (vgl dazu LSG-Sitzungsniederschrift LSG-Akten Bl 248, 249; zum Erfordernis
des Aufrechterhaltens der Beweisanträge siehe zB BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 29 S 49; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5).
Ebenso erfolglos ist die Rüge, eine Überraschungsentscheidung liege darin, dass das LSG die Handlungen des Klägers gegenüber
der B. am 1.12.2003 schon ausreichen lasse, nachdem dies weder vom Beklagten noch vom SG so gesehen worden sei. Nach der Rechtsprechung dürfen die Gerichte, wie erwähnt, auch solche Vorgänge berücksichtigen und
bei der Wertung als gröbliche Pflichtverletzung zugrunde legen, die von den Zulassungsgremien nicht einbezogen wurden (s oben
mit Hinweis auf BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 12 RdNr 14). Davon kann ein anwaltlich vertretener Kläger nicht überrascht werden.
Erst recht ist es nicht zu beanstanden, wenn Gerichte auf von den Zulassungsgremien bereits angesprochene Vorgänge zurückgreifen
und diese lediglich anders bewerten.
Umstände, derentwegen die Zulassungsentziehung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar sein könnte, sind nicht
ersichtlich und werden auch vom Kläger nicht geltend gemacht.
Auf der Grundlage der nach alledem tragfähigen Feststellungen und Ausführungen des LSG, dass die strafgerichtlich festgestellten
Untersuchungen des Klägers an B. am 1.12. und am 6.12.2003 schon allein für sich zur Rechtfertigung der Zulassungsentziehung
ausreichen, bedarf es keines Eingehens auf die weiteren Rügen des Klägers im Zusammenhang mit anderen Vorgängen. Insoweit
fehlt es - soweit er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht - an der Entscheidungserheblichkeit (Klärungsfähigkeit)
und - soweit er Verfahrensrügen erhebt - am "Beruhen" auf dem gerügten Verfahrensmangel iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß §
160a Abs
4 Satz 2 Halbs 2
SGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbs 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§
154 Abs
2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 Satz 1 Halbs 1
SGG iVm §
63 Abs
2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3, § 40 Gerichtskostengesetz. Seine Bemessung erfolgt entsprechend den Ausführungen der Vorinstanz, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden
sind (siehe Bayerisches LSG, Beschluss vom 25.8.2009).