Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung
Tatbestand:
Im Streit steht die Versorgung mit einem Blindenführhund.
Der am 29.04.1983 geborene, bei der Beklagten versicherte Kläger leidet an einer fortschreitenden Netzhautdegeneration (Retinopathia
pigmentosa), Kurz- und Stabsichtigkeit (bestkorrigierter Fernvisus rechts 0,1, links 0,2), wechselndem Außenschielen, Augenzittern
und beidseitiger Linsentrübung. Das Gesichtsfeld ist rechts auf 3 bis 9 Grad und links auf 5 bis 11 Grad eingeschränkt. Er
ist im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit festgestelltem Grad der Behinderung (GdB) von 100 und den anerkannten Merkzeichen
"G", "Bl", "H" und "RF". Außerdem ist die Notwendigkeit ständiger Begleitung nachgewiesen ("B"). Zur Fortbewegung benutzt
er einen Blindenlangstock. In den Jahren 1996/97 absolvierte er ein Mobilitätstraining mit Unterweisung in den Gebrauch des
Blindenlangstockes. Der Kläger ist mit Hunden aufgewachsen und bewohnt eine Vierzimmerwohnung.
Am 30.09.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für einen Blindenführhund. Seinem Antrag legte
er die Verordnung seiner Augenärztin sowie einen Kostenvoranschlag der Blindenführhundeschule B. in Höhe von 25.559,21 € bei.
Zur Begründung gab er an, er habe aufgrund seiner Augenerkrankung Probleme bei der Fortbewegung. Trotz Trainings mit dem Langstock
könne ihm dieser nicht die notwendige Sicherheit und Bewegungsfreiheit bieten. Als junger Mensch sei ihm die selbständige
Teilnahme am öffentlichen Leben (zB Großstadtverkehr, kulturelle Veranstaltungen etc) sehr wichtig. Er wolle viel unterwegs
und sportlich aktiv sein. Die Einschränkungen stellten eine große psychische Belastung dar. Auch bei der Aufnahme sozialer
Kontakte könne ihm der Blindenführhund helfen. Eine Begleitperson sei nicht ständig verfügbar. Die Blindenführhundeschule
B. habe er ausgewählt, weil die Hunde dort nach modernsten tiefenpsychologischen Kenntnissen auf sanfte Weise ausgebildet
würden, ohne Drill oder Gewalteinwirkung. Dies sei ihm als großer Tierfreund sehr wichtig. Mit Bescheid vom 13.10.2008 lehnte
die Beklagte die Übernahme der Kosten für einen Blindenhund ab. Es liege kein Nachweis für ein durchgeführtes Mobilitätstraining
vor. Zudem bestehe noch eine Restsehfähigkeit.
Hiergegen legte der Kläger vertreten durch einen Blinden- und Sehbehindertenverband am 07.11.2008 Widerspruch ein und ließ
vortragen, er sei nach den gesetzlichen Vorgaben als blind einzustufen und habe das geforderte Mobilitätstraining absolviert.
Der Blindenführhund sei von allen Mobilitätshilfen für blinde Menschen am unmittelbarsten und weitgehendsten geeignet, die
Behinderung so weit wie möglich auszugleichen. Der Führhund könne sehen und einmal Gesehenes bei der nächsten Begegnung wieder
erkennen. Er könne Hindernisse erkennen, einschätzen und umgehen. Er beachte auch Seiten- und Höhenhindernisse. Der Führhund
ermögliche eine entspanntere und sicherere Fortbewegung. Die aufzubringende Konzentration sei nicht so hoch wie bei Benutzung
eines Blindenlangstockes. Die Bedingungen für eine artgerechte Unterbringung und Haltung seien beim Kläger gegeben. Der Kläger
legte ein Schreiben seines Allgemeinarztes Dr. K. vor, wonach die Anschaffung eines Blindenführhundes dringend angezeigt sei.
Außerdem reichte er einen Kurzbericht seiner Mobilitätstrainerin ein. Die Beklagte schaltete daraufhin den Medizinischen Dienst
der Krankenkassen (MDK) ein. Im Gutachten vom 09.12.2008 führte Dr. A., Chirurg und Sozialmediziner, aus, es sei derzeit nicht
zu bestätigen, dass das Grundbedürfnis der Mobilität insbesondere für die Erledigung von Alltagsgeschäften und Spaziergängen
an der frischen Luft ausschließlich durch die Gewährung eines Blindenführhundes erheblich verbessert werden könne. In Betracht
komme ein erneutes Mobilitätstraining sowie die Ausstattung mit einem Ultraschallgerät am Langstock ("Langstock ultra-bodyguard").
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Am 08.06.2009 hat der Kläger beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, er sei blind und bereits deshalb dem Grunde nach versorgungsberechtigt, weil
er mit einem Blindenlangstock ausgestattet sei. Der Blindenlangstock könne ihm nicht die nötige Sicherheit und Bewegungsfreiheit
bieten. Dies gelte auch für die nähere Wohnortumgebung. Ein sicheres Gehen mit dem Blindenlangstock sei allenfalls in der
eigenen Wohnung möglich. Außerhalb der Wohnung gelinge das nur nach intensivem Orientierungs- und Mobilitätstraining, mit
hoher Konzentration und unter beherrschbaren "normalen" Straßenverkehrs- und Ortsbedingungen. Die nötige Sicherheit und Bewegungsfreiheit
könne dem Kläger dagegen ein Blindenführhund bieten. Der Blindenlangstock gelange in vielen Situationen an seine Grenzen (zB
beim Aufspüren von Ampelmasten, bei widrigen Witterungsverhältnissen, insbesondere Schnee, beim Überqueren breiter Straßen
oder sehr großer Kreuzungen, großer Plätze, freier Flächen, großen Menschenansammlungen, beim Auffinden von Treppen, Aufzügen,
Türen in großen Gebäuden, bei Hindernissen in Kopfhöhe). Ein zusätzliches Ultraschallgerät könne zwar Hindernisse, jedoch
keine Lösungsmöglichkeit aufzeigen. Zudem erfordere ein solches Gerät zusätzliche Konzentration. Zur Veranschaulichung der
Beeinträchtigungen trotz Langstockes hat der Kläger Fotos von der Wohnumgebung zur Akte gereicht.
Das SG hat die Augenärztin des Klägers, Dr. S., als sachverständige Zeugin befragt. Sie hat angegeben, dass die Gesichtsfeldeinschränkung
des Klägers zu einer Außenweltwahrnehmung wie durch ein Schlüsselloch führe. Egal aus welcher Richtung auftauchende Gegenstände
könne er erst mitten vor dem Auge wahrnehmen, so dass die Orientierung und Fortbewegung extrem erschwert seien. Durch die
Netzhauterkrankung und die Linsentrübung sei der Kläger außerdem vermehrt blendungsempfindlich und im Dämmerungssehen zusätzlich
eingeschränkt.
Die Beklagte hat ein weiteres Gutachten des MDK eingeholt. Dr. A. hat ausgeführt, Blindheit liege vor, die medizinischen Voraussetzungen
für die Leistung seien jedoch nach wie vor nicht erfüllt. Es müsse geklärt werden, ob der Kläger fähig sei mit einem Blindenführhund
umzugehen. Unkontrollierte und ungenügende Einsätze eines Langstockes mit Ultraschallgerät seien nicht ersichtlich. Ein erneutes
Mobilitäts- und Orientierungstraining sei durchaus wichtig und relevant. Es sei nicht ersichtlich, ob ein Orientierungssinn
bestehe, ob weitere zusätzliche Erkrankungen mit Beeinträchtigung der Entscheidungs- und Orientierungsfähigkeit bestünden,
welche genauen Wegstrecken regelmäßig benutzt würden, ob der Kläger in der Wohnung selbständig sei und fähig sei, einen Hund
zu halten.
Mit Urteil vom 09.12.2010 hat das SG den Bescheid vom 13.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.05.2009 aufgehoben und die Beklagte verurteilt,
den Kläger mit einem Blindenführhund zu versorgen. Hinsichtlich des Begehrens, mit einem Hund der Blindenführhundeschule B.
versorgt zu werden, hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, ein Blindenführhund sei ein Hilfsmittel im Sinne von §
33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V). Die Versorgung sei im Falle des Klägers erforderlich. Der Blindenführhund sei grundsätzlich geeignet, das Grundbedürfnis
des Sehens und das Grundbedürfnis der Erschließung eines körperlichen und geistigen Freiraums auszugleichen. Er bringe im
Nahbereich und im unmittelbaren häuslichen Umfeld entscheidende Vorteile gegenüber einem Blindenlangstock mit sich. Dies habe
der Kläger nachvollziehbar dargelegt. Das Restsehvermögen stehe einer Versorgung nicht entgegen. Der Kläger könne nicht auf
ein erneutes Orientierungs- und Mobilitätstraining verwiesen werden. Die vom Kläger genannten Nachteile und Gefahren durch
die Verwendung eines Blindenlangstockes bezögen sich auch auf den Nahbereich. Auch dort bringe der Blindenführhund erhebliche
Vorteile mit sich, so dass ein Vergleich der entstehenden Kosten nicht vorzunehmen sei. Ein Orientierungs- und Mobilitätstraining
sowie ein Langstock mit Ultraschallgerät erbrächten nicht denselben Erfolgsgrad. Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit des Klägers,
einen Hund zu halten und mit einem Blindenführhund umzugehen, bestünden nicht. Ein Anspruch auf die Versorgung mit einem Blindenführhund
einer bestimmten Blindenführhundeschule bestehe dagegen nicht.
Gegen das der Beklagten am 01.02.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.02.2011 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung
eingelegt und zur Begründung vorgetragen, der Anspruch scheitere an der Erforderlichkeit. Nach einem Urteil des LSG Schleswig-Holstein
(L 5 KR 60/08) bestünde kein Anspruch auf einen Blindenbegleithund. Die Beklagte sei auch nicht an die Verordnung der Augenärztin gebunden.
Das SG habe zudem keinen Wirtschaftlichkeitsvergleich vorgenommen. Aufgrund der Anschaffungskosten (sowie weiterer Folgekosten)
sei dies zwingend erforderlich. Es sei nicht ersichtlich, warum ein erneutes Orientierungs- und Mobilitätstraining und ein
Ultraschallgerät keine geeigneten wirtschaftlichen Maßnahmen seien. Ein Blindenführhund bzw Blindenbegleithund diene nur dem
mittelbaren Behinderungsausgleich. Es sei deshalb nur ein Basisausgleich zu leisten. Die Rechtsprechung fordere in solchen
Fällen, dass die Auswirkungen der Behinderungen im gesamten täglichen Leben beseitigt oder gemildert werden. Der Blindenführhund
unterstütze den Blinden allenfalls beim Abdecken trainierter Wegstrecken. Bei fremden Wegstrecken sei die Unterstützung schon
wieder fraglich. Beim Einkaufen könne der Hund wegen Hygienevorschriften häufig nicht eingesetzt werden. Einer Teilversorgung
stünde das Wirtschaftlichkeitsgebot entgegen. Zudem erfordere ein Blindenführhund eine weitaus größere Konzentration. Schließlich
werde an der Geeignetheit des Klägers, einen Hund zu halten, gezweifelt. Es solle ein unabhängiger Gespannführer beauftragt
werden, der beurteilen könne, ob der Kläger in der Lage ist, einen Blindenführhund adäquat zu führen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 09.12.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des SG für zutreffend. Zur Begründung hat er ausgeführt, es gehe nicht um einen Blindenbegleithund, sondern um einen Blindenführhund.
Das SG habe zu Recht darauf hingewiesen, dass es nicht auf einen Wirtschaftlichkeitsvergleich ankomme, da die alternativen Hilfsmittel
nicht denselben Erfolgsgrad vermittelten. Ein Orientierungs- und Mobilitätstraining und ein Ultraschallgerät könnten dem Kläger
kein sicheres Gehen ermöglichen. Die Ausführungen der Beklagten zeugten von profunden Unkenntnissen im Hinblick auf die Fähigkeiten
eines Blindenführhundes. Der Führhund sei in der Lage den Kläger auch in ihm unbekannten Gebieten sicher zu führen. Einem
Blindenführhund sei zudem der Zutritt zu einem Lebensmittelgeschäft zu gewähren. Es handele sich nicht um eine Teilversorgung.
Schließlich sei der Gutachter des MDK gar nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Kläger fähig sei, einen Hund zu halten.
Anhaltspunkte dafür, dass er dies nicht könne, lägen nicht vor.
Im Erörterungstermin am 20.04.2012 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, die Berufung ohne mündliche
Verhandlung und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zurückzuweisen, da der Senat die Berufung einstimmig
für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben keine Einwände gegen die
beabsichtigte Vorgehensweise erhoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann gemäß §
153 Abs
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) über die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss entscheiden, da
die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet erachten und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
halten. Die Beteiligten sind zu der beabsichtigten Verfahrensweise gehört worden.
Die nach den §§
143,
151 Abs
1,
144 Abs
1 Satz 2
SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, den Kläger mit einem Blindenführhund zu versorgen. Der Bescheid vom 13.10.2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.05.2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen,
ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß §
27 Abs
1 Satz 2 Nr
3 SGB V die Versorgung mit Hilfsmitteln. Gemäß §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V (in der ab 01.04.2007 geltenden Fassung durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.03.2007) haben Versicherte Anspruch
auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer
drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände
des täglichen Lebens anzusehen oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst gemäß §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch.
Gemäß §
12 Abs
1 Satz 1
SGB V müssen Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen bzw Erforderlichen
nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte gemäß §
12 Abs
1 Satz 2
SGB V nicht beanspruchen.
Aufgrund seiner Behinderung ist der Kläger auf die Benutzung von Hilfsmitteln angewiesen. Der Kläger ist blind. Dies ergibt
sich zur Überzeugung des Senats aus den Feststellungen des MDK und der Aussage der Augenärztin des Klägers. Die Blindheit
des Klägers wird außerdem belegt durch das anerkannte Merkzeichen "Bl". Der Kläger leidet an einer fortschreitenden Netzhautdegeneration
(Retinopathia pigmentosa), Kurz- und Stabsichtigkeit, wechselndem Außenschielen, Augenzittern und beidseitiger Linsentrübung.
Er hat zwar ein Restsehvermögen (bestkorrigierter Fernvisus rechts 0,1, links 0,2). Dieses ermöglicht es ihm aber nicht, sich
ohne Hilfsmittel sicher fortzubewegen. Das Gesichtsfeld ist rechts auf 3 bis 9 Grad und links auf 5 bis 11 Grad eingeschränkt.
Der Kläger nimmt seine Außenwelt wie durch ein Schlüsselloch wahr. Gegenstände kann er erst mitten vor dem Auge wahrnehmen,
so dass die Orientierung und Fortbewegung extrem erschwert sind. Zusätzliche Einschränkungen bestehen bei Blendungen und in
der Dämmerung bzw bei Dunkelheit. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers benutzt er deshalb einen Blindenlangstock, wenn
er das Haus verlässt. Anhaltpunkte dafür, dass der Kläger in der Lage ist, sein Restsehvermögen gepaart mit einem außergewöhnlichen
Erinnerungsvermögen so einzusetzen, dass er sich ohne Blindenhilfsmittel fortbewegen kann, liegen nicht vor (so im Fall BSG 20.11.1996, 3 RK 5/96, BSGE 79, 261). Der Kläger ist zur Überzeugung des Senats vielmehr auf die Benutzung von Blindenhilfsmitteln angewiesen.
Um diese Behinderung auszugleichen, hat der Kläger Anspruch auf die Versorgung mit dem Hilfsmittel "Blindenführhund". Die
Versorgung mit einem Blindenführhund ist erforderlich, zweckmäßig und wirtschaftlich. Sie übersteigt nicht das Maß des Notwendigen.
Der Blindenführhund ist ein Hilfsmittel im Sinne des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V (BSG 25.02.1981, 5a/5 RKn 35/78, BSGE 51, 206; vgl Hilfsmittelkatalog Produktnummer 99.99.01.0001). Der Blindenführhund ist weder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen noch ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der üblicherweise von einer großen Zahl von
nicht behinderten Menschen regelmäßig benutzt wird (dazu BSG 03.11.1993, 1 RK 42/92, SozR 3-2500 § 33 Nr 5 mwN; BSG 16.04.1998, B 3 KR 9/97 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 27 mwN).
Der von der Beklagten geschuldete Behinderungsausgleich bemisst sich danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren
Behinderungsausgleichs beansprucht wird. Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung
grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Insoweit steht bei dem in §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V als dritte Variante genannten Zweck des Behinderungsausgleichs (vgl auch §
31 Abs 1 Nr 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch) der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion
im Vordergrund. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht,
ersetzt oder erleichtert. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs
des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts.
Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens, weil
die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb
kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt
werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig
im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, juris mwN - Hörgeräteversorgung).
Ist die Erhaltung bzw Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht oder nicht ausreichend möglich und werden
deshalb Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt (sog mittelbarer Behinderungsausgleich),
sind die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Denn Aufgabe der gesetzlichen
Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit
und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die
Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen
Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist deshalb nur dann zu gewähren,
wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis
des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören ua das Gehen, Stehen,
Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme und deren Ausscheiden sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen
und geistigen Freiraums (BSG 16.09.2004, B 3 KR 19/03 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 7 mwN - schwenkbarer Autositz).
Der Blindenführhund ist unmittelbar auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet (BSG 25.02.1981, 5a/5 RKn 35/78, BSGE 51, 206). Dem steht nicht entgegen, dass das Hilfsmittel nicht direkt am Körper ausgleichend wirkt (BSG 27.10.1982, 9a RV 16/82, BSGE 54, 140). Entscheidend ist, dass das Hilfsmittel die beeinträchtigte Funktion - hier das Sehen - ermöglicht, ersetzt oder ergänzt.
Der Blindenführhund bietet Ersatz für die durch Blindheit ausgefallene oder zumindest erschwerte Möglichkeit der Umweltkontrolle.
Dieser Funktionsausgleich betrifft unmittelbar diese Behinderung und setzt nicht erst bei den Folgen der Behinderung in bestimmten
Lebensbereichen ein (BSG 25.02.1981, 5a/5 RKn 35/78, BSGE 51, 206). Es handelt sich somit um einen unmittelbaren Behinderungsausgleich, weshalb - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht
gesondert festzustellen ist, ob das Hilfsmittel zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötig wird.
Dies ist bei unmittelbaren Behinderungsausgleichen ohne weiteres anzunehmen (BSG 25.05.2009, B 3 KR 2/08 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 24). Bei einem Blindenführhund geht es um das Grundbedürfnis auf möglichst sichere Fortbewegung, wie es bei nicht behinderten
Menschen durch die Funktion des Sehens gewährleistet ist. Diese Funktion muss in möglichst weitgehender Weise ausgeglichen
werden (BSG 16.09.2004, B 3 KR 20/04 R, BSGE 93, 183; so im Übrigen auch das von der Beklagten zitierte Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 09.09.2009, L 5 KR 60/08, juris RdNr 23 bezogen auf den Blindenführhund).
Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen
und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (BSG 25.06.2009, B 3 KR 10/08 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 23). Es besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten
Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26 S 153; stRspr); andernfalls sind die Mehrkosten gemäß §
33 Abs
1 Satz 5
SGB V von dem Versicherten selbst zu tragen. Anspruch auf eine Optimalversorgung besteht nicht (BSG 25.06.2009, B 3 KR 10/08 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 23). Demgemäß haben die Krankenkassen nicht für solche "Innovationen" aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile
für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränken
(BSG 06.06.2002, B 3 KR 68/01 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 44; BSG 16.09.2004, B 3 KR 20/04 R, BSGE 93, 183, 188).
Funktionell gleichwertige, aber billigere Hilfsmittel stehen vorliegend nicht zur Wahl. Der Blindenlangstock hat wesentliche
Gebrauchsnachteile gegenüber dem Blindenführhund (zum Folgenden: SG Aachen 22.10.2007, S 21 KR 32/07, juris). Der Blindenlangstock ermöglicht zwar durchaus ein Gehen im Straßenverkehr. In vielen Situationen gelangt er aber
an Grenzen und kann seine Funktion nicht oder nur bedingt erfüllen. Der Blindenlangstock ist ein wesentliches Hilfsmittel
zum Ertasten von Untergründen und zur Fortbewegung. Sein Gebrauch verlangt gerade im Straßenverkehr eine hohe Konzentration.
Der Gebrauch des Blindenlangstocks schützt den Blinden nicht davor, mit Hindernissen oberhalb der Gürtellinie zu kollidieren.
Der Blindenlangstock ermöglicht nicht das Auffinden von Ampelmasten oder Treppen, Aufzügen und Türen in großen Gebäuden. Bei
Schnee sind die Konturen der Straßen und Straßenbegrenzungen verschüttet, so dass sie mit dem Blindenlangstock nicht mehr
erkannt werden können. Beim Überqueren sehr breiter Straßen, sehr großer Kreuzungen, beim Überwinden großer Plätze oder freier
Flächen ist auch ein sehr gut geschulter Blinder nicht in der Lage, allein mit dem Blindenlangstock eine gerade Linie einzuhalten.
Entsprechende Erfahrungen hat der Kläger für den Senat glaubhaft geschildert und anhand der vorgelegten Fotodokumentation
veranschaulicht.
Demgegenüber ist ein Blindenführhund in der Lage, diese Nachteile auszugleichen. Er ermöglicht blinden Menschen "indirekte
optische Fernwahrnehmung und damit eine selbstständige Mobilität in vertrauter und nicht vertrauter Umgebung" (Riederle, "Der
Blindenhund als primäre Mobilitätshilfe", Zeitschrift "Behindertenrecht", Juni 2005, Heft 4, S 97ff). Er ist in der Lage blinde
Menschen "zügig, entspannt und zielsicher" auch "in offenen Geländen, bei Schneedecke, durch Menschenansammlungen und an Baustellen
vorbei" zu führen (Riederle aaO.). Er kann beim Auffinden von Treppen, Aufzügen und Türen in Gebäuden helfen (SG Aachen 22.10.2007,
S 21 KR 32/07, juris). Außerdem schützt er vor Hindernissen in Kopfhöhe, in dem er solche Hindernisse erkennt und sich querstellt, um dem
Blinden zu signalisieren, dass hier ein großes Hindernis ist (SG Aachen 22.10.2007, S 21 KR 32/07, juris). Auch nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Schilderungen des Blinden- und Sehbehindertenverbandes im Widerspruchsverfahren
hat ein Blindenführhund entscheidende Vorteile gegenüber einem Blindenlangstock. Der Führhund kann sehen und einmal Gesehenes
bei der nächsten Begegnung wieder erkennen. Er kann Hindernisse - auch Seiten- und Höhenhindernisse - erkennen, einschätzen
und umgehen. Der Führhund ermöglicht eine sicherere Fortbewegung. Der blinde Mensch ist weniger angespannt, da die aufzubringende
Konzentration nicht so hoch ist wie bei Benutzung eines Blindenlangstockes.
Auch ein mit einem Ultraschallzusatzgerät ausgestatteter Blindenlangstock ("Langstock ultra-bodyguard") ist nicht in der Lage
sämtliche der geschilderten Nachteile auszugleichen. Ein Ultraschallgerät kann zwar Hindernisse auch im Kopf- und Oberköperbereich
anzeigen. Anders als der Blindenführhund kann das Gerät aber weder das Hindernis einschätzen noch eine Lösungsmöglichkeit
anbieten. Es kann auch nicht beim Auffinden von Treppen, Aufzügen und Türen in Gebäuden helfen. Schließlich versagt der mit
Ultraschallgerät ausgestattete Blindenlangstock ebenfalls bei widrigen Witterungsbedingungen (insb Schnee). Das Gerät ermöglicht
nicht die mit einem Blindenführhund verbundene "zügige, entspannte und zielsichere" (vgl oben) Fortbewegung in sämtlichen
alltäglichen Verkehrssituationen. Es handelt sich demnach nicht um eine in vollem Umfang gleichwertige Versorgungsalternative.
Die Hinnahme des durch einen Blindenlangstock (auch mit Ultraschallgerät) entstehenden Nachteils ist dem Kläger nicht zumutbar.
Unter Berücksichtigung des für unmittelbare Behinderungsausgleiche geltenden Gebots eines möglichst weitgehenden Ausgleichs
des Funktionsdefizits (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, juris) können allenfalls marginale Einschränkungen der Alltagsgestaltung, die weder die Selbstbestimmung noch die gleichberechtigte
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft fühlbar beeinträchtigen, dem behinderten Menschen unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten
zugemutet werden (vgl BSG 25.06.2009, B 3 KR 10/08 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 23 - Salzwasserprothese). Um solche marginale Einschränkungen geht es vorliegend nicht.
Schließlich liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger für die Haltung eines Blindenführhundes nicht geeignet ist.
Der Kläger ist mit Hunden aufgewachsen und hat eine ausreichend große Wohnung. Er hat die Hundeschule aus Tierschutzerwägungen
heraus ausgesucht und bezeichnet sich selbst als "großen Tierfreund". Nach Angaben der Mobilitätstrainerin hatte der Kläger
außerdem schon im Rahmen seines Mobilitäts- und Orientierungstrainings erste Kontakte zu einem Blindenführhund und eine besondere
Freude daran, mit dem Hund spazieren zu gehen oder zu spielen. Zur Überzeugung des Senats bestehen daher keine Zweifel an
der Geeignetheit des Klägers, einen Hund artgerecht zu halten. Ebenso fehlen Anhaltpunkte dafür, dass der Kläger nicht in
der Lage sein wird, sich von einem Blindenhund führen zu lassen. Der Senat hielt es nicht für erforderlich insoweit Ermittlungen
aufzunehmen. Insbesondere war kein Gespannführer zur Beurteilung, ob der Kläger einen "Blindenführhund adäquat führen" kann,
zu beauftragen. Es wird Aufgabe der Blindenführhundeschule sein, den Kläger im Umgang mit dem Blindenhund zu schulen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.