Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Kosten der Unterkunft und Heizung.
Der 1960 geborene Kläger bezieht seit 01.01.2005 Alg II vom Beklagten. Mit Bescheid vom 29.10.2009 bewilligte der Beklagte
Alg II für die Zeit 01.11.2009 bis 30.04.20010 in Höhe von monatlich 607,05 EUR (359 EUR Regelleistung zzgl 248,05 EUR Kosten
der Unterkunft und Heizung). Den Widerspruch dagegen, mit dem der Kläger ua eine Regelleistung von 677,45 EUR und Kosten der
Unterkunft iHv 300,05 EUR begehrte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2009 zurück. Die dagegen gerichtete
Klage, mit der der Kläger zuletzt nur noch eine höhere Regelleistung begehrt hat, hat das Sozialgericht Nürnberg (SG) mit Urteil vom 09.02.2010 (S 5 AS 1773/09) abgewiesen. Der Kläger hat dagegen Berufung beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt (L 11 AS 334/10).
Einen weiteren Antrag des Klägers vom 26.11.2009, ihm Unterkunftskosten iHv 300,05 EUR zu gewähren, lehnte der Beklagte mit
Bescheid vom 21.12.2009 ab. Die Differenz der tatsächlichen Kosten zu den bewilligten Unterkunftsleistungen iHv 248,05 EUR
habe der Kläger selbst zu tragen. Den diesbezüglichen Widerspruch des Klägers verwarf der Beklagte als unzulässig. Dagegen
hat der Kläger Klage beim SG erhoben (S 5 AS 173/10). In den Akten des SG befindet sich ein Schriftsatz des Klägers vom 16.06.2010, wonach der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von
1.700 EUR nebst Zinsen, eine Rückvergütung vorgerichtlicher Aufforderungsschreiben in Höhe von 200 EUR und die Übernahme von
Vollstreckungskosten iHv 243,60 EUR begehrt hat. Die Klage hat das SG mit Urteil vom 22.06.2010 abgewiesen und dabei alleine Ausführungen zu einem Anspruch auf höhere Kosten der Unterkunft gemacht.
Berufung hat der Kläger dagegen nicht eingelegt.
Mit Schreiben vom 01.11.2009 beantragte der Kläger beim Beklagten die Zahlung eines Betrages in Höhe von 105 EUR. Diese Kosten
seien vom Beklagten im Hinblick auf einen Rechtsstreit des Klägers gegen die W. GmbH und Herrn G. E. vor dem Amtsgericht Erlangen
zu erstatten, da sie aus rechtswidrigen Kürzungen der bewilligten Leistungen zwischen dem 01.01.2005 und April 2009 resultieren
würden. Ihm sei insofern Schadenersatz zu leisten. Mit weiteren Schreiben vom 14.10.2009 (zwei Schreiben), 21.10.2009 und
16.11.2009 beantragte der Kläger weiter, die Zahlung von 200 EUR, 1.100 EUR, 200 EUR und nochmals 200 EUR jeweils zuzüglich
Zinsen im Hinblick auf eine gegen ihn gerichtete Vollstreckung aus einem zivilgerichtlichen Verfahren. Nach dem Verursacherprinzip
sei ihm insofern ebenfalls, auch unter Berücksichtigung von §
839 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) iVm Art
34 Grundgesetz (
GG) Schadensersatz zu leisten.
Der Beklagte lehnte die Anträge auf Übernahme der Forderungen der Landesjustizkasse mit Bescheid vom 10.12.2009 ab. Ein Verschulden
des Beklagten liege nicht vor. Die Gerichtsverhandlungen stünden in keinerlei Zusammenhang mit dem Beklagten. Den Widerspruch
des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2010 - W 128/10 - zurück. Eine Übernahme der vom Kläger geltend gemachten Kosten sehe das SGB II nicht vor.
Dagegen hat der Kläger beim SG Klage erhoben und zuletzt beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Abänderung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2010 - W 222/10 - im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft monatlich 300,05 EUR zu bewilligen (Schriftsatz vom 18.06.2010 iVm dem Antrag
in der mündlichen Verhandlung). Die vollständigen Unterkunftskosten seien zu übernehmen, da er insbesondere auch nicht durch
eigene Geldmittel diese Kosten begleichen könne.
Mit Urteil vom 22.06.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt, dass der Beklagte zu Recht mit Bescheid vom 21.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2010
die Übernahme der gegen den Kläger bestehenden Forderungen der Landesjustizkasse Bamberg abgelehnt habe. Das SGB II sehe für
diese Leistungstatbestände keine Kostenübernahme vor. Ein Amtshaftungsanspruch sei zudem vor den zuständigen Zivilgerichten
geltend zu machen. Nach Erörterung mit dem Kläger habe das Gericht von einer Verweisung abgesehen.
Dagegen hat der Kläger Berufung zum LSG eingelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.06.2010 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht
Nürnberg zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, §§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) und begründet. Das SG hat vorliegend nicht über den Klageantrag des Klägers entschieden, sondern über einen in diesem Verfahren nicht gestellten
Antrag.
Streitgegenstand ist vorliegend die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Alg II im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und
Heizung. Der Kläger begehrt insofern die Übernahme der vollständigen Kosten in Höhe von 300,05 EUR, was bereits Gegenstand
eines anderen Verfahrens gewesen ist.
Nach §
123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Soweit
die Klage nicht einen nach §
92 SGG bestimmten Antrag enthält, der zu Zweifeln über das Gewollte keinen Anlass gibt, muss das Gericht mit dem Beteiligten klären,
was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden, §
106 Abs
1 und §
112 Abs
2 Satz 2
SGG; hat das keinen Erfolg, muss der Antrag ausgelegt werden (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl, §
123 Rn 3). Das Gericht muss klären, welche Anträge gestellt werden sollen, und darf bei seiner Entscheidung über die Anträge
nicht hinausgehen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl, §
95 Rn 5a).
Vorliegend hat sich der Kläger zunächst in seiner Klageschrift gegen den Widerspruchsbescheid vom 26.01.2010 - W 128/10 - gewandt, mit dem die Übernahme von verschiedenen Kosten aus zivilgerichtlichen Verfahren abgelehnt worden ist. In der mündlichen
Verhandlung vor dem SG hatte der Kläger jedoch zuletzt den Antrag "aus seinem Schriftsatz vom 18.06.2010" gestellt. In diesem Schriftsatz beantragt
der Kläger jedoch sinngemäß die Verurteilung des Beklagten, ihm unter Abänderung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2010 - W 222/10 - im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft monatlich 300,05 EUR zu bewilligen.
Dieser Antrag des Klägers ist eindeutig und es kann ihm klar entnommen werden, dass es dem Kläger nur um die Höhe der Kosten
der Unterkunft geht; dabei handelt es sich im Hinblick auf § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II idF des Gesetzes zur Neuausrichtung
der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (ArbeitsmarktNAusrG) vom 21.12.2008 (BGBl I 2917) um eine abtrennbare Verfügung (vgl
zur Beschränkung des Streitgegenstandes BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R und Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/06 R).
Wie sich jedoch aus dem Tenor der Entscheidung des SG vom 22.06.2010 unter ergänzender Heranziehung der Entscheidungsgründe (der Tenor beschränkt sich auf die bloße Klageabweisung)
ergibt (vgl zur Auslegung BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 9b SO 5/05 R; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Auflage, § 136 Rn 5c), hat das SG über die Rechtmäßigkeit des ursprünglich streitigen Widerspruchsbescheides vom 26.01.2010 - W 128/10 -, mithin im Hinblick auf die Frage der Übernahme von Kosten aus Zivilprozessen, entschieden.
Das vom SG durchgeführte Verfahren leidet damit an einem wesentlichen Verfahrensmangel iSv §
159 Abs
1 Nr
2 SGG. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift (Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9.Aufl, § 159 Rn 3). Das SG hat in seinem Urteil über etwas entschieden, was vom Kläger nicht (mehr) beantragt war. Hiermit hat das SG gegen die Vorschrift des §
123 SGG verstoßen, was einen Verfahrensmangel darstellt (siehe BSG aaO.). Nach §
123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Auch eine
Auslegung des Inhalts des Tenors führt nicht zu einem Erfolg. Ein unklarer Tenor muss unter Heranziehung des Tenors, des Tatbestands
und der Entscheidungsgründe ausgelegt werden (BSG aaO.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Auflage, §
136 Rn 5c). Insofern beziehen sich aber Tatbestand und Entscheidungsgründe ebenfalls auf die Frage der Übernahme von Kosten im
Zusammenhang mit zivilgerichtlichen Verfahren. Das Urteil des SG beruht auch auf diesem Verfahrensfehler.
Da damit über die Frage der zu gewährenden Unterkunftskosten im vorliegenden Verfahren bislang nicht entschieden wurde, dagegen
aber über eine so nicht (mehr) beantragte Übernahme von Kosten im Zusammenhang mit Zivilprozessen, konnte der Rechtsstreit
an das SG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen werden. Bei einer Zurückverweisung nach §
159 Abs
1 Nr
2 SGG hat der Senat sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob er die Sache selbst entscheiden oder zurückverweisen will. Die Zurückverweisung
soll die Ausnahme sein (Meyer-Ladewig aaO. § 159 Rn 5). In Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten an der Sachentscheidung
sowie den Grundsätzen der Prozessökonomie hält es der Senat für angezeigt, den Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen. Die Frage, in welcher Höhe Unterkunftskosten des Klägers zu übernehmen sind, wurde bislang vom SG im vorliegenden Verfahren nicht geprüft und insofern noch keine Ermittlungen angestellt. Gegebenenfalls kann das SG aber auch auf eine sinnvolle Antragstellung hinsichtlich des ursprünglich mit der Klage verfolgten Zieles hinwirken und über
den ursprünglichen Klagegegenstand anschließend zu entscheiden, wobei insofern dann im Hinblick auf die Geltendmachung von
Amtshaftungsansprüchen alleine eine Verweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit in Betracht kommen sollte, vgl Art
34 Satz 3
GG, §
17 Abs 2 Satz 2
Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG).
Das Urteil des SG ist demnach aufzuheben und der Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen. Das SG wird dabei über die Kosten insgesamt entscheiden.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.