Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Dauer von 450 Kalendertagen ab 8. Januar 2008.
Der 1956 geborene Kläger war zuletzt vom 1. April 1971 bis 31. Dezember 2006 als Fernmeldemonteur bei der D Aktiengesellschaft
(AG) versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete zum 31. Dezember 2006 gegen Zahlung einer Abfindung
in Höhe von 225.000,- €. Am 8. Januar 2008 (Dienstag) meldete sich der Kläger arbeitslos; laut den vorliegenden Aktenvermerken
hatte er zuvor am 12. September 2006 (persönlich), am 5. Oktober 2006 (persönlich), am 2. April 2007 (telefonisch), am 2.
Juli 2007 (telefonisch), am 31. Juli 2007 (telefonisch) und am 2. August 2007 (telefonisch) Kontakt mit der Sachbearbeitung
der Beklagten. Vom 19. Januar 2008 bis 29. Februar 2008 war er mit Genehmigung der Beklagten wegen Urlaubs ortsabwesend.
Mit Bescheid vom 22. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2008 lehnte die Beklagte den Alg-Antrag
des Klägers ab mit der Begründung, dass dieser innerhalb der Rahmenfrist von zwei Jahren vom 1. März 2006 bis 29. Februar
2008 nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Da der Kläger nach seinen eigenen
Angaben im ersten Jahr seiner Beschäftigungslosigkeit nicht habe arbeiten wollen, habe für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis
zur - wegen einer Ortsabwesenheit des Klägers auf den 1. März 2008 - verschobenen Arbeitslosmeldung mangels Verfügbarkeit
keine Arbeitslosigkeit vorgelegen. Die zwischenzeitlich erfolgten persönlichen Meldungen im Jahr 2007 könnten nicht als Arbeitslosmeldungen
dienen.
Den Überprüfungsantrag des Klägers vom März 2008 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 3. April 2008 ab. Bei der Erteilung des Bescheides vom 22. Januar 2008 sei weder das Recht unrichtig angewandt noch von
einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
6. Februar 2008 und des Bescheides vom 11. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2008 verurteilt,
dem Kläger für die Zeit ab 1. Januar 2008 Alg zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei begründet.
Die Ablehnung des Antrages auf Alg für die Zeit ab 1. Januar 2008 sei rechtswidrig, da der Kläger innerhalb der zweijährigen
Rahmenfrist die Anwartschaftszeit von 12 Versicherungspflichtmonaten erfüllt habe. Da der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid
vom 22. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2008 rechtzeitig innerhalb der einmonatigen Klagefrist
durch Einreichung seines Überprüfungsantrages vom 3. März 2008 Klage erhoben habe, gehe der ebenfalls ablehnende Überprüfungsbescheid
vom 11. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2008 ins Leere und könne daher ebenfalls keinen Bestand
haben. Der Kläger habe gegen die Beklagte für die Zeit ab 1. Januar 2008 Anspruch auf Alg. Er sei im Wege des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruches hinsichtlich der am 8. Januar 2008 verspätet erfolgten Arbeitslosmeldung so zu stellen, wie er bei
ordnungsgemäßer Beratung durch die Beklagte gestanden hätte. Die Beklagte wäre von sich aus verpflichtet gewesen, den Kläger
darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf die Erfüllung der Anwartschaftszeit eine Arbeitslosmeldung spätestens am 2. Januar
2008 notwendig gewesen sei. Nach §
123 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (
SGB III) habe die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis
gestanden habe. Die Rahmenfrist betrage zwei Jahre und beginne mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen
für den Anspruch auf Alg (§
124 Abs.
1 SGB III). Der Kläger habe diese Anwartschaftszeit bei einer Arbeitslosmeldung nur dann erfüllen können, wenn er sich bis spätestens
am 2. Januar 2008 bei der Beklagten arbeitslos gemeldet hätte. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Kläger hierüber
zu informieren und auf eine rechtzeitige Antragstellung hinzuwirken. Vorliegend sei durch pflichtwidriges Verhalten der Beklagten
eine verspätete Antragstellung erfolgt. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen für den Anspruch auf Alg, nämlich das Vorliegen
von Arbeitslosigkeit und die Arbeitslosmeldung, seien hier erfüllt. Der Kläger könne somit Alg ab 1. Januar 2008 unter Berücksichtigung
von 12 Monaten Versicherungspflichtzeit von der Beklagten beanspruchen.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Entgegen der Auffassung des SG könne eine frühere Arbeitslosmeldung des Klägers, d. h. eine Arbeitslosmeldung vor dem 8. Januar 2008, nicht im Wege des
sozialrechtlichen Herstellungsanspruches fingiert werden. Es handele sich hierbei um ein tatsächliches Verhalten des Arbeitslosen,
das insoweit nicht ersetzt werden könne. Ausgehend von der Arbeitslosmeldung des Klägers am 8. Januar 2008 habe dieser die
Anwartschaftszeit innerhalb der Rahmenfrist von zwei Jahren vor dem 8. Januar 2008 nicht erfüllt, so dass kein Alg-Anspruch
bestehen könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. November 2008 aufzuheben und Klage abzuweisen.
Der Kläger, der sein Klagebegehren dahingehend konkretisiert hat, dass er die Gewährung von Alg (erst) für die Zeit ab 8.
Januar 2008 für die Dauer von 450 Kalendertagen (= 15 Monate) begehrt, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung insoweit für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze Bezug genommen.
Die Leistungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten, in deren Rahmen nach der entsprechenden Klarstellung des Klagebegehrens im Termin zur mündlichen
Verhandlung nur noch über die statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auf Gewährung von Alg für die Zeit ab
8. Januar 2008 für die Dauer von 450 Kalendertagen (= 15 Monate) zu entscheiden war, ist begründet. Soweit das SG die Beklagte zur Zahlung von Alg für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 7. Januar 2008 verurteilt hat, ist das angefochtene
Urteil durch die Beschränkung des Klagebegehrens gegenstandslos geworden.
Hinsichtlich der vom SG verlautbarten Aufhebung des Alg-Ablehnungsbescheides vom 22. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.
Februar 2008 war das angefochtene Urteil schon deshalb aufzuheben, weil der Kläger mit seinem Schreiben an die Beklagte vom
3. März 2008 ersichtlich darum gebeten hatte, nach "§ 44-SGB X" die Alg-Ablehnung "zu überprüfen", nicht aber eine Klage hatte einreichen wollen. Das SG hätte daher bei seiner der Klage stattgebenden Entscheidung den Bescheid vom 22. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 6. Februar 2008 nicht selbst aufheben dürfen, sondern die Beklagte zur Aufhebung dieser Bescheide verpflichten müssen.
Der Kläger hat im Übrigen gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Alg für die Zeit ab 8. Januar 2008. Anspruch auf Alg haben
Arbeitnehmer bei Arbeitslosigkeit, die arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit
erfüllt haben (§
118 Abs.
1 SGB III in der vorliegend anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 23. Dezember 2003 - BGBl. I S. 2848). Arbeitslos ist gemäß §
119 Abs.
1 SGB III ein Arbeitnehmer, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit
zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Der
Kläger hat sich am 8. Januar 2008 persönlich arbeitslos gemeldet. Ungeachtet dessen, ob der Kläger in der Zeit ab 8. Januar
2008 für die Dauer des geltend gemachten Alg-Anspruchs von 450 Kalendertagen arbeitslos iSv §
119 Abs.
1 SGB III war, was jedenfalls für die Zeit der urlaubsbedingten Ortsabwesenheit vom 19. Januar 2008 bis 29. Februar 2008 schon mangels
Verfügbarkeit i.S.v. §
119 Abs.
5 SGB III nicht der Fall gewesen sein dürfte, fehlt es aber an einer Erfüllung der Anwartschaftszeit.
Gemäß §
123 Satz 1
SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis
gestanden hat. Der Kläger stand in der Rahmenfrist von zwei Jahren (§
124 Abs.
1 SGB III in der ab 1. Januar 2004 geltenden und vorliegend - vgl. § 434j Abs. Abs. 3
SGB III - anwendbaren Fassung), die mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg beginnt
und vorliegend den Zeitraum vom 7. Januar 2008 bis zum 8. Januar 2006 bzw. - sollte auf den Zeitpunkt der Beendigung der urlaubsbedingten
Ortsabwesenheit abzustellen sein, was vorliegend keiner abschließenden Klärung bedarf - den Zeitraum vom 29. Februar 2008
bis 1. März 2006 umfasst (vgl. §
124 Abs.
1 SGB III), nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis (vgl. §
123 Satz 1
SGB III). Im ersten Fall hat der Kläger nur 358 Kalendertage von erforderlichen (vgl. zur Umrechnung von Monaten in Kalendertage
§
339 Satz 2
SGB III) 360 Kalendertagen, im zweiten Fall gar nur 306 Kalendertage von erforderlichen 360 Kalendertagen in einem Versicherungspflichtverhältnis
i.S. der §§
24 ff.
SGB III gestanden.
Die fehlende Erfüllung der Anwartschaftszeit lässt sich auch nicht auf der Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
dadurch ersetzen, dass eine subjektive und objektive Verfügbarkeit sowie eine persönliche Arbeitslosmeldung des Klägers für
einen Zeitpunkt vor dem 8. Januar 2008 fingiert werden mit der Folge, dass die Anwartschaftszeit dann erfüllt wäre. Dabei
bedarf es keiner Beurteilung, ob die Beklagte - wie das SG gemeint hat - eine ihr auf Grund Gesetzes oder eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses dem Kläger gegenüber obliegende
Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (vgl. §§
14,
15 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -
SGB I), verletzt und ihm dadurch einen Nachteil zugefügt hat (vgl. BSG SozR 3-4100 § 249e Nr. 4; BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 2; BSG
SozR 4-2600 § 58 Nr. 3; BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 - B 11a AL 15/05 R - juris). Es kann daher auch dahinstehen, ob die
erforderliche Kausalität zwischen einem etwaigen Beratungsfehler und der Nichterfüllung der Anwartschaftszeit durch den Kläger
festgestellt werden könnte.
Denn selbst bei einem unterstellten objektiven Fehlverhalten der Beklagten kommt eine Korrektur im Wege des Herstellungsanspruchs
jedenfalls deshalb nicht in Frage, weil ein entsprechender Nachteilsausgleich auf ein gesetzwidriges Verhalten der Beklagten
hinauslaufen würde (vgl. BSG SozR 4-4300 §
137 Nr. 1). Die in den §§
118,
119 SGB III geregelten tatsächlichen Anforderungen an die Arbeitslosigkeit, nämlich die objektive und subjektive Verfügbarkeit, können
in gesetzeskonformer Weise ebenso wenig fingiert werden wie die - hier vor dem 8. Januar 2008 ebenfalls fehlende - persönliche
Arbeitslosmeldung (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 - B 11a AL 15/05 R -; BSG, Beschluss vom 7. Mai 2009 - B 11 AL 72/08 B - juris - m.w.N.; für die Arbeitslosmeldung vgl. BSG SozR 3-4100 § 134 Nr. 14; BSG SozR 4100 § 103 Nr. 36; BSG SozR 2200
§ 381 Nr. 44; BSG SozR 3-4100 § 110 Nr. 2). Eine Ersetzung von tatsächlichen Umständen, denen gestaltende Entscheidungen des
Klägers zu Grunde lagen, ist im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht möglich. Es sind auch ungeachtet dessen,
dass es insoweit an einer Verfügbarkeit des Klägers als weiteres Tatbestandsmerkmal ohnehin fehlen würde, keine Anhaltspunkte
dafür ersichtlich, dass der Kläger sich vor dem 8. Januar 2008 bei der Beklagten persönlich arbeitslos gemeldet (vgl. §
122 Abs.
1 SGB III) hat. Zwar sind an eine Arbeitslosmeldung als Tatsachenerklärung keine übertriebenen Anforderungen zu stellen. Sie liegt
vor, wenn der Arbeitslose in der zuständigen Arbeitsagentur erscheint und jedenfalls sinngemäß zum Ausdruck bringt, er sei
arbeitslos (vgl. BSG, Urteil vom 19. Januar 2005 - B 11a/11 AL 41/04 R - juris). Bei der vor dem 8. Januar 2008 letzten persönlichen
Vorsprache des Klägers bei der zuständigen Agentur am 5. Oktober 2006 konnte der Kläger aber schon deshalb keine Arbeitslosmeldung
zum 8. Januar 2008 erklären, weil diese nur zulässig ist, wenn die Arbeitslosigkeit eingetreten ist oder innerhalb der nächsten
drei Monate zu erwarten ist (vgl. §
122 Abs.
1 Satz 2
SGB III). Dies war am 5. Oktober 2006 ersichtlich nicht der Fall, zumal der Kläger wegen der erhaltenen Abfindung - was zwischen
den Beteiligten im Übrigen unstreitig ist - nicht bereit war, sich im Jahr 2007 dem Arbeitsmarkt und damit den Vermittlungsbemühungen
der Beklagten zur Verfügung zu stellen.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1 oder 2
SGG liegen nicht vor.