Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im sozialgerichtlichen Verfahren bei einer eingeschränkten Kommunikationsaufnahme wegen
Erblindung
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 21.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 08.11.2005, mit dem die Beklagte einen Rentenantrag des Klägers auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente vom 13.12.2004
wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt hat.
Der 1958 geborene Kläger beantragte erstmals am 25.12.2000 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw.
Berufsunfähigkeit, die wegen fehlender Mitwirkung durch bestandskräftigen Bescheid vom 16.11.2001 abgelehnt wurde. Ein erneuter
Antrag auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente im Jahr 2003 wurde mit weiterem Bescheid vom 24.09.2003 ebenfalls wegen fehlender
Mitwirkung des Klägers abgelehnt. Zwischenzeitlich war dem Kläger mit Bescheid des Versorgungsamtes W. vom 25.10.2002 wegen
eingetretener Erblindung ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen B, G, Bl, H und RF zuerkannt worden.
Mit Schreiben vom 08.10.2003 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er die Ablehnung des Rentenantrages zum Ende des Jahres
2001 nicht erhalten habe und er um Zusendung einer Kopie dieses Schreibens bitte. Die Beklagte übersandte daraufhin am 16.10.2003
die Ablehnungsbescheide vom 24.07.2001, 16.11.2001 sowie vom 24.09.2003, die jeweils wegen fehlender Mitwirkung des Klägers
bei Klärung der rentenrechtlichen Zeiten ergangen waren. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 07.11.2003 ohne weitere
Begründung Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 31.08.2004 als verfristet zurückgewiesen wurde. Der Widerspruchsbescheid
enthielt den Hinweis, dass eine Überprüfung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - erfolgen werde, wenn die fehlende Mitwirkung nachgeholt werde. Eine Klage gegen diesen Widerspruchsbescheid wurde nicht
erhoben.
Mit Schreiben vom 13.12.2004 übersandte der Bezirk Unterfranken, Sozialhilfeverwaltung, der Beklagten unter Bezugnahme auf
"einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente der Versicherungsnummer 12 160958 0 015" ärztliche Befunde und Unterlagen aus einem
durchgeführten Schwerbehindertenverfahren und beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit Schreiben
vom 23.12.2004 machte das Landratsamt A. - Sozialamt - gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X geltend. Die Beklagte forderte daraufhin mit Schreiben vom 21.01.2005 vom Kläger die Vorlage der Rentenantragsformulare sowie
die Klärung der rentenrechtlichen Zeiten von Okt. 1983 bis März 1984, von Dez. 1986 bis Feb. 1987, für Nov. 1996 sowie von
Okt. 1997 bis laufend an. In diesem Schreiben war darauf hingewiesen, dass der Kläger nach den §§
60 ff Erstes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB I - zur Mitwirkung verpflichtet sei, die geforderten Unterlagen binnen 4 Wochen zu überlassen und für den Fall, dass innerhalb
dieser 4 Wochen keine Nachricht von ihm eingehe, der Rentenantrag wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt werde. Eine Reaktion
des Klägers hierauf ist nicht erfolgt, so dass die Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21.02.2005 den durch den
Bezirk Unterfranken gestellten Rentenantrag vom 13.12.2004 wegen fehlender Mitwirkung ablehnte. Der Bezirk Unterfranken sowie
das Landratsamt A. -Sozialamt - wurden jeweils mit gesondertem Schreiben vom ablehnenden Bescheid vom 21.02.2005 in Kenntnis
gesetzt. Mit Schreiben vom 02.03.2005 bat der Kläger umgehend um positive Erledigung, da er noch keine Antwort betreffend
seiner Widersprüche erhalten habe und seine Rentenangelegenheit noch immer ungeklärt sei. Dieses Schreiben wertete die Beklagte
als Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.02.2005, der sodann mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2005 als unbegründet zurückgewiesen
wurde. Der Widerspruchsbescheid wurde ausweislich des Stempelvermerks am 08.11.2005 zur Post gegeben. Ein Widerspruch gegen
den Bescheid vom 21.02.2005 ist durch den Bezirk Unterfranken nicht erhoben worden.
Am 15.12.2005 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg, da der Rentenablehnungsbescheid der Beklagten sachlich verkehrt sei und er beantrage, die Beklagte zu verurteilen,
diesen Bescheid aufzuheben und ihm seine Rente zu genehmigen. Das SG hat, nachdem der Kläger zur mündlichen Verhandlung am 28.09.2006 nicht erschienen war, die Klage durch Gerichtsbescheid vom
19.10.2006 als verfristet abgewiesen. Unter Berücksichtigung der Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 SGB X laufe die Frist zur Klageerhebung des §
87 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) grundsätzlich bis zum 11.12.2005, 24.00 Uhr. Da der 11.12.2005 jedoch ein Sonntag gewesen sei, verlängere sich die Frist
bis zum Montag, den 12.12.2005, 24.00 Uhr. Die erst am 15.12.2005 beim SG Würzburg eingegangene Klage sei somit nicht fristgerecht
erhoben worden. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien trotz entsprechender Nachfragen des Gerichts vom
Kläger nicht vorgetragen worden. Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger am 27.10.2006 durch Einlegung in den Hausbriefkasten
zugestellt.
Mit Schreiben vom 31.05.2007 hat der Kläger beim SG Würzburg "Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand" beantragt, da ihm
der Gerichtsbescheid des SG Würzburg erst jetzt zur Kenntnis gelangt sei. Mit Schreiben des Senats vom 11.07.2007 wurde der
Kläger auf die Verfristung seiner Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Würzburg hingewiesen und um Mitteilung gebeten,
ob evtl. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand benannt werden könnten. Trotz weiterer Erinnerungen am 20.09.2007
und 08.01.2008 erfolgt keine Reaktion des Klägers. Erst nachdem für den 1. April 2008 eine mündliche Verhandlung angesetzt
wurde, setzte sich der Kläger telefonisch mit dem Bayer. Landessozialgericht in Verbindung. Er sei seit einiger Zeit erblindet
und habe nur durch Zufall vom Briefträger gesagt bekommen, dass der Brief vom Bayer. Landessozialgericht in Schweinfurt sei.
Etwa seit der Rentenantragstellung sei er erblindet. Seit einiger Zeit könne er gar nichts mehr sehen, so z.B. auch nicht
mehr am Computer durch extreme Vergrößerung der Schrift. Auch sei sein Lesegerät durch einen von der Gemeinde verursachten
Wasserschaden defekt, die Versicherung der Gemeinde weigere sich zu zahlen, ihm selbst sei die Anschaffung eines neuen Gerätes
aus Kostengründen nicht möglich. Da ihm von der ARGE die Mittel gestrichen worden seien - auch das Blindengeld - könne er
auch nicht mehr wie früher Personen zu Hilfe nehmen zur Kenntniserlangung des Schriftverkehrs. Selber schreiben ginge noch
- es sei ihm gesagt worden - in lesbarer Art. Aus den geschilderten Gründen sei es ihm nicht möglich, den Schriftverkehr zur
Kenntnis zu nehmen und entsprechend darauf zu reagieren. Der Kläger hatte angefragt, ob es möglich sei, ihm die Unterlagen
in für Blinde geeigneter Weise zugänglich zu machen. Dem Kläger wurde sodann in für Blinde geeigneter Form am 15.Juli 2008
bei der Stadt A. Einsicht in die Verwaltungsakten sowie die SG-Akten gewährt. Zu zwei anberaumten Erörterungsterminen des Senats am 26.02.2009 sowie am 08.04.2009 ist der Kläger nicht
erschienen. Trotz gewährter Akteneinsicht hat sich der Kläger zur Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bislang
nicht geäußert. Der weitere Versuch einer telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Kläger durch Besprechung seines Anrufbeantworters
blieb ebenfalls ohne Erfolg.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des SG Würzburg vom 19.10.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 08.11.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung
ab Antragstellung 13.12.2004 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Würzburg vom 19.10.2006 als unzulässig zu verwerfen.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Schreiben des Klägers vom 31.05.2007 an das SG Würzburg ist als Einlegung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des
SG Würzburg vom 19.10.2006 zu werten. Gleichzeitig beantragt der Kläger in diesem Schreiben die Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand.
Die Berufung ist unzulässig, denn sie ist verfristet. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor.
Gemäß §
151 Abs
1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bzw. des Gerichtsbescheides schriftlich oder zur Niederschrift
des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Landessozialgericht einzulegen. Die Berufungsfrist ist gemäß §
151 Abs
2 Satz 1
SGG auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht eingelegt wird. Der Kläger hat jedoch erst mit
Schreiben vom 31.05.2007 beim SG Würzburg Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 19.10. 2006 eingelegt und damit erkennbar
verspätet. Gründe für eine Wiedereinsetzung nach §
67 SGG sind ebenfalls nicht ersichtlich. Gemäß §
67 Abs
1 SGG ist einem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne sein Verschulden verhindert war, eine
gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Kläger hat auf entsprechende Anfragen des Senats nicht reagiert und erst im Rahmen
der Ladung zur mündlichen Verhandlung im Jahr 2008 telefonisch mitgeteilt, dass er seit Rentenantragstellung so gut wie erblindet
sei und er seit einiger Zeit auch nicht mehr am Computer durch extreme Vergrößerung der Schrift etwas lesen könne. Auch sei
sein Lesegerät durch einen Wasserschaden defekt. Die ARGE habe ihm sämtliche Mittel gestrichen. Der Kläger hat aber nicht
mitgeteilt und auch nicht glaubhaft gemacht, dass seine Hilfsmittel bereits im Oktober 2006, als ihm der Gerichtsbescheid
des SG Würzburg zugestellt wurde, defekt gewesen wären und er damit gehindert gewesen wäre, rechtzeitig und in ausreichender
Form vom Gerichtsbescheid des SG Würzburg Kenntnis zu erlangen. Darüber hinaus besteht unter Berücksichtigung des Bescheides
des Versorgungsamtes W. vom 25.10.2002 bereits seit dem Jahr 2002 eine Erblindung im rechtlichen Sinne, die die Zuerkennung
eines GdB von 100, Merkzeichen B, G, Bl, H und RF gerechtfertigt hat. Gleichwohl war der Kläger der Meinung, seine Angelegenheiten
noch selbst regeln zu können und hierfür auch Hilfspersonen in Anspruch zu nehmen. Er hat keinerlei Angaben gemacht, ob im
Zeitpunkt der Zustellung des Gerichtsbescheides im Oktober 2006 ihm diese Möglichkeiten verwehrt gewesen waren oder ob er
zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr) über Hilfspersonen hätte verfügen können. Die vom Senat durchgeführten Versuche zur weiteren
Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf die Frage des Vorliegens von Gründen zur Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand blieben sämtlich erfolglos. Darüber hinaus hatte die Beklagte den Kläger bereits im Widerspruchsbescheid vom 31.08.2004
darauf hingewiesen, dass sein Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.09.2003 als Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X gewertet und eine entsprechende Überprüfung durchgeführt würde, wenn der Kläger die erforderlichen Unterlagen zur Prüfung
der rentenrechtlich noch fraglichen Zeiten vorlegen würde. Auch dies ist bis zum heutigen Tag nicht geschehen, so dass der
Kläger auch diese im Jahr 2004 bereits angebotene Möglichkeit zur Erlangung einer Rentenzahlung nicht versucht hat.
Selbst wenn aufgrund der Erblindung des Klägers und der eingeschränkten Möglichkeiten der Kommunikationsaufnahme ein Grund
für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinne des §
67 SGG gesehen werden müsste, wäre die Berufung zwar dann als zulässig anzusehen. Sie wäre jedoch unbegründet, da das SG Würzburg
mit dem Gerichtsbescheid vom 19.10.2006 die Klage zu Recht als verfristet abgewiesen hat. Der Kläger hat die Klagefrist von
einem Monat ab Zustellung des Widerspruchsbescheides nach §
87 SGG versäumt und hat eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weder beantragt noch hierzu entsprechende Gründe vorgetragen
und glaubhaft gemacht. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Würzburg vom 19.10.2006 war deshalb in jedem Fall zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.