Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) - bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch
langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die
Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können -.
Der 1960 geborene Kläger absolvierte vom 01. September 1976 bis zum 13. Juli 1978 eine Lehre zum Maurer. Anschließend war
er bis zum 23. April 1980 und vom 16. Mai 1983 bis zum 14. September 1990 (unterbrochen durch den Wehrdienst bei der NVA)
als Maurer beim VEB WBK "F H" B bzw. beim VEB W beschäftigt. In der Folgezeit übte er folgende Beschäftigungen aus:
17. September 1990 bis zum 19. August 1994
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Trockenbauer bei der Fa. R
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22. August 1994 bis zum 31. Dezember 1995
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Maurer/Trockenbauer bei der I Baugesellschaft mbH
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28. Mai 1996 bis zum 31. August 1996
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Trockenbauer bei der Fa. R
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13. Januar 1997 bis zum 21. Oktober 1997
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Qualifizierung zum Fliesenleger
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22. Oktober 1997 bis zum 30. September 1999
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Fliesenleger bei der B C GmbH
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11. Oktober 1999 bis zum 15. November 1999
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Fliesenleger bei der U GmbH
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01. Mai 2000 bis zum 02. Februar 2001
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Trockenbauer/Maurer/Fliesenleger bei der Fa. Holz- und Bautenschutz A W
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01. August 2001 bis zum 31. Dezember 2004
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Trockenbauer/Maurer/Fliesenleger bei der Fa. Holz- und Bautenschutz A W
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März 2005 bis Februar 2006
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Umschulung zum kaufmännischen Mitarbeiter
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März 2006 bis zum 30. September 2008
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Maurermeister/Polier bei der Fa. Akustik & Trockenbau A
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Oktober 2008 bis Februar 2010
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arbeitslos und Qualifizierung zu Kalkulation und Baurecht sowie zum Gutachter für Bauschäden
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ab dem 01. März 2010
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Steinmetzgehilfe.
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Erstmals 1984 sollen Rückenbeschwerden im Zusammenhang mit der beruflichen Belastung aufgetreten sein. Arbeitsunfähigkeitszeiten
wegen Beschwerden der Lendenwirbelsäule bestanden unter anderem vom 26. Oktober 1992 bis zum 03. November 1992, vom 26. September
1994 bis zum 07. Oktober 1994, vom 17. September 1996 bis zum 30. September 1996, vom 17. März 1997 bis zum 18. April 1997,
vom 06. Juli 1999 bis zum 13. August 1999, vom 06. Februar 2001 bis zum 22. Februar 2001, vom 17. Oktober 2001 bis zum 19.
Oktober 2001, vom 07. Januar 2002 bis zum 30. Januar 2002 sowie vom 08. April 2002 bis zum 22. November 2002. Ein Magnetresonanztomogramm
(MRT) der Lendenwirbelsäule vom 28. November 2001 ergab Bandscheibenvorfälle bei L4/5 und L5/S1 bei absoluter spinaler Enge
in Höhe L4/5.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2002 meldet die Krankenkasse des Klägers - die AOK Berlin - bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch
im Hinblick auf einen Verdacht auf eine BK 2108 an. Die Beklagte holte ein Vorkrankungsverzeichnis von der AOK Berlin sowie
Behandlungsberichte von dem praktischen Arzt Dr. N vom 21. Oktober 2002 nebst Befund eines spinalen Computertomogramms (CT)
vom 17. Mai 1995, von dem Allgemeinmediziner Dr. M vom 11. November 2002 sowie von dem Neurochirurgen Dr. S vom 08. November
2002 ein, zog den Abschlussbericht der RehaTagesklinik im F P vom 30. Januar 2002 bei und veranlasste eine ärztliche BK-Anzeige
durch den Orthopäden Dipl.-Med. M vom 22. August 2002 nebst Röntgenbefund der Lendenwirbelsäule vom 10. Oktober 2002 sowie
eine Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. R vom 20. Dezember 2002.
Anschließend führte sie Ermittlungen zu den beruflichen Belastungen des Klägers durch und holte eine Auskunft des Rechtsnachfolgers
der I GmbH - der B BC B-B GmbH - vom 22. Januar 2003 ein und zog Kopien des Sozialversicherungsausweises bei. Der technische
Angestellte der Beklagten Dipl.-Ing. L gelangte dann in seiner Stellungnahme vom 15. April 2003 nach einem Gespräch mit dem
Kläger zu dem Schluss, für den Zeitraum vom 01. September 1976 bis zum 14. September 1990 errechne sich nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell
(MDD) eine Gesamtbelastungsdosis von 6,58 x 106 Nh (=MNh). In einer weiteren Stellungnahme vom 25. Juli 2003 errechnete Dipl.-Ing.
L für den Zeitraum vom 01. September 1976 bis zum 22. Juli 2003 eine Gesamtbelastungsdosisdosis nach dem MDD von 4,45 x 106
Nh. Nach Einholung einer Stellungnahme des Gewerbearztes Dr. S lehnte die Beklagte sodann mit Bescheid vom 24. September 2003
- bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2003 - die Gewährung einer Entschädigung wegen einer BK 2108 ab, da
nach den durchgeführten arbeitstechnischen Ermittlungen die Voraussetzungen zur Anerkennung einer solchen BK nicht gegeben
seien.
Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben und vorgetragen, die Beklagte sei von falschen Daten zu seiner beruflichen Belastung ausgegangen. Insbesondere seien
die angesetzten Gewichte zu gering und die berücksichtigten unter Last zurückgelegten Wege zu kurz.
Das SG hat zunächst ein orthopädisches Sachverständigengutachten zu den medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108 von Dr. E
eingeholt. In seinem Gutachten vom 17. Oktober 2004 ist dieser nach einer Untersuchung des Klägers am 06. Oktober 2004 zu
dem Schluss gelangt, bei dem Kläger lägen folgende Gesundheitsstörungen auf seinem Fachgebiet vor:
- Rezidivierendes Halswirbelsäulensyndrom mit belastungsabhängigen Nacken-Schulterschmerzen und Verspannungen auf dem Boden
geringgradiger degenerativer Veränderungen
- Belastungsabhängige Sehnenansatzentzündung im Bereich des rechten Ellenbogens
- Brustwirbelsäulensyndrom mit belastungsabhängigen Dorsalgien und Blockierungen
- Lendenwirbelsäulensyndrom mit belastungsabhängigen Lumbalgien auf dem Boden deutlicher degenerativer Veränderungen, im MRT
nachgewiesene Bandscheibenvorfälle
- Geringer Verschleißzustand rechtes Kniescheibengleitlager, Achsenfehlform beider Beine im O-Beinsinne
- Geringer Senkspreizfuß.
Bei dem Kläger sei eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule nachgewiesen. Die Erkrankung sei laut dem Vorerkrankungsverzeichnis
erstmals im November 1992 aufgetreten und habe sich kontinuierlich verschlimmert. Objektiviert worden sei die Erkrankung mit
einem CT erstmalig im Mai 1995. Es lägen auch belastungsadaptive Reaktionen an den letzten beiden Bewegungssegmenten der unteren
Lendenwirbelsäule vor. Entsprechende Veränderungen der unteren Brustwirbelsäule mit Ausdehnung in die obere Lendenwirbelsäule
seien nicht nachweisbar. Unter der Annahme, dass die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien, sei diese
bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten verursacht worden.
Konkurrierende Ursachen z. B. in Form prädiskotischer Deformitäten lägen nicht vor. Als außerberuflicher Faktor, der das Krankheitsbild
mitbedinge, bestehe bei dem Kläger eine anlagebedingte Verengung des Spinalkanals auf 8 mm. Die Erkrankung habe nicht zur
Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen, denn der Kläger sei weiterhin als Maurer, Trockenbauer und Fliesenleger tätig. Die
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 10 vom Hundert (v. H.) anzusetzen.
Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme ihres technischen Angestellten Dipl.-Ing. L vom 28. Dezember 2004 vorgelegt, in
der dieser die Angaben des Klägers zu den beruflichen Belastungen in der Klagebegründung vom 07. Mai 2004 für teilweise unrealistisch
gehalten und seine Berechnungen aufrecht erhalten hat. Außerdem hat die Beklagte eine beratende Stellungnahme des Facharztes
für Orthopädie Dr. O vom 01. März 2005 eingereicht, in der dieser das Gutachten des Dr. E insbesondere bezüglich der von diesem
behaupteten belastungsadaptiven Reaktionen kritisiert hat. Dr. E ist in einer ergänzenden Stellungnahme vom 10. Mai 2005 dennoch
bei seiner Beurteilung geblieben.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 27. Oktober 2005 abgewiesen. Zwar seien nach dem Gutachten des Dr. E die arbeitsmedizinischen
Voraussetzungen für eine BK 2108 erfüllt, es fehle aber an den arbeitstechnischen Voraussetzungen, denn die Gesamtdosis nach
dem MDD betrage lediglich 4,45 x 106 Nh. Die Kammer halte die Berechnungen des technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten
für nachvollziehbar und überzeugend. Insbesondere stimme die Kammer mit den Bedenken gegenüber den vom Kläger bemachten Angaben
zur beruflichen Belastung überein. Zugunsten des Klägers habe die Kammer unter Heranziehung der in den Stellungnahmen des
TAD vom 25. Juli 2003 und 28. Dezember 2004 genannten Druckkräfte für die einzelnen Verrichtungen die Gesamtbelastungsdosis
ohne die Begrenzung auf den Tagesdosiswert von 5.500 Nh berechnet. Dabei ergebe sich eine Gesamtbelastungsdosis von 16,86
x 106 Nh bis zum Juli 2003. Auch unter Fortführung der Berechnung bis Dezember 2004 läge die Gesamtdosis mit 17,94 x 106 Nh
immer noch unter dem Orientierungswert von 25 x 106 Nh.
Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren fort. Er trägt vor, nach wie
vor seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen unzureichend ermittelt worden. Auch das Gutachten des Dr. E sei hinsichtlich
der angesetzten MdE zu kritisieren.
Der Senat hat schriftlich die vom Kläger benannten Zeugen J K (Kollege von 1986 bis 1990 sowie von 1990 bis 1996; Antwortschreiben
vom Juli 2006), J S (Kollege von Juni 1979 bis August 1990 sowie teilweise von August 1990 bis April 2000; Antwortschreiben
vom 23. Juli 2006), K V (Brigadier des Klägers von 1980 bis 1987; Antwortschreiben vom Juli 2006) und A W (Kollege von September
1991 bis August 1994 sowie von Mai bis August 1996, Chef des Klägers von Mai 2000 bis Februar 2001 sowie von August 2001 bis
Dezember 2004; Antwortschreiben vom 05. November 2006) zu den beruflichen Belastungen des Klägers im Rahmen seiner versicherten
Beschäftigungen als Maurer, Trockenbauer und Fliesenleger befragt. Hinsichtlich des Ergebnisses der schriftlichen Befragung
wird auf den Inhalt der Antwortschreiben Bezug genommen.
In einer weiteren Stellungnahme vom 29. November 2006 hat der technische Angestellte Dipl.-Ing. L für die Beklagte ausgeführt,
die von den Zeugen genannten pro Arbeitsschicht bewegten Gewichte seien unrealistisch. Eine erneute Berechnung nach dem MDD
erübrige sich daher. Hierbei ist der TAD auch unter Berücksichtigung erneuten Vortrags des Klägers zu den Transportwegen sowie
zu den Arbeitsbelastungen im Trockenbau (tägliche beidseitige Beplankung einer 20 m2 großen Wand mit Gipskartonplatten einschließlich
Spachtelung; Gewicht der einzelnen Platten jeweils über 31 kg) geblieben (Stellungnahmen des TAD vom 08. August 2007 und 22.
Januar 2008).
Anschließend hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. W-R vom
19. Mai 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 16. Juni 2008. In dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme ist der
Sachverständige nach einer Untersuchung des Klägers am 19. Mai 2008 und unter Zugrundelegung der "Konsensempfehlungen zur
Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe - Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten
der Lendenwirbelsäule (I), Trauma und Berufskrankheit, Springer Medizin Verlag, Heft 3/2005 S. 211ff" (in Zukunft nur noch:
Konsensempfehlungen) zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger lägen folgende Veränderungen am Achsenorgan vor:
- Bandscheibenvorfall auf der Etage L4/5
- Bandscheibenvorfall auf der Etage L5/S1
- Osteochondrose auf der Etage L4/5
- Spinale Stenose L4/5.
Die Abnutzung der unteren Lendenwirbelsäule und das regionale klinische Beschwerdebild entsprächen einer bandscheibendingten
Erkrankung, wobei jedoch berücksichtigt werden müsse, dass gleichzeitig auch anlagebedingte knöcherne Abnutzungen (absolute
Spinalkanalstenose) auf das Beschwerdebild einwirkten. Auf den vorliegenden Röntgenaufnahmen aus dem Jahr 1994 ließen sich
keine altersüberschreitenden Veränderungen und insbesondere keine belastungsadaptiven Reaktionen nachweisen. Auf den Aufnahmen
aus dem Jahr 2004 hingegen zeige sich eine altersuntypische Chondrose im Segment L4/5 nebst einem grenzwertigen Befund im
Segment L5/S1. Alle Bereiche oberhalb des Segments L4/5 - auch der thorakolumbale Übergang - seien durchgehend alterstypisch,
insbesondere fänden sich keinerlei belastungsadaptiven Veränderungen an den Bandscheibenfächern, Wirbelkörperdeckplatten oder
hinteren Wirbelkörperkanten. Im MRT vom 28. November 2001 seien im Übrigen Bandscheibenvorfälle auf den Etagen L4/5 und L5/S1
gesichert worden. Unterstelle man eine ausreichende berufliche Belastung, ergebe sich eine Konstellation der Fallgruppe B
nach den Konsensempfehlungen. Für die Konstellation B1 fehle es an einer Begleitspondylose. Die Voraussetzungen für eine Konstellation
B2 lägen nicht vor, da sich aus den Stellungnahmen des TAD keine Hinweise für besonders intensive Belastungen (Erreichen des
Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren) oder ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen
ergäben. Die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule könne daher nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die beruflichen
Belastungen zurückgeführt werden. Selbst wenn man hiervon aber ausginge, betrage die MdE lediglich 10 v. H..
Der Senat hat außerdem auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) den Orthopäden Dr. M mit der Untersuchung des Klägers und Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom
23. September 2008 hat dieser nach einer Untersuchung des Klägers am 23. September 2008 folgende Diagnosen gestellt:
- Chronisches Lumbalsyndrom mit Ausstrahlung
- Bandscheibenvorfall L4/5
- Bandscheibenvorfall L5/S1
- Bandscheibenabnutzung (Osteochondrose) L4/5
- Enger Spinalkanal untere Lendenwirbelsäule.
Das chronische Lumbalsyndrom mit pseudoradikulärer Ausstrahlung, verursacht durch eine Bandscheibendegeneration und durch
Bandscheibenvorfälle L4/5 sowie L5/S1, stelle eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule i. Sinne der BK 2108
dar. Außerberufliche Faktoren lägen nicht vor. Entscheidend sei die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen. Die
festgestellte Erkrankung habe nicht zur Unterlassung der bisherigen Berufstätigkeit geführt. Der Kläger sei seit 2006 wieder
als Maurermeister beschäftigt, jedoch ohne Heben und Tragen von Lasten über 15 kg. Die MdE betrage 10 v. H.. In einer ergänzenden
Stellungnahme vom 13. Oktober 2008 hat der Sachverständige die Auffassung vertreten, es liege eine Konstellation B1 nach den
Konsensempfehlungen vor.
Der Kläger hält die Beurteilung des Dr. M für zutreffend. Zumindest handele es sich um eine Konstellation B2 der Konsensempfehlungen,
da ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen gegeben sei.
Die Beklagte legt eine Stellungnahme ihres TAD vom 23. Dezember 2008 vor, in der die Dipl.-Ing. H unter Zugrundelegung der
Maßgaben aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Oktober 2007 für den Zeitraum vom 01. September 1976 bis zum
22. Juli 2003 eine Gesamtbelastungsdosis von 20 x 106 Nh errechnet hat. Dies entspreche 80% des Orientierungswertes von 25
x 106 Nh für Männer. Eine intensive Belastung i. S. d. Konstellation B2 der Konsensempfehlungen liege nicht vor, denn im Beurteilungszeitraum
von ca. 27 Jahren werde eine Dosis von 20 MNh erreicht. Somit sei ausgeschlossen, dass die Lebensdosis von 25 MNh in weniger
als 10 Jahren erreicht worden sei. Hohe Belastungsspitzen beim Heben und Tragen von Lasten lägen vor, wenn die Druckkräfte
auf L5/S1 größer als 6,0 kN seien und dadurch die Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes erreicht werde. Solch hohe Druckkräfte
träten beim Heben und Tragen von Lasten ab 60 kg auf. Aus der neu durchgeführten Berechnung sei ersichtlich, dass diese hohen
Belastungsspitzen nicht aufgetreten seien.
Der Kläger geht nach wie vor davon aus, dass die angesetzten Gewichte zu gering seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. September 2003 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2003 aufzuheben und bei ihm das Vorliegen einer BK Nr. 2108 nach der Anlage zur
BKV festzustellen,
hilfsweise festzustellen, dass bei ihm eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben
oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24. September 2003 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2003 ist im Ergebnis rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten. Der Kläger hat - wie das Sozialgericht schon zutreffend festgestellt hat - keinen Anspruch auf Feststellung einer
BK 2108, da eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten
oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben,
die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, bei ihm
nicht vorliegt. Darüber hinaus ist der Kläger auch mit seinem Hilfsantrag nach §
9 Abs.
4 SGB VII nicht erfolgreich, denn eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer
Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung i. S. d. BK 2108 liegt bei ihm nicht vor.
Die Klage im Hauptantrag ist als Feststellungsklage gemäß §
55 Abs.
1 Nr.
3 SGG zulässig. Streitgegenstand ist allein die Anerkennung einer BK 2108, denn in dem angefochtenen Bescheid vom 24. September
2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2003 ist die Anerkennung einer BK 2108 abgelehnt, ein Anspruch
auf Verletztenrente ist im Einzelnen jedoch nicht geprüft worden. Auch wenn der Antrag auf Gewährung von Verletztenrente bereits
vor dem SG gestellt worden ist, kann der Senat über ein solches Begehren zulässigerweise nicht entscheiden, denn die Ablehnung einer
Verletztenrente ist mit dem angefochtenen Bescheid nicht erfolgt. Die Beklagte hat vielmehr lediglich unbestimmte Entschädigungsleistungen
abgelehnt.
Als Versicherungsfall gilt nach §
7 Abs.
1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet (§
9 Abs.
1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen
der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte
Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche
beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.
Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen
Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang)
muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und
die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte
Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender
Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge
genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 27. Juni 2006 -
B 2 U 20/04 R - in SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher
Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG aaO.).
Von Nr. 2108 der Anlage zur
BKV werden "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder
durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für
die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben ursächlich waren oder sein können", erfasst.
Nach dem Tatbestand der BK 2108 muss also der Versicherte auf Grund einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben
und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben. Durch die spezifischen, der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden
besonderen Einwirkungen muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden sein und noch bestehen. Zwischen der
versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen
und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Der Versicherte muss darüber hinaus gezwungen gewesen
sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Zwangs muss die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich
erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK Nr. 2108 nicht vor (vgl BSG, Urteile vom 30. Oktober 2007 -
B 2 U 4/06 R - in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 sowie vom 18. November 2008 - B 2 U 14/07 R - und - B 2 U 14/08 R - jeweils zitiert nach Juris) und ist nicht anzuerkennen.
Der Anspruch des Klägers scheitert hier nicht daran, dass die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, d. h. die im
Sinne der BK 2108 erforderlichen Einwirkungen durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw. Arbeit in Rumpfbeugehaltung,
nicht gegeben wären. Dies ergibt sich aus den vorliegenden Berechnungen des TAD der Beklagten zum Ausmaß der mechanischen
Belastung nach dem MDD (vgl. dazu die grundlegende Veröffentlichung von Jäger u. a., ASUMed 1999, 101 ff, 112 ff). Die Beklagte
hat im gesamten Verfahrensverlauf drei detaillierte Berechnungen nach dem MDD durch ihren TAD vorgelegt. Daraus ergeben sich
folgende Gesamtdosen:
15. April 2003
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6,58 x 106 Nh (=MNh)
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25. Juli 2003
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4,45 x 106 Nh (=MNh)
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23. Dezember 2008
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20,0 x 106 Nh (=MNh).
|
Zwar ist danach die nach dem MDD vorgegebene Gesamtdosis von 25 x 106 Nh unterschritten. Dennoch sind die so genannten arbeitstechnischen
Voraussetzungen erfüllt, denn das MDD legt selber für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht
werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann.
Die auf Grund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere
die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu
verstehen. Von diesem Verständnis geht auch das aktuelle Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zur
BK 2108 aus, das für eine zusammenfassende Bewertung der Wirbelsäulenbelastung auf das MDD verweist (BArbBl 2006, Heft 10
S. 30 ff) Danach sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2108 zu bejahen, wenn die Richtwerte im Einzelfall
erreicht oder überschritten werden; umgekehrt schließt aber ein Unterschreiten dieser Werte das Vorliegen der BK nicht von
vornherein aus (vgl. BSG Urteile vom 30. Oktober 2007 aaO. sowie vom 18. November 2008 aaO.).
Orientierungswerte sind andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion
besteht in dem hier interessierenden Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der die Wirbelsäule belastende
Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt
werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken
des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so
deutlich unterschritten, dass das Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so ist das Vorliegen einer BK 2108 zu verneinen,
ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (vgl.
BSG Urteile vom 30. Oktober 2007 aaO. sowie vom 18. November 2008 aaO.).
Das BSG hat daher in seinen Entscheidungen vom 30. November 2008 - B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/08 R - Modifizierungen zur Anwendung des MDD für notwendig erachtet. Danach ist die dem MDD zu Grunde liegende Mindestdruckkraft
pro Arbeitsvorgang bei Männern nurmehr mit dem Wert 2.700 N pro Arbeitsvorgang anzusetzen. Auf eine Mindesttagesdosis ist
nach dem Ergebnis der Deutschen Wirbelsäulenstudie zu verzichten. Alle Hebe- und Tragebelastungen, die die aufgezeigte Mindestbelastung
von 2.700 N bei Männern erreichen, sind entsprechend dem quadratischen Ansatz (Kraft mal Kraft mal Zeit) zu berechnen und
aufzuaddieren. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen
beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische
Ermittlungen verzichtet werden kann, ist auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis
von 25 x 106 Nh, also auf 12,5 x 106 Nh, herabzusetzen.
Berücksichtigt man dies - so wie es der TAD in seiner letzten Stellungnahme vom 23. Dezember 2008 getan hat -, ist der maßgebliche
Orientierungswert von 12,5 x 106 Nh allein mit den vom TAD als nachvollziehbar zugrunde gelegten Gewichten und Wegen hier
mit 20,0 MNh für den Zeitraum bis zum 22. Juli 2003, d. h. ohne Berücksichtigung der ja zumindest bis zum 30. September 2008
(mit Unterbrechungen) fortgeführten beruflichen Tätigkeit, in jedem Fall erfüllt. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte
die Zeit des Wehrdienstes bei der NVA von Mai 1980 bis April 1983 nicht aus der Berechnung herausgenommen, sondern zugunsten
des Klägers tatsächlich eine fortdauernde berufliche Belastung auch in diesem Zeitraum (d. h. für 36 Monate) angenommen hat
(vgl. Seite 5 der Stellungnahme des TAD vom 23. Dezember 2008). Darüber hinaus hat die Beklagte - wiederum zugunsten des Klägers
- weder Arbeitsunfähigkeits- noch Urlaubszeiten herausgerechnet. Insoweit ist die weitere Kritik des Klägers an den von der
Beklagten ihrer Berechnung zugrunde gelegten Gewichten und Wegstrecken (vgl. den Schriftsatz vom 10. März 2009), die einer
worst-case-Betrachtung entsprechen, nicht von Gewicht. Dies gilt auch deshalb, weil die Angaben des Klägers, wie der TAD in
seinen Stellungnahmen vom 28. Dezember 2004, 08. August 2007 und 22. Januar 2008 zu Recht ausgeführt hat, nicht plausibel
sind.
Der Anspruch scheitert jedoch an den arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108.
In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren
LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie. Da diese
Bandscheibenerkrankungen ebenso in Berufsgruppen vorkommen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung
ausgesetzt waren, genauso wie in solchen, die wie der Kläger auch schwere körperliche Arbeiten geleistet haben, kann allein
die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen
Kausalzusammenhanges nicht begründen (vgl. Merkblatt zu der BK 2108 der Anlage zur
BKV, BArbBl. 2006, Heft 10 S. 30 ff.). Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhanges bei der
BK 2108 war die medizinische Wissenschaft gezwungen, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau für
oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten
Berufskrankheiten der LWS, die als Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung auf Anregung der vom Hauptverband der
gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe anzusehen sind (vgl. Trauma und Berufskrankheit
Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211 ff). Weder der Sachverständige Dr. W-R noch der vom Kläger benannte Sachverständige
Dr. M haben einen neueren, von den Konsensempfehlungen abweichenden Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu den bandscheibenbedingten
Erkrankungen der Lendenwirbelsäule aufgezeigt. Es ist daher davon auszugehen, dass diese nach wie vor den aktuellen Stand
der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche
Belastungen darstellen (vgl. auch BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009 - B 2 U 16/08 R -, zitiert nach Juris, und Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 13/05 R - in SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). Zur Gewährleistung einer im Geltungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung gleichen und
gerechten Behandlung aller Versicherten begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die befassten Gutachter und die Sozialgerichtsbarkeit
diese Konsensempfehlungen anwenden.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der BK 2108 nicht gegeben.
Das Vorliegen einer durch die berufliche Tätigkeit verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ist nicht nachgewiesen.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen des gesamten Gerichtsverfahrens,
insbesondere dem am neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft und Forschung ausgerichteten Gutachten des Sachverständigen
Dr. W-R vom 19. Mai 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 16. Juni 2008.
Zwar können die bei dem Kläger durch Dr. W-R festgestellten Veränderungen der Wirbelsäule eine bandscheibenbedingte Erkrankung
der Lendenwirbelsäule im Sinne der BK 2108 darstellen. Zu der Frage, was unter einer bandscheibenbedingten Erkrankung der
LWS zu verstehen sein soll, hat der Verordnungsgeber in der Begründung zur zweiten Änderungsverordnung (2. ÄndVO), durch welche
die BK 2108 in die Berufskrankheitenliste aufgenommen worden ist (BR-Druck 773/92 S.8), eingehende Ausführungen gemacht. Danach
sind unter bandscheibenbedingten Erkrankungen zu verstehen: Bandscheibendegeneration (Diskose), Instabilität im Bewegungssegment,
Bandscheibenvorfall (Prolaps), degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten (Osteochondrose), knöcherne Ausziehungen
an den vorderen seitlichen Randleisten der Wirbelkörper (Spondylose), degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrose)
mit den durch derartige Befunde bedingten Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule. Erforderlich ist ein Krankheitsbild,
das über einen längeren Zeitraum andauert, also chronisch oder zumindest chronisch wiederkehrend ist, und das zu Funktionseinschränkungen
führt, die eben eine Fortsetzung der genannten Tätigkeit unmöglich machen. Erforderlich sind daher ein bestimmtes radiologisches
Bild sowie ein damit korrelierendes klinisches Bild (vgl. das aktuelle Merkblatt zur BK 2108 sowie die Konsensempfehlungen
Punkt 1.3).
Heranzuziehen wären die der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zeitlich nächstliegenden Röntgenbilder (vgl. auch Punkt 1.2
der Konsensempfehlungen). Allerdings ist dieser Zeitpunkt hier nicht klar bestimmbar, denn der Kläger hat noch bis zum Dezember
2004 als Maurer/Trockenbauer/Fliesenleger bei Firma des Zeugen A W gearbeitet und erneut ab einem unbekannten Zeitpunkt im
Jahr 2006 bis zum 30. September 2008 als Maurermeister (so die Gutachten des Dr. W-R und des Dr. M) bei der Firma Akustik
& Trockenbau A W. Nach den Ausführungen des Dr. E und des Dr. W-R stellen sich im Falle des Klägers (siehe Gutachten von Dr.
Evom 17. Oktober 2004 und von Dr. W-R vom 19. Mai 2008) bereits vor der Aufgabe sämtlicher wirbelsäulenbelastender Tätigkeiten
spätestens im September 2008 im November 2001 morphologisch Bandscheibenschäden der LWS dar, nämlich zwei Bandscheibenvorfälle
bei L4/5 und L5/S1 (MRT vom 28. November 2001). Diese sind entsprechend Punkt 1.2 A der Konsensempfehlungen als altersuntypisch
zu bewerten (vgl. das Gutachten von Dr. W-R). Die mit spinalem CT vom 17. Mai 1995 nachgewiesene Bandscheibenvorwölbung bei
L4/5 war bei dem 35jährigen Kläger ebenfalls altersuntypisch (vgl. Punkt 1.2 A der Konsensempfehlungen). Aus den am 06. Oktober
2004 im Auftrag des Gutachters Dr. E erstellten Röntgenbildern ergibt sich des Weiteren eine bei einem 44jährigen Mann altersuntypische
Chondrose Grad II (Höhenminderung um 30 bis 50%) bei L4/5 sowie eine altersuntypische Sklerose Grad I (optisch wahrnehmbare
vermehrte Sklerosierung) bei L 5 sowie S1 nebst chondrotischer Höhenminderung (vgl. das Gutachten von Dr. W-R). Die außerdem
bei dem Kläger festgestellte spinale Enge ist keine bandscheibenbedingte Erkrankung, sondern Resultat eines primären und anlagebedingten
knöchernen Prozesses (vgl. das Gutachten des Dr. W-R).
Für die Feststellung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ist neben dem morphologischen Bild der Nachweis eines
mit diesem korrelierenden chronischen klinischen Beschwerdebildes nebst Funktionseinschränkungen erforderlich. Dabei kann
es sich nach dem derzeit geltenden Merkblatt zur BK 2108 um folgende Krankheitsbilder handeln: ein lokales Lumbalsyndrom (chronisch
rezidivierende Beschwerden in der Kreuz-Lendengegend mit möglicher pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung in die Oberschenkelmuskulatur),
mono- und polyradikuläre Wurzelreizsyndrome (ein- oder beidseitig segmental ins Bein ausstrahlende, dem Verlauf des Ischiasnervs
folgende Schmerzen, meist in Verbindung mit Zeichen eines lokalen Lumbalsyndroms) oder ein Kaudasyndrom (Sonderform der polyradikulären
lumbalen Wurzelreizsyndrome).
Ein solches (chronisches) klinisches Beschwerdebild, welches einer Chondrose Grad II bei L4/5, einer Sklerose Grad I bei L5/S1
bzw. Bandscheibenvorfällen in den Segmenten L4/5 und L5/S1 und nicht anderen Veränderungen an der Wirbelsäule - insbesondere
der absoluten Spinalkanalenge bei L4/5 - oder einem Trainingsmangel der Muskulatur entsprechen müsste, ist vorliegend fraglich.
Hierauf weist auch der Sachverständige Dr. W-R in seinem Gutachten vom 19. Mai 2008 hin. Wie dieser in seinem Gutachten hervorhebt,
konnte zu keinem Zeitpunkt das klassische Krankheitsbild einer Bandscheibenerkrankung aufgedeckt werden. So fehlt es insbesondere
an segmentbezogenen neurologischen Störungen. Weder Dr. E noch Dr. W-R oder Dr. M haben etwa Sensibilitätsstörungen oder auch
nur ein positives Lasègue-Zeichen feststellen können. Gleiches gilt für den Abschlussbericht der RehaTagesklinik im F P vom
30. Januar 2002. Auch aus den vorliegenden Berichten der behandelnden Ärzte Dr. N vom 21. Oktober 2002, Dr. M vom 11. November
2002 und Dr. S vom 08. November 2002 gehen derartige Störungen bzw. Zeichen nicht hervor. Der Kläger selber schildert sie
ebenfalls nicht (vgl. die jeweiligen Anamnesen in den Gutachten von Dr. E, Dr. W-R und Dr. M). Dr. W-R weist in seinem Gutachten
allerdings darauf hin, dass ein Bandscheibenvorfall nicht immer ein nach außen erfassbares eindeutiges Erscheinungsbild biete,
weshalb die Literatur sich mit dem Nachweis von segmentbezogenen Bewegungsstörungen, reaktiven Umgebungsmyogelosen und auf
den betroffenen Wirbelsäulenabschnitt lokalisierten Schmerzen begnüge. Solche Veränderungen sind von dem Sachverständigen
Dr. W-R letztlich bejaht worden, wenngleich dies als großzügige Auslegung erscheint. Denn sowohl bei dem Gutachter Dr. E als
auch bei den Gutachtern Dr. W-R und Dr. M war die Funktion der Lendenwirbelsäule altersgemäß. Auch die Entfaltbarkeit der
Lendenwirbelsäule war physiologisch (Zeichen nach Schober und Ott), der Finger-Boden-Abstand war bei guter Entfaltbarkeit
gering (bei Dr. E 5 cm, bei Dr. W-R wenige Zentimeter, bei Dr. M 8 cm), Bewegungsschmerzen wurden nicht geäußert. Laut den
klägerischen Angaben bei Dr. W-R im Jahr 2008 sei seit Jahren wegen der Lendenwirbelsäulenbeschwerden keine Therapie mehr
erforderlich gewesen. Bei Dr. W-R berichtete er lediglich von einem tieflumbalen Druckgefühl, bei Dr. M gab er in der Vergangenheit
ausstrahlende Schmerzen in den Hodenbereich an. Im Jahr 2004 stellte Dr. E deutliche lumbale Muskelverspannungen fest, eine
Klopf- und Druckempfindlichkeit im Wirbelsäulenbereich fand sich jedoch - wie auch in den späteren Gutachten - nicht.
Selbst wenn man hier ein dem morphologischen Befund entsprechendes klinisches Beschwerdebild bejahen würde, d. h. eine bandscheibenbedingte
Erkrankung der LWS als erwiesen ansehen würde, so wäre deren berufliche Verursachung nicht hinreichend wahrscheinlich.
Denn unter Zugrundelegung der Konsensempfehlungen (Punkt 1.4) handelt es sich im Falle des Klägers bei einer ausreichenden
beruflichen Belastung (Exposition) nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W-R in seinem Gutachten vom 19. Mai 2008
um die Konstellation B3, d. h.
- es liegt eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor,
- es besteht eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (z. B. ausreichende
Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums
zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab),
- die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft L5/S1 und/oder L4/5,
- Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall,
- wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren (wie z. B. eine relevante Skoliose) liegen nicht vor,
- eine Begleitspondylose liegt nicht vor.
Als Begleitspondylose wird nach den Konsensempfehlungen Punkt 1.4 definiert eine Spondylose in/im nicht von Chondrose oder
Vorfall betroffenen Segment(en) bzw. in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en), die nachgewiesenermaßen vor
dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist. Um eine positive
Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung zu haben, muss die Begleitspondylose über das Altersmaß (s. Punkt 1.2 der
Konsensempfehlungen) hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen. Bei dem Kläger sind nach der Beurteilung des Dr.
W-R in seinem Gutachten vom 19. Mai 2008 keine Begleitspondylosen in den über L4/5 gelegenen Segmenten der LWS und BWS nachgewiesen.
Dies steht auch in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Dr. E. Die von Dr. E in den Röntgenaufnahmen vom 06. Oktober 2004
in den Segmenten L4/5 und L5/S1 festgestellten beginnenden Randzackenanbauten an den Wirbelkörpern (Spondylosen) stellen keine
Begleitspondylosen i. S. d. Konsensempfehlungen dar, denn diese sind nicht nachweisbar vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten
Erkrankung in diesen Segmenten aufgetreten. So waren derartige Erscheinungen beispielsweise in den Röntgenbildern vom 24.
März 1994 laut den Feststellungen des Sachverständigen Dr. W-R noch nicht nachweisbar. Auf welcher Grundlage der nach §
109 SGG gehörte Sachverständige Dr. M ohne jegliche Auseinandersetzung mit dem Vorgutachten des Dr. W-R zu der Behauptung gelangt
ist, Begleitspondylosen lägen hier vor, ist nicht nachvollziehbar.
Für die Fallkonstellation B3 hat die interdisziplinäre Arbeitsgruppe keinen Konsens erzielt. Die Frage, ob Begleitspondylosen
erforderlich sind, ist in der Wissenschaft ganz offensichtlich umstritten (vgl. J. Schürmann in Ludolph, Lehmann, Schürmann,
Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, 11. Erg-Lieferung 9/08, III-2.13.2108 S. 13; Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur
BKV, Lfg. 2/07, M 2108 6.2.4; Konsensempfehlungen, Anmerkungen zu den nicht im Konsens beurteilten Fallkonstellationen, Anhänge
1 und 2).
Hinweise für das Vorliegen der Fallkonstellation B2 bestehen nicht. Diese Fallkonstellation ist (die ausreichende Exposition
abermals unterstellt) wie folgt definiert:
- gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule,
- es besteht eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (z. B. ausreichende
Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums
zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab),
- die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft L5/S1 und/oder L4/5,
- Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall,
- keine wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktoren,
- keine Begleitspondylose sowie
- zusätzlich mindestens eines der folgenden Kriterien,
-- Höhenminderung und/oder Vorfall an mehreren Bandscheiben oder "black disc" im MRT an mindestens zwei angrenzenden Segmenten,
-- besonders intensive Belastung,
-- besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen.
Hinweise auf eine so genannte "black disc" liegen nicht vor.
Von einer besonders intensiven Belastung kann nur bei Erreichen des Lebensrichtwertes der Gesamtbelastungsdosis in weniger
als 10 Jahren beruflicher Belastung ausgegangen werden (vgl. Punkt 1.4 der Konsensempfehlungen zu B2). Hierbei kann nicht
von dem nach der Rechtsprechung des BSG modifizierten Lebensrichtwert von 12,5 MNh ausgegangen werden, denn Grundlage des
Konsenses war das nicht modifizierte MDD mit einem Lebensrichtwert von 25 MNh. Nur auf dieser Basis ist hier zu B2 ein wissenschaftlicher
Konsens erzielt worden. Eine Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh wird im vorliegenden Fall aber auch unter Anwendung des nach
der BSG-Rechtsprechung modifizierten MDD, bei dem insbesondere auch geringere Gewichte bei der Berechnung berücksichtigt werden,
bezogen auf eine Belastungsdauer von circa 26 Jahren nicht erreicht, und erst recht nicht bezogen auf eine Belastungsdauer
von weniger als 10 Jahren. Es ist zudem nicht erkennbar, dass eine Berechnung der Gesamtbelastungsdosis allein anhand der
Angaben des Klägers zu den von ihm bewegten Gewichten und den zurückgelegten Wegstrecken auf der Grundlage des nicht modifizierten
MDD zum Erreichen der Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh innerhalb eines Zeitraums von weniger als 10 Jahren führen könnte.
Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen, d. h. das Erreichen mindestens der Hälfte
des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen, die bei Männern ab 6.000 N gesehen werden (vgl. Punkt 1.4 der
Konsensempfehlungen zu B2), sind ebenfalls nicht erkennbar. Auch der Vortrag des Klägers gibt keine Anhaltspunkte für derartige
Belastungsspitzen, denn es wird nicht geltend gemacht, alleine Gewichte von 60 kg und mehr bewegt zu haben. Hierzu hat auch
der TAD in seiner Stellungnahme vom 23. Dezember 2008 explizit Stellung genommen.
Der allgemeine beweisrechtliche Grundsatz, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss (vgl. BSG in SozR 3850 § 51 Nr. 9; BSG in SozR 1500 § 128 Nr. 31; BSG in
SozR 3-3850 § 52 Nr. 1; Rauschelbach, MedSach 2001, 97; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit,
8. Aufl. 2009, Kapitel 3.3.4.3), erfordert nach dem BSG, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-epidemiologische
Forschungen geben muss, weil dies nur eine Methode zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist und sie im Übrigen nicht
auf alle denkbaren Ursachenzusammenhänge angewandt werden kann und braucht. Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen
Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann daher in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt
vertretenen Auffassung gefolgt werden (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006, - B 2 U 1/05 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 m. w. N.).
Hiernach kann auf das Zusatzkriterium einer Begleitspondylose bei der Fallkonstellation B3 zur Überzeugung des Senats nicht
verzichtet werden. Die Konstellation B3 entspricht der häufigsten Manifestationsform eigenständiger Bandscheibenerkrankungen
innerer Ursache an der LWS (vgl. V. Grosser und F. Schröter im Anhang 1 der Anmerkungen zu den nicht im Konsens beurteilten
Fallkonstellationen der Konsensempfehlungen). Betroffen sind bei dieser Konstellation lediglich die Segmente L4/5 und/oder
L5/S1. Bandscheibenschäden in den übrigen LWS-Segmenten liegen bei dieser Konstellation definitionsgemäß nicht vor. Selbst
geringgradige Bandscheibendegenerationen im Sinne einer nur magnetresonanztomograpisch nachweisbaren so genannten "black disc"
sind bei dieser Konstellation in keinem der oberhalb L4/5 gelegenen Segmente nachweisbar. Auch eine Begleitspondylose als
positives Indiz für eine Auswirkung der beruflichen Belastungen liegt nicht vor. Biomechanische Besonderheiten der beruflichen
Einwirkung, welche das Fehlen von Spuren der beruflichen Belastung in den Segmenten der mittleren und oberen LWS plausibel
machen könnten, sind bei der Konstellation B3 nicht gegeben. Da sich die biologisch-anatomische Schadensentwicklung zwingend
durch dokumentierbare (radiologische) Belege nachweisen lassen muss, fehlt es hier überhaupt am belastungstypischen Schadensbild,
da ein altersuntypischer Befund nicht vorliegt (vgl. J. Schürmann in Ludolph, Lehmann, Schürmann, Kursbuch der ärztlichen
Begutachtung, 11. Erg-Lieferung 9/08, III-2.13.2108 S. 13). Epidemiologische Arbeiten, welche nachweisen, dass bei Schadensbildern,
die der Konstellation B3 entsprechen, bei beruflich Exponierten im Vergleich zur Normalbevölkerung statistisch eine relevante
Risikoerhöhung besteht, existieren nicht (vgl. V. Grosser und F. Schröter aaO.). Ein derartiger Nachweis wird gemäß den Ausführungen
von V. Grosser und F. Schröter auch durch die Fallkontrollstudie von Seidler et al. nicht geführt. Sie räumten ein, dass in
ihrer Studie Patienten mit Chondrose und Spondylose ein höheres berufliches Erkrankungsrisiko aufwiesen als Patienten mit
Chondrose ohne zusätzliche Spondylose. Sie machten aber geltend, dass ihre Studie dennoch eine relevante Risikoerhöhung auch
für Schadensbilder, welche der Konstellation B3 entsprechen, nachweise. Dies hält einer kritischen methodischen Überprüfung
jedoch nicht Stand. Die beruflichen Belastungen wurden in der Studie lediglich durch eine Befragung der Probanden ermittelt.
Die in der Studie verwendeten medizinischen Einschlusskriterien erlauben keineDifferenzierung, ob die errechneten Erkrankungsrisiken
tatsächlich durch eine berufsbedingte Häufung von Bandscheibenschäden verursacht sind oder ob sie lediglich eine höhere Inanspruchnahme
ärztlicher Behandlung aufgrund einer berufsbedingten Beschwerdeauslösung bei berufsunabhängigentstandenen Bandscheibenschäden
widerspiegeln. Im Ergebnis führt dies zu einer erheblichen Überschätzung des Risikos, berufsbedingt Bandscheibenschäden zu
entwickeln. In der Studie wird bei Erreichen der Richtdosis nach dem MDD (berechnet ohne Schwellenwert auf der Basis der Befragung
der Probanden) eine Erhöhung des Erkrankungsrisikos auf etwa das 10fache errechnet, wenn man die belastete Gruppe insgesamt
betrachtet. Nach den methodisch aussagekräftigsten epidemiologischen Arbeiten ist das relative Risiko, berufsbedingt Bandscheibenschäden
zu entwickeln, bei vergleichbaren bzw. eher höheren Belastungen jedoch nur auf etwa das 2fache erhöht.
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die interdisziplinäre Arbeitsgruppe hinsichtlich der Grundvoraussetzung "ausreichende
berufliche Belastung" (vgl. Punkt 1.4 der Konsensempfehlungen) von den Maßgaben des - nicht modifizierten - MDD ausgegangen
ist. Schon unter Zugrundelegung eines Orientierungswertes zur Gesamtbelastungsdosis von 25 x 106 Nh für Männer bzw. 17 x 106
Nh für Frauen und einer Mindestdruckkraft von 3.200 N für Männer bzw. 2.500 N für Frauen ist in der interdisziplinären Arbeitsgruppe
kein Konsens erzielt worden. Bei nunmehr weiter herunter geschraubten Anforderungen, die eine Verschiebung der Lastgewichte
weg von "schweren" Gewichten hin in die Region alltäglicher Gewichte zur Folge hat (vgl. hierzu z. B. das Urteil des LSG Baden-Württemberg
vom 25. September 2008 aaO., Römer/Brandenburg/Woltjen, aaO., S. 192 ff), kann erst recht nicht von einem gesicherten aktuellen
medizinisch-wissenschaftlichen Konsens zur vorliegenden Konstellation ausgegangen werden.
Darüber hinaus dürfte hier fraglich sein, ob die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule zur Unterlassung aller
Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren
oder sein können. Der bei der hier umstrittenen BK 2108 geforderte Unterlassungszwang setzt laut dem BSG in der Regel voraus,
dass die Tätigkeiten, die zu der Erkrankung geführt haben, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden sollen
und der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das
Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich aufgegeben hat, wobei es auf das Motiv des Versicherten nicht
ankommt (ständige Rspr. vgl. Urteil des BSG vom 19. August 2003 - B 2 U 27/02 R -, zitiert nach Juris; BSG in SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N). Eine bloße Verminderung der Gefährdung genügt nicht
(BSG aaO.; BSG in SozR 5670 Anl. 1 Nr. 4301 Nr. 2). Hier muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger zwar bis zum 30. September
2008 als Meister nur noch geringere Gewichte bewegt hat, aber auch die von ihm zuletzt bei der Begutachtung bei Dr. M angegebenen
Lasten von bis zu 15 kg sind nach dem modifizierten MDD als Lendenwirbelsäulenbelastungen zu würdigen. Eine Unterlassung aller
gefährdenden Tätigkeiten hat vor dem 30. September 2008 also nicht stattgefunden. Ob eine Unterlassung nunmehr angenommen
werden kann, da der Kläger als Steinmetzgehilfe tätig ist, dürfte fraglich sein.
Letztlich kann der Kläger auch mit seinem Hilfsantrag nicht durchdringen. Gemäß §
9 Abs.
4 SGB VII ist, sofern die Anerkennung einer Krankheit als BK - wie hier - die Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten voraussetzt,
vor Unterlassung einer noch verrichteten gefährdenden Tätigkeit darüber zu entscheiden, ob die übrigen Voraussetzungen für
die Anerkennung einer BK erfüllt sind. Wie bereits ausgeführt, liegt bei dem Kläger jedoch unabhängig vom Unterlassungszwang
keine beruflich bedingte bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule i. S. d. BK 2108 vor.
Dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, zur Feststellung des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen
ein Sachverständigengutachten einzuholen, musste der Senat nicht nachkommen, denn es handelt sich nicht um einen zulässigen
Beweisantrag i. S. d. §
403 Zivilprozessordnung (
ZPO) i. V. m. §
118 Abs.
1 SGG. Ein zulässiger Beweisantrag muss in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, sich regelmäßig auf ein Beweismittel
der
ZPO beziehen, das Beweisthema möglichst konkret angeben und insoweit auch wenigstens umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben
soll (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 9. Aufl., Randnr. 18 a zu §
160 m. w. N.). Der Kläger hat kein Beweisthema bekannt gegeben, denn hierzu ist die Bezeichnung der zu beweisenden Tatsachen
erforderlich. Bei den "arbeitstechnischen Voraussetzungen" handelt es nicht um klar umrissene Tatsachen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.