Anfechtbarkeit der Berufungsrücknahme im sozialgerichtlichen Verfahren
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Fortsetzung des durch Rücknahme der Berufung am 16.12.2006 abgeschlossenen Verfahrens. Streitgegenstand
dieses Verfahrens war die Gewährung eines Zuschusses für den Einbau eines hydraulischen Hubtisches in die Garage des Klägers
als Maßnahme der Wohnumfeldverbesserung.
Die Beklagte gewährt dem 1930 geborenen Kläger Leistungen nach der Pflegestufe III. Der Kläger erlitt 1951 einen Stromunfall,
der Gebrauchsunfähigkeit der rechten Hand, Oberarmamputation links und beidseitige Blindheit zur Folge hatte. 1999 erlitt
der Kläger eine Hirnblutung. Davon war eine Halbseitenlähmung links mit Spastik des linken Beins zurückgeblieben. Wegen des
Unfalls bezieht der Kläger Rente der Berufsgenossenschaft nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 v. H.
Die Beklagte hatte dem Kläger bereits im Februar 2000 eine Teleskoprampe genehmigt. Im Dezember 2003 beantragte der Kläger
die Übernahme der Kosten für den Einbau eines Flachscherenhubtisches. Diesen benötige er, um wetterunabhängig mit seinem Rollstuhl
von der Garage in die Wohnung und umgekehrt gelangen zu können. Hierbei seien zwei Stufen in der Garage zu überwinden. Nach
dem Kostenvoranschlag der Herstellerfirma beliefen sich die Kosten auf 2.973,08 Euro.
Mit Bescheid vom 19.04.2004 lehnte die Beklagte die Bezuschussung dieser Maßnahme ab, weil nach Ansicht ihres Medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Bayern die Hebevorrichtung nicht der Pflege diene, sondern der Aufrechterhaltung
privater Außenkontakte. Mit Bescheid vom 10.01.2005 sagte die Beklagte einen Zuschuss in Höhe von 2.557,00 Euro für einen
im Februar 2003 beantragten Wohnumfeld verbessernden Badumbau zu.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.02.2005 zurück. Eine Verbesserung der Pflegesituation oder
eine Reduzierung des Hilfebedarfs bei der Grundpflege werde durch die beantragte Maßnahme nicht erreicht. Im Übrigen habe
sie den Badumbau bereits bezuschusst. Eine darüber hinausgehende Kostenbeteiligung komme nicht in Betracht, weil es sich rechtlich
um eine einheitliche Wohnumfeldverbesserung handle.
Im dagegen gerichteten Klageverfahren bestätigte der gerichtliche Sachverständige Dr. H. die Auffassung des MDK. Mit Gerichtsbescheid
vom 23.03.2006 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es bezog sich auf das Gutachten des Dr. H ...
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Kläger vor, die ihm von der Gesundheitskasse angebotene Teleskoprampe habe sich
als völlig ungeeignet erwiesen. Seit fast drei Jahren benütze er problemlos den hydraulischen Hubtisch. Die Beklagte wandte
dagegen ein, die Hebebühne stelle kein Pflegehilfsmittel dar, da sie fest einzubauen sei, was die Herstellerfirma bestätigt
habe.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13.12.2006 nahm der Kläger nach eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage die
Berufung zurück. In der Sitzungsniederschrift ist festgehalten, dass die Erklärung dem Kläger vorgelesen und von ihm genehmigt
wurde. In der mündlichen Verhandlung wurde zudem darauf hingewiesen, dass das Gerät nach der Betriebsanleitung der Herstellerfirma
fest mit dem Boden verankert werden müsse und darüber hinaus nicht für das Betreten der Plattform, also den Personentransport,
zugelassen sei. Dem Kläger wurde empfohlen, sich mit der Beklagten und evtl. mit der Krankenversicherung in Verbindung zu
setzen, um eine adäquate Problemlösung zu finden. Die Bevollmächtigte der Beklagten sicherte zu, der Krankenkasse nahezulegen,
das Verfahren beschleunigt durchzuführen.
Mit Schreiben vom 06.08.2008 wandte sich der Kläger an den Senat und beantragte die Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Beklagte
hätte in der Sitzung vom 13.12.2006 versprochen, dafür zu sorgen, dass ihm binnen kürzester Frist ein geeignetes Hilfsmittel
zur Verfügung gestellt würde. Unter dieser Voraussetzung und auf Anraten des Gerichts habe er seine Klage unter Vorbehalt
zurückgenommen. Die Beklagte habe ihr Versprechen bis heute nicht gehalten. Er wolle das Verfahren vor dem Senat fortsetzen.
Die Beklagte erklärte, die Prüfung durch die Krankenkasse habe sich bedauerlicherweise verzögert. Ein Hilfsmittelberater habe
den Kläger besucht und die Ausstattung mit zwei mobilen Rampen vorgeschlagen. Der Kläger habe jedoch auf Ausstattung mit einem
Scherenhubtisch bestanden. Hierfür sei ihm ein Betrag von 700,00 Euro zur freien Verfügung angeboten worden. In dieser Höhe
hätten sich die Kosten für zwei mobile Rampen bewegt. Eine Leistungspflicht der Pflegeversicherung bestehe nicht.
In Schreiben vom 13.10.2008 und 17.11.2008 wies der Senat den Kläger auf die rechtliche Situation hin, nach der die Rücknahmeerklärung
nur widerrufen werden könne, wenn Restitutionsgründe vorlägen. Solche seien jedoch bislang nicht vorgebracht worden. Dem Kläger
wurde nahegelegt, sich mit der Krankenkasse, also nicht der Pflegekasse, in Verbindung zu setzen und gegebenenfalls einen
rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu verlangen.
Der Kläger erklärte, er bestehe auf Fortsetzung des früheren Verfahrens vor dem Senat.
Der Kläger beantragt,
das Verfahren L 2 P 24/06 fortzusetzen, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 23.03.2006 sowie den Bescheid vom 19.04.2004 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 16.02.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm einen Zuschuss für den von ihm seit
7 Jahren benützten Flachscherenhubtisch zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass der Rechtsstreit L 2 P 24/06 durch die Rücknahmeerklärung des Klägers am 13.12.2006 erledigt ist.
Im Übrigen wird gemäß §
136 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf den Inhalt der Akten der Beklagten, sowie der Klage- und Berufungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Rechtsstreit ist durch Berufungsrücknahme des Klägers am 13.12.2006 erledigt. Dies war durch Urteil festzustellen.
Die Rücknahme der Berufung kann als Prozesshandlung nicht angefochten werden. Die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über
Nichtigkeit und Anfechtung, insbesondere auch wegen Irrtums, sind auf Prozesshandlungen nicht anwendbar (Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Auflage, vor §
60 Rndr. 12 und 12 a).
In Betracht käme danach nur ein Widerruf, wenn Restitutionsgründe gemäß §
580 Zivilprozessordnung (
ZPO) vorlägen. Nach dieser Vorschrift findet die Restitutionsklage statt, wenn
1. der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen
Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat;
2. eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war;
3. bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren
Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat;
4. das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit
verübte Straftat erwirkt ist;
5. ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner
Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat;
6. das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil
gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist;
7. die Partei ein in derselben Sache erlassenes früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder eine andere Urkunde auffindet
oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die ihr eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Kläger macht auch keinen der vorgenannten Gründe zu Ziffern 1. bis 7. geltend.
Die Behauptung des Klägers, er habe die Klage, gemeint wohl die Berufung, erst dann zurückgenommen, nachdem ihm das Gericht
versichert hatte, er könne die Klage jederzeit in den vorigen Stand zurückversetzen, falls die Beklagte ihre Versicherungen
und Versprechungen nicht einhalte, ist weder dem Sitzungsprotokoll vom 13.12.2006 noch einer sonstigen Erklärung des Gerichts
oder der Beklagten zu entnehmen. Möglicherweise handelt es sich insoweit beim Kläger um ein Missverständnis. Mehrfach wurde
er darauf hingewiesen, er könne von der Krankenversicherung einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid verlangen, der ihm dann erneut
den Rechtsweg eröffnen würde. Auf diesen Umstand wurde der Kläger vom Senat ausdrücklich hingewiesen. Auch die Meinung des
Klägers, der Senat habe mit seinem Schreiben vom 02.09.2008 erklärt, "sein Verfahren sei in den alten Stand zurückversetzt
worden", scheint auf einem Missverständnis zu beruhen. Im Schreiben vom 02.09.2008 heißt es lediglich, das frühere Verfahren
werde unter einem neuen Aktenzeichen fortgeführt. Die Fortsetzung betrifft jedoch allein die Rechtsfrage, ob das vorangegangene
Verfahren durch die Rücknahmeerklärung beendet worden war. Diese Maßnahme ist aufgrund der Aktenführung notwendig und beinhaltet
noch keine Entscheidung, dass die frühere Rücknahmeerklärung - aus welchen Gründen auch immer - unwirksam gewesen wäre und
der Rechtsstreit fortgeführt würde.
Auf andere Gründe beruft sich der Kläger nicht; solche sind auch nicht zu erkennen. Es war daher festzustellen, dass der Rechtsstreit
durch die Berufungsrücknahme am 13.12.2006 erledigt wurde. Auf die Frage, ob die in §
586 ZPO genannte Monatsfrist eingehalten worden war, brauchte der Senat bei dieser Sachlage nicht einzugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Für die Zulassung der Revision liegt keiner der in §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG aufgeführten Gründe vor.