Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; Erfüllung der versicherungsrechtliche Voraussetzungen; Anwartschaftserhaltung
durch den Bezug einer italienischen Zivilinvalidenrente
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsminderung.
Der 1945 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Italien. Er hat in Deutschland von November 1972
bis November 1973 sowie von April 1974 bis April 1976 Pflichtbeitragszeiten (20 Monate) und Zeiten der Arbeitslosigkeit (15
Monate) zurückgelegt. Daneben hat er zwischen April 1961 und Juli 1961 sowie April 1977 und April 1979 in Großbritannien (acht
Monate), zwischen 1963 und 1972 (mit Unterbrechungen) in der Schweiz (94 Monate) und zwischen September 1985 und März 1987
(mit Unterbrechungen) in Italien (15 Monate) Versicherungszeiten zurückgelegt. Der französische Sozialversicherungsträger
konnte für eine vom Kläger angegebene Beschäftigung (zwei Monate 1976) keine Versicherung feststellen. Von 1979 bis August
1985 hielt sich der Kläger nach eigenen Angaben in Argentinien auf. Er bezieht in Italien seit August 1978 eine Zivilinvalidenrente
und seit Januar 1987 eine Invalidenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Anträge des Klägers auf Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung vom 11. Juli 1983 (Ablehnung wegen fehlender
Mitwirkung) und 13. März 1986 (Ablehnung wegen fehlender Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei einem
angenommenen Versicherungsfall vom August 1985) blieben erfolglos. Einen weiteren Antrag vom 22. Mai 1995 lehnte die Beklagte
mit der Begründung ab, der Kläger erfülle mit den in Deutschland, Italien und Großbritannien zurückgelegten Versicherungszeiten
weder die Wartezeit noch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
(Bescheid vom 10. August 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 1996, bestätigt durch Urteil des Sozialgerichts
Augsburg - SG - vom 11. April 1996, Az.: S 7 Ar 5054/95.It und Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 20. Januar 1998,
Az.: L 5 RJ 255/96).
Am 11. November 2002 beantragte der Kläger die Überprüfung der Rentenablehnung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung
ab, der Kläger sei seit 31. August 1985 auf Dauer erwerbsunfähig. Unter Anrechnung der in der Schweiz zurückgelegten Versicherungszeiten
(die aufgrund des Freizügigkeitsabkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union ab 1. Juni 2002 anrechenbar waren)
sei zwar (bereits vor 1984) die Wartezeit für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt, nicht jedoch die besonderen versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen. Er habe zwischen dem 31. August 1980 und dem 30. August 1985 keine Pflichtbeitragszeiten oder Verlängerungstatbestände
zurückgelegt. Auch sei die Zeit von Januar 1984 bis Juli 1985 nicht mit Beitragszeiten oder Anwartschaftserhaltungszeiten
belegt. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und trug vor, der Zeitraum von Januar 1984 bis Juli 1985 sei nicht mit Beiträgen
belegt, weil sein Gesundheitszustand damals so schlecht gewesen sei, dass ihm in Italien eine (tatsächlich bereits 1978 bewilligte)
Rente wegen Zivilinvalidität zuerkannt worden sei. Dieser Zeitraum müsse anwartschaftserhaltend berücksichtigt werden, denn
die Zivilinvalidenrente sei nach der Verordnung (EWG) 1247/92 des Rates vom 30. April 1992 zur Änderung der Verordnung (EWG)
1408/71 eine Leistung der Sozialversicherung, auch wenn sie nicht auf Beiträgen beruhe. Der Aufforderung der Beklagten, seine
Wohnorte in der Zeit ab 1978 anzugeben, seinen ab 1978 gültigen Reisepass vorzulegen, der Bescheid über Zivilinvalidenrente
zu übersenden und anzugeben, bei welchen Ärzten er sich ab 1983 in ärztlicher Behandlung befunden habe, ferner mitzuteilen,
ob er sich, wie bei einer ärztlichen Untersuchung in Italien 1986 von ihm angegeben, bis August 1985 in Argentinien aufgehalten
habe und wo er welche Beschäftigungen und Tätigkeiten zwischen 1978 und August 1985 ausgeübt habe, kam der Kläger nicht nach.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 2004 zurück.
Einen erneuten Antrag des Klägers vom 31. März 2005, ihm innerhalb von 24 Stunden Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit
zu gewähren, lehnte die Beklagte erneut unter Hinweis auf die fehlenden besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
ab (Bescheid vom 11. Mai 2005). Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und gab unter anderem an, er sei (ohne nähere Zeitangabe)
vier Monate krank gewesen und auch in Argentinien mehrfach in die psychiatrische Notaufnahme aufgenommen worden. Nähere Angaben
hierzu machte der Kläger nicht. Ärztliche Unterlagen legte er nicht vor. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid
vom 8. Juli 2005).
Dagegen hat der Kläger am 17. Oktober 2005 (Eingang bei Gericht) beim SG Klage erhoben und insbesondere geltend gemacht, er sei wegen Krankheit unfähig zu arbeiten und unfreiwillig arbeitslos. Er
fordere die sofortige Zahlung einer Rente für die Zeit ab 1985 sowie eine Entschädigung für materielle, moralische und psychologische
Schäden. Außerdem laufe beim Landesarbeitsgericht ein Verfahren zur Feststellung weiterer Arbeitszeiten und dazugehöriger
Beiträge. Wegen fehlerhafter Angabe der Anschrift hat er außerdem einen zweisprachigen Richter und die zweisprachige Abfassung
der an ihn gerichteten Schreiben beantragt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Terminsbevollmächtigte des Klägers beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu verurteilen,
dem Kläger unter Aufhebung früherer ablehnender Rentenbescheide ab August 1985 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. März 2008) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die besonderen versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 i.V.m. §
241 Abs.
2 S. 1 Nr.
5 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI) in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung bzw. §
43 Abs. 1 Nr. 2, Abs.
3 Nr. 1, § 44 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4
SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung nicht vorlägen. Beim Kläger sei unstreitig ein Leistungsfall im August
1985 anerkannt. Die Zeit zwischen dem 1. Januar 1984 und dem Eintritt der Erwerbsminderung im August 1985 sei jedoch nicht
mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Eine Erwerbsminderungsrente beziehe der Kläger erst seit April 1987. Der Bezug einer
italienischen Zivilinvalidenrente ab 1978 führe auch zu keinem anderen Ergebnis. Nach Artikel 9a der Verordnung (EWG) Nr.
1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige
sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EGVO 1408/71 - die sie ersetzende Verordnung (EG)
883/2004 ist wegen der fehlenden Durchführungsverordnung noch nicht anwendbar) müsse es sich nämlich um eine der deutschen
Erwerbsminderungsrente vergleichbare Rentenleistung handeln. Die Zivilinvalidenrente sei jedoch sozialhilfeähnlich und werde
nicht aufgrund von Beitragszahlungen geleistet. Sie wirke deshalb auch nicht anwartschafterhaltend. Das Verfahren beim Landesarbeitsgericht
sei nicht abzuwarten, weil der Kläger sich (u.a.) von Januar 1984 bis Mitte 1985 nach eigenen Angaben in Argentinien aufgehalten
habe. Im Übrigen bestehe weder ein Anspruch auf einen zweisprachigen Richter noch auf eine Übersetzung gerichtlicher Schreiben.
Mit der am 9. Juli 2008 (Eingang bei Gericht) eingelegten Berufung macht der Kläger weiterhin geltend, er habe seit 1985 Anspruch
auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Beigefügt war ein Schreiben des Klägers
vom 31. März 2005, in dem er ohne nähere Erläuterung auf eine Reihe von abgeschlossenen Verfahren beim Arbeitsgericht M. (2003),
Arbeitsgericht U. (1988 und 1989), Bayerischen Landesarbeitsgericht (2003), Bundesarbeitsgericht (2003) sowie beim Bundessozialgericht
(Nichtzulassungsbeschwerden aus den Jahren 1992 und 1998) hingewiesen und angegeben hat, er habe 1978 in Italien und von 1975
(gemeint: 1979) bis 1985 in Argentinien gewohnt, trotz fehlender Gesundheit, da er ständig krank gewesen sei. Außerdem hat
er darauf hingewiesen, die ärztliche Kommission des italienischen Sozialleistungsträgers habe der Beklagten im Formular E
213 I (Gutachten vom 18. Juni 1986, das Grundlage für die Feststellung des Eintritts des Leistungsfalles im August 1985 war)
seine Invalidität und Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Der Aufforderung, (u.a.) von ihm angegebene ärztliche Befunde und die
Entscheidungen aus den von ihm benannten Verfahren vorzulegen, kam der Kläger nicht nach. Stattdessen hat er mitgeteilt, er
verlange (ohne nähere Angaben) die Ablösung von Krediten und Schadenswiedergutmachung, weil ihm kein Arbeitslosengeld und
damit auch keine Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden seien. Er habe Deutschland trotz Aufenthaltserlaubnis von
1976 und 1978 dreimal ohne Grund verlassen müssen und ohne einen kostenlosen Pflichtverteidiger, wie in den Arbeitsverträgen
garantiert werde, unter anderem wegen eines (nicht näher bezeichneten) Wegeunfalls und der Pleite einer Bank im Jahr 1975.
Ansprüche gegen die Beklagte hat der Kläger in diesem Zusammenhang aber nicht geltend gemacht.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. März 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2005 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Aufhebung früherer Rentenablehnungsbescheide
ab August 1985 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise wegen Erwerbsminderung, zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG (Az.: S 3 U 332/95, S 7Ar 5054/95.It und S 13 R 708/05) beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung ergeht durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung, weil der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet
und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§
153 Abs.
4 S. 1
SGG). Die Beteiligten wurden hierzu gehört (§
153 Abs.
4 S. 2
SGG).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsminderung, weil ausgehend vom Eintritt
des Leistungsfalles im August 1985 die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine solche Rente nicht gegeben
sind. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§
153 Abs.
2 SGG). Die Beklagte hat sich bei der Bestimmung des Eintritts des Leistungsfalles dem Ergebnis der 1986 in Italien im Rahmen eines
Antrags des Klägers auf Invalidenrente durchgeführten medizinischen Begutachtung angeschlossen. Anhaltspunkte für einen früheren
Eintritt des Leistungsfalles, der zu einer anderen Beurteilung bezüglich der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Anlass
geben könnte, liegen nicht vor. Weder hat der Kläger ärztliche Unterlagen aus der Zeit vor 1986 vorgelegt, noch ist bekannt,
bei welchen Ärzten der Kläger, der sich von 1979 bis 1985 in Argentinien aufgehalten hat, in dieser Zeit behandelt worden
ist. Er selbst hat hierzu keine Angaben gemacht. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Erwerbsunfähigkeit
auf einem Arbeitsunfall beruhen und somit eine vorzeitige Wartezeiterfüllung (§
53 SGB VI) eingetreten sein könnte mit der Folge, dass eine Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht
erforderlich wäre. Der Kläger selbst hat bei der Begutachtung in Italien 1986 als in Betracht kommendes Ereignis lediglich
einen Verkehrsunfall im Jahr 1972 angegeben, bei dem er nach eigenen Angaben eine Verletzung an der Unterlippe sowie am rechten
Ellenbogen erlitten und mehrere Zähne verloren hat. Nachdem die Erwerbsunfähigkeit des Klägers nach Feststellungen der ärztlichen
Kommission des italienischen Sozialversicherungsträgers auf einem deliranten Syndrom beruht, das offenkundig keinerlei Bezug
zu den angegebenen Unfallverletzungen hat, kommt eine vorzeitige Wartezeiterfüllung unabhängig davon, ob es sich bei dem Verkehrsunfall
tatsächlich um einen Wegeunfall gehandelt hat, hier nicht in Betracht. Auch aus der Akte des Sozialgerichts Augsburg, Az.:
S 3 U 332/95, ergeben sich keine Hinweise auf einen in Deutschland erlittenen Arbeitsunfall. Die in diesem Verfahren vom Kläger benannte
Berufsgenossenschaft hat gegenüber dem SG 1995 vielmehr angegeben, dass umfangreiche Ermittlungen bereits 1988 keinen einzigen Hinweis auf einen solchen Arbeitsunfall
erbracht hätten. Weitere Erkenntnisse sind weder den Akten noch dem Vorbringen des Klägers zu entnehmen.
Auch die pauschalen Angaben des Klägers, er sei bereits während seines Aufenthalts in Argentinien krank gewesen und mehrfach
in der psychiatrischen Notfallambulanz behandelt worden, führen zu keinem anderen Ergebnis, da weder ärztliche Unterlagen
vorgelegt noch behandelnde Ärzte benannt wurden, die Auskunft über den Gesundheitszustand des Klägers vor 1985 geben könnten.
Aus den vom Kläger genannten zivilrechtlichen, arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Gerichtsverfahren können sich für
den Zeitraum von 1979 bis 1985 ebenfalls keine weiteren anspruchsbegründenden Tatsachen ergeben. Da der Kläger sich in dieser
Zeit in Argentinien aufgehalten hat und keine Hinweise für einen Bezug zum deutschen oder italienischen Sozialversicherungssystem
vorliegen, konnten diese Verfahren nicht zur Feststellung weiterer anrechenbarer Versicherungszeiten für den Zeitraum von
1979 bis 1985 führen.
Da die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsminderung
bereits bei der Antragstellung 1986 nicht mehr erfüllt waren, kommt auch ein Anspruch des Klägers nach § 44 Abs. 1 SGB X auf (und eine Verpflichtung der Beklagten zur) Aufhebung der 1987, 1995 und (im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X) 2002 ergangenen Ablehnungsbescheide nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung (§
193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass der Kläger mit seinem Begehren auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG) liegen nicht vor.