Fahrtkostenübernahme für einen schwerbehinderten Schüler als Leistung der Eingliederungshilfe
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme von Fahrtkosten für den Zeitraum vom 16.12.2016 bis Ende des Schuljahres 2018 streitig.
Der 2007 geborene Kläger ist schwerbehindert (Grad der Behinderung 100, Merkzeichen "G", "B", "H"; Bescheid des Zentrums Bayern
Familie und Soziales vom 14.03.2008). Er leidet unter Morbus Down mit einem Herzfehler, Hypothyreose, einer kombinierten Entwicklungsstörung
und Inkontinenz. Seit dem Schuljahr 2014/2015 besucht er die A-Schule, A-Str., A-Stadt (J). J ist eine staatlich genehmigte
private Grundschule mit Ganztagsangebot, insbesondere mit pädagogischer Nachmittagsbetreuung. Ab dem Schuljahr 2016/2017 erfolgte
die Nachmittagsbetreuung des Klägers im Hort (A-Hort; im Folgenden: JH) unter der oben genannten Adresse.
Mit Schreiben vom 10.03.2014 beantragte der Kläger durch seine Eltern die individuelle Schulbegleitung im Rahmen der Eingliederungshilfe.
Mit Bescheid vom 05.06.2014 bewilligte der Beklagte für das Schuljahr 2014/2015 Leistungen für einen Schulbegleiter und lehnte
die Schulbegleitung während des Schulweges ab. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Der Kläger benötige für den Schulweg
eine Begleitung.
Auf entsprechenden Verlängerungsantrag hin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 08.07.2015 (in Bezug auf den wöchentlichen
Stundenumfang abgeändert durch Bescheid vom 15.09.2016) für die Schuljahre 2015/16 und 2016/17 weiter einen Schulbegleiter
für die Unterrichtszeit im Rahmen des Ganztagesangebots. Der Antrag auf Schulwegbegleitung wurde erneut abgelehnt.
Auch gegen den Bescheid vom 08.07.2015 legte der Kläger durch seine Eltern Widerspruch ein. Die beantragte individuelle Schulwegbegleitung
sei zu Unrecht abgelehnt worden. Nur aufgrund seiner Behinderung sei der Kläger nicht in der Lage, den Schulweg selbstständig
mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen. Ohne Behinderung könne der Kläger wie die anderen Kinder auch den Schulweg
mit den von der Schule finanzierten Verkehrsmitteln nach entsprechender Einweisung bewältigen. Die Haltestelle befinde sich
unmittelbar in der Nähe des Schulgebäudes. Der aktuelle Hilfebedarf Schulweg könne durch Kostenübernahme eines individuellen
Fahrdienstes oder durch individuelle Schulwegbegleitung bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel abgedeckt werden. Letzteres
werde gewünscht und auch beantragt. Denn die individuelle Schulwegbegleitung durch den Schulbegleiter bedeute für den Kläger
ein regelmäßiges Schulwegtraining, das ihm mittel- bis langfristig die Chance eröffne, den Schulweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln
selbstständig zu meistern.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2015 wies die Regierung von Mittelfranken den Widerspruch "wegen Ablehnung der Begleitung
auf dem Schulweg" zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Widerspruch sei bereits unzulässig, weil für das Schuljahr 2014/2015
wegen des Zeitablaufs für diese Zeitspanne nicht nachträglich ein Schulwegbegleiter gewährt werden könne. Eine Hilfegewährung
komme in Betracht, wenn dadurch das Ziel verfolgt werde, dass der Leistungsberechtigte dazu befähigt werden solle, den Schulweg
alleine zu bewältigen. Eine Schulwegbegleitung solle allenfalls eine zeitlich begrenzte Maßnahme darstellen. Aufgrund des
aktuellen Entwicklungsstandes des Klägers sei noch nicht absehbar, dass eine solche Art von Training derzeit für ihn erfolgreich
sein könne. Schon im begrenzten Raum des Schulhauses habe der Kläger Probleme, die immer wieder gleichen Wege zu bewältigen.
Es stehe außer Frage, dass der Kläger lerne und die individuelle Schulwegbegleitung langfristig zum Erfolg führen könne. Doch
nach der derzeitigen Prognose sei frühestens gegen Ende der Grundschulzeit oder zu Beginn der Hauptschulzeit mit diesem Entwicklungsstand
zu rechnen.
Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 19.11.2015 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG), die dort unter dem Aktenzeichen - Az. - S 5 SO 206/15 geführt wurde.
Mit Bescheid vom 24.03.2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger vom 01.02.2017 bis längstens 31.01.2018 im Rahmen der angemessenen
Schulbildung Leistungen für das Schulwegtraining mit einer Schulwegbegleitung. Es werde der Einsatz einer qualifizierten Hilfskraft
zum derzeit vereinbarten Stundensatz in Höhe von 31,32 € bewilligt. Vom 01.02.2017 bis längstens 31.01.2018 werde eine Schulwegbegleitung
im Umfang von bis zu 2,5 (Zeit) Stunden wöchentlich (30 Minuten pro Tag) bezogen auf die benötigte Zeit für die Bewältigung
des Schulwegs genehmigt.
Die Klage S 5 SO 206/15 wurde im Erörterungstermin beim SG vom 17.07.2017 im Hinblick auf die Bewilligung durch Bescheid vom 24.03.2017 für erledigt erklärt.
Mit Bescheid vom 19.09.2016 (und dann mit Bescheid vom 21.08.2017) bewilligte der Beklagte "aufgrund eines umfassenden heilpädagogischen
Betreuungsbedarfs" Eingliederungshilfe im Umfang der Regelleistung im integrativen Hort der J ab dem 13.09.2016 bis vorerst
31.08.2017 (und dann mit Bescheid vom 21.08.2017 für den Zeitraum vom 01.09.2017 bis vorerst 31.08.2018) zu den jeweils gültigen
Entgeltsätzen sowie die Kosten für den Einsatz eines Integrationshelfers in Form einer qualifizierten Hilfskraft im Hort für
wöchentlich bis zu vier (Zeit) Stunden. Die Anwesenheitszeit im integrativen Hort solle täglich mindestens 4 Stunden betragen.
Zur Begründung führte der Beklagte aus, es würden die mit der Einrichtung vereinbarten Regelleistungen bewilligt. Es werde
der Einrichtung eine Erhöhung der Personalausstattung finanziert, die der Erhöhung des Gewichtungsfaktors von 4,5 nach Art.
21 Abs. 5 Satz 2 Bayerisches Kinderbildungs- und Betreuungsgesetzes (BayKiBiG) bei einer durchschnittlichen Buchungszeit von 6 Stunden auf 5,5 entspreche. Darüber hinaus müsse die Einrichtung
einen Fachdienst (zum Beispiel Heilpädagogen) im Umfang von mindestens 50 Stunden jährlich für die heilpädagogische Förderung
des Kindes bereitstellen. Damit die Ziele der Eingliederungshilfe erreicht werden könnten, sei es notwendig, dass die integrative
Tageseinrichtung mindestens 4 Stunden täglich besucht werde. Zusätzlich würden die Kosten für den Einsatz eines Integrationshelfers
im integrativen Hort übernommen. Die Begleitung werde durch den Verein für Menschen (V), A-Stadt, sichergestellt.
Mit Schreiben vom 28.09.2016 beantragte der Kläger als Leistung der Eingliederungshilfe die Kostenübernahme für die tägliche
Beförderung und Begleitung durch einen Behindertenfahrdienst von JH zum Wohnort ab dem 13.09.2016, so lange der Kläger den
Hort besuche und dort Eingliederungshilfe erhalte.
Mit Bescheid vom 21.12.2016 übernahm der Beklagte in Ausführung eines Eilbeschlusses des SG vom 05.12.2016, S 5 SO 192/16 ER und eines vor dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) am 29.03.2017 im Verfahren L 18
SO 9/17 B ER geschlossenen Vergleichs die Fahrtkosten für die Beförderung des Klägers auf dem Weg von JH nach Hause längstens
bis zum Ende des Schuljahres 2016/2017.
Mit Bescheid vom 23.03.2017 (Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 11.07.2017) lehnte der Beklagte den
Antrag vom 28.09.2016 auf Übernahme der Beförderungskosten vom Hort zur Heimatadresse ab. Bei dem Besuch des JH handele es
sich nicht um eine vollumfängliche Eingliederungshilfemaßnahme. Die bewilligten Leistungen stellten lediglich eine Zusatzfinanzierung
zum Ausgleich des behinderungsbedingten Bedarfes dar. Insofern bestehe kein Anspruch auf Übernahme der Beförderungskosten
als Annexleistung im Rahmen der Hilfe zur Schulausbildung nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII.
Dagegen hat der Kläger Klage zum SG erhoben, die dort unter dem Az. S 5 SO 114/17 geführt wird.
Der Kläger hatte erstinstanzlich beantragt, dass die vom 16.12.2016 bis Ende des Schuljahres 2018 vorläufig bewilligten Fahrtkosten
vom Beklagten endgültig bewilligt werden.
Mit Urteil vom 11.09.2017 hat das SG den Bescheid des Beklagten vom 23.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Mittelfranken vom 11.07.2017
aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, die Kosten für die anwesenheitstägliche individuelle Beförderung des Klägers von
JH nach Hause im Zeitraum vom 16.12.2016 bis 31.08.2018 endgültig zu übernehmen. Der Kläger habe Anspruch auf Bewilligung
von Fahrtkosten im Zeitraum vom 16.12.2016 (erste tatsächlich erfolgte Fahrt) bis zum 31.08.2018 für alle Tage, in denen er
im Hort anwesend sei und entsprechende Fahrtkosten für die Fahrt vom Hort nach Hause anfielen. Der Anspruch sei eine Annexleistung
zu dem als Eingliederungshilfe bewilligten Hortbesuch. Der Beklagte habe dem Kläger mit Bescheiden vom 19.09.2016 und 21.08.2017
ausdrücklich Eingliederungshilfe im Umfang der Regelleistungen im integrativen Hort ab dem 13.09.2016 bzw. ab dem 01.09.2017
(bis vorerst 31.08.2018) bewilligt, so dass der Besuch des Hortes durch den Antragsteller rechtlich ohne Einschränkung als
Eingliederungsmaßnahme zu bewerten sei. Diese rechtliche Bewertung erfolge unabhängig davon, in welchem konkreten Umfang Eingliederungsmaßnahmen
im Hortbereich dem Antragsteller angeboten würden und ob während des täglichen Hortbesuchs nur einige Elemente der pädagogischen
Arbeit den Charakter von Eingliederungsmaßnahmen hätten. Auch die formale Argumentation des Beklagten auf der Grundlage der
gesetzlichen Förderregelungen nach dem BayKiBiG sei im Ergebnis ohne Bedeutung. Handele es sich bei dem Besuch des JH um eine
Maßnahme der Eingliederungshilfe, dann müssten auch die notwendigen Fahrtkosten zur Inanspruchnahme dieser Eingliederungsmaßnahme
vom Träger der Eingliederungshilfe übernommen werden. Solche Annexleistungen seien unabhängig vom elterlichen Einkommen oder
Vermögen zu gewähren. Die nachmittäglichen Fahrten des Klägers mit dem Taxi von JH nach Hause seien notwendig; der Kläger
selbst sei behinderungsbedingt noch nicht in der Lage, den Weg vom Hort nach Hause selbständig unter Zuhilfenahme des öffentlichen
Nahverkehrs zu bewältigen. Ohne die Inanspruchnahme eines Taxis könnte der Kläger den Hort nicht besuchen; die Übernahme der
Fahrtkosten ermögliche es dem Kläger daher, die für ihn notwendige Eingliederungsmaßnahme (Hortbesuch) in Anspruch zu nehmen.
Dagegen hat der Beklagte Berufung eingelegt und ausgeführt, der Besuch eines Hortes sei keine Maßnahme der Eingliederungshilfe.
Es handele sich nicht um eine Tageseinrichtung für behinderte Menschen. Somit scheide auch die Kostenübernahme der Fahrtkosten
im Rahmen der Eingliederungshilfe als Annexleistung aus. Ob eine Erforderlichkeit des Besuchs des JH zur Absolvierung der
allgemeinen Schulpflicht bestehe, bleibe im vorliegenden Fall ungeklärt. Bei dem Hort handele es sich um eine Tageseinrichtung
im Sinne des § 22 SGB VIII. Horte seien entsprechend Art. 2 BayKiBiG Kindertageseinrichtungen. Sie seien außerschulische Tageseinrichtungen und dienten der regelmäßigen Bildung. Die
Förderleistungen für Kindertageseinrichtungen seien im BayKiBiG geregelt. Mit dem erhöhten Gewichtungsfaktor werde die Kindertageseinrichtung
darin unterstützt, u. a. die Voraussetzungen für die Aufnahme von Kindern mit Behinderung zu schaffen (Reduzierung der Anzahl
der aufgenommenen Kinder, Beschäftigung von zusätzlichem Personal etc.) und eine intensivere Betreuung sicherzustellen. Eine
Auftrennung in unterschiedliche Bereiche des Horts für Behinderte und Nichtbehinderte sei nicht möglich und widerspräche allen
Gedanken zur Inklusion. Das Angebot der J richte sich an Regelgrundschüler als Ganztagesangebot. In diesem Hort würden weniger
als drei Kinder mit Behinderung betreut. Nach der Legaldefinition des Art. 2 Abs. 3 BayKiBiG sei diese Einrichtung somit nicht
als integrative Einrichtung zu klassifizieren. Die gewährte Eingliederungshilfe im Hort sei lediglich eine zusätzliche Finanzierung,
um einen behinderungsbedingten Ausgleich zu schaffen. Es handele sich nicht um eine vollumfängliche Eingliederungshilfeleistung.
Vielmehr sei die Eingliederungshilfe im Hort als ergänzende Hilfe zu betrachten. Diese Hilfe könne in jedem Hort erbracht
werden, sofern eine entsprechende Leistungs- und Vergütungsvereinbarung mit dem Bezirk Mittelfranken vorliege.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.09.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.09.2017 zurückzuweisen und die Revision zuzulassen.
Der Kläger verweist darauf, dass ihm Eingliederungshilfe als privilegierte Leistung bewilligt worden sei. Behinderungsbedingt
könne er weder seinen Schulweg noch den Rückweg vom Hort alleine bewältigen. Der Kläger habe einen Rechtsanspruch auf Beförderung
auf dem Rückweg vom Hort zum Wohnort im Rahmen der Eingliederungshilfe. Die notwendige Begleitung und Beförderung zur Teilnahme
an einer Eingliederungsmaßnahme gehöre zum notwendigen Hilfebedarf, der zusammen mit der Maßnahme abzudecken sei. Unterhaltspflichten
der Eltern träten generell hinter privilegierte Leistungen der Eingliederungshilfe zurück.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen, der beigezogenen
SG-Akten der Verfahren S 5 SO 192/16 ER, S 5 SO 206/15 und S 5 SO 242/16 ER, der LSG-Akte L 18 SO 9/17 B ER sowie der ebenfalls
beigezogenen Akten des Beklagten (4 Bände) und der Regierung von Mittelfranken Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §
151 Abs.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte und auch ansonsten zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 23.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.2017,
mit dem der Beklagte den Antrag vom 28.09.2016 auf Übernahme der Beförderungskosten vom Hort zur Heimatadresse abgelehnt hat.
Streitgegenstand ist ausweislich des erstinstanzlich gestellten Antrags des Klägers die endgültige Bewilligung der vom Beklagten
vorläufig bewilligten Fahrtkosten für die Zeit vom 16.12.2016 bis 31.08.2018 (Ende des Schuljahres 2018). Begehrt werden nur
die Kosten für die Fahrten von JH zum Wohnsitz des Klägers, Kosten für den Schulweg von zu Hause zu J sind nicht Gegenstand
dieses Rechtsstreits (§
123 SGG). Dies wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klägerseits nochmals ausdrücklich erklärt und ergibt sich im Übrigen
aus dem erwähnten erstinstanzlich gestellten Antrag. Der Kläger verfolgt sein auf Übernahme von Beförderungskosten gerichtetes
Begehren mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und 4
SGG).
Der beklagte Bezirk Mittelfranken ist richtiger Gegner des Verfahrens. Er ist sachlich und örtlich zuständiger Träger für
die sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe (§ 97 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, Art. 82 Abs. 1 Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze - AGSG - vom 08.12.2006).
Rechtsgrundlagen des klägerischen Begehrens auf Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung in Form der Gewährung von Schülerbeförderungskosten
für die Zeit vom 16.12.2016 bis 31.08.2018 sind § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (in der Fassung vom 27.12.2003), § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII (in der Fassung vom 23.12.2016) und § 12 Nr. 1 EinglHV (in der Fassung vom 27.12.2003) i.V.m. § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2011) i.V.m. § 19 Abs. 3 SGB XII (in der Fassung in der Fassung vom 24.03.2011).
Danach erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von §
2 Abs.
1 Satz 1 des
Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung
bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach
Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann (§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach §
140 und neben den Leistungen nach den §§
26 und
55 des
Neunten Buches in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen
der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen
über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII). Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung umfasst auch heilpädagogische und sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich
und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen
den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung - EinglhV -).
I.
Der Kläger erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist. Er gehört zu den Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von §
2 Abs.
1 Satz 1 des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind bzw. von einer solchen wesentlichen Behinderung
bedroht sind und hat - was zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig ist - dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen der
Eingliederungshilfe gemäß den §§ 53, 54 SGB XII. Die Beförderung durch einen Behindertenfahrdienst, um deren Kosten es vorliegend geht, war individuell geeignet, dem Kläger
den Besuch von J und JH zu ermöglichen. Ein Einsatz von Einkommen und Vermögen der Eltern ist im Rahmen der hier streitigen
Hilfe zur angemessenen Schulbildung nicht zu prüfen (§ 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII). Bei dem Besuch von J handelt es sich auch um eine angemessene Schulbildung im Sinne des § 12 EinglhV (vgl. zur angemessenen Schulbildung BSG vom 23.08.2012, B 8 SO 10/12 R juris Rn 21; vom 22.03.2012, B 8 SO 30/10 R juris Rn 21; zur angemessenen Schulbildung auch
LSG Baden-Württemberg vom 29.06.2017, L 7 SO 5382/14 juris Rn 23; zum Verhältnis von pädagogischer Arbeit und Leistungen der
Sozialhilfe BSG vom 15.11.2012, B 8 SO 10/11 R juris Rn 16 f). Mit Blick auf das Ganztagsangebot der J mit reformpädagogischem Konzept (vgl.
dazu Schreiben der J vom 06.05.2014; https://www...org/) hat der Senat keine Zweifel, dass auch der Besuch des JH als Teil
einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 12 EinglhV fungiert.
II.
Die dem vorliegenden Berufungsverfahren zugrunde liegende Klage war nicht schon deshalb unbegründet, weil der Beklagte die
Schulbewegbegleitung abgelehnt hatte. Streit- und verfahrensgegenständlich ist vorliegend, wie ausgeführt, die vom Beklagten
abgelehnte Bewilligung der Fahrtkosten zur Beförderung des Klägers von JH nach Hause als Leistung der Eingliederungshilfe
für den Zeitraum ab 13.09.2016 (Regelungsgegenstand des verfahrensgegenständlichen Bescheids vom 23.03.2017 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 11.07.2017). Mit Bescheid vom 08.07.2015 (für die Schulbegleitung abgeändert mit Bescheid vom
15.09.2016, Widerspruchsbescheid vom 22.10.2015) hatte der Beklagte lediglich den Antrag auf Schulbewegbegleitung abgelehnt.
Obwohl die genannten Bescheide (unter anderem) jeweils auf Hilfeleistungen abzielen, die den Schulweg betreffen, handelt es
sich um verschiedene Maßnahmen der Eingliederungshilfe und damit auch um verschiedene Regelungen im Sinne des § 31 SGB X. Die mit Rücknahme der Klage im Verfahren S 5 SO 206/15 eingetretene Bestandskraft des Bescheides vom 08.07.2015 stand mithin
einem Erfolg der vorliegenden Klage nicht entgegen. Entsprechendes gilt für den Bescheid vom 24.03.2017. Der Bescheid betraf
nur den Schulweg, also den Weg zu J; ferner ging es auch hier um Leistungen für das Schulwegtraining im Sinne einer Schulwegbegleitung
und nicht um die hier streitigen Beförderungskosten. Im Übrigen hatte der Kläger mit Schreiben vom 28.09.2016 die Kostenübernahme
für die tägliche Beförderung durch einen Behindertenfahrdienst von JH nach Hause für die Zeit ab dem 13.09.2016 neu beantragt,
so dass insofern auch eine neue, rechtsbehelfsfähige Entscheidung des Beklagten zu treffen war, die mit den hier verfahrensgegenständlichen
Bescheiden vorliegt.
III.
Die Klage war aber unbegründet, weil die Übernahme der Fahrtkosten von JH nach Hause nicht erforderlich war, so dass dem Kläger
kein Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten zusteht.
1. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit gelten folgende Grundsätze: Durchzuführen ist eine Prüfung der Erforderlichkeit in
einer Gesamtschau unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles (konkrete Erforderlichkeit). Denn dem Merkmal
der Erforderlichkeit liegt ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde, das eine am Einzelfall orientierte, individuelle
Beurteilung verlangt (vgl. BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 8 jeweils Rn 21; BSG SozR 4-1500 § 130 Nr. 4 Rn 18; BSG SozR 4-3500 § 53 Nr. 5 Rn 26). In Betracht kommen grundsätzlich alle Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer geeigneten
Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mindern und so das im Gesetz formulierte
Ziel der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erreichen (vgl. Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, 19. Erg.-Lfg. II/10, § 54 SGB XII Rn. 41, 44). Eine Eingliederungshilfemaßnahme ist erforderlich, wenn sie aufgrund der Behinderung im konkreten Fall geboten
ist. Die Prüfung der Erforderlichkeit setzt voraus, dass die begehrte Maßnahme nicht alternativlos ist, d.h., dass es mehrere
geeignete Maßnahmen gibt. Besteht nur eine geeignete Maßnahme, ist diese denknotwendig auch erforderlich, eine Prüfung der
Verhältnismäßigkeit kann dann nur noch auf der Stufe der Angemessenheit erfolgen (vgl. zur gestuften Verhältnismäßigkeitsprüfung
statt vieler Tammen in Berlit / Conradis / Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl. 2013, Kap. 14 Rn 16 ff).
2. Dies zugrunde gelegt ist die Übernahme der Kosten der Beförderung vorliegend nicht erforderlich. Deshalb besteht kein entsprechender
Anspruch auf Eingliederungshilfe. Der Fahrtkostenaufwand von JH zum Wohnsitz des Klägers war nicht erforderlich im Sinne des
§ 12 Nr. 2 der EinglhV, weil es andere wohnsitznähere geeignete Einrichtungen gab, die eine angemessene Schulbildung des Klägers
sichergestellt hätten (dazu unter a.), weil der Fahrtkostenaufwand nicht behinderungsbedingt war (b.) und weil es ein besseres,
"geeigneteres" Mittel gab, um den angestrebten Zweck - hier die Erfüllung der Zwecke der Eingliederungshilfe - zu erreichen
(c.). Die Übernahme der Fahrtkosten war auch nicht als "Annexleistung" (d.) geboten.
a. Der Fahrtkostenaufwand von JH zum Wohnsitz des Klägers war nicht erforderlich, weil es andere wohnsitznähere geeignete
Einrichtungen gab, die eine angemessene Schulbildung des Klägers - auch mit Ganztagsangebot - sichergestellt hätten. Es steht
zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass es im Stadtgebiet A-Stadt zahlreiche geeignete und insbesondere auch wohnsitznähere
Einrichtungen gab und gibt, die Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen mit dem Beklagten geschlossen haben oder hätten schließen
können. Dies ergibt sich aus den nachvollziehbaren und vom Kläger nicht substantiiert angegriffenen Darlegungen des Beklagten
sowie aus den Recherchen des Senats (vgl. z.B. https://www...; https://www.ganztagsschulen.org/de/ gts-finder.php). Der Anspruch
des Klägers auf eine angemessene Schulbildung hätte durch den Besuch jeder dieser Einrichtungen, gegebenenfalls im Wege der
inklusiven Beschulung, erfüllt werden können.
Eine schulbehördliche Zuweisung des Klägers liegt nicht vor (vgl. zur eingliederungshilferechtlichen Bedeutung einer schulbehördlichen
Zuweisung LSG Baden-Württemberg vom 29.06.2017, L 7 SO 5382/14 juris Rn 24). Der Kreis der im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung
zu berücksichtigenden Einrichtungen wurde auch nicht durch die dem Kläger erteilten Bescheide des Beklagten eingeschränkt.
Denn diese beinhalten keine Beschränkung auf eine Schulbildung bei J. Die Bewilligung der Eingliederungshilfe diente nach
dem Regelungsgehalt der Bewilligungsbescheide (Schulbegleitung; heilpädagogischer Betreuungsbedarf) nicht der Verwirklichung
einer angemessenen Schulbildung im Sinne der Eingliederungshilfeverordnung gerade bei J. Die Bescheide nennen zwar im Rubrum die J bzw. den JH. Die Begründungen der dem Kläger erteilten Bewilligungsbescheide
geben aber zu erkennen, dass die bewilligten Leistungen unabhängig von der gewählten Schule erfolgten. So wurde mit den Bescheiden
vom 05.06.2014 und vom 08.07.2015 zunächst eine Schulwegbegleitung abgelehnt. Die Begleitung durch einen Integrationshelfer
sollte ausweislich der Bescheide vom 19.09.2016 und 21.08.2017 durch einen externen Anbieter (V) sichergestellt werden, der
auch an jeder anderen Schule tätig werden konnte. Der "Einrichtung" J wurde mit Bescheid vom 19.09.2016 eine Erhöhung der
Personalausstattung finanziert, "die der Erhöhung des Gewichtungsfaktors ... nach Art. 21 Abs. 5 S. 2 BayKiBiG ... entspricht".
Eine entsprechende Finanzierung hätte auch bei jeder anderen geeigneten Einrichtung und nicht nur bei J erfolgen können.
Der Kreis der im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung zu berücksichtigenden Einrichtungen wurde auch nicht durch das Wahlrecht
nach § 9 Abs. 2 SGB XII eingeschränkt. Die Übernahme der Fahrtkosten war daher auch nicht aufgrund des Wahlrechts geboten. Der Kläger bzw. seine
Eltern als gesetzliche Vertreter haben bezüglich des Schulplatzes ein Wahlrecht. Dieses vom Beklagten als Träger der sozialhilferechtlichen
Eingliederungshilfe hinzunehmende (dazu BVerwG vom 26.10.2007, 5 C 35/06 juris Rn 21; LSG Baden-Württemberg vom 29.06.2017, L 7 SO 5382/14 juris Rn 24) Wahlrecht haben sie durch Auswahl der privaten
Schuleinrichtung J als Grundschule für den Kläger ausgeübt. Der Wahl des Klägers hat der Beklagte dadurch Rechnung getragen,
dass er die Eingliederungshilfemaßnahmen "Schulbegleitung" und "heilpädagogischer Betreuungsbedarf" in der J bewilligt hat.
Aus diesem Wahlrecht folgt jedoch keine Pflicht des Sozialhilfeträgers zur Übernahme aller mit der getroffenen Wahl verbundenen
Kosten. Insbesondere der durch den Besuch der gewünschten Privatschule entstehende konkrete Fahrtkostenaufwand kann vielmehr
nur übernommen werden, wenn die entsprechende Beförderung erforderlich ist. Die Erforderlichkeit kann sich z.B. daraus ergeben,
dass im konkreten Fall eine angemessene Schulbildung behinderungsbedingt nur bei einer Einrichtung erreicht werden kann. Das
ist hier aber, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, nicht der Fall. Zur Inanspruchnahme der Eingliederungsmaßnahmen "Schulbegleitung"
und "erhöhter Betreuungsbedarf" ist nicht der Besuch gerade der J erforderlich. Einen - mit der Verwendung des Begriffs Annexleistung
(siehe dazu sogleich unten d.) allerdings suggerierten - Automatismus zwischen bewilligter Eingliederungshilfemaßnahme und
Übernahme von Beförderungskosten gibt es nicht (ähnlich unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Nachrangs von Sozialhilfeleistungen
gemäß § 2 SGB XII LSG Hessen vom 22.11.2010, L 9 SO 7/09 juris Rn 31; zur Angemessenheit LSG Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2010, L 20 B 168/08 SO ER juris 64 ff). Durchzuführen ist vielmehr stets die Prüfung der konkreten Erforderlichkeit der jeweiligen Maßnahme,
also auch der Beförderung und der Übernahme der dadurch entstehenden Kosten. Die Schulauswahl durch die Eltern (vgl. auch
Art. 41 Abs. 1 S. 3 BayEUG: "die Erziehungsberechtigten entscheiden, an welchem der im Einzelfall rechtlich und tatsächlich zur Verfügung stehenden
schulischen Lernorte ihr Kind unterrichtet werden soll") ersetzt nicht die Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen der Eingliederungshilfe
(LSG Bayern vom 02.11.2011, L 8 SO 165/11 B ER juris Rn 29).
Gründe dafür, dass für den Kläger gerade der Besuch der J zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung erforderlich gewesen
wäre, sind nach alledem nicht ersichtlich. Vielmehr steht zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass Eingliederungshilfemaßnahmen
bei J nicht alternativlos waren, d.h. mehrere Schulen zur Verfügung standen, an denen jeweils die dem Kläger bewilligten Eingliederungshilfemaßnahmen
(Schulbegleiter; heilpädagogischer Betreuungsbedarf) durchgeführt hätten werden können. Daraus folgt, dass die Bewilligung
der Übernahme der Fahrtkosten vorliegend nicht schon deshalb erforderlich war, weil dem Kläger eine Schulbegleitung und eine
heilpädagogische Betreuung bewilligt worden waren (zur Möglichkeit der Bewilligung von Fahrtkosten als sog. Annexleistung
siehe unten d.).
b. Der hier fragliche Fahrtkostenaufwand stellt auch deshalb keinen erforderlichen Aufwand im Sinne des § 12 Nr. 2 der EinglhV
dar, weil dieser Aufwand nicht behinderungsbedingt war. Denn nach Einschätzung des Senats wäre auch ein nichtbehindertes Kind
gleichen Alters auf die Beförderung durch Dritte angewiesen gewesen. Vorliegend geht es um die individuelle Beförderung des
Klägers vom Hort der J nach Hause. Zurückzulegen ist ein Weg von 5,8 km durch den Stadtverkehr von A-Stadt (Falk-Routenplaner,
https://www.falk.de/routenplaner?data). Mit öffentlichen Verkehrsmitteln kann die Strecke nur nach einem Fußweg von ca. 0,5
km und mit Umsteigen, entweder von Bus zu Bus, oder von Bus zu U-Bahn, zurückgelegt werden, wie die aktenkundige Übersicht
über die von der Verkehrsgesellschaft A-Stadt zur Verfügung gestellten Verbindungen zeigt. Der zurückzulegende Weg beansprucht
eine Dauer von einer knappen halben Stunde mit knappen Anschlusszeiten. Der im Jahre 2007 geborene Kläger war im hier fraglichen
Zeitraum ca. 9-10 Jahre alt. Es ist nach Auffassung des Senats offensichtlich, dass auch ein gleichaltriges nichtbehindertes
Kind im Regelfall auf die Beförderung durch Dritte angewiesen wäre und den beschriebenen, nicht einfach zu bewältigenden Weg
nicht alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen könnte. Die infrage stehende Beförderung von JH nach Hause war
mithin nicht behinderungsbedingt.
c. Die Bewilligung von Fahrtkosten von JH zum Wohnsitz als Eingliederungshilfemaßnahme war auch deshalb nicht erforderlich,
weil es ein besseres, "geeigneteres" Mittel gab, um die Erfüllung der Zwecke der Eingliederungshilfe zu erreichen. Mit der
die Beförderung betreffenden Maßnahme soll die optimale Integration des Klägers in den Schulalltag erreicht werden. Im Vordergrund
der Maßnahme steht daher das Ziel, dass der Kläger nach entsprechendem Training den zurückzulegenden Weg mit öffentlichen
Verkehrsmitteln selbst bewältigen kann. Dieses Ziel wäre im Fall des Klägers am besten durch die Bewilligung eines Begleiters
erreicht worden. Die Eltern des Klägers hatten ausweislich ihres Schreibens vom 14.07.2015 dementsprechend ursprünglich auch
die Schulwegbegleitung und ausdrücklich nicht die Kostenübernahme eines individuellen Fahrdienstes beantragt. Auch in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat wiederholte die Mutter des Klägers die Einschätzung, dass die Schulwegbegleitung die
beste Hilfemaßnahme gewesen wäre. Aus welchen Gründen die Bewilligung der Begleitung von JH nach Hause von Seiten des Klägers
nicht weiter betrieben wurde, bleibt offen. Die Vorzugswürdigkeit der Wegbegleitung wird auch durch die Stellungnahme des
sozialpädagogischen Dienstes vom 12.07.2016 belegt, die dann allerdings aus nicht nachvollziehbaren Gründen nur die Schulwegbegleitung
am Morgen empfahl. Auch der Aktenvermerk des Beklagten vom 27.01.2017, der das schlüssige Konzept für die Schulwegbegleitung
im Sinne einer ausgearbeiteten Förderplanung zum Schulwegtraining hervorhebt, zeigt, dass die Schulwegbegleitung die am besten
geeignete Maßnahme der Eingliederungshilfe darstellt. Erforderlich im oben dargestellten Sinne war nach alledem auch für den
Nachmittag allenfalls eine Wegbegleitung und eben nicht die Übernahme von Fahrtkosten.
d. Die Übernahme der Fahrtkosten war auch nicht als "Annexleistung" geboten. Der Senat weist darauf hin, dass der auch im
vorliegenden Verfahren immer wieder auftauchende Begriff der Annexleistung vom Gesetzgeber nicht verwendet wird. Er ist gesetzlich
nicht definiert. Was mit diesem Begriff genau gemeint ist, bleibt auch nach der erstinstanzlichen Entscheidung unklar. Eine
Begriffsklärung nimmt das SG nicht vor. Nach Auffassung des Senats soll der Begriff Annexleistung nur den vom Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - entwickelten
Gedanken zusammenfassen, nach dem Fahrtkosten, die entstehen, weil anders eine Eingliederungshilfemaßnahme im Sinne des §
40 Abs. 1 BSHG nicht durchgeführt werden kann, notwendiger Bestandteil dieser Maßnahme seien (vgl. BVerwG vom 14.10.1994, 5 B 114/93 juris Orientierungssatz). Das SG, das das vorgenannte Urteil des BVerwG zur Begründung seiner Entscheidung in Bezug nimmt, übersieht, dass auch das BVerwG
eine Prüfung der konkreten Erforderlichkeit vornimmt (vgl. BVerwG, aaO, Rn 8: "Fahrten .., die im Zusammenhang mit der Hilfe
zu einer angemessenen Schulbildung .. notwendig wurden"). Vor diesem Hintergrund bringt der Begriff der Annexleistung im Zusammenhang
mit dem zu prüfenden Anspruch auf Fahrtkostenübernahme nach Auffassung des Senats nur zum Ausdruck, dass zwischen einer Eingliederungshilfemaßnahme
und der Bewilligung von Fahrtkosten eine ursächliche Verknüpfung besteht in dem Sinne, dass eine bewilligte Eingliederungshilfemaßnahme
im konkreten Fall ohne die Übernahme der Beförderungskosten zum Ort der Maßnahme nicht durchgeführt werden kann. Entsprechende
Fallkonstellationen hält auch der Senat für denkbar. Die Frage, ob eine Annexleistung vorliegt, lässt sich aber immer nur
für den konkreten Fall nach Prüfung der Erforderlichkeit beantworten. Diese Prüfung (siehe oben a - c) hat vorliegend ergeben,
dass die Übernahme der Kosten für die Beförderung von JH zum Wohnsitz des Klägers nicht erforderlich ist und sich daher auch
nicht als Annex zu den bewilligten Maßnahmen der Eingliederungshilfe darstellt. Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, steht
dieses Ergebnis auch mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Einklang.
Sonstige Umstände, die im oben dargestellten Sinn eine Erforderlichkeit der Bewilligung von Fahrtkosten von J zum Wohnsitz
des Klägers begründen könnten, sind nicht ersichtlich.
Da die Übernahme der Fahrtkosten von JH nach Hause bereits nicht erforderlich war, stellt sich die Frage nach einer Angemessenheit
des Kostenaufwands für die Schülerbeförderung, insbesondere nach einer Angemessenheit vor dem Hintergrund eines etwaigen Wunsch-
und Wahlrechts im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB XII und damit entstandener Kosten, nicht (vgl. dazu LSG Hessen vom 22.11.2010, L 9 SO 7/09 juris).
IV.
Durch die hier vorgenommene Auslegung des § 54 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGB XII, § 12 EinglhV wird das Elternrecht nach Art.
6 Abs.
2 Satz 1
Grundgesetz (
GG) nicht verletzt. Die Vorschrift begründet das Recht der Eltern, staatliche Maßnahmen abzuwenden, die beeinträchtigend in
den grundrechtlich geschützten Bereich der Erziehung hineinwirken (vgl. BVerwG, FEVS 44, 4 ff). Der Schutzbereich dieser Vorschrift
umfasst auch die freie Wahl zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten oder zugelassenen Schulformen einschließlich Privatschulen
(vgl. BVerwGE 112, 263, 269f.); er schließt das Recht ein, Maßnahmen abzuwehren, die darauf abzielen, dieses Wahlrecht mehr als notwendig zu begrenzen
(vgl. BVerfGE 34, 165, 183 ff). Eine andere Frage ist es, welche konkreten Sozialleistungen nach Ausübung des Wahlrechts zustehen. Art.
6 Abs.
2 Satz 1
GG beinhaltet keinen unmittelbaren Leistungsanspruch und auch keinen Leistungsanspruch kraft Ausstrahlung über sozialhilferechtliche
Vorschriften (vgl. dazu LSG Hessen vom 22.11.2010, L 9 SO 7/09 juris Rn 38 m.w.N.). An der Verfassungsmäßigkeit der vorliegend
zur Anwendung gekommenen sozialrechtlichen Vorschriften hat der Senat keine Zweifel.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 und 4
SGG.
Die Revision wurde vom Senat zugelassen, weil die zur Erforderlichkeit der Übernahme von Fahrtkosten als Maßnahme der Eingliederungshilfe
aufgeworfenen Fragen - auch mit Blick auf die Entscheidungen des BVerwG vom 14.10.1994, 5 B 114/93 und des LSG Baden-Württemberg vom 29.06.2017, L 7 SO 5382/14 - grundsätzliche Bedeutung haben und nach Auffassung des Senats
einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).