Einstweiliger Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren; Aussetzung der Vollziehung bei Beitragsbescheiden
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung, die mit Bescheid der
Antragsgegnerin vom 2. Oktober 2007 in Höhe von 133.229,78 Euro aufgrund der im April 2007 beim Antragsteller durchgeführten
Betriebsprüfung gefordert werden. Der Prüfzeitraum umfasst die Zeit vom 1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2006. Die Beitragsforderung
betrifft beim Antragsteller beschäftigte approbierte Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker, die Beiträge
zu den jeweiligen berufsständischen Versorgungseinrichtungen entrichten, für die ärztliche Tätigkeit gemäß §
6 Abs.
1 S. 1
SGB VI von der Rentenversicherung befreit sind und vom Antragsteller als Ausbilder mit Unterrichtsverpflichtung beschäftigt werden.
Zur Begründung des Widerspruchs wurde vorgetragen, die beschäftigten Ärzte und Apotheker seien von der Rentenversicherung
befreit, da eine berufstypische Beschäftigung vorläge. Im Übrigen habe die Antragsgegnerin die Befreiungsbescheide nicht aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wies mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2008 den Widerspruch als unbegründet zurück, sie ist der Auffassung,
die Befreiung nach §
6 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGB VI sei auf die jeweilige Beschäftigung oder Tätigkeit beschränkt, so dass berufsfremde Tätigkeiten von der Befreiung nicht erfasst
würden. Die Befreiung erfolge nicht personen- sondern tätigkeitsbezogen. Daher sei eine Beschäftigung als Ausbilder mit Unterrichtsverpflichtung
nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht geeignet die Befreiung zu rechtfertigen, es handle sich vielmehr bei
der Tätigkeit als Lehrkraft um eine berufsfremde Beschäftigung, die zur Beitragspflicht in der Rentenversicherung führe. Die
als Ausbilder mit Unterrichtsverpflichtung beschäftigten Arbeitnehmer seien nicht als Arzt bzw. Apotheker tätig, da sie nicht
diesem Berufsbild typische Tätigkeiten beim Antragsteller verrichteten.
Dagegen erhob der Antragsteller Klage und beantragte gleichzeitig die sofortige Fälligkeit der durch den Widerspruchsbescheid
angeordneten Zahlung von 133.229,78 Euro einschließlich der Aussetzungszinsen von 2.619,00 EUR bis zur Entscheidung der Sache
aufzuschieben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf das Vorbringen im Widerspruchsverfahren Bezug genommen.
Das Sozialgericht Bayreuth hat mit Beschluss vom 31. Juli 2008 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage
abgelehnt, dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt und den Streitwert mit Beschluss vom 7. August 2008 auf 44.400,00
Euro festgesetzt.
Das Sozialgericht war der Auffassung, der Antrag sei nicht begründet da weder ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Bescheides bestehen, noch eine unbillige nicht durch öffentliches Interesse gedeckte Härte vorliege. Die Befreiung des §
6 SGB VI gelte nur für Beschäftigungen für die sie ausgesprochen sei und daher nicht für die Beschäftigung der Ärzte und Apotheker
bei dem Antragstellerin als Berufsausbilder mit Unterrichtsverpflichtung. Es seien im Übrigen auch keine Interessen des Antragstellers
erkennbar, die gegenüber den öffentlichen Interessen an einer Zahlung vorrangig seien.
Mit der Beschwerde begehrt der Antragsteller die Aufhebung des Beschlusses vom 31.08.2008 und die Herstellung der aufschiebenden
Wirkung der Klage. Er hält die Entscheidung der Antragsgegnerin und des Sozialgerichts für fehlerhaft, da unberücksichtigt
geblieben sei, dass für dieselben Tätigkeiten der betroffenen Ärzte und Ärztinnen sowie der Apotheker und Apothekerinnen bereits
Beiträge zu den berufsständischen Versorgungseinrichtungen entrichten werden und deshalb der Antragsteller mit einer doppelten
Beitragspflicht belastet wäre. Die Betroffenen übten nur eine Tätigkeit beim Antragsteller hauptberuflich aus und seien für
diese Tätigkeit durch die Befreiungsbescheide von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung befreit. Bei früheren Betriebsprüfungen
habe die Antragsgegnerin dies nicht beanstandet und im Übrigen habe sie es unterlassen, die Befreiungsbescheide aufzuheben.
Der Antragsteller wies auf Entscheidungen der Antragsgegnerin gegenüber den Beschäftigten des Antragstellers Frau H. und Frau
R. vom März 2008 bzw. März 2009 hin, bei denen die Antragsgegnerin festgestellt habe, dass die Tätigkeit als hauptamtliche
Lehrkraft eine berufsspezifische Beschäftigung als Apothekerin bzw. Ärztin darstelle, so dass die Befreiung weiter gelte.
Die Antragsgegnerin hält hingegen die Entscheidung des Sozialgerichts Bayreuth für zutreffend. Die vom Antragsteller vorgetragenen
Argumente gingen über den Umfang einer summarischen Prüfung hinaus und würden bereits teilweise die Erörterungen der Hauptsache
vorwegnehmen. Von einer Befreiung nach §
6 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGB VI würden nur die berufstypischen Tätigkeiten erfasst, die zur Befreiung geführt hätten, dies sei jeweils die Tätigkeit als
Arzt oder Apotheker und nicht die Unterrichtsverpflichtung beim Antragsteller. So habe dies auch das Bundessozialgericht in
der Entscheidung vom 7. Dezember 2000 (Az.: B 12 RA 2/99 R) gesehen. Die Bindungswirkung des Befreiungsbescheides erstrecke sich nicht auf sämtliche Tätigkeiten oder Beschäftigungen
des von der Versicherungspflicht Befreiten sondern nur auf die berufstypische Tätigkeit, wobei diese nicht bereits dann vorliege,
wenn die Tätigkeit Fachwissen voraussetze. Eine Lehrtätigkeit im vorliegenden Umfang sei weder für den Beruf des Apothekers
noch des Arztes typisch. Eine unbillige Härte bei Vollziehung der Forderung konnte die Antragsgegnerin nicht erkennen, beantragte
aber gegebenenfalls eine Sicherungsabtretung der Forderung gegenüber den Versorgungskassen bzw. beantragte im Falle der Aussetzung
der Vollziehung diese bis zum Abschluss der ersten Instanz zu begrenzen und die Forderung mit 4. v.H. zu verzinsen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat ist zulässig und überwiegend
begründet (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Nach §
86a Abs.
2 SGG entfällt die sonst grundsätzlich eintretende aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage (§
86a Abs.
1 SGG) bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und
sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten (§
86a Abs.
2 Ziff. 1
SGG) ebenso wie bei den hier nicht in Betracht kommenden sonstigen in §
86a Abs.
2 SGG abschließend aufgezählten Fällen. Dabei kann in diesen Fällen des §
86a Abs.
2 SGG die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder die über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung ganz
oder teilweise aussetzen (§
86a Abs.
3 S. 1
SGG). Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage
keine aufschiebende Wirkung haben, ganz oder teilweise anordnen (§
86b Abs.
1 Ziff. 2
SGG).
Nach §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG soll die Aussetzung in den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen
Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts
bestehen, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg oder nach anderer Auffassung, der Erfolg
mindestens ebenso wahrscheinlich wie ein Misserfolg ist. Dabei ist als Erwägung auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber
in §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG das Vollzugsrisiko bei Abgabebescheiden bewusst auf den Adressaten verlagert hat, um die notwendigen Einnahmen der öffentlichen
Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben sicherzustellen. Diese gesetzliche Risikoverteilung würde unterlaufen, wenn bei offenem
Ausgang des Hauptsacheverfahrens die Vollziehung ausgesetzt würde (vgl. Keller in Meyer-Ladewig,
SGG, §
86a Anm. 27). Das Gesetz bringt also zum Ausdruck, dass in den Fällen des §
86a Abs.
2 SGG das Vollziehungsinteresse in der Regel vorrangig ist.
Die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes erfordert außerdem eine Interessenabwägung der relevanten öffentlichen und privaten
Belange bei Gewährung oder Nichtgewährung des vorläufigen Rechtsschutzes sowie eine Abschätzung der Erfolgsaussichten in der
Hauptsache. Die vom Gesetz geforderte unbillige Härte liegt z.B. vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile
entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wieder gutgemacht werden können, dabei muss
der Antragsteller insoweit konkrete Angaben machen (Keller in Meyer-Ladewig,
SGG, §
86a Anm. 27b).
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts. Dies ergibt
sich zum einen aufgrund des widersprüchlichen Verhaltens der Antragsgegnerin, die offenbar in Überprüfung der Befreiungsbescheide
anderer ebenfalls als Ärzte oder Apotheker beschäftigter Lehrpersonen zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Tätigkeit beim
Antragsteller eine berufsspezifische Beschäftigung als Ärztin oder Apothekerin darstellen kann. Hinzukommt, dass es zur Frage
der Definition der berufsspezifischen Tätigkeit im Sinne von §
6 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGB VI weder in Rechtsprechung noch in der Literatur vergleichbare Entscheidungen gibt und ein Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht
anhängig ist zur Frage ob ein als Pharmaberater tätiger approbierter Tierarzt, Arzt oder Apotheker eine berufstypische Tätigkeit
ausübt und deshalb für diese Tätigkeit die früher ausgesprochene Befreiung fortwirkt.
Im Hinblick auf die zu klärenden Fragen erscheint es deshalb unbillig, wenn der Antragsteller bereits während des Hauptsacheverfahrens
in erster Instanz verpflichtet wäre, die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Beschäftigten zu entrichten,
zumal er ja bereits glaubhaft dargelegt hat, dass Beiträge zu den jeweiligen Versorgungswerken bereits bezahlt worden sind
und er deshalb mit einer doppelten Beitragszahlung belastet wäre.
Deshalb ist es in diesem Fall anders als in den vom Gesetzgeber erfassten Regelfällen gerechtfertigt, die aufschiebende Wirkung
der Klage begrenzt für das Verfahren vor dem Sozialgericht anzuordnen.
Da die Antragsgegnerin durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung für die Zeit des gerichtlichen Verfahrens auf die ihr
zustehenden Beiträge verzichtet, ist es gerechtfertigt, im Falle der für die Antragsgegnerin günstigen Entscheidung die nachzuzahlenden
Beiträge mit 4 v.H. zu verzinsen. Dies entspricht der Regelung wie sie im umgekehrten Falle auch für den Antragsteller bei
fehlender aufschiebender Wirkung gegolten hätte. Dies entspricht auch dem erstinstanzlichen Begehren der Antragsgegnerin vom
22. Juli 2008.
Die Beschwerde des Antragstellers hat daher in wesentlichem Umfang Erfolg, so dass der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth
vom 31. Juli 2008 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a Abs.
1 SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 VwGO und beruht auf der Erwägung, dass der Antragsteller im Wesentlichen mit seinem Antrag obsiegt.
Der Streitwert entspricht dem, den das Sozialgericht für das Antragsverfahren festgesetzt hat (§§ 1 Nr. 4, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4, 47 Abs. 2 GKG) und errechnet sich wegen des vorläufigen Charakters des Antrags- und Beschwerdeverfahrens mit einem Drittel der streitigen
Nachforderung.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht eröffnet (§
177 SGG).